TE OGH 1979/3/9 9Os121/78

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Veröffentlicht am 09.03.1979
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek sowie der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, Dr. Steininger und Dr. Horak als Richter sowie des Richteramtsanwärters Mag. Santa als Schriftführerin in der Strafsache gegen Manfred A wegen des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Jugendlichen nach § 209 StGB mit Zustimmung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 28. Dezember 1977, GZ. 23 Vr 2364/77-8, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 29.April 1942 geborene Hochbautechniker Manfred A des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Jugendlichen nach § 209 StGB schuldig erkannt, weil er - inhaltlich des (dem Anklagetenor konformen) Urteilssatzes - im September 1977

in Traun als Person männlichen Geschlechtes nach Vollendung des 18. Lebensjahres mit dem am 10.November 1960 geborenen Jugendlichen Wolfgang B durch wiederholten gegenseitigen Hand- und Mundverkehr gleichgeschlechtliche Unzucht trieb.

Dieser Schuldspruch wird vom Angeklagten unter Anrufung der Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs. 1 Z 5 und 9 lit.a StPO bekämpft. Nach dem vom Erstgericht als erwiesen angenommenen Sachverhalt flüchtete B am 29.August 1977 gegen 17,30

Uhr aus dem Fürsorgeerziehungsheim Linz-Wegscheid, suchte einen Treffpunkt für Homosexuelle in Linz auf, stieß dort auf den bisexuell veranlagten Angeklagten, welcher das Alter B' s nicht kannte, und suchte mit diesem im Anschluß an einen Gaststättenbesuch dessen Wohnung auf, wo er auch die folgenden Nächte bis zum 13. September 1977

vorwiegend verbrachte. Bereits in der ersten Nacht kam es zwischen dem Angeklagten und dem - dafür entlohnten - B, der ersteren am nächsten Morgen von seiner Flucht aus dem Erziehungsheim informierte, zu Unzuchtshandlungen der erwähnten Art, ebenso in den weiteren Nächten.

Diese Feststellungen stützte das Erstgericht auf die Angaben des Wolfgang B unmittelbar nach seiner Ergreifung vor Beamten der Bundespolizeidirektion Linz. Seine späteren Bekundungen in der Hauptverhandlung, den Angeklagten von der Flucht nicht in Kenntnis gesetzt zu haben, erachtete es hingegen für unglaubwürdig. Auch der in gleiche Richtung gehenden Verantwortung des Angeklagten, welcher - wie das Urteil zum Ausdruck bringt -

vor der Polizei den Ablauf der Ereignisse bis zum Morgen jenes Tages, welcher dem folgte, an dem er B kennengelernt hatte, gleich Letzterem geschildert habe, schenkte es keinen Glauben. Es ging sohin davon aus, daß durch B dessen Flucht dem Angeklagten (am 30. August 1977 - morgens) zur Kenntnis gebracht worden und diesem 'damit (nunmehr) klar war, daß B noch nicht 18 Jahre alt sein konnte'.

'Es bleibe', so fährt das Urteil später (wörtlich) fort, 'die Frage zu untersuchen, ob dem Angeklagten auch schon die erste (seinerseits vor dieser Mitteilung vorgenommene) Unzuchtshandlung strafrechtlich zugerechnet werden könne'. Insoweit meinte das Schöffengericht (anschließend), sei dem Angeklagten zum Vorwurf zu machen, daß seinen Angaben zufolge das Alter von Menschen schwer schätzbar sei, er aber trotzdem nicht nach dem Alter des erst 16-jährigen gefragt habe. Es erblickte 'hierin' die Schuldform des dolus eventualis; der Angeklagte sei, weil er das Alter seines Unzuchtspartners) schlecht schätzen konnte, darüber im ungewißen gewesen, habe aber dennoch gleichgeschlechtliche Unzucht mit B getrieben.

Bedingter Vorsatz falle dem Täter zur Last, 'der wisse', daß seine Handlung das tatbestandsmäßige Unrecht möglicherweise neben dem bezweckten Erfolg verwirklichen werde und diesen Ausgang billigend in Kauf nehme.

An sich zutreffend wirft die Beschwerde dem Erstgericht mit Bezug auf den vorstehend wiedergegebenen Abschnitt der Urteilsgründe (S 47) sinngemäß vor, die Schwierigkeit von Altersschätzungen im allgemeinen mit der hieraus für den konkreten Fall abgeleiteten Ungewißheit in Ansehung des Alters des B reiche für die Annahme nicht aus, der Angeklagte habe in Ansehung des Tatbestandsmerkmals der Jugendlichkeit des Genannten vorsätzlich gehandelt. Denn damit einem Täter bedingter Vorsatz im Sinne des § 5 Abs. 1 - zweiter Halbsatz - StGB angelastet werden kann, muß er die Verwirklichung des Sachverhalts, der dem gesetzlichen Tatbild entspricht - was das Erstgericht scheinbar nicht ganz richtig erkannt hat, zumal davon in der im Urteil wiedergegebenen Legaldefinition des dolus eventualis keine Rede ist - 'ernstlich' für möglich halten und sich mit ihr abfinden, wovon lediglich im Rahmen der ins Urteil aufgenommenen bezüglichen Definition gesprochen wird, ohne daß auch sachverhaltsmäßig eine entsprechende Feststellung getroffen ist. Durch die dort als erwiesen angenommenen Tatsachen würde jedenfalls im zur Beurteilung stehenden Belange bloße (bewußte oder unbewußte) Fahrlässigkeit (§ 6 Abs. 1 und 2 StGB) nicht ausgeschlossen. Dies ist allerdings im Zusammenhang mit den ersten - nach den Urteilsfeststellungen in der Nacht zum 30.August 1977 vorgefallenen - Unzuchtsakten, auf die sich die obigen Erwägungen des Erstgerichtes unmittelbar beziehen, deshalb nicht von Bedeutung, weil der vorliegend ergangene - allein einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde zugängliche - Schuldspruch, (das ist der im Urteilssatz enthaltene Ausspruch nach § 260 Abs. 1 StPO) nur im Monat September 1977 gesetzte deliktischen Handlungen erfaßt, eine im Vormonat (August) verübte derartige Tat mithin dort nicht einbezogen ist (vgl. Gebert-Pallin-Pfeiffer, III/2, Nr. 5 und 5 a zu § 280 StPO). Es kann daher auch die - von der Beschwerde allerdings gar nicht aufgeworfene - Frage unerörtert bleiben, ob, falls der Angeklagte einer im August 1977 begangenen Straftat schuldig gesprochen worden wäre, darin nicht eine überschreitung der Anklage läge, die sich nicht nur im Tenor der Anklageschrift (ebenfalls) auf die Tatzeit September 1977 beschränkt, sondern darüber hinaus (auch) in der Begründung erkennen läßt, daß der öffentliche Ankläger den Manfred A (offenkundig aus die subjektive Tatseite betreffenden Gründen) nur wegen der nach der Kenntnis der Flucht des Jugendlichen aus dem Erziehungsheim unternommenen Unzuchtshandlungen verfolgt wissen wollte (s.S. 21 ff.).

Rechtliche Beurteilung

Mittelbar kommt schon der erörterten Rüge insofern Bedeutung zu, als der Schuldspruch mit der Feststellung über den das Alter B' s umfassenden (unbedingten) Vorsatz des Angeklagten bei den der mehrfach angeführten Mitteilung nachgefolgten Tathandlungen und demnach mit der Beantwortung der Frage steht und fällt, ob und inwieweit diese Feststellung durch die ihr zugrundeliegenden polizeilichen Angaben des Wolfgang B mängelfrei begründet ist. In diesem Punkte verweist jedoch die Beschwerde aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 5 StPO mit Fug auf die gänzlich außer acht gelassene Tatsache, daß Wolfgang B in der mit ihm vor der Polizei aufgenommenen Niederschrift den Vornamen seines Unzuchtspartners, dem er (unter anderem) von der Flucht aus dem Erziehungsheim erzählt hat, mit 'Karl' angab (s.S. 18), der Angeklagte jedoch nach der Aktenlage ausschließlich den Vornamen Manfred führt. Da diese Deposition B' s immerhin geeignet ist, die Identität des Angeklagten mit dem (ersten) Unzuchtspartner des Jugendlichen in Frage zu stellen, hätte sie erörtert werden müssen; und dies umsomehr als der Angeklagte - im Gegensatz zu den Ausführungen des Urteils, die den Anschein erwecken, er habe eingestanden, B bereits am 29.August 1977 getroffen zu haben - sich auch bereits bei der Polizei (S 19) dahin verantwortete, den Genannten erst am 9.September kennengelernt, lediglich für eine einzige Nacht in seine Wohnung mitgenommen zu haben und dann nur noch zweimal mit ihm in Kontakt gekommen zu sein, wobei sie in einem Fall im Freien gleichgeschlechtliche Unzucht getrieben hätten. Auch fällt auf, daß B am 14.September 1977 (gegen 4,30 Uhr), als er einer Kontrolle unterzogen worden ist, wiederum an einer Stelle angetroffen wurde (S 15), die nach den Urteilsgründen (S 42) amtsbekannter Treffpunkt Homosexueller ist.

Wegen der zutreffend aufgezeigten Unvollständigkeit der Urteilsbegründung im Sinne des § 281 Abs. 1 Z 5 StPO war der zum Vorteil des Angeklagten ergriffenen (berechtigten) Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285 e StPO mit Zustimmung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung Folge zu geben und über die Rechtsmittel spruchgemäß zu erkennen.

Anmerkung

E01810

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1979:0090OS00121.78.0309.000

Dokumentnummer

JJT_19790309_OGH0002_0090OS00121_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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