Norm
ABGB §802Kopf
SZ 52/32
Spruch
Der Vorbehaltserbe des haftpflichtversicherten Erblassers haftet für die Entschädigungsforderung des Dritten einerseits mit dem Sondervermögen ("Entschädigungsforderung"), andererseits aber nur nach Maßgabe des Zureichens der Verlassenschaft gemäß § 802 ABGB (also pro viribus)
OGH 13. März 1979, 2 Ob 200/78 (OLG Wien 10 R 81/78; LGZ Wien 38 Cg 744/77)
Text
Die Klägerin erlitt am 7. August 1975 bei einem Verkehrsunfall als Beifahrerin in dem von Hans S gelenkten Kraftfahrzeug schwere Verletzungen. Der andere Unfallsbeteiligte, Franz J, der mit seinem Kraftfahrzeug bei der Erstbeklagten haftpflichtversichert war, starb am 6. September 1975 an den Folgen des Unfalles.
Sein Nachlaß mit Aktiven in Höhe von 47 101.73 S und Passiven von 55
871 S wurde den mit Rechtswohltat des Inventars erbserklärten Erben,
nämlich seinen Kindern, dem Zweitbeklagten, Franz J jun., und der
Drittbeklagten, Helga F, zu je 3/8 und der Witwe Maud J, der
Viertbeklagten, zu 1/4 mit Einantwortungsurkunde vom 2. Juli 1976, 2
A 765/75-14, des Bezirksgerichtes Hernals eingeantwortet. Die
Nachlaßpassiven umfassen: Begräbniskosten
............................................ 4 989 S
Grabsteinkosten ............................................ 42 628
S Kranzkosten ................................................ 1
200 S Friedhofsgebühren ..........................................
2 470 S Nebenauslagen anläßlich des Begräbnisses ...................
2 000 S und Kirchensteuer
........................................... 2 584 S
Die Klägerin begehrte die Feststellung der solidarischen Haftung der Beklagten für künftige Unfallsfolgen, hinsichtlich der Erstbeklagten bis zur Höhe der durch den Haftpflichtversicherungsvertrag festgesetzten Versicherungssumme.
Die Erstbeklagte anerkannte das Feststellungsbegehren. Die übrigen Beklagten beantragten unter Hinweis auf die Überschuldung des Nachlasses und ihre beschränkte Erbenhaftung Klagsabweisung.
Die Klägerin, die zunächst von einer unbedingten Erbserklärung der Erben nach Franz J sen. ausgegangen war, änderte daraufhin ihr Begehren dahin gehend, daß sie die Feststellung der solidarischen Haftung der Zweit- bis Viertbeklagten "bis zur Höhe der durch die bedingte Erbserklärung zu 2 A 765/75 des Bezirksgerichtes Hernals beschränkten Haftung, zuzüglich der Versicherungssumme der Erstbeklagten" begehrte.
Das Erstgericht wies das gegen die zweit- bis viertbeklagte Partei gerichtete Klagebegehren ab; die Worte "zuzüglich der Versicherungssumme der Erstbeklagten" übernahm es in den abweisenden Spruch (Punkt 2 des Ersturteils) nicht.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin in der Hauptsache nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes im Berufungsverfahren 60 000 S übersteige. Soweit sich die Berufung gegen die Kostenentscheidung hinsichtlich der Erstbeklagten (Punkt 3 des Ersturteils) richtete, wies es das Rechtsmittel zurück.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge. Das angefochtene Urteil wurde mit der Maßgabe bestätigt, daß Punkt 2 des vom Berufungsgericht bestätigten Ersturteils wie folgt zu lauten hat:
"Das Klagebegehren, die zweit-, dritt- und viertbeklagte Partei seien mit der erstbeklagten Partei zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin sämtlichen Schaden, den sie im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall vom 7. 8. 1975 auf der Kreuzung Hasnerstraße - Hettenkoferstraße in Zukunft erleiden wird, bis zur Höhe der durch die bedingte Erbserklärung zu 2 A 765/75 des Bezirksgerichtes Hernals beschränkten Haftung zuzüglich der Haftpflichtversicherungssumme der Erstbeklagten zu ersetzen, wird abgewiesen ...
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Erstgericht war auf Grund des eingangs dargestellten Sachverhaltes der Ansicht, daß der Zweit-, die Dritt- und Viertbeklagte infolge Abgabe einer bedingten Erbserklärung gemäß § 802 ABGB nur insoweit zu haften hätten, als die übernommenen Aktiven zur Deckung der Schulden ausreichten. Infolge Überschuldung reiche der Nachlaß zur Bezahlung allfälliger Forderungen der Klägerin nicht aus.
Das Berufungsgericht traf aus dem Verlassenschaftsakt die eingangs wiedergegebenen Feststellungen über die Zusammensetzung der Nachlaßpassiven. Bei diesen handle es sich, abgesehen von der Kirchensteuer, die aber bei Berücksichtigung des weitaus überwiegenden Passivenüberschusses nicht ins Gewicht falle, um Schuldposten, die bei konkursmäßiger Befriedigung allfälligen Ansprüchen der Klägerin vorgingen. Es könne daher schon jetzt festgestellt werden, daß der Wert des Nachlasses keine konkursmäßige Befriedigung der Klägerin gestattet hätte. Wegen Unzulänglichkeit der Verlassenschaft bleibe für die Anwendung des § 815 ABGB, auf den sich die Klägerin erst im Berufungsverfahren gestützt habe, kein Raum. Auf die Frage der Deckung der Ansprüche der Klägerin aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag brauche nicht eingegangen zu werden, da sie es unterlassen habe, die unterbliebene Entscheidung des Erstgerichtes über ihren Antrag "zuzüglich der Haftpflichtversicherungssumme der Erstbeklagten" ausdrücklich zu rügen. Gegen die Nichterledigung dieses Antrages hätte sie entweder durch einen Ergänzungsantrag nach § 423 ZPO oder durch die Berufung nach § 496 Abs. 1 ZPO Abhilfe suchen müssen. Schließlich widerspreche das Begehren auf Feststellung der solidarischen Haftung der für die Beklagten als Vorbehaltserben geltenden Anteilshaftung.
Die Revisionswerberin verweist auf den in der Berufung gestellten Abänderungsantrag, daß ihrer Klage vollinhaltlich stattgegeben werden möge, und meint, damit das vom Berufungsgericht angenommene Unterbleiben der Entscheidung des Erstgerichtes über die Worte ihres Urteilsantrages "zuzüglich der Haftpflichtversicherungssumme der Erstbeklagten" gerügt zu haben. Das angefochtene Urteil komme zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung, weil es den Deckungsanspruch gegen die Haftpflichtversicherung nicht als Vermögen der Verlassenschaft angesehen habe.
Diese Ausführungen sind im Ergebnis nicht berechtigt.
Allerdings kann der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß es sich mit der materiellrechtlichen Frage der Deckung künftiger Ersatzansprüche der Klägerin aus einer zugunsten des Erblassers bestehenden Haftpflichtversicherung mangels Stellung eines Ergänzungsantrages nach § 423 ZPO oder Geltendmachung des Berufungsgrundes des § 496 Abs. 1 Z. 1 ZPO nicht zu befassen hatte, nicht beigepflichtet werden.
Zunächst sei darauf verwiesen, daß die Klägerin "Mangelhaftigkeit des Verfahrens" als Berufungsgrund geltend machte und sich dadurch als beschwert erachtete, daß der ihre Ersatzforderung sichernde Deckungsanspruch des Erblassers gegen die Versicherung nicht als Verlassenschaftsvermögen betrachtet worden sei, wobei sie allerdings die Unvollständigkeit des abweisenden Spruches des Erstgerichtes nicht ausdrücklich rügte. Entscheidend ist aber folgendes: Bei Auslassungen, die zu einer gänzlichen oder teilweisen Nichterledigung des Begehrens führen, ist auseinanderzuhalten, ob das Gericht tatsächlich auch über den Anspruch mitentscheiden wollte oder nicht. Wollte es nicht mitentscheiden, dann ist kein Raum für eine Urteilsberichtigung, sondern nur für eine Urteilsergänzung (ZBl. 1935/337; Fasching III, 811). Im gegenständlichen Fall kann der Entscheidungswille des Erstgerichtes nur auf eine gänzliche Abweisung (hinsichtlich Punkt 2 des Urteils) gerichtet gewesen sein:
Das Feststellungsbegehren der Klägerin bildet nämlich mit seinen Einschränkungen und Zusätzen eine Einheit, was eine teilweise Stattgebung im Sinne eines Minus ausschließt. Mit der Auslassung des - im übrigen unklar formulierten - Zusatzes "zuzüglich der Versicherungssumme der Erstbeklagten" entsteht ein aliud. Nun ist zwar durchaus möglich, daß der gerichtliche Entscheidungswille dahin geht, daß einer Partei etwas anderes zugesprochen wird, als beantragt war (vgl. § 405 ZPO), es kann aber nicht angenommen werden, daß etwas, was gar nicht beantragt war, abgewiesen wurde. Mangels jeglicher Anhaltspunkte für einen solchen Entscheidungswillen des Erstgerichtes ist davon auszugehen, daß die Auslassung der Worte "zuzüglich der Versicherungssumme der Erstbeklagten" auf einer vom Erstgericht nicht beabsichtigten offenbaren Unrichtigkeit beruht, die aus Anlaß der Entscheidung zu berichtigen war (§ 419 Abs. 3 ZPO).
Damit ist aber auf den materiellrechtlichen Einwand der Revisionswerberin, der Anspruch der Erben gegen die Haftpflichtversicherung bilde ein Vermögen der Verlassenschaft, das allein zur Deckung der Ansprüche der Klägerin reserviert sei, einzugehen. Bei der Haftpflichtversicherung ist der Versicherer gemäß § 149 VersVG verpflichtet, dem Versicherungsnehmer die Leistung zu ersetzen, die dieser auf Grund seiner Verantwortlichkeit für eine während der Versicherungszeit eintretende Tatsache an einen Dritten zu bewirken hat. Der Versicherungsnehmer hat damit gegenüber der Versicherung - im Rahmen des abgeschlossenen Vertrages - einen Befreiungsanspruch, der ihn vor den Folgen der Inanspruchnahme durch den geschädigten Dritten schützen soll. Das Gesetz schützt aber im Bereich der gesamten Haftpflichtversicherung (§§ 149 ff. VerVG) - abgesehen vom weitergehenden Schutz im Bereich der Pflichthaftpflichtversicherung (§§ 158b ff. VerVG) und dem noch weitgehenden durch Gewährung von Direktansprüchen (§ 63 KFG) - auch die Interessen des geschädigten Dritten: Er kann, wenn über das Vermögen des Versicherungsnehmers der Konkurs eröffnet ist, wegen des ihm gegen den Versicherungsnehmer zustehenden Anspruches abgesonderte Befriedigung aus der Entschädigungsforderung des Versicherungsnehmers verlangen (§ 157 VersVG). Die Zahlung auf Grund des Befreiungsanspruches soll damit nicht allen Gläubigern des Versicherungsnehmers - nach Konkursgrundsätzen klassen- und anteilsmäßig -, sondern ausschließlich dem Dritten zukommen, dessen Entschädigungsforderung ja einzig und allein den Befreiungsanspruch zum Entstehen gebracht hat.
Diesen Gedanken hält die deutsche Rechtsprechung für analogiefähig; der Grundsatz der abgesonderten Befriedigung des geschädigten Dritten sei danach nicht nur im Konkursfall anwendbar. Es besteht vielmehr Einhelligkeit darüber, daß sich der Versicherer im Rahmen seiner Befreiungsverpflichtung nicht auf die beschränkte Erbenhaftung berufen kann. Die deutsche Lehre leitet dieses sachlich allein vertretbare Ergebnis aus der Natur des Befreiungsanspruches ab (Prölls - Martin, VVG[21], 726; Bruck - Möller - Johannsen, VVG[8] IV, 134 Anm. B 108).
Die vergleichbare Interessenlage des geschädigten Dritten im Konkursfall des Schädigers und im Falle des mangelnden Zureichens seiner Verlassenschaft (bei beschränkter Erbenhaftung) rechtfertigt es, auch im österreichischen Rechtsbereich den Anspruch des geschädigten Dritten auf abgesonderte Befriedigung aus der Entschädigungsforderung bei beschränkter Erbenhaftung anzuerkennen. Die Entschädigungsforderung des verstorbenen Versicherungsnehmers bildet damit ein zweckgebundenes Sondervermögen. Die (sonst geltenden) erbrechtlichen Haftungsbeschränkungen haben daher keinen Einfluß auf die im Versicherungsvertrag festgelegte Pflicht des Versicherers, den Versicherungsnehmer gegen Schadenersatzansprüche Dritter zu decken.
Dies hat zur Folge, daß der geschädigte Dritte, der aus dem übrigen Verlassenschaftsvermögen überhaupt keine Deckung finden kann - etwa weil, wie hier, bei Anwendung der Rangordnung des Konkursverfahrens die danach bevorzugten Begräbniskosten alles aufzehren (vgl. SZ 15/129, 19/244) -, die Erben wegen seiner Entschädigungsforderung nur bei Exekution in den Deckungsanspruch erfolgreich belangen kann. Das Privilegium des Vorbehaltserben, das in einer Minderung seiner materiellrechtlichen Verpflichtung durch den rechtsgestaltenden Akt der bedingten Erbserklärung besteht (JBl. 1953, 542; SZ 42/49 u. a.), darf nämlich in Ansehung des übrigen Verlassenschaftsvermögens nicht verletzt werden. Der Vorbehaltserbe haftet daher dem Dritten einerseits mit dem Sondervermögen ( "Entschädigungsforderung"), andererseits aber nur nach Maßgabe des Zureichens der Verlassenschaft gemäß § 802 ABGB (also pro viribus). Da die letztere Haftung hier entfällt, ist das Begehren der Klägerin, die künftige solidarische Ersatzpflicht der zweit-, dritt- und viertbeklagten Partei bis zur Höhe der ..... beschränkten Haftung, zuzüglich der Haftpflichtversicherungssumme der Erstbeklagten festzustellen, nach seinem Wortlaut zum Scheitern verurteilt.
Ob es möglich wäre, diesem Begehren ohne Verstoß gegen die Bestimmung des § 405 ZPO eine klarere und deutlichere Fassung, die die hier einzig mögliche Haftung mit dem Sondervermögen zum Ausdruck bringt, zu geben, braucht nicht geprüft zu werden. Einem solchen Begehren müßte nämlich das rechtliche Interesse (§ 228 ZPO) versagt werden. Der Haftpflichtversicherer hat ja den Feststellungsanspruch anerkannt und haftet daher bis zur Höhe der durch den Haftpflichtversicherungsvertrag festgesetzten Versicherungssumme für künftige Unfallschäden. Das Haftungsobjekt, auf das die Klägerin bei Durchsetzung ihres Anspruches gegen die Vorbehaltserben - mangels ihrer Haftung gemäß § 802 ABGB - noch greifen könnte, ist mit dem durch das Urteil gegen den Haftpflichtversicherer erfaßten Haftungsobjekt völlig identisch. Die Klägerin kann dadurch, daß festgestellt wird, daß auch die Vorbehaltserben für künftige Ansprüche mit dem Sondervermögen (Entschädigungsforderung) haften, nichts gewinnen, was ihr nicht schon das Urteil gegen die Erstbeklagte bietet. Da der Mangel des rechtlichen Interesses an der begehrten Feststellung die Abweisung der Klage zur Folge hat, erweisen sich die Urteile der Vorinstanzen im Ergebnis als zutreffend, sodaß der Revision ein Erfolg zu versagen war.
Anmerkung
Z52032Schlagworte
Entschädigungsforderung, VorbehaltserbenhaftungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1979:0020OB00200.78.0313.000Dokumentnummer
JJT_19790313_OGH0002_0020OB00200_7800000_000