Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Schneider und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Jelinek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Eduard A (auch B) und Erna C wegen des Verbrechens des Diebstahls nach § 127 ff. StGB nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 17.Oktober 1978, GZ. 15 Vr 468/78-21, den Beschluß
gefaßt:
Spruch
Gemäß § 362 Abs. 1 Z. 1 StPO wird im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zugunsten der beiden Angeklagten verfügt und das angefochtene Urteil aufgehoben.
Die - gemeinsam ausgeführte - Berufung der Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld wird zurückgewiesen.
Mit ihren übrigen Rechtsmitteln werden die Angeklagten auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden der 29-jährige Zimmerergehilfe Eduard A (auch B;
siehe jedoch insbesondere S. 15 in ON. 8) und die 34-jährige Hausfrau Erna C des Verbrechens des Diebstahls nach den § 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1, 128 Abs. 1 Z. 4
und 129 Z. 1 StGB schuldig erkannt, weil sie am 13.April 1977 in Wolfpassing in Gesellschaft des abgesondert Verfolgten Friedrich D der Rosalia (im Urteilsspruch unrichtig: Rosina; siehe insb. S. 49- 51 in ON. 8) E Zigaretten und Lebensmittel im Gesamtwert von 11.682,70 S durch Einbruch gestohlen hatten.
Auf die von beiden Angeklagten gegen diesen Schuldspruch erhobene, gemeinsam ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde einzugehen erübrigt sich, weil der Oberste Gerichtshof schon bei der vorläufigen Beratung über dieses Rechtsmittel die Voraussetzungen des § 362 (Abs. 1 Z. 1) StPO für gegeben erachtet hat.
Das Erstgericht hat den Angaben der beiden Angeklagten und des abgesondert Verfolgten Friedrich D, des Lebensgefährten der C, sie hätten die Nacht vom 13.
auf den 14.April 1977 in Randegg, Mitterberg Nr. 33 in dem von C und D bewohnten Haus verbracht, in dem sich auch als Gäste A und Adolf F (im Urteil wiederholt unrichtig: G, siehe insb. S. 57-58 in ON. 8) aufgehalten hätten, und kämen daher als Täter für diesen Diebstahl nicht in Betracht, den Glauben versagt. Es stützte den Schuldspruch zunächst auf die Aussagen des Zeugen Christian H, der am 14.April 1977 zwischen 0 Uhr 15 und 0 Uhr 45 einen grau lackierten Personenkraftwagen der Marke Ford Escort, versehen mit einem niederösterreichischen Kennzeichen, dessen erste vier Ziffern N 448.2.. lauteten, in Wolfpassing, ca. 200 m vom Tatort entfernt, stehen gesehen und genau besichtigt hatte. Eine überprüfung der Kennzeichenserie N 448.2.. bei der Bezirkshauptmannschaft Scheibbs ergab nun, daß ein Wagen der Marke Ford Escort, Farbe silbermetallic, grau wirkend, unter dem Kennzeichen N 448.269 für Erna C zugelassen war. H erkannte das Fahrzeug nach dessen Ausforschung am selben Tag mit Sicherheit wieder. Da nur Erna C dieses Auto benützt hätte, müsse auch sie es (zur Tatzeit) zu jener Stelle, an der Christian H es abgestellt gesehen hatte, gelenkt haben (S. 96). Weiters bezog sich das Erstgericht auf die Aussage des Zeugen Ernst I, der als Aushilfsnachtwächter der etwa 100 m vom Haus der E entfernt im Schloß Wolfpassing untergebrachten Bundeslehr- und Versuchsanstalt für Milchwirtschaft in dieser Nacht einen Patrouillengang durch Wolfpassing machte, dabei um etwa 23 Uhr 45
Geräusche im Kaufhaus der E hörte, denen er zunächst keine Aufmerksamkeit schenkte, dann jedoch etwa eine Stunde später in einer Entfernung von 30 bis 40 m auf der Landstraße aus Richtung Ortsmitte zwei Personen gehen sah, von denen jeder eine Schachtel trug und die sich, nachdem sie den Nachtwächter bemerkt hatten, hinter einem Baum und einen dort befindlichen Betonpfeiler stellten. I näherte sich diesen Personen auf ca. 10 m und rief sie an, worauf ihm eine Männerstimme antwortete, er solle herkommen. I, der unbewaffnet und allein war, verständigte sodann den in der Nähe wohnhaften Gendarmeriebeamten Herbert J. Im Zuge der nun anlaufenden Gendarmerieerhebungen, bei denen auch ein Fährtenhund eingesetzt wurde, wurden zwei Schachteln mit Diebsgut, das aus dem Einbruch in das Kaufhaus der E stammte, sichergestellt. Auf Grund der Aussage des Adolf F stellte das Erstgericht weiters fest, daß die beiden Angeklagten und der abgesondert Verfolgte Friedrich D die gegenständliche Nacht nicht in ihrer Wohnung verbracht, sondern diese um etwa 20 Uhr 30 verlassen hätten und erst um ca. 6 Uhr in der Früh des nächsten Tages zurückgekehrt wären. Er, F, sei ersucht worden, auf die Kinder der Erna C aufzupassen. Das Erstgericht konstatierte hiezu, daß nach Ausforschung des Fahrzeugs der Erna C und nachdem Friedrich D zum Gendarmeriepostenkommando Steinakirchen am Forst gebracht worden war, auch Adolf F an diesem Tag (14.April 1977) dort (ebenso wie Erna C und Franz D, ein Onkel des Friedrich D, unaufgefordert; S. 32 in ON. 8, S. 83 f.) erschien, jedoch sofort, ohne überhaupt vorher gefragt worden zu sein, erklärte, keine Angaben machen zu wollen. In einer am 5.Mai 1977 durch den Gendarmeriebeamten Karl K des Gendarmeriepostenkommandos Markt Seitenstetten durchgeführten Vernehmung gab F jedoch niederschriftlich an, daß die beiden Angeklagten und Friedrich D am 13. April um 20 Uhr 30 das Haus verlassen hätten, nachdem er gebeten worden war, auf die Kinder aufzupassen, und erst am nächsten Tag um etwa 6 Uhr alkoholisiert zurückgekehrt seien. Aus der Aussage des in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen Karl K stellte das Erstgericht weiters fest, F habe ihm anläßlich seiner Vernehmung am 5. Mai 1977 außerhalb des Protokolls noch vertraulich mitgeteilt (S. 86), daß die Angeklagten und Friedrich D nach ihrer Rückkehr über den Diebstahl gesprochen hätten und deswegen auch in Streit geraten wären. Schließlich verwies das Erstgericht noch darauf, daß die Ausführung der Tat den Angeklagten auch durchaus zumutbar sei, weil Eduard A bereits wiederholt wegen Diebstahls vorbestraft sei, während die unbescholtene Erna C die Lebensgefährtin des ebenfalls wegen Diebstahls vorbestraften Friedrich D sei. Das Erstgericht nahm daher auf Grund dieser Ergebnisse des Beweisverfahrens als erwiesen an, daß die beiden Angeklagten gemeinsam mit Friedrich D den Einbruch in das Kaufhaus der E verübt und dort Zigaretten und Lebensmittel im Gesamtwert von 11.682,70 S gestohlen hätten. Der leugnenden Verantwortung der beiden Angeklagten schenkte es keinen Glauben, sondern sah diese durch die oben wiedergegebenen Verfahrensergebnisse als widerlegt an.
Rechtliche Beurteilung
Bereits bei der vorläufigen Beratung über die gemeinsam ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde der beiden Angeklagten haben sich erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Urteil zugrundeliegenden Tatsachen ergeben.
Die 34-jährige Erna C ist bislang gerichtlich unbescholten. Aus ihrem Vorleben läßt sich somit nicht folgern, daß ihr der gegenständliche Diebstahl ohne weiteres zumutbar wäre. Auch ihre Lebensgemeinschaft mit dem wegen Diebstahls vorbestraften Friedrich D ist kein stichhältiges Indiz in dieser Richtung. Nach dem Inhalt der Gendarmerieerhebungen (S. 32 in ON. 8) lebte die C zur Tatzeit bereits ca. 5 Jahre mit Friedrich D in Lebensgemeinschaft. Daß sie ungeachtet dessen in diesem doch nicht unbeträchtlichen Zeitraum dennoch strafgerichtlich nicht in Erscheinung getreten ist, spricht eher gegen ihre Täterschaft oder läßt doch die Begehung eines Einbruchsdiebstahls durch sie zumindest nicht ohne weiteres als zumutbar erscheinen. Der Umstand, daß der ihr gehörige Kraftwagen zur Tatzeit in der Nähe des Tatorts wahrgenommen wurde, läßt ebenfalls nicht unbedingt auf ihre persönliche Beteiligung an dem zum Nachteil der E verübten Diebstahl schließen. Die vom Erstgericht gezogene Schlußfolgerung, daß nur Erna C als Lenkerin dieses Fahrzeugs in Betracht komme, ist nicht überzeugend, weil nach der Aktenlage (S. 86) auch Friedrich D und A, obwohl sie keinen Führerschein haben, Auto fahren können und außerdem gerade bei zur Nachtzeit verübten Einbrüchen, wie der forensische Alltag immer wieder zeigt, sehr oft fremde Fahrzeuge ohne Wissen des Eigentümers oder Benützungsberechtigten verwendet werden. Aus den protokollierten Angaben des gerichtlich bisher nicht vernommenen Zeugen Adolf F ergibt sich aber, selbst wenn man als richtig unterstellen wollte, daß C und A zur Tatzeit entgegen ihren Verantwortungen nicht in der Wohnung anwesend waren, noch kein Anhaltspunkt für gerade ihre Beteiligung an dem gegenständlichen Diebstahl. Nach der oben angeführten niederschriftlichen Vernehmung F (S. 57 f. in ON. 8) haben nämlich am Abend des 13.April 1977 'alle' die Wohnung verlassen. Bei der nachfolgenden Personenaufzählung (Erna C, Friedrich, Franz und Anton D) fehlt aber zum einen der Angeklagte A und zum anderen wurden am Tatort nur zwei Personen gesehen. Eine Klärung setzt wohl jedenfalls eine gerichtliche Vernehmung des F als Zeuge - nach der Aktenlage sollte seine Ausforschung nicht auf übermäßige Schwierigkeiten stoßen - und seine Gegenüberstellung mit den Angeklagten voraus, zumal auch der Streit und die Tätlichkeiten des Friedrich D gegen Erna C bei der gemeinsamen Rückkehr ebensogut als Indiz gegen ihre Beteiligung am Diebstahl gewertet werden können wie dafür.
Nur der Vollständigkeit halber sei noch darauf verwiesen, daß es nach der derzeitigen Aktenlage mangels Vorliegens der Vorstrafakten fraglich erscheinen muß, ob beim Angeklagten A die - die Zuständigkeit des Schöffengerichts gemäß § 8 Abs. 3 StPO erst begründenden - Voraussetzungen des Rückfalls nach § 39 StGB vorliegen. Nach dem Inhalt der Anklageschrift (S. 58) hätte A die letzte Diebstahlsfreiheitsstrafe am 3.Juli 1972 verbüßt; im Urteil hingegen (S. 91) ist der 3.Februar 1972 als Verbüßungstag angeführt. Da der Angeklagte nach dem Inhalt der Strafregisterauskunft seither allenfalls nur eine zehntägige Ersatzfreiheitsstrafe zu der in der Strafregisterauskunft ON. 26 unter Punkt 10 aufscheinenden Verurteilung wegen der übertretungen nach den § 411 und 468 StG. verbüßt haben könnte, die gegenständliche Straftat aber erst am 13.April 1977 verübt wurde, können somit bei der gegebenen Aktenlage die Voraussetzungen für eine Rückfallsverjährung nach § 39 Abs. 2 StGB weder als gesichert angesehen noch ausgeschlossen werden.
Zusammenfassend ergeben sich bei dieser Sach- und Beweislage derart erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Urteil bezüglich der Täterschaft gerade der beiden Angeklagten zugrundeliegenden Tatsachen, daß eine Maßnahme nach § 362 Abs. 1 StPO gerechtfertigt ist. Dadurch tritt die Sache in den Stand der Voruntersuchung (§ 362 Abs. 4, 359 Abs. 1 StPO).
Die von den beiden Angeklagten gemeinsam ausgeführte Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld war zurückzuweisen, weil ein solches Rechtsmittel gegen schöffengerichtliche Urteile nicht vorgesehen und somit unzulässig ist (§ 283 Abs. 1 StPO).
Mit ihren übrigen, durch die obige Entscheidung gegenstandslos gewordenen Rechtsmitteln waren beide Angeklagten auf diese Entscheidung zu verweisen.
Anmerkung
E01878European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1979:0100OS00032.79.0321.000Dokumentnummer
JJT_19790321_OGH0002_0100OS00032_7900000_000