TE OGH 1979/3/21 10Os7/79

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Veröffentlicht am 21.03.1979
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.März 1979 unter dem Vorsitz des Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Schneider und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Jelinek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Wilfried Christian A wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichts Ried im Innkreis als Jugendschöffengericht vom 13.September 1978, GZ. 9 Vr 320/78-27, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Bernardini, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Brandt und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Scheibenpflug, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Die Berufung wegen Strafe wird zurückgewiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 16.Dezember 1960 geborene - zur Tatzeit jugendliche - Elektrikerlehrling Wilfried Christian A des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB schuldig erkannt.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts fuhr der Angeklagte am 17. Juli 1977 gegen 23 Uhr mit seinem Motorfahrrad, auf dessen Soziussitz er Eleonore B mitführte, auf der Eisenbirner Landesstraße, aus Richtung Haibach kommend, in Richtung Passau. Als er mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 km/h, Abblendlicht und herabgelassenem Visier seines Sturzhelms vor der Ortschaft Anzberg eine langgezogene Linkskurve befuhr, kam ihm im letzten Drittel der Kurve ein (unbekannt gebliebener) Personenkraftwagen entgegen. Der Angeklagte, welcher nicht auf den rechten Straßenrand, sondern in die Scheinwerfer dieses Automobils blickte, wurde geblendet und kam auf das mit Gras bewachsene Bankett ab, wo er nach etwa fünfzehn Metern in einen etwa 60 cm tiefen Straßengraben geriet, in dem er ebenfalls noch ungefähr fünf Meter weiterfuhr. Dann prallte er gegen einen betonierten Kanaldurchlaß, wobei das Motorfahrrad über den Durchlaß geschleudert wurde. Die Mitfahrerin Eleonore B erlitt hiebei so schwere Kopfverletzungen, daß sie an diesen nach langem Krankenhausaufenthalt am 1.Mai 1978 verstarb.

Ausgehend von diesem Sachverhalt warf das Erstgericht dem Angeklagten als fahrlässiges Verhalten vor, daß er, obwohl er bei gehöriger Aufmerksamkeit zum Zeitpunkt seiner Annäherung an den Scheitel der Kurve das Scheinwerferlicht des entgegenkommenden Kraftwagens schon am Außenrand der Kurve hätte sehen und eine stärkere Leuchtkraft dieses Lichts von vornherein einkalkulieren und auch erkennen müssen, seine Geschwindigkeit nicht sogleich so weit herabsetzte, daß er bei einer Blendung sofort anhalten konnte, und daß er sein Fahrzeug trotz Eintritts der Blendung auch tatsächlich nicht zum Stehen brachte, sondern sogar dann noch mit unverminderter Geschwindigkeit weiterfuhr, als er schon von der Fahrbahn abgekommen war.

Dagegen wendet sich der Angeklagte mit einer auf die Gründe der Z. 4, 5 und 9 lit. a und b des § 281 Abs. 1

StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Mit seiner Verfahrensrüge bekämpft der Beschwerdeführer die Abweisung seiner in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträge auf Vernehmung der Zeugen Johann C und Walter D vor dem erkennenden Gericht zum Beweis dafür, daß ihn ausschließlich die plötzlich auftretende und intensive Blendung durch den entgegenkommenden Kraftwagen von der Fahrbahn brachte, sowie auf Durchführung eines Lokalaugenscheins zur Nachtzeit unter Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Kraftfahrzeugfach zur Widerlegung der ihm vorgeworfenen Unaufmerksamkeit und zum Nachweis der Einhaltung einer nicht überhöhten Geschwindigkeit und der Vornahme einer Bremsung (S. 137/138).

Dem ist zu erwidern, daß keiner der beantragten Beweise zur Wahrheitsfindung erforderlich war. Entgegen dem Beschwerdevorbringen widersprechen einander nämlich die beim Akt erliegenden Skizzen, welche als Teil der verlesenen Gendarmerieerhebungen Urteilsgrundlage bildeten (S. 136), in keiner Weise. Die am 11. Februar 1978

verfertigte übersichtsskizze (S. 77 bis 79) gibt ein klares Bild vom allgemeinen Gesamtverlauf der Straße im weiteren Bereich vor der Unfallsstelle und an dieser selbst; ihre Richtigkeit wird vom Angeklagten - der bloß das Fehlen von Anhaltspunkten dafür bemängelt, wo die Blendung erstmals wirksam wurde und wie sich die Sichtverhältnisse von seinem Fahrzeug auf das entgegenkommende Auto gestalteten -

gar nicht bestritten. Wenn die am Unfallstag (17.Juli 1977) verfertigte Skizze (S. 23) im Gegensatz zur vorerwähnten keine langgezogene Linkskurve, sondern einen geraden Straßenverlauf zeigt, dann ist dies ersichtlich darauf zurückzuführen, daß sie sich auf die Wiedergabe eines Straßenstücks von bloß etwa 30 m Länge (siehe den Skizzenmaßstab) im unmittelbaren Unfallsbereich (und demnach bereits im Auslauf der Kurve) beschränkt, welches tatsächlich - was durch die spätere Skizze nicht widerlegt, sondern im Gegenteil bestätigt wird - so verläuft. Aus der sohin unbedenklichen Skizze vom 11.Februar 1978 im Zusammenhang mit den vorliegenden und entgegen der Meinung des Beschwerdeführers keineswegs mit 'Verzerrungen' behafteten Lichtbildern (S. 25 bis 29) ergibt sich demnach der entscheidungswesentliche Umstand, daß der Angeklagte eine (in seiner Fahrtrichtung gesehen) langgezogene Linkskurve befuhr, die ihm situationsgemäß jedenfalls das Entgegenkommen eines der Nachtzeit entsprechend beleuchteten anderen Fahrzeuges schon lang vor dem Eintritt einer Blendwirkung erkennen ließ, weil die Scheinwerfer des entgegenkommenden Personenkraftwagens - wie das Erstgericht zutreffend feststellte - zunächst im Sichtbereich des Angeklagten tangential am Außenscheitel der Kurve vorbeileuchteten und ihm dadurch das Herannahen des Automobils ankündigten. So gesehen bedurfte es aber nicht der Vernehmung der Zeugen C und D, welche hinter dem Angeklagten nachgefahren waren, weil das Erstgericht die intensive Blendung des Angeklagten ohnehin - seiner in der Hauptverhandlung gewählten Verantwortung folgend - als alleinige Ursache seines Abkommens von der Fahrbahn angenommen, aber auch weiters festgestellt hat, daß das Auftreten der blendenden Lichtquelle jedenfalls auf Grund der sich aus der Skizze und den Lichtbildern ergebenden örtlichen Verhältnissen kein unvorhersehbares und kein 'plötzliches' gewesen ist (S. 146). Nur diesem Umstand im Zusammenhalt mit dem weiteren Fehlverhalten des Angeklagten kommt aber entscheidungswesentliche Bedeutung zu. Da es hier folglich gar nicht auf eine präzise Feststellung der Position des Angeklagten zum Zeitpunkt des Blendungsbeginns und der Relation seiner Fahrbewegung zu jener des Automobils - welche mangels hinreichender Spuren und Feststellbarkeit der Geschwindigkeit des unbekannt gebliebenen Kraftwagens auch gar nicht möglich wäre - ankommt, erwies sich weder die Durchführung eines Lokalaugenscheins zur Nachtzeit noch die Beiziehung eines Sachverständigen hiezu als zielführend. Soweit der Angeklagte schließlich bei der Stellung des diesbezüglichen Antrags das Beweisthema auch darauf erstreckte, daß er nicht zu schnell gefahren sei und zuletzt doch gebremst habe, ist er darauf zu verweisen, daß ihm eine überhöhte Geschwindigkeit vom Schuldspruch ohnedies nicht angelastet wird, und daß die Frage, ob er in der allerletzten Phase vor dem Anstoß an das Kanalrohr (etwa 5,5 m vor demselben) doch noch einen (verspäteten) Bremsversuch gemacht hat, für die Beurteilung seines Verschuldens ohne Belang ist. Sämtliche vorerwähnten Beweisanträge verfielen sohin zu Recht der Abweisung.

In Ausführung seiner Mängelrüge erblickt der Beschwerdeführer eine Aktenwidrigkeit (gemeint wohl: unzureichende Begründung) des angefochtenen Urteils darin, daß die Feststellung, er habe in die Scheinwerfer des entgegenkommenden Kraftwagens geblickt, anstatt auf den rechten Straßenrand, durch das Beweisverfahren nicht gedeckt sei.

Rechtliche Beurteilung

Dem ist entgegenzuhalten, daß es sich bei der erwähnten Feststellung des Schöffengerichts um eine Folgerung tatsächlicher Art handelt, welche ersichtlich auf der eigenen Verantwortung des Angeklagten, er habe zufolge des sehr grellen Lichts des entgegenkommenden Autos nichts mehr gesehen und die Orientierung verloren (S. 132), in Verbindung mit der Erfahrungstatsache beruht, daß eine Blendwirkung solchen Ausmaßes nur dann denkbar ist, wenn jemand 'in die Scheinwerfer', d. h. eben in den Bereich ihrer Blendwirkung und nicht so weit rechts davon vorbeiblickt, daß die unmittelbare Blickrichtung diesen Sektor nicht mehr berührt. Die bekämpfte Feststellung ist sohin mit keinem Begründungsmangel behaftet. Mit der Frage, wie die einzigen vorhandenen Spuren des Unfalls, nämlich zwei in den Urteilsfeststellungen erwähnte, vermutlich vom Fußraster des Motorfahrrads stammende Kratzspuren, 5,5 m von der Anstoßstelle an das Kanalrohr entfernt, zustandegekommen sind, brauchte sich das Erstgericht entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht auseinanderzusetzen; dies deshalb, weil sich das fahrlässigkeitsrelevante Verhalten des Angeklagten schon daraus ergibt, daß er nach den sowohl durch das Fehlen jeglicher Bremsspur als auch durch seine eigene Verantwortung gedeckten Feststellungen nach der Blendung zunächst weder auf der Fahrbahn noch während der Zurücklegung des weiteren Wegs von etwa 15 m auf dem Bankett irgendeine Bremshandlung setzte.

Ob er eine Bremsung dann - in situationsgemäß kaum mehr wirksamer Weise - schließlich noch zu einem Zeitpunkt nachzuholen versuchte, als er sich schon 5,5 m vor der Anstoßstelle im Straßengraben befand, ist rechtlich bedeutungslos und es könnte auch eine solche Reaktion an der Beurteilung seines Gesamtverhaltens als fahrlässig nichts ändern. Soweit sich die restlichen Ausführungen der Mängelrüge mit der Frage der allfälligen Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit durch den Angeklagten befassen, ist darauf gar nicht einzugehen, weil ein rechtswidriges Verhalten in dieser Richtung - wie schon erwähnt - vom Erstgericht ohnedies nicht angenommen wurde. Soweit der Beschwerdeführer mit seiner Rechtsrüge - formell noch im Rahmen der Mängelrüge - das Vorliegen von Feststellungsmängeln im Sinn der Z. 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO behauptet, weil das Schöffengericht nicht konstatiert habe, wo der entgegenkommende Personenkraftwagen erstmals für ihn sichtbar wurde, genügt es, auf die Darlegungen zur Verfahrensrüge zu verweisen, wonach einer Lokalisierung dieses Punkts jede entscheidungswesentliche Bedeutung abgesprochen werden muß; vielmehr reichen für die Beurteilung, daß dem Angeklagten bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt und Aufmerksamkeit eine wirksame Abwehrhandlung möglich gewesen wäre, die getroffenen Feststellungen völlig aus.

Der Angeklagte ist aber auch nicht im Recht, wenn er unter Hinweis auf das allgemein erhöhte Risiko bei Nachtfahrten die Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens im gegebenen Fall in Zweifel zieht. Soweit er hiebei von der Annahme ausgeht, es sei 'nicht ausgeschlossen', daß er die Fahrgeschwindigkeit sofort herabsetzte, bzw. daß er andererseits aber gar nicht mehr Zeit hatte, dasselbe anzuhalten, bringt er den geltend gemachten materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund nicht zur gesetzmäßigen Darstellung, weil er von urteilsfremden Prämissen, nicht jedoch von den Konstatierungen des Erstgerichts ausgeht; denen zufolge fuhr er nämlich nach der Blendung mit unverminderter Geschwindigkeit weiter (S. 147), obgleich vorher die Scheinwerfer des entgegenkommenden Wagens schon aus größerer Entfernung gegen den Scheitel der Kurve leuchteten, dem auch er sich näherte, sodaß er angesichts seiner relativ geringen Ausgangsgeschwindigkeit und der Möglichkeit, sich auf das Entgegenkommen eines ersichtlich mit stärkerem Licht ausgestatteten Fahrzeugs rechtzeitig einzustellen, ohne Schwierigkeiten in der Lage gewesen wäre, sein Motorfahrrad anzuhalten und damit jeden Personen- oder Sachschaden zu vermeiden (S. 146 bis 147).

Ausgehend von seinen hinreichend begründeten Feststellungen legte das Erstgericht dem Angeklagten zu Recht eine nach dem § 80 StGB zu verantwortende Unachtsamkeit zur Last; denn nach jahrzehntelanger ständiger Rechtsprechung muß ein Fahrzeuglenker bei Nachtfahrten von vornherein erhöhte Aufmerksamkeit und Konzentration aufwenden, mit einer möglichen Blendung rechnen und im Fall einer solchen nach dem Grundsatz des 'Fahrens auf Sicht' (§ 20 Abs. 1 StVO.) seine Geschwindigkeit radikal herabsetzen, nötigenfalls raschest anhalten. Gegen diese fundamentale und jedermann einsichtige Verhaltensregel hat der Beschwerdeführer eklatant verstoßen. Zutreffend hat das Schöffengericht im übrigen bemerkt, daß den Rechtsmittelwerber auch die von ihm behauptete Verstärkung der Blendwirkung zufolge der Beschaffenheit des Visiers seines Sturzhelms nicht zu exkulpieren vermöchte, weil ihm diese negative Erscheinung nach eigener Darstellung schon länger bekannt war und es seine Sache gewesen wäre, sich entweder ein blendungsfreies Visier zu besorgen oder bei Nachtfahrten eine Brille statt des Visiers zu verwenden.

Der Schuldspruch ob Vergehens nach § 80 StGB ist darnach irrtumsfrei. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen. Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach § 37, 80 StGB unter Anwendung des § 11 JGG. zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 30 Schilling, für den Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 60 Tagen, und gemäß § 369 StPO zur Zahlung eines Teilschmerzengelds von 10.000 Schilling an die Verlassenschaft nach Eleonore B bzw. deren Erben. Bei der Strafbemessung fand es keinen erschwerenden Umstand und wertete den bisherigen ordentlichen Lebenswandel als mildernd.

Der Angeklagte meldete Berufung 'auch wegen des Zuspruchs der Privatbeteiligtenansprüche' an (ON. 28). Die Berufung gegen das Adhäsionserkenntnis zog der Verteidiger des Angeklagten im Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof zurück, sodaß nur mehr über die aus der Diktion der Rechtsmittelanmeldung (arg. 'auch') ersichtliche Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe zu erkennen war.

Diesbezüglich hat der Rechtsmittelwerber jedoch bei der Anmeldung der Berufung die Punkte des Erkenntnisses, durch die er sich beschwert erachtet, nicht deutlich und bestimmt im Sinn der Vorschrift des § 294 Abs. 2 StPO bezeichnet; eine Berufungsausführung wurde von ihm nicht erstattet. Seine Berufung war daher in ihrem aufrecht gebliebenen Teil gemäß § 294 Abs. 4, 296 Abs. 3 StPO als unzulässig zurückzuweisen.

Anmerkung

E01872

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1979:0100OS00007.79.0321.000

Dokumentnummer

JJT_19790321_OGH0002_0100OS00007_7900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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