TE OGH 1979/4/24 9Os101/78

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Veröffentlicht am 24.04.1979
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek und der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, Dr. Müller und Dr. Horak als Richter sowie des Richteramtsanwärters Mag. Umlauft als Schriftführer in der Strafsache gegen Robert A wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen teils nach Anhörung und teils mit Zustimmung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 15.Februar 1978, GZ. 6 e Vr 10917/77-14, den Beschluß gefaßt und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, welches im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB (Pkt. 1 des Urteilssatzes) sowie demzufolge auch im Strafausspruch und in dem (hievon abhängigen) Ausspruch nach § 38 StGB aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfange der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen ihm die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 25.Jänner 1940 geborene Maurergeselle Robert A des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB sowie der Vergehen des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 15, 269 Abs. 1 StGB, der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs. 2, 84 Abs. 2 Z 4 StGB - diese Zitierung der letztangeführten Qualifikation (im vorliegenden Erkenntnis) gründet sich auf den erstgerichtlichen Beschluß vom 7. Juli 1978, GZ. 6 c Vr 10.917/77-27, womit das schriftlich ausgefertigte Urteil, welches insoweit die Z 1 (des § 84 Abs. 2 StGB) zitiert, dem mündlich verkündeten im Wege einer Berichtigung gemäß § 270 Abs. 3 StPO angeglichen worden ist, allerdings ohne daß die beschlossene Verbesserung bisher vom Erstgericht entsprechend der Anordnung der letztangeführten Gesetzesstelle der Urschrift beigesetzt worden wäre - und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Inhaltlich der Schuldsprüche wird ihm angelastet, daß er in Wien im Herbst 1976 seine am 14.Februar 1964 geborene und demnach unmündige Tochter Susanne A durch Betasten ihrer Geschlechtsteile zur Unzucht mißbrauchte (Pkt. 1 des Urteilssatzes), ferner am 28.Dezember 1977 den Polizeiwachmann Ewald B durch einen Fußtritt gegen die Brust an seiner Festnahme zu hindern versuchte (Pkt. 2) sowie (durch diese Gewalt) während der Vollziehung seiner Aufgaben vorsätzlich durch Zufügung einer Brustkorbprellung am Körper verletzte (Pkt. 3) und schließlich am selben Tag seiner Ehegattin Karoline, indem er sie an beiden Oberarmen erfaßte und durch die Wohnung schleuderte, sowie durch Schläge Hämatome an beiden Armen zufügte, sie also am Körper verletzte (Pkt. 4).

Hingegen wurde Robert A vom Anklagevorwurf in Richtung des § 107 Abs. 1 StGB (betreffend eine gegen die Ehegattin und die Kinder gerichtete gefährliche Drohung) gemäß § 259 Z 3 StPO rechtskräftig freigesprochen.

Dieses Urteil wird vom Angeklagten im Schuldspruch - mit Ausnahme des Faktums 4 - unter Anrufung der Z 4, 5

und 10 des § 281 Abs. 1 StPO bekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt teilweise, nämlich in Ansehung der gegen das Faktum 1 vor allem aus den nach dem erstangeführten Nichtigkeitsgrund erhobenen Einwänden Berechtigung zu. Sie erblickt die Verfahrensmängel primär in der vom Erstgericht beschlossenen (S 114) Abweisung der durch den Verteidiger in der Hauptverhandlung vom 8.Februar 1978

(S 91) - fortgesetzt (im Sinne des ersten Satzes des § 276 a StPO) am 15.Februar 1978 (S 101 ff) - gestellten Anträge auf Einholung eines jugendpsychiatrischen Gutachtens sowie der Schulnachrichten über seine damals 14-jährige Tochter Susanne A zum Nachweis dafür, daß das Kind nicht wahrheitsliebend sei und die von diesem geschilderten Unzuchtshandlungen nur dessen Phantasie entsprangen. Bereits die für dieses abweisliche Zwischenerkenntnis im Urteil (S 131) nachgetragene Begründung, daß 'das Schöffengericht auch durch den Inhalt solcher Beweismittel nicht der Aufgabe enthoben werden könnte, die Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit der Aussagen dieser Zeugin (Susanne A) selbst zu beurteilen', ja sich 'durch den Inhalt solcher Beweismittel bei der Prüfung des Wahrheitsgehalts der Aussagen (dieser Zeugin) nicht beeinflussen lassen dürfte' kann, namentlich im letzteren Punkt, nicht unwidersprochen bleiben. Gewiß kommt die Beweiswürdigung gemäß § 258 Abs. 2 StPO auch bei der Beurteilung der Aussagen unmündiger oder jugendlicher Zeugen ausschließlich dem erkennenden Gerichtshof zu, dessen Richter sich grundsätzlich auf Grund des Beweisverfahrens und nicht zuletzt des dabei vom Angeklagten und den Zeugen gewonnenen Eindrucks, sowie ihrer Berufs- und Lebenserfahrung über die Verläßlichkeit der Aussagen schlüssig zu werden haben. Dies bedeutet aber doch keineswegs, daß sich das Gericht dabei nur auf den persönlichen Eindruck zu stützen hat und nicht auch zur näheren Klärung sowie verläßlichen Beantwortung der Frage der Glaubwürdigkeit (des Angeklagten oder eines Zeugen) selbst (hiezu geeignete) Beweise aufnehmen kann, ja unter Umständen sogar muß, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, durch das Abstehen von einer (in dieser Richtung) begehrten Beweisaufnahme den Antragsteller in seinen Rechten verletzt zu haben. Denn jeder Angeklagte hat grundsätzlich das Recht auch auf Erforschung der Verläßlichkeit der ihn belastenden Angaben. Das gilt vor allem bei jugendlichen oder gar unmündigen Zeugen, bei denen der anläßlich ihrer Anhörung in der Hauptverhandlung entstandene Eindruck allein in der Regel dann nicht hinreichen wird, um über die Beweiskraft ihrer Aussage verläßlich abzusprechen, wenn entweder ihre Persönlichkeit an sich problematisch ist oder sonstige Verfahrensergebnisse eine allfällige Unverlässlichkeit ihrer Depositionen (beispielsweise wegen der Möglichkeit einer erfolgten Einflußnahme oder wegen einer etwaigen Neigung zu Phantastereien) indizieren. In solchen Fällen kann die Beiziehung eines Jugendpsychiaters durchaus geboten sein, über dessen gutächtliche Äußerungen sich das Gericht - entgegen der im Ersturteil zum Ausdruck gebrachten Auffassung - keineswegs einfach unter Hinweis auf die ihm durch § 258 Abs. 2 StPO eingeräumten Befugnisse (als gleichsam von vorneherein unbeachtlich) hinwegsetzen dürfte, sondern dessen Depositionen es in seine Erwägungen einzubeziehen hätte. Darüber hinaus wäre es (zur Vermeidung eines Mangels des Urteils im Sinne des § 281 Abs. 1 Z 5 StPO) verbunden, logisch einwandfreie Gründe dafür anzugeben, warum es etwa dem Gutachten des Sachverständigen nicht beitreten zu können vermeint (§ 270 Abs. 2 Z 5 StPO).

Im gegebenen Fall liegen eine Reihe von - seitens der Verfahrensrüge zutreffend aufgezeigten (S 152 f.) -

Umständen vor, angesichts deren die begehrte überprüfung der Qualität der Aussage des Kindes von der psychischen Seite her am Platz gewesen wäre bzw. zumindestens nicht gesagt werden kann, daß das gerügte Zwischenerkenntnis den Angeklagten keinesfalls in seinen Verteidigungsrechten zu beeinträchtigen vermochte:

Zunächst kam das dem Angeklagten angelastete, von diesem stets entschieden bestrittene deliktische Verhalten nach den - mit der Aktenlage im Einklang stehenden - Urteilsfeststellungen erst ein Jahr später hervor. Dieser Zeitpunkt fällt mit jenem zusammen, in dem Karoline A die Scheidung ihrer Ehe mit dem Angeklagten anstrebte. Der Mißbrauch der Tochter bildete zugegebenermaßen den einzigen Scheidungsgrund (S 115). Der Karoline A gelangte der Vorfall durch eine Mitteilung ihrer - nunmehr 29-jährigen -Schwester Leopoldine C zur Kenntnis, welche -

entsprechend den eigenen Angaben über ihre persönlichen Verhältnisse

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der Prostitution nachgeht (S 105) und behauptet, 'im Alter von 13 Jahren' (S 107) oder '13 Jahre vorher im Alter von 15 Jahren' (S 112) selbst vom Angeklagten mißbraucht worden sein. Franz D, der Bruder der Leopoldine C und deren Schwester Karoline A, ist ferner nach den Bekundungen der Letzteren wegen Notzucht vorbestraft (S 115). Hält man hiezu, daß nach der Schilderung der Leopoldine C die ihr von ihrer Nichte gemachte und sodann ihrerseits an deren Mutter, ihre Schwester Karoline A weitergegebene (in Rede stehende) Mitteilung nur ganz allgemein gehalten war (S 107: '... überall abgegriffen...') und die Angaben der Zeuginnen gewisse

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vom Beschwerdeführer im Zuge der Mängelrüge (§ 281 Abs. 1 Z 5 StPO) festgehaltene - Divergenzen aufweisen, so lassen sowohl die einzelnen Verfahrensergebnisse, als auch der ihnen zu entnehmende Hergang der Ereignisse und nicht zuletzt das Milieu, in dem sich alles abspielte, den abgewiesenen Beweisantrag als durchaus gerechtfertigt erscheinen. Daß bei der gegebenen Sachlage übrigens allein schon die Schulnachrichten, falls ihr Inhalt - im Sinne des vom Beschwerdeführer mit seinem Begehren in diesem Punkt angestrebten Ergebnisses - zu Zweifeln an der Wahrheitsliebe der Susanne A Anlaß gegeben hätte, die Beiziehung eines Jugendpsychiaters unumgänglich gemacht haben würden, kann überhaupt keinem Zweifel unterliegen. Bereits die Abstandnahme von der erörterten Beweisaufnahme begründet sohin einen Verfahrensmangel gemäß § 281 Abs. 1 Z 4 StPO, der zur Aufhebung des Urteils im Pkt. 1 führen muß. Es erübrigt sich daher auf die hiezu aus diesem Nichtigkeitsgrund und jenem der Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO erhobenen weiteren Beschwerdeeinwände einzugehen. Die auf den letztgenannten Nichtigkeitsgrund gestützten Beschwerdeausführungen zu den Fakten 2 und 3 zeigen hingegen keine Begründungsmängel des Urteils auf. Wenn sich der Angeklagte darüber beschwert, daß das Erstgericht seiner Verantwortung, er habe 'nicht absichtlich' zur Vereitelung seiner Festnahme gegen den Polizeibeamten getreten und diesen verletzt, keinen Glauben schenkte, und sich - in doch recht lebensfremder Sicht - darzutun bemüht, daß sein Fuß beim Versuch, sich der Festnahme im Wege der Flucht durch einen Sprung aus dem Fenster zu entziehen, nur rein zufällig mit der Brust des Beamten in Berührung gekommen sei und er jenen äußerstenfalls (ohne Verletzungs- oder auch nur Mißhandlungsvorsatz) fahrlässig am Körper beschädigt habe, sucht er nur aus der zur Tatzeit vorgelegenen, im Urteil festgestellten Situation andere, für ihn günstigere Schlüsse abzuleiten, als jene, die das Erstgericht - unter Berücksichtigung seiner Verantwortung - auf einen Vorsatz im Sinne der § 83 f. und 269 StGB schlüssig und lebensnah gezogen hat. Von einer bloßen Scheinbegründung des Urteils kann in diesem Zusammenhang jedenfalls keine Rede sein; vielmehr unternimmt der Angeklagte unter dem Deckmantel einer Mängelrüge hier nur einen unzulässigen Angriff auf die erstgerichtliche Beweiswürdigung.

Mit dem als Rechtsrüge nach § 281 Abs. 1 Z 10 StPO deklarierten Vorwurf, daß das Urteil in Ansehung des Faktums 3 als (auf den Angeklagten im Sinne des § 260 Abs. 1 Z 4 StPO angewendete Qualifikations-)Bestimmung verfehlt die Z 1 anstelle der Z 4 des § 84 Abs. 2 StGB anführe, wird bloß - wie schon einleitend klargestellt - eine Abweichung des schriftlich ausgefertigten Urteils vom mündlich verkündeten dargetan, die inzwischen im Wege der Urteilsberichtigung beseitigt worden ist. Dadurch ist der Angeklagte insoferne vollkommen klaglos gestellt, der Beschwerde der Boden entzogen und diese Rüge gegenstandslos geworden.

Es war daher schon bei einer nichtöffentlichen Beratung der Nichtigkeitsbeschwerde sofort teilweise gemäß § 285 e StPO mit Zustimmung der Generalprokuratur Folge zu geben und in diesem Umfang eine Verfahrenserneuerung anzuordnen, sie jedoch ansonsten zum Teil als offenbar unbegründet gemäß § 285 d Abs. 1 Z 2 StPO und im übrigen als nicht gesetzmäßig ausgeführt nach der Z 1 dieser Gesetzesstelle in Verbindung mit § 285 a Z 2 StPO zurückzuweisen und über die Rechtsmittel demnach spruchgemäß zu erkennen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Anmerkung

E01922

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1979:0090OS00101.78.0424.000

Dokumentnummer

JJT_19790424_OGH0002_0090OS00101_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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