TE OGH 1979/5/8 9Os36/79

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Veröffentlicht am 08.05.1979
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.Mai 1979 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, Dr. Friedrich, Dr. Steininger und Dr. Horak als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Maukner als Schriftführer in der Strafsache gegen Rainer A wegen des Vergehens der versuchten Nötigung zur Unzucht nach § 15, 204 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Staatsanwaltschaft Korneuburg gegen das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Jugendschöffengericht vom 19. Dezember 1978, GZ. 11 d vr 765/78-16, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Verlesung der Rechtsmittelschrift der Staatsanwaltschaft und Anhörung der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Scheibenpflug und der Ausführungen des Verteidigers Dr. Norbert Schira, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen (Punkt II) unberührt bleibt, im Freispruch des Angeklagten vom Anklagevorwurf des Vergehens der versuchten Nötigung zur Unzucht nach § 15, 204 Abs. 1 StGB (Punkt I) aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfange dieser Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 13.September 1960 geborene Schuhmacherlehrling Rainer A unter anderem auch von dem Anklagevorwurf freigesprochen, er habe am 30.Juni 1978 in Hollabrunn Maria B vorsätzlich dadurch, daß er sie von rückwärts mit den Händen erfaßte und würgte, um sie anschließend an den Brüsten betasten zu können, außer den Fällen der § 201 bis 203

StGB mit Gewalt zur Unzucht zu nötigen versucht und hiedurch das Vergehen der versuchten Nötigung zur Unzucht nach § 15, 204 Abs. 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z. 3 StPO freigesprochen. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes ging der Angeklagte, welcher schon vorher - darunter in einem Falle am gleichen Tag - im Ortsgebiet von Hollabrunn drei andere weibliche Personen in jeweiligen überraschungsangriffen kurz an den Brüsten und teils auch am Gesäß betastet hatte, am 30.Juni 1978 der 18-jährigen Maria B nach und versuchte von hinten, ihre Brüste zu erfassen und abzugreifen, wobei sich die Genannte aber genau in diesem Moment 'umdrehen wollte' (gemeint vermutlich: sich umzudrehen begann) und es zufolge dieser Drehbewegung dazu kam, daß der keine Gewaltausübung beabsichtigende Angeklagte statt dessen mit der einen Hand die rechte Schulter und mit der anderen Hand den Hals des Mädchens zu fassen bekam. Die Angegriffene packte daraufhin die Hände des Angeklagten und riß sie sowohl von ihrer Schulter als auch von ihrem Hals, worauf er von ihr abließ und flüchtete. Das Jugendschöffengericht kam hiebei entgegen dem Inhalt des Anklagevorwurfes nicht zur Feststellung, daß der Angeklagte das Mädchen würgte (oder zumindest zu würgen versuchte) und verwarf - damit der ein solches Täterverhalten verneinenden Aussage der Zeugin Maria B in der Hauptverhandlung folgend - die Angaben der überfallenen vor der Gendarmerie, wonach sie vom Angeklagten gewürgt worden sei, in der Erwägung, daß es sich bei dieser Darstellung wohl um eine mit dem nachwirkenden Schock in Verbindung stehende übertriebene Schilderung gehandelt habe. Solcherart ein Würgen, darüber hinaus aber auch jede andere Form von Gewaltanwendung gegenüber Maria B verneinend, gelangte das Erstgericht zum Ergebnis, daß die inkriminierte Tat weder den Tatbestand des Vergehens nach § 204 Abs. 1 StGB (gemeint: § 15, 204 Abs. 1 StGB) noch jenen einer anderen gerichtlich strafbaren Handlung erfülle und sprach demgemäß den Angeklagten (auch) von diesem Anklagevorwurf frei. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit einer ausschließlich den Nichtigkeitsgrund der Z. 5 des § 281 Abs. 1 StPO relevierenden Nichtigkeitsbeschwerde, mit der sie dem Erstgericht zum Vorwurf macht, es habe die entscheidende Feststellung, daß der Angeklagte (objektiv) keine Gewalt angewendet habe, unvollständig begründet, indem es hiefür wesentliche Verfahrensergebnisse mit Stillschweigen übergangen habe. Des weiteren leide die auf die subjektive Tatseite Bezug habende Konstatierung, der Angeklagte habe auch ohne Vorsatz der Gewaltanwendung gehandelt, unter einer aktenwidrigen Begründung.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt - mit der Maßgabe, daß keine Aktenwidrigkeit vorliegt, sondern die Begründung der getroffenen entscheidungswesentlichen Feststellungen teils unvollständig ist, teils aber überhaupt fehlt - Berechtigung zu:

Zur Frage der objektiven Gewaltanwendung ist der beschwerdeführenden Staatsanwaltschaft zwar zu entgegnen, daß das Erstgericht die Zeugenaussage der Maria B im Vorverfahren (ON. 6), bei der sie in besonders anschaulicher Weise die Intensität der Gewaltanwendung des Angeklagten darlegte, deswegen nicht im Urteil verwerten durfte und daher auch zu Recht nicht verwertet hat, weil nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls das Protokoll über diese Zeugenaussage nicht Gegenstand der Verlesung in der Hauptverhandlung war und folglich nach den Grundsätzen der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit des Strafverfahrens (§ 258 Abs. 1 StPO) aus formalen Gründen nicht als Urteilsgrundlage in Betracht kam. Mit Recht rügt die Beschwerdeführerin hingegen, daß sich das Erstgericht sowohl mit der eigenen Verantwortung des Angeklagten, als auch mit der Zeugenaussage der Maria B in der Hauptverhandlung bloß insoweit auseinandergesetzt hat, als diese Angaben die Frage betreffen, ob das Mädchen gewürgt wurde oder nicht, hingegen jene Bekundungen mit Stillschweigen überging, die sich auf das Festhalten der überfallenen durch den Angeklagten beziehen. Der Angeklagte hat hiebei selbst zugegeben, Maria B bei der Schulter gehalten zu haben, wobei er dieses Festhalten ausdrücklich in einen Gegensatz zu seiner Vorgangsweise bei den anderen ihm angelasteten Vorfällen (bei denen er die Mädchen jeweils 'nur so kurz festgehalten' habe) stellte und damit implicite eine größere Intensität des Haltens an der Schulter im vorliegenden Fall zum Ausdruck brachte (S. 69). Die Zeugin Maria B hat sich in der Hauptverhandlung nicht nur auf ihre (sodann verlesenen, S. 70 unten) Angaben vor der Gendarmerie (S. 21) berufen, denen zufolge der Angeklagte sie von hinten mit einer Hand an der rechten Schulter und mit der anderen am Hals ergriff, und die sie nur in bezug auf das angebliche Würgen korrigierte, sondern dem noch beigefügt, der Angeklagte habe sie festgehalten und sie habe sich 'dagegen gestemmt', weil sie sich aus 'seinen Händen befreien' wollte (S. 70 oben).

Das Erstgericht hat in keiner Weise dazu Stellung genommen, warum es all diesen Angaben, aus denen ein nicht bloß flüchtiges, sondern ein doch mit einer gewissen Intensität vollzogenes Festhalten der überfallenen durch den Angeklagten gefolgert werden könnte, ersichtlich nicht Glauben geschenkt, sondern dessen ungeachtet die Feststellung getroffen hat, daß der Angeklagte 'in keiner Weise' versucht habe, sein Opfer mit Gewalt zu einer unzüchtigen Handlung zu nötigen. Die Frage, ob der Angeklagte Maria B - mag er sie auch nicht gewürgt haben - auf die erwähnte Art und Weise festhielt, ist aber bei richtiger rechtlicher Beurteilung des unter Anklage gestellten Sachverhaltes deshalb von entscheidungswesentlicher Bedeutung, weil sich der im Strafgesetzbuch mehrfach - so auch im hier in Rede stehenden § 204 Abs. 1 StGB -

aufscheinende normative Begriff der 'Gewalt' gegen eine Person in der Anwendung jeder überlegenen und zur Beugung, bzw. Beseitigung eines vorausgesetzten - tatsächlichen oder erst zu erwartenden - Widerstandswillens des Opfers gerichteten physischen Kraft erschöpft, wozu nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes auch ein (bloßes) Festhalten einer Person, ohne weitere Gewalt gegen sie auszuüben, genügt (vgl. EvBl. 1978/117, SSt. 46/68, ÖJZ-LSK. 1976/29 u.a.) und wobei eine Kraftanwendung 'größeren Ausmaßes' nicht vorausgesetzt wird (vgl. SSt. 43/33). Schon insoweit leidet die Begründung des erstgerichtlichen Urteils an einer Unvollständigkeit im Sinne des angerufenen Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs. 1 Z. 5 StPO (vgl. Gebert-Pallin-Pfeiffer III2, Nr. 25 ff., insbes. Nr. 26 zu § 281 Abs. 1 Z. 5 StPO).

Das Erstgericht hat aber - wie die Beschwerde ferner zutreffend ausführt - auch seine weitere entscheidungswesentliche Tatsachenannahme, der Vorsatz des Angeklagten sei nicht darauf gerichtet gewesen, das Mädchen durch Gewaltanwendung zur Duldung unzüchtiger Handlungen zu nötigen, ausschließlich aus einer durch die Ergebnisse des Beweisverfahrens überhaupt nicht gedeckten Feststellung abgeleitet, nämlich aus der Konstatierung, das Erfassen von Schulter und Hals der Maria B durch den Angeklagten sei nur absichtslos zufolge der beginnenden Drehbewegung zustande gekommen, welche die Genannte mit ihrem Körper vollführte. Für diese Feststellung hat das Erstgericht überhaupt keine Begründung angeführt und vermochte dies auch nicht, weil sie im Beweisverfahren keinerlei Deckung findet. Es hat nämlich weder der Angeklagte selbst einen solchen Geschehnisablauf jemals behauptet, noch kann er einem anderen Beweisergebnis entnommen werden.

Insbesondere hat Maria B in der von ihr in der Hauptverhandlung zitierten Vernehmung vor der Gendarmerie (S. 21) nur erklärt, daß sie sich gerade umdrehen wollte, als der Angeklagte zufaßte, wobei dieser sie mit den Händen 'von rückwärts' erfaßt habe. Hat sie der ihr folgende Angeklagte aber auch von hinten erfaßt, dann kann die Angegriffene mit ihrer Drehbewegung noch nicht begonnen haben, da sie ansonsten im Augenblick des Zupackens des Angeklagten diesem nicht mehr den Rücken, sondern zumindest bereits eine Schmalseite ihres Körpers zugekehrt hätte. Nur der Vollständigkeit halber sei dem noch beigefügt, daß die in Frage stehende Folgerung des Erstgerichtes auch dann, wenn eine Drehbewegung zum erwähnten Zeitpunkt bereits im Gange gewesen wäre, der Schlüssigkeit entbehren würde, weil der Angeklagte dann entweder eben erst recht auf die Brüste - nur jetzt von vorne - oder allenfalls auf die Arme oder den Rücken gegriffen hätte, nicht aber auf höhergelegene Körperteile wie Schulter und Hals, deren Anfassen sohin durch eine einfache Drehbewegung nicht ausreichend und den Denkgesetzen entsprechend erklärt werden kann.

Das bekämpfte Urteil leidet daher insoweit entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin zwar nicht an einer Aktenwidrigkeit, von der nur dann gesprochen werden kann, wenn in den Entscheidungsgründen als Inhalt einer Urkunde oder Aussage etwas angeführt wird, das deren Inhalt nicht entspricht, wenn also der Inhalt einer Aussage oder eines anderen Beweismittels im Urteil unrichtig wiedergegeben wird (vgl. Gebert-Pallin-Pfeiffer III2 Nr. 82 ff. zu § 281 Abs. 1 Z. 5 StPO), wohl aber am Fehlen einer Begründung schlechthin für eine weitere entscheidungsrelevante Tatsachenkonstatierung. Auch insoweit erscheint daher der Nichtigkeitsgrund der Z. 5 des § 281 Abs. 1 StPO verwirklicht.

Da sohin das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht mit dem geltend gemachten Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z. 5 StPO behaftet ist, eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst nach dem Gesagten aber noch nicht einzutreten hat, war der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Folge zu geben und wie im Spruch zu entscheiden.

Anmerkung

E01942

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1979:0090OS00036.79.0508.000

Dokumentnummer

JJT_19790508_OGH0002_0090OS00036_7900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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