Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Mai 1979 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Borutik in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Dienst, Dr. Kießwetter, Dr. Schneider und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Pollack als Schriftführer in der Strafsache gegen Raimund A und Hans B wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 24. Oktober 1978, GZ 13 U 481/
78-14, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Dienst und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Tschulik, zu Recht erkannt:
Spruch
Das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 24. Oktober 1978, GZ 13 U 481/78-14, verletzt insoweit, als (auch) der Angeklagte Hans B des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, das Gesetz in dieser Bestimmung.
Dieses Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, wird in Ansehung des Angeklagten Hans B aufgehoben; ferner werden auch alle diesen Angeklagten betreffenden, auf dem Urteil beruhenden Beschlüsse und Verfügungen aufgehoben und es wird gemäß den §§ 288 Abs 2 Z 3, 292 letzter Satz StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:
Hans B wird von der gegen ihn erhobenen Anklage, er habe am 21. Juli 1978 in Klagenfurt als Lenker eines PKW durch vorschriftswidriges (§ 16 Abs 2 lit. c StVO) Überholen des mit seinem PKW nach links abbiegenden Raimund A auf der Kreuzung Ebentaler Straße-Fischlstraße Rosemarie A, die beim Zusammenstoß der Fahrzeuge eine mit einer drei Tage übersteigenden Gesundheitsstörung verbundene leichte Verletzung, nämlich eine Schädelprellung und Hautabschürfungen, erlitt, fahrlässig am Körper verletzt und hiedurch das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs 1 StGB begangen, gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Text
Gründe:
Mit dem rechtskräftigen Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 24. Oktober 1978, GZ 13 U 481/78-14, wurden der am 2. September 1939 geborene Fabriksarbeiter Raimund A und der am 25. Dezember 1930 geborene Angestellte Hans B des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu Geldstrafen verurteilt.
Nach dem Inhalt des Schuldspruches verschuldeten die beiden Angeklagten am 21. Juli 1978 um 13 Uhr 30 in Klagenfurt auf der Kreuzung Ebentaler Straße-Fischlstraße (die hier in die Ebentaler Straße einmündet) als Lenker von PKW, und zwar Raimund A durch Nichteinordnen und Nichtbeobachten des nachfolgenden Verkehrs beim Einbiegen nach links und Hans B durch unzulässiges Überholen im Kreuzungsbereich (fahrlässig) einen Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge, durch welchen Hans B eine Prellung des rechten Ellbogengelenkes und die im PKW des A mitfahrende Rosemarie A eine Schädelprellung und Hautabschürfungen - leichte Verletzungen, die jeweils mit einer drei Tage übersteigenden Gesundheitsstörung verbunden waren - erlitten.
Nach den Urteilsfeststellungen bog Raimund A vom rechten Fahrbahnrand aus nach links ein, ohne sich vorher in den mittleren Fahrstreifen einzuordnen und vom nachfolgenden Verkehr zu überzeugen. Es wurde ihm daher ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 12 Abs 1 StVO angelastet.
In Ansehung des Angeklagten Hans B nahm das Gericht an, dieser habe im Kreuzungsbereich überholt und daher dem Verbot des § 16 Abs 2 lit. c StVO zuwidergehandelt.
Rechtliche Beurteilung
Das zitierte Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt steht zum Teil mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (vgl. ZVR 1976/347 und /die zivilgerichtlichen Entscheidungen/ ZVR 1979/62, 63) dient die Norm des § 16 Abs 2 lit. c StVO, die ein Überholen mehrspuriger Fahrzeuge auf nicht durch Arm- oder Lichtzeichen geregelten Kreuzungen in der Regel (sofern nicht die Kreuzung auf einer Vorrangstraße durchfahren wird oder rechts zu überholen ist) verbietet, nicht dem Schutz des Linksabbiegers, sondern ausschließlich dem des - vorliegend angesichts des Einmündungscharakters der Unfallskreuzung und der Fahrtrichtung der Unfallsbeteiligten (bzw. ihrer Fahrzeuge) übrigens gar nicht in Betracht kommenden (vgl. die Übersichtsskizze S. 23 d. A) - von rechts herankommenden Querverkehrs. Das Verhalten des Angeklagten Hans B, der entgegen der Bestimmung des § 16 Abs 2
lit. c StVO an einer Straßeneinmündung überholt hat, bedeutet sohin keinen Verstoß gegen den Schutzzweck dieser Norm und erweist sich nicht als Verwirklichung jener Gefahr, derentwegen das Verhalten verboten ist. Zwischen der Normwidrigkeit, die dem Angeklagten B unterlaufen ist, und dem schließlich eingetretenen Unfall mit dem vorschriftswidrig nach links abbiegenden PKW-Lenker Raimund A besteht daher kein spezifischer Risikozusammenhang, weshalb der Genannte für den Unfall strafrechtlich nicht haftbar gemacht werden kann (vgl. Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, 97 ff.).
Im übrigen ist jedoch weder den Urteilsfeststellungen noch der Aktenlage zu entnehmen, daß der Angeklagte Hans B bei seinem Überholmanöver andere Vorschriften verletzt hat (vgl. insbesondere S. 84 d. A), zumal er nach Lage des Falles weder zu einer Anzeige des bevorstehenden Überholvorganges verpflichtet war (§ 15 Abs 3 in Verbindung mit den §§ 11 und 22 StVO; vgl. ZVR 1974/131) noch für ihn eine unklare Verkehrssituation (rechtzeitig) erkennbar war, der durch Verringerung der Geschwindigkeit oder durch Kontaktaufnahme Rechnung zu tragen gewesen wäre (vgl. ZVR 1979/61).
Der Schuldspruch des Angeklagten Hans B wegen § 88 Abs 1 StGB verletzt demnach zu seinem Nachteil das Gesetz in der genannten Bestimmung.
Es war daher in Stattgebung der von der Generalprokuratur gemäß dem § 33 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes der Angeklagte Hans B von der wider ihn erhobenen Anklage freizusprechen.
Anmerkung
E01961European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1979:0110OS00071.79.0515.000Dokumentnummer
JJT_19790515_OGH0002_0110OS00071_7900000_000