Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Mai 1979 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Borutik, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Dienst, Dr. Kießwetter, Dr. Schneider und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Pollack als Schriftführers in der Strafsache gegen Josef und Erich A wegen des Finanzvergehens nach den §§ 33 Abs 1, Abs 3 lit. a, 13 und 11 FinStrG über die von der Staatsanwaltschaft und dem Finanzamt Neunkirchen als Finanzstrafbehörde 1. Instanz gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wr. Neustadt vom 23. November 1978, GZ 8a Vr 535/72-103, erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, der Ausführungen des Vertreters des Finanzamtes Neunkirchen, Finanzrat Gruber, der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Tschulik, sowie der Ausführungen des Verteidigers der Angeklagten, Rechtsanwalt Dr. Breuer, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde im zweiten Rechtsgang der am 20. Mai 1912 geborene Fleischhauermeister Josef A von der Anklage, das Vergehen der teils vollendeten, teils versuchten Abgabenhinterziehung nach den §§ 33 Abs 1, Abs 3 lit. a und 13 FinStrG, dadurch begangen zu haben, daß er in der Zeit von April 1967 bis 20. September 1972 vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Offenlegungs- und Wahrheitspflicht, nämlich durch Abgabe unrichtiger Umsatz-, Einkommens- und Gewerbesteuererklärungen Abgabenverkürzungen bewirkte bzw. zu bewirken versuchte, wodurch Abgaben, die bescheidmäßig festzusetzen sind, um einen 500.000,-- S übersteigenden Betrag zu niedrig festgesetzt wurden bzw. festgesetzt werden sollten, gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen (Punkte I. und II. des Urteilssatzes).
Nach derselben Gesetzesstelle wurden Josef A und sein am 23. April 1943 geborener, zur Tatzeit in seinem Gewerbebetrieb mittätiger Sohn, der Fleischhauermeister Erich A, von dem weiteren Anklagevorwurf losgezählt (Punkt III des Urteilssatzes), in den Jahren 1965
bis 1972 zur Ausführung gleichartiger Finanzvergehen anderer durch Nichtausstellung, unvollständige Ausstellung oder Vernichtung von Belegen bzw. Veranlassung derartiger Manipulationen beigetragen und hiedurch das oben bezeichnete Vergehen als Beteiligte im Sinne des § 11, dritter Fall, FinStrG begangen zu haben.
Mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 20. Juni 1978, GZ 11 Os 65/78-9, war der im ersten Rechtsgang ergangene Freispruch der beiden Angeklagten in Stattgebung der vom Finanzamt Neunkirchen als Finanzstrafbehörde erster Instanz in ihrer Eigenschaft als Privatbeteiligte (§ 200 FinStrG) erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen worden. Die neuerlichen Freisprüche bekämpfen die Staatsanwaltschaft und das Finanzamt Neunkirchen mit jeweils auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 9 lit. a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden, in denen - zusammengefaßt dargestellt - geltend gemacht wird, das Erstgericht habe einerseits das für die Tatzeiten vorliegende Ergebnis der rechtskräftigen Festsetzung der verfahrensgegenständlichen Abgaben durch die hiefür allein zuständige Finanzbehörde als beachtliche Tatsache des Bestandes von Abgabenschulden im Rahmen seiner Entscheidungsbegründung abermals nicht entsprechend berücksichtigt und sich bei seinen Feststellungen mit den den Spruch des maßgebenden Abgabenfestsetzungserkenntnisses bedingenden gegenteiligen Annahmen der Abgabenbehörde nicht ausreichend auseinandergesetzt, andererseits zu Unrecht die ziffernmäßige und rechtliche Richtigkeit der - insbesondere auch in Ansehung der gegen Friederike B, Eva Maria C, Renate D, Franz E und Rudolf F (als Kunden des Josef A) ergangenen - rechtskräftigen Abgabenbescheide in Zweifel gezogen.
Rechtliche Beurteilung
Den Beschwerden kommt keine Berechtigung zu.
Richtig ist, daß im gerichtlichen Finanzstrafverfahren - grundsätzlich und über den Anwendungsbereich des § 55 FinStrG hinaus - vom Bestehen der sich aus einem rechtskräftigen Bescheid der Finanzbehörde über die endgültige Abgabenfestsetzung dem Grunde und der Höhe nach ergebenden Abgabenschuld als Tatsache auszugehen ist und es dem Gericht - auch unter dem Gesichtspunkt des § 5 Abs 2 StPO - nicht freisteht, eine rechtskräftige (zivilrechtliche oder) administrative Entscheidung auf ihre materielle Richtigkeit zu überprüfen (vgl. EvBl. 1977/166 /verstärkter Senat/ und LSK 1979/77). Dies bedeutet aber nicht, daß das Strafgericht von allen dem Abgabenbescheid zugrundeliegenden Sachverhaltsannahmen auszugehen hätte und auch an diese gebunden wäre. Es bleibt ihm vielmehr bei Lösung der Schuldfrage unbenommen, auf Grund der aufgenommenen Beweise andere Tatsachenfeststellungen zu treffen als die Finanzbehörde, soferne nicht das Bestehen der Abgabenschuld als solcher ihrem Grunde und ihrer Höhe nach in Zweifel gezogen wird; von der hinzunehmenden Tatsache des Bestehens der sich aus dem Spruch des Abgabenbescheides ergebenden Abgabenschuld abgesehen, ist das Gericht in der Beurteilung der Strafbarkeit des Tatverhaltens eines Angeklagten völlig frei. Es hat selbständig und unabhängig die objektiven Tatbestandsmerkmale - wie die als Mittel der Tatbegehung anzusehende, nach § 33 Abs 1 FinStrG tatbildliche Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht - sowie die innere Tatseite zu prüfen und sodann diesbezüglich uneingeschränkt die erforderlichen Feststellungen zu treffen. Die dem Abgabenbescheid in dieser Hinsicht zugrundeliegenden Beweisergebnisse sind für das gerichtliche Finanzstrafverfahren allerdings insofern beachtlich, als sie - wie dies vorliegend zutrifft - zufolge Verlesung gemäß dem § 252 Abs 2 StPO Gegenstand der Hauptverhandlung waren. Das Gericht hat sich daher mit diesen Tatsachengrundlagen des finanzbehördlichen Verfahrens, wie mit allen übrigen Verfahrensergebnissen in den Urteilsgründen auseinanderzusetzen und gegebenenfalls mängelfrei zu begründen, warum es nach den Ergebnissen der Hauptverhandlung - in der die Urteilsgrundlagen im Sinne des Grundsatzes der Unmittelbarkeit (vgl. §§ 252, 258 Abs 1 StPO) vor allem durch persönliche Vernehmung des Angeklagten und der Zeugen zu schaffen sind - zu gegenteiligen Annahmen gelangt ist.
So gesehen konnte das Erstgericht, ohne damit das Bestehen einer Abgabenschuld des Angeklagten Josef A in der Höhe von 807.900,-- S selbst in Zweifel zu ziehen, das Vorliegen von 'Schwarzgeschäften', welche die Angeklagten strafrechtlich zu verantworten hätten, verneinen;
es setzte sich damit, mögen auch bezügliche Feststellungen mit Ermittlungen der Finanzbehörden in Widerspruch stehen, vor allem nicht über den gegen Josef A ergangenen rechtskräftigen Bescheid der Abgabenbehörde hinweg. Da es nicht als erwiesen annahm, daß die rechtskräftig festgestellte - und mithin der Entscheidung als Tatsache zugrundeliegende - Abgabenschuld des Josef A durch ein vorsätzliches Verhalten der beiden Angeklagten herbeigeführt wurde, sondern auf - auch nicht als fahrlässiges Verhalten zuzurechnende - Fehler der mit der Buchhaltung und den sonstigen schriftlichen Arbeiten betrauten Schwiegermutter des Josef A sowie dessen Gattin zurückführte, erachtete das Erstgericht letztlich bloß die - nach dem Gesagten seiner selbständigen Beurteilung unterliegende - innere Tatseite als nicht gegeben (vgl. Band II, S. 218 ff d. A). Entgegen den Beschwerdeausführungen hat sich das Erstgericht auch nicht rechtsirrig über jene (rechtskräftigen) Abgabenbescheide hinweggesetzt, aus denen sich die in anderen (verwaltungsbehördlichen) Finanzstrafverfahren festgestellten und dort den zu Pkt. III 2 a bis e des Urteilsspruches genannten Wiederverkäufern zur Last gelegten Abgabenverkürzungen ergeben. Unabhängig von der Frage, inwieweit diese Bescheide mangels Beteiligung der Angeklagten an den betreffenden Abgabenverfahren für den vorliegenden Fall überhaupt Beachtung verdienen, erlangte nämlich die Höhe der diese Personen für die inkriminierten Zeiträume jeweils treffenden Abgabenschuld hier schon deshalb keine Bedeutung, weil das Erstgericht auch diesbezüglich ausdrücklich feststellte, daß die beiden Angeklagten insoweit keine 'Schwarzgeschäfte' tätigten (Band II S. 204 d. A). Es fehlt daher von vornherein an einem täterschaftlichen Zusammenhang im Sinne des § 11 FinStrG zwischen den Angeklagten einerseits und jenen Personen andererseits als primäre Voraussetzung für eine mögliche Relevanz der vorerwähnten Abgabeschuldigkeiten.
Soweit die Beschwerdeführer aber Begründungsmängel im Sinne der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO behaupten, ist ihnen folgendes entgegenzuhalten:
Bei Würdigung der Beweise ließ das Erstgericht die Ergebnisse des Abgabenverfahrens, soweit sie im Bescheid über die rechtskräftige Abgabenfestsetzung ihren Niederschlag fanden (vgl. Band V, S. 667 ff des Strafaktes des Finanzamtes Neunkirchen, St-Nr. 350/3852) nicht unerörtert.
Es befaßte sich hiebei insbesondere mit der Frage, warum bei Verkäufen gegen Lieferschein (bei den sogenannten 'Gäufahrten') monatliche Sammelrechnungen hergestellt und die Lieferscheine nicht aufbewahrt wurden, und legte dar, warum seiner Überzeugung nach die fehlenden Lieferscheine, die sogenannten 'Blindschriften' (d. s. beim Schreiben von Belegen und Berechnungen entstandene Durchdrucke) und die Bekundungen des Zeugen Reinhard G gegenüber der Finanzbehörde nicht als sicherer Nachweis für Schwarzgeschäfte anzusehen seien. Es verwies ferner darauf, daß in Fällen von Privatkäufen von Kunden für den Eigenbedarf, in denen keine Rechnungen ausgestellt wurden, entsprechende Beträge anläßlich der Tagesabrechnungen in die Kassa eingetippt wurden - was im übrigen auch von der Finanzbehörde konzediert wurde (vgl. Band V, S. 668 f des Finanzstrafaktes) - und daß die Belege über (zum Teil ohne Viehpässe erfolgte) Viehkäufe von den Angeklagten der Ehefrau oder der Schwiegermutter des Angeklagten Josef A zur ordnungsgemäßen Verbuchung weitergereicht wurden. In schlüssiger Weise begründete das Schöffengericht weiters, warum die niederschriftliche Erklärung vom 26. September 1975, mit der die Angeklagten dem Finanzamt Neunkirchen ein Vergleichsanbot unterbreiteten, nicht als Schuldbekenntnis gewertet werden könne.
Schließlich wurde festgestellt, daß der Angeklagte Josef A, weil ihm selbst alle Voraussetzungen hiefür fehlten, seine als Buchhalterin ausgebildete Schwiegermutter, die inzwischen verstorbene Maria H, und seine (gleichfalls bereits verstorbene) Ehefrau mit der Führung der Buchhaltung, sowie sämtlichen schriftlichen Arbeiten beauftragte und diesen alle Belege zur ordnungsgemäßen Verbuchung weitergab (vgl. Band II, S. 199, 202, 213 d. A). Das Erstgericht ging sohin in freier Würdigung der in der Hauptverhandlung aufgenommenen Beweise (§ 258 Abs 2 StPO) davon aus, daß Nichtverbuchungen von Belegen jedenfalls ohne Wissen der Angeklagten erfolgten und sämtliche Buchhaltungsmängel ausschließlich auf die mit der Führung der Buchhaltung betrauten Personen zurückzuführen seien. Aus diesem Grund bedurfte es keiner näheren Erörterung der im Abgabenverfahren hervorgekommenen zahlreichen Buchhaltungsmängel, insbesondere auch nicht jener im Zusammenhang mit nicht verbuchten Wareneinkäufen und Löhnen.
Das Erstgericht hat somit seiner im Gesetz (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) normierten Begründungspflicht voll entsprochen. Daß es nicht auf alle finanzbehördlichen Verfahrensergebnisse im Detail eingegangen ist, stellt keine Unvollständigkeit der Urteilsbegründung in der Bedeutung des angerufenen Nichtigkeitsgrundes dar, zumal die Entscheidungsgründe nach der eben zitierten Gesetzesbestimmung in gedrängter Form abzufassen sind. Im übrigen finden die den Freisprüchen zugrundeliegenden Annahmen, wonach von den Angeklagten selbst - entgegen den Ermittlungen der Finanzbehörde - keine 'Schwarzgeschäfte' getätigt und die Abgabenverkürzungen nicht durch ein vorsätzliches Verhalten der Angeklagten, sondern durch Fehler der mit der Buchhaltung betrauten Personen bewirkt wurden, in den vom Erstgericht dargelegten Umständen eine obschon nicht zwingende, so doch den Denkgesetzen und der allgemeinen Lebenserfahrung nicht widersprechende, schlüssige und mithin zureichende Begründung. Der von den Beschwerdeführern erhobene Vorwurf einer offenbar nur unzureichenden Begründung läuft daher auf einen im Nichtigkeitsverfahren unzulässigen und demnach unbeachtlichen Angriff auf die erstrichterliche Beweiswürdigung hinaus.
Geht man vom festgestellten Sachverhalt aus, so war den Angeklagten aber auch ein fahrlässiges Verhalten nicht anzulasten. Wie bereits ausgeführt, ließ der Angeklagte Josef A die Buchhaltung von seiner Schwiegermutter, einer ausgebildeten Buchhalterin, und von seiner im Betrieb mittätigen Gattin besorgen; ferner zog er den Steuerberater Friedrich I auf Grund vorangegangener Verurteilungen wegen Finanzordnungswidrigkeiten mit dem Auftrag bei, mehrmals wöchentlich die Buchhaltung zu überprüfen (vgl. Band II, S. 201 d. A). Daraus leitete das Erstgericht ab, daß der Angeklagte Josef A, dem alle Voraussetzungen für eine persönliche Führung seiner Buchhaltung fehlten und der sich daher insoweit auf die im Betrieb mittätigen nahen Angehörigen und auf seinen Steuerberater weitgehend verlassen mußte, bemüht war, alles zu tun, um Steuerverkürzungen zu vermeiden. Daß ihm hiebei aber ein Verschulden bei der Auswahl seiner Erfüllungsgehilfen oder mangelnde Aufsicht über diese zur Last fiele, hat das Erstgericht nicht festgestellt, zumal - folgt man weiters den Annahmen des Erstgerichtes - gar nicht feststeht, durch welche Fehler im einzelnen eine Verkürzung von Abgaben eingetreten ist und ob diese demnach bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit in Ausübung der Kontroll- und Überwachungspflicht für den Angeklagten Josef A erkennbar gewesen wäre. Dem Ausspruch, den Angeklagten seien die Verkürzungen der Umsatz-, Einkommens- und Gewerbesteuer auch nicht als fahrlässig bewirkt zuzurechnen, haftet sohin ein Rechtsirrtum nicht an, zumal auch der Angeklagte Erich A den Urteilsannahmen zufolge mit der Buchhaltung des gegenständlichen Fleischhauereibetriebes nicht befaßt war.
Die Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft und des Finanzamtes Neunkirchen waren daher zu verwerfen.
Anmerkung
E02020European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1979:0110OS00042.79.0529.000Dokumentnummer
JJT_19790529_OGH0002_0110OS00042_7900000_000