Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 21.Juni 1979 unter dem Vorsitz des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Pallin, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller, Dr. Friedrich, Dr. Horak und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Lackner als Schriftführers in der Strafsache gegen Anton A wegen des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach dem § 269 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die vom Angeklagten und von der Staatsanwaltschaft erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengerichtes vom 12.Dezember 1978, GZ 24 Vr 1146/77-70, nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller, der Ausführungen des Verteidigers des Angeklagten, Rechtsanwaltes Dr. Kellner, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwaltes Dr. Tschulik, zu Recht erkannt:
Spruch
Die beiden Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen. Den beiden Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Gelegenheitsarbeiter Anton A der Vergehen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach dem § 269 Abs 1 StGB (Punkt 1.) des Schuldspruchs), der Körperverletzung nach dem § 83 Abs 1
StGB (Punkt 2.) des Schuldspruchs) und der Sachbeschädigung nach dem § 125 StGB (Punkt 3.) des Schuldspruchs) schuldig erkannt. Von der (weiteren) Anklage in Richtung des Verbrechens der Verleumdung nach dem § 297 Abs 1 StGB
(Punkt 1.) des Freispruchs), des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach dem § 136 Abs 1 und 2 StGB
(Punkt 2.) des Freispruchs) und des Vergehens der Sachbeschädigung gemäß dem § 125 StGB - in einem weiteren Faktum - (Punkt 3.) des Freispruchs) wurde der Angeklagte gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Dieses Urteil bekämpfen der Angeklagte im Schuldspruchfaktum 1.) und die Staatsanwaltschaft im Punkt 2.) des Freispruchs, der Angeklagte unter ziffernmäßiger Anrufung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 10 StPO, die Staatsanwaltschaft aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit. b der zitierten Gesetzesstelle.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:
Zum Schuldspruchfaktum 1.) wird dem Angeklagten angelastet, am 21. Dezember 1976 in Alpbach die Gendarmeriebeamten Balthasar B und Otto C mit Gewalt, und zwar dadurch, daß er die Arme aufwärts und seitwärts schlug, die Beamten von sich stieß und sich durch heftige Körperbewegungen aus ihrer Umklammerung löste, an seiner Festnahme, sohin an einer Amtshandlung gehindert zu haben.
Gegen diesen Schuldspruch macht der Angeklagte geltend, er habe, wie sich aus der übereinstimmenden Darstellung der Zeugen Otto C und Balthasar B ergebe, seine Flucht weder durch Gewalt noch durch gefährliche Drohung, sondern lediglich durch einen Trick herbeigeführt, indem er vorgegeben habe, die Geldstrafe zahlen zu wollen, und, als die Gendarmeriebeamten daraufhin ihren Griff lockerten, aus seinem Pullover geschlüpft sei.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach den bezüglichen Urteilsannahmen stieß der (gegen seine ausgesprochene Festnahme zunächst nur passiven Widerstand leistende) Angeklagte die Gendarmeriebeamten Otto C und Balthasar B, als diese versuchten, ihn zum Einsteigen in ihr Dienstfahrzeug zu veranlassen, wiederholt mit den Armen von sich, ohne sich zunächst aus ihrem Griff lösen zu können, und schlug, sich mit den Füßen gegen das Fahrzeug stemmend, mit den Armen nach oben und nach der Seite. Infolge dieser Gegenwehr kamen die beiden Beamten (und der Angeklagte selbst) auf dem mit Schnee bedeckten Boden zum Sturz. Schließlich wurde der Angeklagte von einem der beiden Beamten am Hemd erfaßt, konnte sich jedoch aus diesem Griff freimachen und flüchten (vgl. S. 297 d.A.). Diese Konstatierungen des Erstgerichtes sind - den Beschwerdeausführungen zuwider - in den vom Gericht als glaubwürdig beurteilten Angaben der Zeugen Otto C und Balthasar B voll gedeckt (vgl. S. 68, 71, 91; 7 in ON. 28; 200 f. und 287 f. d.A.) und mithin durch den Hinweis auf diese Verfahrensergebnisse auch (im Sinne des § 281 Abs 1 Z 5 StPO) mängelfrei begründet.
Soweit in der Beschwerde von der (eine Gewaltanwendung leugnenden) gegenteiligen - vom Schöffengericht als widerlegt erachteten - Verantwortung des Angeklagten ausgegangen wird, mangelt es an einer gesetzmäßigen Ausführung des angerufenen materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes.
Aus den als erwiesen angenommenen Sachverhaltsfeststellungen leitete das Erstgericht jedoch in rechtlicher Hinsicht zutreffend ab, daß der Angeklagte gegen seine Festnahme auch aktiven Widerstand geleistet und durch diese Gewaltanwendung die beiden gegen ihn einschreitenden Gendarmeriebeamten vorsätzlich an einer Amtshandlung gehindert, sohin den Tatbestand des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach dem § 269 Abs 1 StGB in der Erscheinungsform der Vollendung zu verantworten hat. Diesem Schuldspruch haftet demnach ein Rechtsirrtum nicht an, sodaß die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten zu verwerfen war.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
Nach den zum Punkt 2.) des Freispruchs getroffenen Urteilsfeststellungen weilte Ekkehard D, der Schwager des Angeklagten, mit seiner Gattin im Haus der Eltern des Angeklagten in Alpbach auf Urlaub, wo er die Verpflegung erhielt und mit dem Angeklagten dessen Zimmer teilte. Am 14.August 1977, nach rund 14 Tagen Aufenthalt, nahm der Angeklagte den Schlüssel für den PKW. des D, ohne von diesem die Erlaubnis zur Benützung des Kraftfahrzeuges erhalten zu haben, aus der in seinem Zimmer liegenden Hose des Genannten und fuhr mit dem PKW.
mehrere Kilometer umher.
Das Erstgericht vertrat die Auffassung, der Angeklagte sei für diese Tat gemäß dem § 136 Abs 4 StGB nicht zu bestrafen, weil er zur Tatzeit mit seinem Schwager in Hausgemeinschaft gelebt habe, und fällte sohin einen Freispruch.
Gegen diesen wendet sich die Staatsanwaltschaft aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit. b StPO
mit der Begründung, es sei ein Zusammenleben des Angeklagten mit seinem Schwager in Hausgemeinschaft, worunter nur ein auf Dauer bestimmtes Zusammenleben im Familienkreis zu verstehen sei, zur Tatzeit nicht vorgelegen.
Ihrer Beschwerde kommt jedoch keine Berechtigung zu. Nach der Bestimmung des § 136 Abs 4 StGB ist der Täter wegen unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen u.a. nicht zu bestrafen, wenn die Verfügungsberechtigung über das Fahrzeug seinem Ehegatten, einem Verwandten in gerader Linie, seinem Bruder oder seiner Schwester oder einem anderen Angehörigen zusteht, sofern er mit diesem in Hausgemeinschaft lebt. Das Erfordernis der Hausgemeinschaft hinsichtlich der anderen Angehörigen wurde deshalb normiert, weil nur das Zusammenleben die engere Beziehung aufrecht erhält, die die Familie als eine geschlossene Einheit charakterisiert (RV. 1971, 311, Leukauf-Steininger, S. 816
zur vergleichbaren Bestimmung des § 166 Abs 1 StGB). Entscheidend ist - wie schon Tschulik (RZ 1960 S. 90) zum § 467 b Abs 4 StG. in der damals geltenden Fassung ausführte - die persönliche Nahebeziehung des Täters zum Geschädigten, wie sie bei einem familiären Zusammenleben üblich ist. Hiefür spielt es aber keine Rolle, ob, wie die Staatsanwaltschaft irrig vermeint, das Zusammenleben auf Dauer bestimmt war oder nicht, solange es nur über die für einen bloßen Besuch etwa charakteristische Zeitspanne hinausgeht. Daß es hierauf oder überhaupt auf eine lange Dauer des Zusammenlebens nicht ankommt, ergibt sich auch aus einem Vergleich der Bestimmung des § 136 Abs 4 (Leben in Hausgemeinschaft) mit § 72 Abs 2 StGB (Leben in Lebensgemeinschaft), für welch' letzteren Begriff eine gewisse Dauer wesentlich ist (Leukauf-Steininger, S. 382).
Auch die Bestimmung des § 1156 ABGB. spricht dafür, daß ein Leben in Hausgemeinschaft vom zeitlichen Moment unabhängig ist, weil ansonsten die Bestimmung des Absatzes 3
dieser Gesetzesstelle überflüssig wäre. Das Argument der Generalprokuratur, daß die Hausgemeinschaft auf familienrechtlicher Grundlage begründet sein müsse, entbehrt jeglicher Beziehung zum Gesetz.
Im vorliegenden Falle haben nach den Feststellungen des Erstgerichtes der Angeklagte und der Geschädigte, der der Ehegatte der Schwester des Angeklagten ist, seit 14 Tagen im selben Zimmer im Hause der Eltern des Angeklagten, in dem auch der Angeklagte lebt, gewohnt. Die Voraussetzungen des Angehörigenverhältnisses und des Lebens in Hausgemeinschaft sind daher zur Tatzeit vorgelegen. Der Umstand, daß es sich um einen Urlaubsaufenthalt handelte, er also begrenzt war, ist demnach entgegen der Auffassung der Beschwerde ohne rechtliche Bedeutung.
Auch aus der Kommentierung der ähnlich lautenden Bestimmung des § 247 des deutschen Strafgesetzbuches durch Dreher-Tröndle, 38. Auflage, S. 1011, auf welche sich die Generalprokuratur beruft, ist nichts zu gewinnen, da darnach Soldaten in der Kaserne, in einem Flüchtlingslager Untergebrachte oder in einer Strafanstalt Aufgenommmene von der häuslichen Gemeinschaft auszunehmen sind, somit Fälle, die mit dem Gegenständlichen nicht vergleichbar sind. Auch die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher zu verwerfen.
Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach dem § 269 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 28 StGB
eine Freiheitsstrafe von neun Monaten.
Für die Strafbemessung wertete es als erschwerend die einschlägigen Vorstrafen wegen Gewalt- und Vermögensdelikten, die Wiederholung der Körperverletzung, das Zusammentreffen dreier Vergehen und den raschen Rückfall nach einer einschlägigen Verurteilung am 28.Februar 1977;
als mildernd hingegen sah es nur das Geständnis des Angeklagten an. Gegen den Strafausspruch wenden sich die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft. Der Angeklagte begehrt eine Herabsetzung des Strafmaßes, weil er an Verstand schwach sei und in einer allgemein begreiflichen Gemütsbewegung aus Unbesonnenheit gehandelt habe. Die Staatsanwaltschaft ihrerseits strebt eine Erhöhung des Strafmaßes mit der Begründung an, daß nur ein Teilgeständnis (zu den Schuldsprüchen wegen Vergehens der Körperverletzung) vorliege und spezialpräventive Erwägungen die Verhängung einer empfindlicheren Freiheitsstrafe über den Angeklagten als vielfach einschlägig vorbestraften Gewalttäter erfordern.
Keiner der beiden Berufungen kommt Berechtigung zu. Das Erstgericht hat zutreffend erkannt, daß im Hinblick auf die Täterpersönlichkeit des Angeklagten, der immer wieder zur Gewalttätigkeit neigt, eine fühlbare Freiheitsstrafe angebracht ist und im Ergebnis ein Strafmaß gefunden, das an sich ausreicht aber auch erforderlich ist, um dem Angeklagten den Grad seines Verschuldens und das Unrecht seines Handelns, das sich immer wieder gegen die körperliche Integrität der Mitmenschen, dann aber oft gezielt gegen so empfindliche Körperpartien wie die Augen richtet, deutlich und eindringlich bewußt zu machen. Alles, was in den beiden Berufungen vorgebracht wird, ist faktisch bei der Strafbemessung berücksichtigt worden, sodaß keine Veranlassung besteht, von der durchaus angemessenen Freiheitsstrafe abzugehen, die das Erstgericht insbesondere auch im Hinblick auf das einschlägig schwer belastete Vorleben des Angeklagten verhängt hat.
Es war daher beiden Berufungen ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.
Anmerkung
E02085European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1979:0130OS00065.79.0621.000Dokumentnummer
JJT_19790621_OGH0002_0130OS00065_7900000_000