Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Faseth, Dr. Walenta und Dr. Friedrich als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Maukner als Schriftführer in der Strafsache gegen Herbert A wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB mit Zustimmung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 12. Oktober 1978, GZ 23 Vr 2410/76-99, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 13.9.1946 geborene Kraftfahrer Herbert A des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB schuldig erkannt, weil er am 29.11.1976 in Julbach seinen Bruder Erwin A durch zahlreiche Schläge gegen das Gesicht und den Oberkörper verletzte, wobei die Tat den Tod des Geschädigten zur Folge hatte.
Zur Annahme der Täterschaft des Angeklagten war das Gericht inhaltlich der Entscheidungsgründe gelangt, weil sich derselbe ab 18 Uhr des 29.11.1976 (bis zur Auffindung der Leiche des Erwin A in den frühen Morgenstunden des 30.11.1976 im Bett seines im ersten Stock des Hauses Julbach 86 gelegenen Zimmers) im alleinigen Gelegenheitsverhältnis befand (Bd. III S 400 f), Erwin A bei der Heimkehr seines Bruders (des Beschwerdeführers) in dieses gemeinsam bewohnte Haus am 29.11.1976 gegen 22 Uhr (nüchtern und) unverletzt war (Bd. III S 399) und die am Opfer festgestellten Verletzungen in der Zeit vom 29.11.1976, 22 Uhr bis 30.11.1976, ca. 04 Uhr, entstanden (Bd. III S 398). Die leugnende Verantwortung des Angeklagten, der jegliche Tätlichkeiten gegen Erwin A während des für die Tat in Frage kommenden Zeitraumes in Abrede stellte, hielt es auf Grund dieser Umstände für widerlegt; es nahm im Gegenteil - obwohl es im Einzelnen nicht festzustellen vermochte, was im Haus Julbach 86 bis zum Morgen des 30.11.1976 geschah (Bd. III S 394) - ausdrücklich als erwiesen an, daß der Angeklagte im Zuge einer Auseinandersetzung gegen seinen Bruder tätlich wurde, indem er ihm in Verletzungsabsicht (Bd. III S 402) Schläge oder Fußtritte versetzte, wodurch die mit einem Sturz allein nicht erklärbaren Verletzungen, insbesondere am Kopf, entstanden, die zum Tode führten (Bd. III S 400 im Zusammenhalt mit Bd. III S 402). Einen (vom Angeklagten nicht verschuldeten) Sturz des Erwin A mit tödlichen Folgen schloß es auf Grund der Erwägung aus, daß der Genannte noch nie im betrunkenen Zustand über die Stiege gestürzt sei, weshalb umsoweniger angenommen werden könne, daß er dies im nüchternen Zustand tat. Dagegen spreche aber auch die Mannigfaltigkeit der Verletzungen, die durch einen Sturz nicht erklärbar sei. Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde.
Rechtliche Beurteilung
Mit Recht wendet der Beschwerdeführer in den auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützten Ausführungen eine mangelhafte Begründung des Ausspruches über seine Täterschaft ein. Wurden doch im Urteil die Angaben der Zeugen Erwin B (Bd. I S 303 f, Bd. II S 456 f, Bd. III S 291) und Reinhold C (Bd. I S 307 f, Bd. II S 459 f, Bd. III S 293) nicht erörtert, daß der am 28.11.1976 gegen Mitternacht nach mehreren Stürzen betrunken auf der Straße liegende Erwin A (schon damals) Verletzungen im Gesicht hatte. Eine Stellungnahme des Gerichtes zu diesen Verfahrensergebnissen wäre erforderlich gewesen, weil sie gleicherweise den Feststellungen über eine Unverletztheit des Erwin A am 29.11.1976 gegen 22 Uhr und über die Verursachung aller Verletzungen durch den Angeklagten nach diesem Zeitpunkt entgegenstehen, wie auch den oben erwähnten Erwägungen über das Zustandekommen der durch einen Sturz nicht erklärbaren zahlreichen Verletzungen.
Aus dem gleichen Grund hätte aber auch das Gericht das in Widerspruch zu diesen Feststellungen stehende Vorbringen des gerichtsärztlichen Sachverständigen nicht mit Stillschweigen übergehen dürfen, daß einzelne Verletzungen im Gesicht des Toten älter als andere sein könnten und möglicherweise von dem (von den Zeugen B und C bekundeten) Sturz am Sonntag (den 28.11.1976) stammten (Bd. III S 357); dies umsoweniger, als der Sachverständige schon im Vorverfahren (ON 43 d. A) auf die Möglichkeit einer Entstehung der Verletzungen vor 18 Uhr des 29.11.1976 verwies und in einem Teilgutachten (ON 15 d. A) dem Sinne nach sogar das Zustandekommen der (durch einen Sturz allein nicht erklärbaren) Verletzungen durch Stürze an verschiedenen Orten (in und außer Haus) nicht ausgeschlossen hatte.
Desgleichen wären auch die Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen erörterungsbedürftig gewesen, er sei nicht in der Lage, das Alter der an der Leiche des Erwin A festgestellten Darmverletzung näher zu bestimmen (Bd. III S 378). Diese könnten nämlich, wie die Beschwerde (sinngemäß) zutreffend bemerkt, in Zusammenhang mit dem (im Urteil gleichfalls außer Betracht gelassenen) Aufenthalt des Erwin A bei einem Blochholz an Bedeutung gewinnen, das (nach den Angaben des Zeugen Ewald D) in der Nähe jener Stelle gelagert war, an der Erwin B und Reinhold C den Erwin A im Licht der Scheinwerfer des von ihnen benützten PKWs betrunken auf der Straße liegen sahen (siehe dazu Bd. I S 311, Bd. II S 21, Bd. III S 293 f). Sie ließen nämlich - insbesondere auch bei Berücksichtigung der Angaben des Leichenbestatters Adolf E (Bd. I S 583, 593, Bd. III S 337), der bei der Reinigung der Leiche vor der Obduktion in der Unterwäsche des Toten Buchenblätter und Nadeln fand - den Schluß zu, daß Erwin A sich auch diese Verletzung den Urteilsannahmen zuwider bereits am 28.11.1976 bei weiteren Stürzen im Bereich des Blochholzes zugezogen hat.
Zutreffend rügt die Beschwerde aber auch das Fehlen von Erörterungen über die Angabe des Zeugen Franz F, er habe (im Haus Julbach 86 keine Spuren eines Kampfes und) am Auffindungsort der Leiche keine Wischspuren auf dem staubbedeckten Fußboden gefunden (die allenfalls auf einen Abtransport des Verletzten vom Tatort Schlüsse ziehen liessen), obwohl er auf solche geachtet habe und man diese im 'Staubfilm' hätte sehen müssen (Bd. III S 329 und 332); denn es sprechen diese Bekundungen des genannten Zeugen gegen die Richtigkeit der dem Urteil ersichtlich zugrunde liegenden Annahme, der Angeklagte habe mit seinem Bruder im unteren Vorraum oder in der (ebenfalls im Parterre gelegenen) Speisekammer eine heftige Auseinandersetzung gehabt (Bd. III S 389, 400), in deren Verlauf er dem Genannten mehrere Faustschläge oder Fußtritte versetzte (und habe dann den dabei schwer Verletzten in seine im ersten Stock befindliche Kammer geschleift).
Berechtigt ist aber auch der Beschwerdeeinwand, daß die für den Ausschluß eines (ohne Verschulden des Angeklagten erfolgten) Sturzes des Erwin A gegebene Begründung bloß eine Scheinbegründung sei, weil aus der Tatsache, daß jemand eine Treppe in alkoholisiertem Zustand sturzfrei überwand, keineswegs denkrichtig abzuleiten ist, daß er in nüchternem Zustand umsoweniger über diese Treppe gestürzt sein kann. Da sohin die einzelnen tatsächlichen Annahmen, aus deren Vorliegen (insgesamt) das Gericht auf eine Täterschaft des Angeklagten geschlossen hat - somit die dem Schuldspruch zugrunde liegenden Prämissen - mangelhaft begründet sind, war der Beschwerde mit Zustimmung der Generalprokuratur (§ 285 e StPO) schon bei der nichtöffentlichen Beratung Folge zu geben und wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden.
Im fortgesetzten Verfahren wird das Gericht - im Falle eines neuerlichen anklagekonformen Schuldspruchs - nicht nur hinreichend begründete Feststellungen zum objektiven Tatbestand und zur subjektiven Tatseite in Ansehung des Grundtatbestandes (§ 83 Abs 1 StGB) zu treffen haben, sondern darüber hinaus auch beachten müssen, daß eine strafrechtliche Haftung des Täters für die zur Anwendung des § 86 StGB führende Todesfolge nur unter den Voraussetzungen des § 7 Abs 2 StGB besteht (vgl. dazu insbesondere ÖJZ-LSK 1975/229, 1976/2 u.a.).
Anmerkung
E02126European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1979:0090OS00100.79.0725.000Dokumentnummer
JJT_19790725_OGH0002_0090OS00100_7900000_000