Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Racek und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Bernardini, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Winter als Schriftführer in der Strafsache gegen Sadettin A wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wr. Neustadt als Schöffengericht vom 10.Mai 1979, GZ 12 a Vr 136/79-20, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Die Anklageschrift legt dem 31-jährigen, in Usak (Türkei) geborenen Arbeiter Sadettin A zur Last, daß er am 5.Februar 1979 in Traiskirchen seinen Landsmann Saban Serif B absichtlich schwer verletzt hat, indem er ihm elf Stich- und Schnittwunden auf der Brust, dem Rücken, dem Nacken und den oberen Extremitäten mit Eröffnung der Brust- und Bauchhöhle sowie Verletzungen des linken Lungenflügels, des Zwerchfells und des Dünndarms zufügte (Verbrechen nach § 87 Abs 1 StGB). Inhaltlich der Akten und der Anklagebegründung wohnten der Täter und sein Opfer in einer Fremdarbeiterbaracke in Traiskirchen.
A kam am 5.Februar 1979 um etwa 3 Uhr früh leicht alkoholisiert (Gutachten S. 181) nach Hause, begab sich aber nicht in sein Zimmer, sondern in dasjenige seines Kollegen B, mit dem er in einem gespannten Verhältnis lebte. B schlief in seinem Bett. Als der Angeklagte dies sah, ergriff er ein Messer, zog dem Schlafenden die Decke weg, sodaß er erwachte, drohte ihm, er werde ihn 'schneiden' (was der deutschen Ausdrucksweise 'zerstückeln' oder 'Bauch aufschlitzen' gleichkommt: S. 179) und stach wenigstens elfmal auf B ein; er ließ von diesem erst ab, als ein anderer Bewohner der Baracke im Zimmer erschien.
Die Verletzungen des in der Folge im Krankenhaus Baden operativ versorgten Tatopfers waren nicht nur schwer, sondern auch lebensgefährlich (S. 184, 185).
Rechtliche Beurteilung
Mit dem angefochtenen Urteil erklärte sich das Schöffengericht wegen Verdachts des Mordversuchs (§§ 15, 75 StGB) für unzuständig (§ 261 Abs 1 StPO). Die dagegen aus dem Grund des § 281 Abs 1 Z 6 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten schlägt fehl. Zutreffend stützt sich der Schöffensenat auf die ständige Rechtsprechung, wonach für das Unzuständigkeitsurteil gemäß § 261 StPO nicht der Schuldbeweis hinsichtlich einer vor das Geschwornengericht gehörigen Straftat erfordert wird, sondern ein diesbezüglicher Anschuldigungsbeweis genügt. Der Gesetzeswortlaut, daß das Schöffengericht erachtet, daß die der Anklage zugrunde liegenden Tatsachen an sich oder in Verbindung mit den in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Umständen eine zur Zuständigkeit des Geschwornengerichts gehörige strafbare Handlung begründen, ist so zu verstehen, daß eine derartige Möglichkeit angenommen wird; dann aber ist das Schöffengericht verpflichtet, seine Nichtzuständigkeit auszusprechen (EvBl. 1973
Nr. 288 = RiZ 1973 S. 178 f. u.a.).
Gegenständlichenfalls ist die Möglichkeit, daß es sich um einen Mordversuch gehandelt hat, nicht von der Hand zu weisen. Schon die sich aus dem bisherigen Verfahren ergebende Tatsache, daß der Beschwerdeführer einen in seinem Bett Schlafenden überfallen, ihn unmittelbar nach dessen Erwachen mit dem 'Zerstückeln' oder 'Bauchaufschlitzen' (siehe abermals S. 179) bedroht und mit dem Messer attackiert hat, kann für die Beurteilung der subjektiven Tatseite entscheidende Bedeutung gewinnen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kann auch aus der Art der Verletzungen durchaus auf den Vorsatz des Täters geschlossen werden. Dazu hat der ärztliche Sachverständige in der Hauptverhandlung ausgeführt, daß die Darstellung des Angeklagten, der Verletzte habe sich sämtliche Wunden im Rahmen der tätlichen Auseinandersetzung faktisch selbst zugefügt, medizinisch abzulehnen ist (S. 184), zumal die linke Seite des Brustkorbs 'praktisch wie eine Nähmaschine von fünf Stichen nacheinander durchbohrt' wurde (S. 185). Des weiteren hat der Gerichtsarzt die Schilderung des Verletzten gutächtlich bestätigt, daß er während des Angriffs vorerst (im Bett) auf dem Rücken gelegen ist (S. 176, 184).
Was aber die Verantwortung des Angeklagten betrifft, so hat er eingangs der Hauptverhandlung erklärt, er kenne die Anklage, er wisse, was ihm vorgeworfen wird, hat sich dann nicht schuldig bekannt (also auch nicht einer absichtlichen schweren Körperverletzung) und hat u.a. seine Angaben vor der Gendarmerie als richtig bezeichnet (S. 165); dort aber hatte er deponiert, daß er 'sehr viel getrunken' habe und daß er sich 'an den ganzen Vorfall nicht mehr sehr genau erinnern kann' (S. 23). Dem stehen wiederum die gutächtliche Bekundung des Sachverständigen, daß die Alkoholisierung des Beschwerdeführers zur Tatzeit nur leicht war (S. 181), und die detaillierte Geschehensversion des Angeklagten vor dem erkennenden Gericht entgegen.
Bei dieser Sach- und Beweislage ist dem Erstgericht beizupflichten, daß die Beantwortung der Frage, ob der Vorsatz des Angeklagten auf (absichtliche) schwere Körperverletzung oder (allenfalls bedingt) auf Tötung des mit ihm so gut wie verfeindeten (vgl. S. 175 und 198) Arbeitskollegen und Zimmernachbars B gerichtet war, über seine Kompetenz hinausgeht. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher als offenbar unbegründet gemäß § 285 d Abs 1 Z 2
StPO bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen. Eine Kostenentscheidung hat zu entfallen, solang ein Schuldspruch nicht ergangen ist (§§ 389 Abs 1, 390 a Abs 1 StPO).
Anmerkung
E02155European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1979:0100OS00096.79.0808.000Dokumentnummer
JJT_19790808_OGH0002_0100OS00096_7900000_000