Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, Dr. Steininger, Dr. Horak und Dr. Friedrich als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Simetzberger als Schriftführer in der Strafsache gegen Gerhard A wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung mit Zustimmung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengegerichtes beim Landesgericht Klagenfurt vom 18.Juni 1979, GZ 7 Vr 2626/78-59, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil unter Aufrechterhaltung des zu den Hauptfragen 1 und 2 ergangenen Wahrspruchs der Geschwornen (§ 349 Abs 2 StPO) aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Geschwornengericht beim selben Gerichtshof zurückverwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 8.März 1943 geborene Hilfsschulwart Gerhard A auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt. Inhaltlich des Schuldspruchs hatte er in Villach Johanna B 1.) am 26.November 1978 durch Versetzen von Schlägen am Körper vorsätzlich verletzt (Schwellung am Nasenrücken und an der linken Wange, Hämatom am linken Oberschenkel) und 2.) am 29.November 1978 durch 11 Stiche mit einem Jagdmesser vorsätzlich getötet. Mit seiner auf die Z 5 und 6 des § 345 Abs 1 StPO
gestützten Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft der Angeklagte die Abweisung seines in der Hauptverhandlung gestellten Antrages auf Vernehmung des Prim. Dr. C als 'sachverständigen Zeugen' zum Beweise dafür, daß er - der Angeklagte - zum Zeitpunkt der Tat nicht zurechnungsfähig gewesen sei, sowie die Unterlassung der Stellung einer Zusatzfrage in Richtung des § 11 StGB
Rechtliche Beurteilung
Schon die sich auf den erstangeführten Nichtigkeitsgrund stützende Verfahrensrüge ist begründet.
Die in der Hauptverhandlung als Zeugin vernommene Ärztin der psychiatrischen Abteilung des Landeskrankenhauses Klagenfurt Dr. Heidi D hatte bekundet (vgl. S. 357 f.), der Angeklagte habe bei seiner Einlieferung am 30. November 1978 auf sie und auf Prim. Dr. C einen psychotischen Eindruck gemacht, wobei zunächst nur eine Psychose und dann in der Folge eine depressiv-paranoide Psychose festgestellt worden sei. Angesichts dieser - mit dem Inhalt der Krankengeschichte (S. 273) übereinstimmenden - Aussage, die insofern mit dem Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Prim. Dr. E (ON. 47) nicht im Einklang steht, als dieser die Meinung vertrat, der Krankengeschichte sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu entnehmen, daß die auf depressiv-paranoide Psychose lautende, von einem diensthabenden Abteilungsarzt vorgenommene vorläufige Diagnose nicht als klinische Hauptdiagnose übernommen worden sei, durfte den Geschwornen die Möglichkeit, sich von Prim. Dr. C über den Ende November 1978 beim Angeklagten herrschenden Geisteszustand informieren zu lassen, nicht genommen werden, zumal der von ihm am 30. November 1978 erhobene Befund auch als Prämisse bei der Beurteilung der Schlüssigkeit des von Prim. Dr. E abgegebenen Gutachtens herangezogen werden könnte. Mit der Abweisung des bezüglichen Antrages des Angeklagten unter der Begründung, das Gutachten Dris. E könne durch die Aussage des beantragten sachverständigen Zeugen nicht erschüttert werden (S. 368), wurden mithin Grundsätze eines die Verteidigung sichernden Verfahrens hintangesetzt und damit der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 5 StPO verwirklicht.
Da infolge dieses Verfahrensmangels eine neue Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist, war der insoweit begründeten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Folge zu geben und das Ersturteil - mit Zustimmung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung -
aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Geschwornengericht beim Landesgericht Klagenfurt zurückzuverweisen (§ 285 e StPO), ohne daß es eines Eingehens auf das weitere Beschwerdevorbringen bedurft hätte. Der Vollständigkeit halber sei jedoch bemerkt, daß die Verantwortung des Angeklagten, er habe 'durchgedreht' (S. 174), er sei ganz 'tamisch' geworden (S. 175), er habe so rasend auf Johanna B eingestochen, daß er keine Zeit hatte, über seine Handlungen nachzudenken, er habe überhaupt keine Kontrolle mehr über sich gehabt (S. 175), er wüßte nicht mehr, was er gemacht habe, er sei zum Tatzeitpunkt stark erregt gewesen (S. 346), im Zusammenhalt mit der oben wiedergegebenen Aussage der Zeugin Dr. D, der Krankengeschichte und auch dem Gutachten von Prim. Dr. E (es sei erwiesen, daß der Angeklagte aus Eifersucht aggressiv geworden sei, die Tat trage alle Kennzeichen eines Eifersuchtsmordes /S. 83 /, beim Angeklagten liege eine erhebliche Psychopathie vor, er sei ein selbstunsicherer, kontaktgestörter und zur Eifersucht neigender Psychopath /S. 85 /, er leide an krankhafter Eifersucht /S. 364 /, die Tat sei nicht nur in einer durch Eifersucht und durch monatelange Auseinandersetzungen erfolgten Affektstauung durchgeführt, sondern auch mit einem außergewöhnlich heftigen aggressiven Affekt vollendet worden /S. 367 /), jedenfalls die Stellung einer Zusatzfrage in Richtung des § 11 StGB indizierte, zumal ja, entgegen der 'Rechtsmeinung' des Sachverständigen E, nicht nur Geisteskrankheiten im engeren Sinne, sondern unter Umständen auch schwere Persönlichkeitsverzerrungen und Affekte, die begrifflich als Psychopathien zu bezeichnen sind, die Zurechnungsfähigkeit auszuschließen vermögen (EvBl. 1976/115). Ob die in der Hauptverhandlung hervorgekommenen psychischen Störungen des Angeklagten einem der klassischen Ausschlußbefunde als vollkommen gleichwertig erachtet werden können, sie also in der Lage waren, die Diskretions- und/oder Dispositionsfähigkeit des Angeklagten auszuschließen, oblag allein der rechtlichen Beurteilung durch die Geschwornenbank, der durch die Vorgangsweise des Schwurgerichts, das die Stellung einer Zusatzfrage mit der Begründung, eine Unzurechnungsfähigkeit des Angeklagten sei auszuschließen, verweigerte (S. 369), von vornherein die Möglichkeit genommen wurde, von ihrem Beurteilungsrecht Gebrauch zu machen. Da die vom Angeklagten geltend gemachten Nichtigkeitsgründe lediglich die Frage seiner Zurechnungsfähigkeit betreffen und demnach die Wahrsprüche der Geschwornen in bezug auf die Hauptfrage 1 und 2 durch sie nicht berührt werden, war unter Aufrechterhaltung der Wahrsprüche (vgl. Gebert-Pallin-Pfeiffer, E.Nr. 5-6 b u. 8 zu § 349 StPO) lediglich das Urteil aufzuheben, dies jedoch, obgleich sich die Nichtigkeitsbeschwerde ersichtlich nur auf den Schuldspruch wegen Mordes (Hauptfrage 2) bezieht, zur Gänze, weil angesichts der zeitlichen Nähe der beiden Tatzeitpunkte (Differenz 3 Tage) eine Sonderung der Taten unter dem Aspekt der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten nicht zweckmäßig schien (§ 349 Abs 2 StPO). Mit ihren Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Anmerkung
E02168European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1979:0090OS00122.79.0904.000Dokumentnummer
JJT_19790904_OGH0002_0090OS00122_7900000_000