Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 13. September 1979
unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kral, Dr.Steininger und Dr. Schneider als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Stach als Schriftführer in der Strafsache gegen Wilhelm A wegen des Verbrechens nach § 6 Abs 1 SuchtgiftG und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 24. April 1979, GZ 6 e Vr 10 000/78-19, nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Steininger, der Ausführungen des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. Stern und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Kodek, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird teilweise und zwar dahin Folge gegeben, daß die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe auf 1 (ein) Jahr erhöht wird.
Im übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 22. Juni 1956 geborene Landwirt Wilhelm A des Verbrechens nach § 6 Abs 1 SuchtgiftG und des Vergehens nach § 9 Abs 1 Z 2 SuchtgiftG schuldig erkannt, weil er I./ Suchtgift den bestehenden Vorschriften zuwider in solchen Mengen eingeführt, ausgeführt und in Verkehr gesetzt hat, daß daraus in größerer Ausdehnung eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen entstehen konnte, indem er 1.) Anfang September 1978 500 Gramm, Mitte September 1978 500 Gramm und Ende September 1978 200 Gramm Haschisch nach Ankauf in Amsterdam aus den Niederlanden ausführte und nach Österreich einführte, 2.) in Wien Anfang September 1978 200 Gramm, Mitte September 1978 500 Gramm und Ende September 1978 200 Gramm Haschisch an zwei (namentlich) unbekannte Personen (die er in Wien in einem 'einschlägigen Lokal' als Suchtgiftabnehmer kennengelernt hatte) verkaufte;
II./ im September 1978 (und zwar vor der Einfuhr zu I./1.) in Wien unberechtigt Suchtgift (geringe Mengen Haschisch) erworben und besessen hat.
Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 4 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. In Ausführung des erstbezeichneten Nichtigkeitsgrundes rügt der Beschwerdeführer die Abweisung des von ihm in der Hauptverhandlung vom 13. Februar 1979 gestellten (S 58/59 dA) und in der mit dem angefochtenen Urteil abgeschlossenen Hauptverhandlung vom 24. April 1979 wiederholten (S 114 dA) Beweisantrags auf seine Untersuchung durch einen psychiatrischen Sachverständigen.
Das Erstgericht hat diesen Beweisantrag abgewiesen (S 115 dA) und hiezu in der im Urteil nachgetragenen Begründung ausgeführt, daß im Beweisantrag nicht klar und deutlich ein Grund für die begehrte Beweisaufnahme angegeben worden sei, der Angeklagte selbst sich 'mehr oder weniger' gegen die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens ausgesprochen und im übrigen das Verfahren keinerlei Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten entstehen lassen habe (S 136/137 dA).
In der Verfahrensrüge bringt der Beschwerdeführer demgegenüber vor, daß sich aus dem Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung und der Art seiner Verantwortung der Verdacht einer 'geistigen Abnormität' aufdränge und daher seine Psychiatrierung geboten gewesen wäre.
Rechtliche Beurteilung
Die Rüge versagt.
Für die Beurteilung eines behaupteten Verfahrensmangels ist die Sachlage in erster Instanz (und daher auch der dort formulierte Antrag) maßgebend; Ausführungen zum Beweisthema erst in der Nichtigkeitsbeschwerde können die unterbliebene oder unzureichende Anführung des Beweisthemas im Beweisantrag selbst nicht ersetzen. In erster Instanz hat der Verteidiger des Beschwerdeführers zur Begründung des in Rede stehenden Beweisantrages nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls ON 10 (S 58/59 dA) - auf den er sich in der Hauptverhandlung vom 24. April 1979 ersichtlich bezogen hat (S 114 dA) und dessen Berichtigung nicht begehrt wurde - wörtlich folgendes ausgeführt: 'Da mir Verdachtsmomente erscheinen, daß der Angeklagte die Wahrheit sagt und daß der Beschuldigte lügt, oder daß er sich Sachen einbildet, die nicht den Gegebenheiten entsprechen. Verschiedene Motivierungen des Angeklagten sind dergestalt abgestellt, daß sie nicht zwingend logisch erscheinen'. Damit hat aber der Beschwerdeführer - mögen seine Ausführungen auch stilistisch verstümmelt wiedergegeben sein - gar nicht behauptet, es mangle bei ihm zufolge eines der im § 11
StGB beschriebenen Zustände an der Zurechnungsfähigkeit. Er hat seinen Antrag auf Psychiatrierung der Sache nach bloß darauf gestützt, daß Zweifel an der Verläßlichkeit der Angaben des Angeklagten bestehen, dieser dazu neige, sich etwas einzubilden, was nicht den Gegebenheiten entspreche, und daß er nicht zwingend logische Motive für sein Verhalten angebe. Das solcherart umschriebene Beweisthema ist aber nicht geeignet, eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten in bezug auf die inkriminierten Tathandlungen unter Beweis zu stellen.
Abgesehen davon ist die Untersuchung des Geisteszustandes eines Angeklagten gemäß § 134 Abs 1 StPO nur dann geboten, wenn das Beweisverfahren objektive Momente ergeben hat, die Zweifel über seine Zurechnungsfähigkeit hervorrufen können. Ob solche Zweifel entstanden sind, ist eine Frage der Beweiswürdigung, worüber jene Richter zu entscheiden haben, denen der persönliche Eindruck des Angeklagte zur Verfügung steht. Derartige Zweifel haben sich, wie das Schöffengericht festhält (S 137 dA), für die erkennenden Richter nach dem Beweisverfahren und nach dem persönlichen Eindruck, den sie vom Angeklagten gewonnen haben, nicht ergeben. Auch nach der Aktenlage ergeben sich keine konkreten, objektiven Merkmale, welche die Geistesgesundheit des Angeklagten in Frage stellen könnten und aus welchen zu schließen wäre, daß der Angeklagte zur Zeit der Taten wegen einer Geisteskrankheit, wegen Schwachsinns, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig gewesen sein könnte, das Unrecht seiner Taten einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Der Angeklagte führt selbständig eine mittlere Landwirtschaft, verfügt über eine Lenkerberechtigung, hat es verstanden, sowohl in Wien als auch in Amsterdam nach dorthin unternommenen Flugreisen Zugang zur Drogenszene zu finden, obwohl er selbst keine Spuren eines etwaigen Suchtgiftmißbrauchs aufweist (ON 14), und hat sich schließlich inhaltlich des (allein maßgeblichen) Hauptverhandlungsprotokolls auch nicht in einer Art und Weise verantwortet, die Zweifel an seiner Geistesgesundheit aufkommen ließen.
Mithin verfiel der relevierte Beweisantrag zu Recht der Abweisung. Soweit der Beschwerdeführer im Rahmen der Verfahrensrüge - der Sache nach aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 5
des § 281 Abs 1 StPO - einen Widerspruch in den Urteilsgründen behauptet, weil darin einerseits der Angeklagte als logisch denkender Mensch beschrieben wird, während andererseits das Schöffengericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung seine in der Hauptverhandlung gewählte leugnende Verantwortung als unlogisch, unrealistisch und lebensfremd bezeichnet, so versagt auch diese Rüge, denn es entspricht durchaus der Lebenserfahrung, daß sich ein im allgemeinen und an sich logisch denkender Mensch (insbesondere in einer ausweglosen Beweissituation) zu einer (bei Bedacht auf die übrigen Verfahrensergebnisse) in concreto unlogischen Verantwortung entschließen kann.
In der nur den Schuldspruch wegen des Verbrechens nach § 6 Abs 1 SuchtgiftG bekämpfenden Rechtsrüge versucht der Beschwerdeführer in teilweise von den Urteilsfeststellungen abweichenden, den angezogenen Nichtigkeitsgrund mithin insoweit nicht zur gesetzmäßigen Darstellung bringenden Ausführungen darzutun, daß die Subsumierung seiner Tathandlungen laut Punkt I des Urteilssatzes unter § 6 Abs 1
SuchtgiftG rechtsirrig erfolgt sei, weil auch insoweit nur § 9 (Abs 1 Z 1 und 2 SuchtgiftG) gegeben sei.
Damit ist die Beschwerde nicht im Recht.
Das Verbrechen nach § 6 Abs 1 SuchtgiftG begeht, wer vorsätzlich den bestehenden Vorschriften zuwider ein Suchtgift in solchen Mengen erzeugt, einführt, ausführt oder in Verkehr setzt, daß daraus in größerer Ausdehnung eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen entstehen kann. Daß die Gesamtmenge des vom Beschwerdeführer eingeführten (1200 Gramm) und in Verkehr gesetzten (900 Gramm - zuzüglich einer in den Entscheidungsgründen, nicht aber im Urteilsspruch erwähnten, nicht näher festgestellten Menge, die der Angeklagte verschenkte /s.S 122/) Haschischs die sogenannte Grenzmenge, die von Lehre und Rechtsprechung bei Haschisch mit etwa 100 Gramm angenommen wird, um ein Vielfaches übersteigt, wird in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht bestritten. Freilich kommt es auf diese Menge nicht allein an; es ist vielmehr erforderlich, daß nach dem Vorsatz des Täters durch die Art der Weitergabe ein unbestimmter, von ihm nicht mehr beliebig begrenzbarer Personenkreis den mit dem Konsum von Suchtgiften verbundenen Gefahren ausgesetzt wird. In diesem Zusammenhang übersieht aber der Beschwerdeführer, daß das Erstgericht ausdrücklich feststellte (s. S 123 und 133 dA), er habe billigend in Kauf genommen und sich damit abgefunden, daß die beiden zur Drogenszene zählenden Burschen, denen er das Haschisch verkaufte, es zumindest teilweise weitergeben, und so durch das von ihm geschmuggelte Suchtgift ein größerer Personenkreis gefährdet werden könne. Diese Feststellung entspricht der forensischen Erfahrung, daß auch Personen, die selbst süchtig sind, sich aus wirtschaftlichen Gründen genötigt sehen, das ihnen zugekommene Suchtgift zumindest teilweise weiter zu verkaufen, um mit dem Erlös die Kosten der Befriedigung der eigenen Sucht decken zu können. Gerade diese Tatsache ist es, die die rasche Vergrößerung des Kreises der Drogenabhängigen erklärt.
Wenn der Beschwerdeführer im übrigen meint, bei besonders weiter Streuung der Weitergabe des Haschischs, daß nämlich jedem Abnehmer nur ein Gramm, sohin ein für eine starke Zigarette ausreichendes Quantum zugekommen wäre, wäre zufolge der Geringfügigkeit dieser Menge eine Gefährdung der (diesfalls nicht 500, wie er meint, sondern sogar 900) Abnehmer ausgeschlossen, so übersieht er, daß schon der Genuß einer geringen Rauschgiftmenge eine psychische Abhängigkeit, in der Folge aber eine Gewöhnung oder gar eine Sucht auslösen kann, so auch einmaliger Haschischgenuß (13 Os 32/74). Selbst diese rein spekulative Betrachtung des Beschwerdeführers kann somit nicht zu einer für ihn günstigeren rechtlichen Beurteilung führen.
Erfolgte die Verteilung aber weniger weit gestreut, wovon das Erstgericht ersichtlich (lebensnah) ausging, so war die Gesamtmenge demnach so groß, daß bei einer realistischen Beurteilung der Menge, die ein einzelner Interessent unter Berücksichtigung der Kosten jeweils erwerben kann, jedenfalls eine Vielzahl von Personen der Rauschgiftsucht zugeführt und dadurch gesundheitlich gefährdet werden konnte, was der für § 6 Abs 1 SuchtgiftG chrakteristischen (abstrakten) Gemeingefahr entspricht. Dies hat der auf Grund seiner früheren Erfahrungen mit den Gewohnheiten Süchtiger vertraute Angeklagte nach den erstgerichtlichen Feststellungen bedacht und in seinen Vorsatz aufgenommen.
Da somit die Unterstellung seiner Tat unter den Tatbestand des Verbrechens nach § 6 Abs 1 SuchtgiftG rechtsrichtig erfolgte, war die unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen. Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten gemäß §§ 28 StGB, 6 Abs 1 SuchtgiftG zu einer Freiheitsstrafe von 7 (sieben) Monaten und gemäß § 6 Abs 4 SuchtgiftG zu einer Geldstrafe von 23.000 S, für den Fall der Uneinbringlichkeit zu 1 (einem) Monat Ersatzfreiheitsstrafe, wobei es gemäß § 43 Abs 1 StGB die Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachsah.
Bei der Strafbemessung wurden dabei als erschwerend die mehrmaligen Angriffe, als mildernd hingegen die bisherige Unbescholtenheit und die Verleitung (durch andere) gewertet.
Gegen den Strafausspruch richtet sich nur mehr die Berufung der Staatsanwaltschaft, nachdem der Angeklagte seine Berufung im Gerichtstag zurückgezogen hat. Der öffentliche Ankläger strebt sowohl eine Erhöhung der Freiheitsstrafe als auch die Ausschaltung der bedingten Strafnachsicht an.
Die Berufung der Staatsanwaltschaft ist teilweise berechtigt. Zunächst ist dem öffentlichen Ankläger darin beizupflichten, daß auch das Zusammentreffen zweier verschiedener strafbarer Handlungen als erschwerend ins Gewicht fällt und daß nach den Feststellungen des Erstgerichts wohl nicht davon gesprochen werden kann, der Angeklagte habe die Taten nur unter der Einwirkung anderer begangen, zumal er sich aus eigenem dazu entschlossen hat, in Amsterdam Suchtgift zu erwerben, wobei er sogleich dazu bereit war, auch für die unbekannten Abnehmer in Wien Suchtgift mitzubringen (S 121 f dA).
Vor allem hat das Erstgericht aber übersehen, daß § 6 Abs 1 SuchtgiftG eine Mindeststrafe von einem Jahr androht, deren Unterschreitung mithin nur in Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung gemäß § 41 StGB zulässig wäre. Die Voraussetzungen des § 41 StGB - welche Bestimmung grundsätzlich nur auf atypisch leichte Fälle beschränkt ist - liegen aber, ausgehend von den entsprechend korrigierten Strafzumessungsgründen, nicht vor, zumal von einem beträchtlichen Überwiegen der Milderungsgründe gegenüber den Erschwerungsgründen keine Rede sein kann.
In (teilweiser) Stattgebung der Berufung des öffentlichen Anklägers war somit die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe auf ein Jahr zu erhöhen.
Nicht berechtigt ist hingegen die Berufung, soweit sie die Ausschaltung der bedingten Strafnachsicht anstrebt. Weder die Täterpersönlichkeit noch die Art der strafbaren Handlungen erfordern nach Lage des Falles den sofortigen Vollzug der verhängten Freiheitsstrafe, wobei für die Zukunftsprognose insbesondere der bisherige ordentliche Lebenswandel des Angeklagten ins Gewicht fällt.
Aber auch generalpräventive Erwägungen sprechen vorliegend nicht gegen die Gewährung der bedingten Strafnachsicht.
Insoweit war demnach der Berufung der Staatsanwaltschaft ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.
Anmerkung
E02218European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1979:0120OS00102.79.0913.000Dokumentnummer
JJT_19790913_OGH0002_0120OS00102_7900000_000