Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 18. September 1979 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Borutik in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Dienst, Dr. Kießwetter, Dr. Walenta und Dr. Schneider als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Winter als Schriftführer in der Strafsache gegen Wilfried A wegen des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach dem § 202 Abs 1 StGB über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 2. Mai 1979, GZ 3 a Vr 1150/78-56, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, der Ausführungen des Verteidigers, Rechtsanwalt Dr. Göbel, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Tschulik, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 2. Juni 1944 geborene, zuletzt beschäftigungslose Wilfried A (im zweiten Rechtsgang neuerlich) des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach dem § 202 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Nach den die objektive Tatseite betreffenden wesentlichen Urteilsfeststellungen sprach der Angeklagte am Abend des 8. Februar 1979 an der Ecke Gürtel/Thaliastraße die 20-jährige Olga B an, hielt sie am Arm fest und ging neben ihr her, obwohl sie sich ablehnend verhielt. Als die beiden bei der Maueröffnung eines Abbruchhauses (ehemaliges Hotel Goldenes Fassl), in dem Wilfried A Quartier genommen hatte, vorbeikamen, stieß der Angeklagte das Mädchen durch die Maueröffnung in das Innere des Hauses. Da Olga B Widerstand leistete, versetzte er ihr einen Faustschlag gegen den Mund, wodurch sie mit dem Rücken gegen eine Wand taumelte. Nun setzte er ihr ein geöffnetes Taschenmesser am Hals an und forderte sie zum Mitgehen auf. Als die hiedurch eingeschüchterte Olga B in weiterer Folge mit dem Angeklagten in dem damals von diesem bewohnten (im 1. Stock des Gebäudes gelegenen) Zimmer angelangt war, verlangte der Angeklagte, daß sie sich entkleide. Da sie dieser Aufforderung zunächst nur teilweise nachkam, versetzte er ihr eine Ohrfeige, worauf sie dann sämtliche Kleider ablegte. Nachdem sich der Angeklagte gleichfalls entkleidet hatte, legte er sich zu Olga B und betastete sie am ganzen Körper.
Sein Ansinnen, seinen Geschlechtsteil in den Mund zu nehmen, lehnte sie ab, was er ohne weitere Reaktion zur Kenntnis nahm. Als Olga B jedoch gehen wollte, äußerte er das durch eine weitere Ohrfeige bekräftigte Verlangen, sie solle sich vor dem Bett niederknien. Nachdem sie tatsächlich einige Zeit knieend und frierend vor dem Bett verbracht hatte, forderte er einen Verkehr in Reitstellung, was sie jedoch verhindern konnte. Anschließend verhielt er sich ruhig und stellte sich schlafend. Als Olga B aber schließlich den Vorschlag machte, ein Kaffeehaus aufzusuchen, verlangte er einen Geschlechtsverkehr, dem sich die Genannte einerseits deshalb, weil sie weitere Mißhandlungen fürchtete, und andererseits weil sie endlich aus der beschriebenen Situation herauskommen wollte, nicht mehr widersetzte.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen den eingangs erwähnten Schuldspruch gerichteten, auf den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, mit der er eine Beurteilung des ihm angelasteten Tatverhaltens bloß als 'Verbrechen' (richtig Vergehen) der Nötigung nach dem § 105 StGB oder der Nötigung zur Unzucht nach dem § 204 StGB anstrebt, kommt keine Berechtigung zu. Verfehlt ist zunächst die Behauptung des Beschwerdeführers, das Gesetz fordere (zur Verwirklichung des Tatbestandes nach dem § 202 StGB) dolus indirectus. Denn diese (früher im § 1 des StG 1945 erwähnte) Schuldform kennt das StGB überhaupt nicht mehr. Vielmehr genügt überall dort, wo das Gesetz nichts anderes bestimmt, daher auch beim Delikt des § 202 StGB, vorsätzliches Handeln in einer der verschiedenen im § 5 StGB vorgesehenen Vorsatzformen.
Da eine Imminenz der Drohung (anders als ZB. beim Raub) nicht Tatbestandsmerkmal der Nötigung (zum Beischlaf) ist (vgl. Leukauf-Steininger, Kommentar zum StGB, 529), kann aber den Ausführungen des Beschwerdeführers auch insoweit nicht gefolgt werden, als er die Auffassung vertritt, Gewalt und Drohung hätten dem Beischlaf unmittelbar vorangehen müssen.
In Wahrheit kommt es nämlich bei einer Nötigung nicht darauf an, ob die Zufügung des angedrohten Übels unmittelbar bevorsteht, falls die verlangte Handlung, Duldung oder Unterlassung nicht sofort erbracht wird. Entscheidend ist vielmehr nur, daß die vom Täter gebrauchte Gewalt oder Drohung objektiv geeignet ist, den entgegenstehenden Willen des Angegriffenen zu beugen - woran hier nach Lage des Falles nicht gezweifelt werden kann - und daß sich die betreffende Handlung, Duldung oder Unterlassung als (wenn auch zeitlich später gelegene) Folge der Nötigung darstellt.
Vorliegend läßt das Erstgericht in objektiver Hinsicht keinen Zweifel daran, daß Olga B gegen den verlangten Beischlaf letztlich nur wegen des vorangegangenen gewalttätigen und drohenden Verhaltens des Angeklagten, das sie weitere Mißhandlungen und eine Fortdauer ihrer mißlichen Situation befürchten ließ, keinen Widerstand mehr leistete (vgl. S.298).
In subjektiver Beziehung stellte es zudem fest, daß das gesamte Verhalten des Angeklagten, vom Ansprechen seines Opfers auf der Straße bis hin zur Vollziehung des Beischlafs, einen einheitlichen Vorgang darstellte, mit dem er von Anfang an darauf abzielte, einen Geschlechtsverkehr zu erzwingen (vgl. S. 303).
Da das Erstgericht dieses Verhalten mithin in rechtlicher Beziehung zutreffend als das Verbrechen der Nötigung zum Beischlaf nach dem § 202 Abs 1 StGB beurteilte, war die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten zu verwerfen. Das Erstgericht verhängte über den Angeklagten nach dem § 202 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren. Es wertete bei der Strafbemessung als erschwerend die einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten, dessen besonders raschen Rückfall sowie die Verletzung des Opfers, als mildernd nichts. Überdies ordnete es die Einweisung des Angeklagten in eine Anstalt für gefährliche Rückfallstäter nach dem § 23 StGB an.
Mit ihren Berufungen streben die Staatsanwaltschaft eine Straferhöhung, der Angeklagte eine Herabsetzung der über ihn verhängten Freiheitsstrafe sowie die Ausschaltung des Ausspruches über die Anstaltseinweisung an.
Keine der Berufungen ist berechtigt.
Das Erstgericht hat die Strafzumessungsgründe im wesentlichen zutreffend erfaßt und auch richtig gewürdigt. Entgegen dem Vorbringen des Angeklagten ist ein von ihm abgelegtes weitreichendes Tatsachengeständnis, das ihm bei der Strafbemessung zugute zu halten wäre, den Akten nicht zu entnehmen. Desgleichen vermag der Umstand, daß der Angeklagte Olga B 'nach der Tat nach Hause begleitete und sich mit ihr weiterhin treffen wollte', das Unrecht seiner Tat nicht zu mindern, zumal darin lediglich ein sich aus der Situation ergebendes Verhalten erblickt werden kann, das nicht einmal Rückschlüsse auf eine eventuelle nachträgliche Schuldeinsicht zuläßt. Daß das Erstgericht die Verletzung der Olga B als erschwerend wertete, war durchaus nicht verfehlt, mag auch diese noch als geringfügig anzusehende körperliche Beschädigung bei der Strafbemessung nicht besonders ins Gewicht fallen.
Entgegen den Berufungsausführungen der Staatsanwaltschaft hinwieder ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß Olga B in einen längere Zeit dauernden, qualvollen Zustand versetzt wurde, zumal es für eine solche Annahme nicht ausreicht, daß sich die Tat des Angeklagten über mehrere Stunden erstreckte.
Das vom Erstgericht gefundene Strafmaß entspricht dem Unrechtsgehalt der Tat und der Schwere der Schuld des Täters, wobei auch den von der Staatsanwaltschaft ins Treffen geführten Gesichtspunkten der Intensität des Vorsatzes und den Belangen der Spezialprävention angemessen Rechnung getragen erscheint.
Dessen ungeachtet war allerdings auch der Ausspruch über die Einweisung des Angeklagten in eine Anstalt für gefährliche Rückfallstäter vor allem deshalb aufrecht zu erhalten, weil der Angeklagte vom Sachverständigen Prim. Dr. Gross - unbedenklich - als sexuell-agressiver Hangtäter charakterisiert wurde, von dem auch wegen seines raschen Rückfalles nach einem Freiheitsentzug in der Dauer von dreieinhalb Jahren zumindest im gegenwärtigen Zeitpunkt zu befürchten ist, daß ihn selbst der Vollzug der hier verhängten längerfristigen Freiheitsstrafe nicht nachhaltig zu bessern vermag. Einer allfälligen günstigeren Entwicklung des Berufungswerbers kann aber ohnedies bei der zu gegebener Zeit nach dem § 24 Abs 2 StGB vorzunehmenden Prüfung Rechnung getragen werden.
Aus all diesen Erwägungen war insgesamt wie im Spruche zu entscheiden.
Die Entscheidung über den Ersatz der Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf der angeführten Gesetzesstelle.
Anmerkung
E02227European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1979:0110OS00117.79.0918.000Dokumentnummer
JJT_19790918_OGH0002_0110OS00117_7900000_000