TE OGH 1979/9/26 10Os74/79

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Veröffentlicht am 26.09.1979
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. September 1979 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek in Gegenwart des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Harbich sowie der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Walenta und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Winter als Schriftführer in der Strafsache gegen Erich A wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Staatsanwaltschaft und vom Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Schöffengericht vom 30. November 1978, GZ 9 Vr 996/77-37, erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, nach Verlesung der Rechtsmittelschrift der Staatsanwaltschaft, nach Anhörung der Ausführungen des Verteidigers Dr. Strizik, und des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Strasser, zu Recht erkannt:

Spruch

Beiden Nichtigkeitsbeschwerden wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im (gesamten) Schuld- und Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung in diesem Umfang an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit ihren Berufungen werden beide Rechtsmittelwerber auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 9. Juli 1959 geborene Maler- und Anstreicherlehrling Erich A 1.) des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 86 (zu ergänzen: § 83 Abs 1) StGB und 2.) des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 1 StGB

schuldig erkannt, weil er am 29. Oktober (richtig: 30. Oktober; vgl. S. 9, 218) 1977 in Allentsteig vorsätzlich zu 1.) Erich B durch einen Messerstich in den Bauch, welcher eine Verletzung der Leber und nach Hinzutritt einer Bauchfellentzündung sowie einer Eiterblutvergiftung letztlich den Tod des Genannten zur Folge hatte, und zu 2.) Johann C ebenfalls durch einen Stich mit einem Messer gegen den Bauch, sohin mit einem solchen Mittel und auf solche Weise, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, wodurch jedoch tatsächlich nur eine oberflächliche Stichverletzung oberhalb des linken Rippenbogens verursacht wurde, am Körper verletzt hatte. Von einem weiteren Anklagevorwurf (in Richtung eines am selben Tag zum Nachteil des Franz D begangenen Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB) wurde Erich A gemäß § 259 Z 3 StPO rechtskräftig freigesprochen.

Das Erstgericht gründet die beiden Schuldsprüche auf folgende wesentliche Feststellungen:

Am Abend des 29. Oktober 1977 befand sich der Angeklagte mit mehreren Begleitern in einer Discothek in Allentsteig. Er trug an seinem rechten Unterschenkel ein mit einem Riemen befestigtes, insgesamt 23,7 cm langes - in einer Scheide befindliches - Messer mit einer feststehenden Klinge von 12,2 cm Länge und 2,5 cm Breite. Während der Angeklagte im Verlauf des Abends mit Monika E tanzte, stieß er mit Erich B, der mit Vera F tanzte, zusammen, worauf sich zwischen den beiden Männern ein Wortwechsel entspann. Als Erich B, gefolgt von Vera F, Johann und Evelyne C sowie Karl G (bereits am 30. Oktober 1979) zwischen 3 und 4 Uhr morgens die Discothek verließ, stand der Angeklagte auf den Stufen vor dem Lokal. Erich B provozierte den Angeklagten mit der Bemerkung: 'Da ist ja der mit dem wilden G' schau', worauf der Angeklagte zur Antwort gab: 'Du schaust ja auch nicht gerade wie ein Kämpfer aus'. Erich B beantwortete diese Äußerung mit einem Schlag gegen den Angeklagten; dabei entfernten sich die beiden von den Stufen in Richtung zur Hauseinfahrt.

Als der Angeklagte sah, daß mehrere Personen halbkreisförmig um ihn standen, stach er Erich B mit dem eingangs erwähnten Messer, das er bereits in der Hand hielt, in den Bauch, worauf Erich B gegen den Angeklagten fiel und sich, indem er seine Arme um dessen Schultern legte, an ihm festhielt. In diesem Augenblick kam Werner H, einer der Begleiter des Angeklagten, aus dem Lokal, sah, daß dieser in eine Rauferei verwickelt war, zerrte ihn weg und lief mit ihm die Hauseinfahrt hinunter. Johann C eilte den beiden Personen nach und 'wollte' dem Angeklagten eine Ohrfeige geben, worauf der Angeklagte auch auf Johann C einstach.

Den weiteren Urteilsausführungen folgend versetzte der Angeklagte dem Erich B und dem Johann C die Messerstiche nicht in der Absicht, sie schwer zu verletzen, hielt es aber ernstlich für möglich und fand sich damit ab, daß beide durch die Stiche verletzt werden. Auf Grund der allgemeinen Erfahrung jedes 'vernünftigen Menschen mit einem feststehenden Messer' war ihm bewußt, daß man mit einem derartigen Messer schwere Verletzungen herbeiführen kann. Es wäre dem Angeklagten zuzumuten gewesen, das Messer nicht zu verwenden, sondern einen seiner Meinung nach drohenden Angriff BS mit den 'bloßen Fäusten' abzuwehren, bzw. den Gehsteig entlang oder auf die Straße zu flüchten.

Dieses Urteil bekämpft die Staatsanwaltschaft nur im Punkt 1 des Schuldspruches aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 10, sachlich auch der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO, der Angeklagte in beiden Punkten des Schuldspruches mit einer auf die Z 5, 9 lit. a, der Sache nach lit. b, und 10 des § 281 Abs 1

StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Bereits der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft kommt Berechtigung zu.

Insoweit diese, ziffernmäßig aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO, zu Punkt 1.) des Schuldspruches als Feststellungsmangel in bezug auf die subjektive Tatseite des Tatbildes des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 StGB geltend macht, daß aus den Verfahrensergebnissen 'zwingend zu schließen gewesen wäre, daß der Angeklagte die Absicht hatte, B eine schwere Schnittverletzung zuzufügen', führt sie zwar die Rechtsrüge nicht dem Gesetz gemäß aus, denn sie bemängelt der Sache nach damit nicht das Unterlassen einer durch die Ergebnisse der Hauptverhandlung indizierten Tatsachenfeststellung, sondern behauptet die Unrichtigkeit einer gegenteilig getroffenen Urteilsannahme.

Das Erstgericht hat nämlich in seinen Feststellungen, an denen bei Ausführung eines materiellen Nichtigkeitsgrundes festgehalten werden muß, eine Absicht des Angeklagten, Erich B (und Johann C) schwer zu verletzen, ausdrücklich verneint (S. 220, 224).

Hingegen ist die Beschwerde des öffentlichen Anklägers im Recht, wenn sie - damit der Sache nach den Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO zur Darstellung bringend - dem Ersturteil auch zum Vorwurf macht, es habe sich nicht damit auseinandergesetzt, 'warum es (bei dem von ihm konstatierten objektiven Hergang des Geschehens) dennoch vermeint, eine Absicht (des Angeklagten im Fall Punkt 1 des Schuldspruches), schwer zu verletzen, nicht annehmen zu können' (S. 234).

Tatsächlich ist die Begründung des Erstgerichtes für die Verneinung einer Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) des Angeklagten, Erich B durch den Bauchstich schwer zu verletzen (S. 224), worauf die nach § 87 Abs 1 und 2 StGB erhobene Anklage gerichtet war, offenbar nur unzureichend und unvollständig. Dies deshalb, weil bei der konkreten Fallgestaltung, wie die Staatsanwaltschaft mit Fug hervorhebt, das äußere Tatverhalten, nämlich der offensichtlich wuchtige Stich mit einem lebensgefährlichen Mittel in den Unterleib im Bereich lebenswichtiger Organe (vgl. auch die Länge des Stichkanals von 8 cm - S. 36 in ON. 25) im Zusammenhalt mit dem festgestellten Bewußtsein des Angeklagten, daß mit dem Messer schwere Verletzungen herbeigeführt werden können, nahelegt, daß es dem Täter darauf angekommen sein konnte, nicht bloß irgendeine, sondern eine schwere Verletzung herbeizuführen (vgl. auch 13 0s 46/79, 12 0s 84/78). Es ist daher das Ersturteil in Ansehung der subjektiven Tatseite im Punkt 1 des Schuldspruches mit einem - den Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO verwirklichenden -

formellen Begründungsmangel behaftet, weshalb sich die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft als berechtigt erweist.

Auch wenn sich sohin zeigt, daß hinsichtlich des Schuldspruches zu Punkt 1.) die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung unvermeidlich ist (§ 288 Abs 2 Z 1 StPO), so führt dies - entgegen der von der Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zum Ausdruck gebrachten Ansicht - noch keineswegs gemäß § 289 StPO zur Aufhebung des Urteils auch in dessen Punkt 2.) betreffend das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 1 StGB 'angesichts des untrennbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhanges zwischen den den beiden Schuldsprüchen zugrundeliegenden Tathandlungen des Angeklagten und der hiebei obwaltenden einheitlichen äußeren Umstände'. Abgesehen davon, daß mit Bezug auf die seitens der Staatsanwaltschaft relevierten Vorsatzfragen in tatsachenmäßiger Hinsicht zwischen den 2 Fakten kein Zusammenhang besteht, geht es nicht an, ein vom öffentlichen Ankläger zum Nachteil des Angeklagten nur in einem Punkt bekämpftes Urteil, auf Grund eben dieser Anfechtung auch noch in Schuldsprüchen wegen anderer (real konkurrierender) Delikte, hinsichtlich deren eine Urteilschelte von Seiten des Staatsanwalts nicht erhoben wurde, (mit-)aufzuheben und insoferne ebenfalls eine Verfahrenserneuerung anzuordnen.

Wohl aber ist die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten zu beiden Punkten des Schuldspruches berechtigt, in welcher er teils Begründungsmängel im Sinne des Nichtigkeitsgrundes der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO, teils, sachlich aus den Nichtigkeitsgründen der Z 9 lit. b bzw. 10 des § 281 Abs 1 StPO, Feststellungsmängel zur Frage des Vorliegens einer Notwehrsituation, oder der irrtümlichen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhaltes (Putativnotwehr) sowie der Überschreitung der Notwehr geltend macht.

Zum Punkt 1.) zeigt der Beschwerdeführer zutreffend auf, daß die erstgerichtliche Begründung im Ausspruch über eine entscheidende Tatsache einen inneren Widerspruch enthält.

Das Erstgericht stellt einerseits fest, daß der Angeklagte zunächst von Erich B auf den Stufen zur Discothek einen Schlag erhielt, wobei beide sich in Richtung zur Hauseinfahrt entfernten und, als er sah, daß mehrere Personen halbkreisförmig um ihn standen, dem Erich B den Bauchstich versetzte, worauf dieser gegen den Angeklagten fiel und sich an ihm festhielt (S. 218). Im Widerspruch hiezu geht das Erstgericht aber bei Verneinung der Glaubwürdigkeit der Verantwortung des Angeklagten, er habe das Messer aus Angst erst gezogen, als er mehrere Personen auf sich zukommen sah, andererseits davon aus, daß B vom Angeklagten bereits den Stich erhielt, als sich beide noch auf den Stufen vor dem Lokal befanden (S. 222). Die Frage, ob der Angeklagte die Tat beging, während er sich mit Erich B, dessen Begleiter ihm zu diesem Zeitpunkt gerade aus dem Lokal folgten (S. 218), noch auf den Stufen befand oder sich von diesen schon in Richtung zur Hauseinfahrt entfernt hatte, wobei nun erst mehrere Personen halbkreisförmig um ihn standen, ist jedoch, ungeachtet der, vom Erstgericht auf Grund des gerichtsmedizinischen Gutachtens (S. 164) als unglaubwürdig abgelehnten, Verantwortung des Angeklagten, B sei ihm 'in das Messer hineingelaufen' (S. 221 f.), für die erschöpfende Beurteilung des Vorliegens oder Nichtvorliegens einer Notwehrsituation, deren dolose oder culpose Überschreitung (§ 3 StPO) oder der irrtümlichen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhaltes (§ 8 StGB) von Bedeutung.

In Bezug auf die vorbezeichneten Fragen besteht - wie die Beschwerde des Angeklagten zutreffend hervorhebt -

zwischen den beiden den Gegenstand des Schuldspruchs bildenden Fakten wirklich jener enge zeitliche, örtliche und sachliche Zusammenhang, der eine Kassierung des Urteils schon wegen des dargetanen Mangels auch zum Punkt 2 erforderlich macht (§ 289 StPO).

Hinsichtlich des letzteren wird vom Erstgericht im zweiten Rechtsgang zu beachten sein, daß zur Zurechnung der Qualifikation (des Tatverhaltens) nach § 84 Abs 2 Z 1 StGB die bloße Feststellung der Stichführung mit dem Messer gegen Johann C, wodurch dieser nur eine oberflächliche, also leichte Stichverletzung erlitt, an sich noch nicht ausreicht. Denn die genannte Qualifikationsnorm setzt nicht bloß ein lebensgefährliches Mittel, sondern auch dessen lebensgefährlichen Gebrauch voraus (ÖJZ-LSK 1976/279 u.v.a.).Eine solche Begehungsweise, mit der in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, liegt etwa bei einer entsprechend wuchtigen Stichführung gegen Brust oder Unterleib des Opfers vor. Auch müssen die objektiven Momente der Qualifikationsnorm vom Tätervorsatz umfaßt sein (ÖJZ-LSK

1977/158).

Aus den genannten Erwägungen war über die Rechtsmittel spruchgemäß zu entscheiden.

Anmerkung

E02248

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1979:0100OS00074.79.0926.000

Dokumentnummer

JJT_19790926_OGH0002_0100OS00074_7900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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