Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Pallin und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska, Dr. Müller, Dr. Horak und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Plischnack als Schriftführers in der Strafsache gegen Herbert A und andere wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127 Abs 1 und Abs 2 Z 1, 128 Abs 2, 129 Z 1 StGB nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß dem § 364 StPO
gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Berufung des Angeklagten A gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengerichtes vom 28.April 1978, GZ 5 e Vr 5009/76- 476, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Der Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 26.April 1979, GZ 13 Os 34/79-4, wird in dem Ausspruch, mit dem die Berufung des Angeklagten Herbert A als verspätet zurückgewiesen und er verpflichtet wurde, gemäß dem § 390 a StPO die ihn betreffenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen, aufgehoben. Mit seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Berufung wird der Angeklagte A auf diese Entscheidung verwiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht abgetreten.
Text
Gründe:
Das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengerichtes, GZ 5 e Vr 5009/76-476, mit dem (unter anderen) der Spengler Herbert A des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127 Abs 1 und Abs 2 Z 1, 128 Abs 2, 129 Z 1 StPO
schuldig erkannt und bestraft wurde, wurde am 28.April 1978 kundgemacht. Nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolles erklärte der Angeklagte A sofort nach der Urteilsverkündung wörtlich: 'Das sind Hor(r)orurteile, Strafberufung!' (VI. Bd., ON. 460, S. 405). Aus dem Amtsvermerk vom 1.Februar 1979, ON. 534, geht hervor, daß bis dahin eine Verfügung der Zustellung einer Ausfertigung des kundgemachten Urteils zur Ausführung der angemeldeten Berufung an den gemäß dem § 41 Abs 2 StPO bestellten Verteidiger des Angeklagten A, den Rechtsanwalt Dr. Ewald B (ON. 408) - wie auch eine Anfrage bei ihm ergab - unterblieben war. Ein bei den Akten befindlicher Rückschein (nunmehr beigeheftet der ON. 599), der sich ausdrücklich auf jene 'ON. 534' bezieht, betrifft nach seiner Textierung die eigenhändige Zustellung einer solchen Urteilsausfertigung an den Verteidiger durch Eilboten; unter dem Vordruck: 'Ich bestätigte mit meiner eigenhändigen Unterschrift, daß ich diese Sendung heute erhalten habe' findet sich die handschriftliche Orts- und Zeitangabe:
'Wien .... 2.2.79' und an der für die Anführung von 'Vorund Familienname' des Empfängers vorgesehene Stelle eine handschriftliche Paraphe mit dem Stempelaufdruck 'Rechtsanwalt Dr. Ewald B, 1080 Wien, Laudongasse 37
Tel. 43 86 48'.
Mit Beschluß vom 26.April 1979 wies der Oberste Gerichtshof (unter anderem) die mit einem (erst) am (Montag, den) 19.Februar 1979 zwecks Beförderung an das Gericht zur Post gegebenen Schriftsatz ausgeführte Berufung des Angeklagten A, ON. 535, als verspätet zurück, wobei er davon ausging, daß die Zustellung der Ausfertigung des angefochtenen Urteils - wie in dem diesen Zustellvorgang anscheinend beurkundenden Rückschein zu ersehen - (bereits) am (Freitag, den) 2.Februar 1979 an Rechtsanwalt Dr. Ewald B zu dessen eigenen Handen erfolgt war.
Nach Zustellung dieses Beschlusses des Obersten Gerichtshofes stellte der erwähnte Verteidiger des Angeklagten A in einem am 18. Mai 1979 zur Postbeförderung an das Erstgericht übergebenen Schriftsatz den 'Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 364 StPO ... gegen die Versäumung der rechtzeitigen Berufungsausführung' (ON. 545) und brachte dazu vor, nicht er, sondern ein am Nachmittag des 2. Februar 1979 in seiner Kanzlei anwesender 'Klient' habe den erwähnten Rückschein (datiert und) 'mit einem Kurzzeichen' unterfertigt und seine (des Verteidigers) Stampiglie aufgedrückt. Er selbst habe am 2.Februar 1979
ab Mittag einen Urlaub angetreten, die Urteilsausfertigung nach der Rückkehr vom Urlaub erst am 12.Februar 1979 in der Postmappe vorgefunden und die Berufung in der Annahme ausgeführt, daß die Urteilsausfertigung 'frühestens am 5.2.79 an die Kanzlei zugestellt worden sei'.
Durch die Vernehmung der beteiligten Personen, und zwar des Rechtsanwaltes Dr. Ewald B (ON. 591), des Stefan C, der als dessen Geschäftspartner in einem gemeinsamen Handelsunternehmen in der Anwaltskanzlei die Eilsendung übernommen und den Rückschein ausgefüllt, unterfertigt und abgestempelt hatte (ON. 592), der Kanzleibediensteten Brigitte D (ON. 593) und des Postbediensteten Herbert E (ON. 599), wurde im wesentlichen die Richtigkeit dieses Vorbringens erwiesen.
Rechtliche Beurteilung
Es ergibt sich somit, daß der Oberste Gerichtshof, als er mit dem Beschluß vom 26.April 1979 (unter anderem) die Berufung des Angeklagten A als verspätet zurückwies , von einer unrichtigen tatsächlichen Voraussetzung, nämlich davon ausging, daß die Zustellung einer Ausfertigung des angefochtenen Urteils zu eigenen Handen an den Verteidiger des Angeklagten A (bereits) am (Freitag, den) 2.Februar 1979 erfolgte. Die Strafprozeßordnung enthält keine Vorschriften darüber, was in einer derartigen Lage rechtens ist. Die Bestimmungen über die Wiedereinsetzung können nicht angewendet werden, weil die Frist des § 294 Abs 2 StPO zur Berufungausführung ausgehend davon, daß die Zustellung der Urteilsausfertigung an den Verteidiger des Angeklagten A (erst) am 12.Februar 1979, dem Tag des tatsächlichen Empfanges, bewirkt wurde, eingehalten wurde. Auch die Voraussetzungen für eine außerordentliche Wiederaufnahme im Sinne des § 362 StPO liegen nicht vor.
Gleichwohl kann nach Analogie der §§ 352 ff. StPO zugunsten des Angeklagten vorgegangen werden, zumal eine analoge Anwendung strafprozessualer Bestimmungen dort, wo es an einer ausdrücklichen Regelung einer Frage in der Strafprozeßordnung fehlt, grundsätzlich zulässig ist (Gebert-Pallin-Pfeiffer, III/1), Nr. 133 ff. zu § 1 StPO).
Der Beschluß des Obersten Gerichtshof, mit dem die Berufung des Angeklagten A als verspätet zurückgewiesen wurde, entsprach der aus den Akten ersichtlichen Sachlage zur Zeit der Beschlußfassung. Neu hervorgekommen ist die Tatsache der Zustellung der Urteilsausfertigung zu eigenen Handen des Verteidigers des Angeklagten A (erst) am 12.Februar 1979 und neu ist das Beweismittel hiefür, nämlich die Protokolle über die Vernehmung jener Personen, die über die Vorgänge bei der Zustellung der Urteilsausfertigung Auskunft gaben. Damit ist dem Beschluß des Obersten Gerichtshofes insoweit, als er die Zurückweisung der Berufung des Angeklagten A verfügte, der Boden entzogen, wie es auch dann der Fall ist, wenn die Grundlagen eines Strafurteiles durch neue Tatsachen und Beweismittel erschüttert werden. Es war daher in entsprechender Anwendung des § 358 StPO der Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 26.April 1979 in dem Ausspruch über die Zurückweisung der Berufung des Angeklagten A und über seine Verpflichtung, gemäß dem § 390 a StPO die ihn betreffenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen, aufzuheben.
Die Entscheidung über die Berufung des Angeklagten A ist in sinngemäßer Anwendung des § 285 b Abs 6
StPO in Verbindung mit § 58 StPO dem Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht zu überlassen.
Mit seinem Wiedereinsetzungsantrag, der durch die obige Entscheidung gegenstandslos geworden ist, war der Angeklagte A auf diese Entscheidung zu verweisen.
Anmerkung
E02211European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1979:0130OS00145.79.0927.000Dokumentnummer
JJT_19790927_OGH0002_0130OS00145_7900000_000