TE OGH 1979/10/25 12Os134/79

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Veröffentlicht am 25.10.1979
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25.Oktober 1979 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kral, Dr. Kießwetter und Dr. Schneider als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Stach als Schriftführer in der Strafsache gegen Walter A wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB. und einer anderen strafbaren Handlung über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes am Sitze des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22.November 1978, GZ. 20 a Vr 2466/77-90, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, der Auführungen des Verteidigers, Rechtsanwalt Dr. Herbert Eichenseder, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Nurscher, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird Folge gegeben und die über den Angeklagten verhängte Zusatzstrafe auf 9 (neun) Jahre und 8 (acht) Monate herabgesetzt.

Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 12.September 1957 geborene Büromaschinenmechaniker Walter A auf Grund des Wahrspruches der Geschwornen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB. und des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB. schuldig erkannt, weil er am 23.März 1977 in Wien I.) durch Zustechen mit einem Küchenmesser von 20 cm Klingenlänge 1.) Gerhard B durch einen Stich in den Bauch in der linken Flankengegend knapp unterhalb des Rippenbogens und 2.) Dietrich C durch einen Stich in die hintere rechte Lendenregion knapp unterhalb der 12. Rippe zu töten versucht, sowie II.) Evelyne D durch Vorhalten des zu Punkt I.) bezeichneten Küchenmessers fahrlässig am Körper verletzt, ihr nämlich eine Stichverletzung in der rechten Handwurzelgegend zugefügt hat.

An die Geschwornen waren 11 Fragen gestellt worden. Die Hauptfragen 1 und 5 betrafen anklagekonform die Qualifikation der gegen Gerhard B und Dietrich C geführten Stiche als versuchten Mord; sie wurden von den Geschwornen einstimmig bejaht. Die Eventualfragen 2, 3, 6 und 7

- ebenso für B und C jeweils getrennt - betrafen die Beurteilung dieser Tat als Verbrechen der absichtlichen Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB., bei C auch nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle, bzw. als schwere Körperverletzung nach §§ 83, 84 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 StGB. (bei C verbunden mit einer schweren Dauerfolge nach § 85 StGB.). Die Beantwortung dieser Fragen ließen die Geschwornen folgerichtig entfallen. Die Fragen 4 und 8 waren Zusatzfragen, die sich mit einer zur Tatzeit etwa bestehenden Alkoholisierung des Angeklagten befaßten;

sie wurden einstimmig verneint. Die Hauptfrage 9 hatte die (leichte) Körperverletzung der Evelyne D (§ 83 Abs. 1 StGB.) zum Gegenstand und wurde von den Geschwornen mit 7 gegen eine Stimme verneint. Die Eventualfrage 10 hingegen, die den Geschwornen die Beurteilung des Täterverhaltens gegenüber Evelyne D als fahrlässige Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB. ermöglichte, wurde mit 7 gegen eine Stimme bejaht. Die Zusatzfrage 11 nach Alkoholisierung des Angeklagten zur Zeit der gegen Evelyne D verübten Tat wurde gleichfalls einstimmig verneint. Allein gegen den Schuldspruch wegen Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15 und 75 StGB. wendet sich die Z. 6 und 8 des § 345 Abs. 1 StPO. gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Zum erstgenannten, seiner Behauptung nach durch eine Verletzung der Vorschrift des § 314 Abs. 1 StPO. verwirklichten Nichtigkeitsgrund der Z. 6 des § 345 Abs. 1 StPO.

macht der Beschwerdeführer unter auszugsweiser Zitierung verschiedener Verfahrensergebnisse geltend, das Beweisverfahren habe ergeben, daß er durch Beschimpfungen, Drohungen mit Mißhandlung und durch das Versetzen von einer Ohrfeige durch die Zeugen B, C und Evelyne D in eine allgemein begreifliche, heftige Gemütsbewegung geraten sei, in der er sich zur Tat (Messerstiche gegen B und C) hinreißen habe lassen. Er habe sich hiebei in einer persönlichkeitsfremden Situation befunden, sei kreidebleich geworden und durch herabsetzende Beleidigungen in Damengesellschaft auch tief beschämt gewesen, wodurch es zu der keineswegs von langer Hand geplanten Tat - als Reaktion auf vorhergehende Provokationen - gekommen sei. Die Begründung (gemeint: die Niederschrift ihrer Erwägungen nach § 331 Abs. 3 StPO.), die die Geschwornen für ihre Antwort auf die Hauptfrage 1 gegeben hätten und in der es heiße, daß der erste Stich vom zweiten Stich abhalten hätte müssen, lasse nicht den Schluß zu, daß die Geschwornen das Vorliegen einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung verneint hätten; sie wäre ebenso ausreichend gewesen, die Bejahung von in Richtung des versuchten Totschlages gestellter Fragen zu begründen. Die Unterlassung der Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des versuchten Totschlages nach §§ 15 und 76 StGB., begangen an C und B, stelle daher eine Nichtigkeit im Sinne des § 345 Abs. 1 Z. 6 StPO. dar.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Beschwerdeführer behauptete Mangel der Fragestellung muß vorliegend verneint werden. Die Verfahrensergebnisse indizieren zwar, daß sich der Angeklagte zur Tatzeit im Zustand einer heftigen Gemütsbewegung befunden hat. Im gesamten Beweisverfahren wurden jedoch keine Tatsachen vorgebracht, die, wenn sie als erwiesen angenommen werden, den tiefgreifenden Affekt, in welchem sich der Angeklagte bei Begehung seiner Angriffe befand, allgemein begreiflich erscheinen ließen. 'Allgemein begreiflich' im Sinne des § 76 StGB. bedeuten nämlich, daß die Ursache der Gemütsbewegung sittlich verständlich sein muß und nicht im Charakter des Täters oder in dessen verwerfliche Neigungen und Leidenschaften, sondern lediglich in äußeren Umständen zu suchen ist, wobei die allgemeine Verständlichkeit von einem objektiven Gesichtspunkte aus zu beurteilen ist. Es ist daher nur eine Gemütsbewegung zu berücksichtigen, die im Verhältnis zu ihrem Anlaß allgemein, d.h. für einen Durchschnittsmenschen (als objektiven Maßstab) in dem Sinne verständlich ist, insoweit sich dieser vorstellen kann, daß auch er unter den gegebenen Umständen in eine solche Gemütsverfassung geraten wäre, wie sie beim Täter im Tatzeitpunkt vorhanden war (vgl. EvBl. 1976/87, 1978/119, 11 Os 108/76). Auf solche Umstände, die nach dem Gesagten die rechtliche Annahme einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung zur Tatzeit rechtfertigen könnte, vermag sich der Beschwerdeführer aber auch bei extremer Auslegung seiner von ihm zitierten Äußerungen oder Handlungen der später attackierten Personen nicht zu berufen. Denn die Beschimpfungen oder Tätlichkeiten vermögen bei objektiver Betrachtung wohl einen Erregungszustand verursacht haben, der aber schon nach den Umständen des Falles und nach dem gegebenen Milieu bei einem Durchschnittsmenschen nicht eine allgemein begreifliche, hochgradige Affektspannung hervorrufen könnte, die zu einem vorsätzlichen Angriff auf das Leben zweier Menschen geführt hätte. Insoweit war schon aus rechtlichen Erwägungen die Stellung einer in der Nichtigkeitsbeschwerde nunmehr gerügten Eventualfrage im Sinne des § 345 Abs. 1 Z. 6 StPO.

nicht indiziert, sodaß sich der Beschwerdeführer durch diese Unterlassung nicht für beschwert erachten kann.

Soweit sich der Beschwerdeführer aber auf die schriftlichen Erwägungen der Geschwornen (§ 331 Abs. 3 StPO.) beruft, ist ihm zu erwidern, daß diese entgegen seiner Meinung die Rüge der Fragestellung nicht unterstützen, insbesondere keineswegs dahin verstanden werden können, daß die Geschwornen der Annahme einer allgemein begreiflichen, heftigen Gemütsbewegung, die beim Beschwerdeführer zur Tatzeit bestanden haben sollte, zugeneigt hätten.

Der Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs. 1 Z. 6 StPO.

haftet dem Urteil sohin nicht an.

Unter Berufung auf den Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs. 1 Z. 8 StPO. rügt der Beschwerdeführer die Rechtsbelehrung mit dem Vorwurf, der Begriff des bedingten bösen Vorsatzes, den die Geschwornen 'in ihrer Begründung' (gemeint: nach dem Inhalt der Niederschrift gemäß § 331 Abs. 3 StPO.) angenommen hätten, sei für den Laien nicht hinreichend erklärt worden. Er vermeint, ob die Geschwornen durch einen allfälligen Irrtum ihm die Begehung der Mordversuche angelastet hätte, könne nur im Vergleich mit einer ausreichenden Rechtsbelehrung erkannt werden, welche jedoch nicht vorliege. Zwar sind die Ausführungen über den bedingten bösen Vorsatz (dolus eventualis) sehr knapp gehalten und beschränken sich im wesentlichen auf die Wiedergabe des Wortlautes des den Vorsatz im engeren Sinn in seinen Formen des dolus principalis, das Wollen der Verwirklichung eines Sachverhaltes, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht, und des dolus eventualis, der dadurch verwirklicht wird, daß der Täter diese Tatbildverwirklichung ernstlich für möglich hält, und sich mit ihr abfindet, beschreibenden § 5 Abs. 1 StGB. mit der Belehrung, daß auch dem Täter Vorsatz zur Last falle, der die Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbildes ernstlich für möglich hält und sich damit, die Verwirklichung des Tatbildes in Kauf nehmend, abfindet (vgl. die Rechtsausführungen zu den Fragen 1 und 5, 2 und 6). Diese Erklärung ist jedoch entgegen dem Beschwerdeeinwand ausreichend, weil sie, ebenso wie schon das Gesetz in gedrängter Kürze alle Kriterien aufzählt, die das Wesen dieser Vorsatzform ausmachen; sie ist damit aber auch für den Laien verständlich.

Der Beschwerdeführer versucht selbst nicht, im Inhalt der Erwägungen (§ 331 Abs. 3 StPO.) einen Hinweis darauf zu gewinnen, daß die Geschwornen die Belehrung über den Begriff des bedingten bösen Vorsatzes nicht verstanden hätten und durch ihre Kürze in die Irre geleitet worden wären. Er meint lediglich, die Richtigkeit der von ihnen schriftlich festgehaltenen Erwägungen könne wegen der seiner Ansicht nach unvollständigen Rechtsbelehrung nicht geprüft werden. Dies ist jedoch nicht Zweck der nur im Falle ihrer Unrichtigkeit oder einer solchen gleichkommenden Unvollständigkeit den Nichtigkeitsgrund der Z. 8 des § 345 Abs. 1

StPO. verwirklichenden, gemäß § 321 StPO. vom Vorsitzenden nach Beratung mit dem Schwurgerichtshof zu verfassenden und den Geschwornen schriftlich zu erteilenden Rechtsbelehrung. Die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes in der Rechtsbelehrung macht diese jedoch nur dann zu einer der unrichtigen gleichzuachtenden unvollständigen, wenn sie zu Mißverständnissen und Irrtümern Anlaß geben könnte (vgl. Nr. 15 zu § 345 Z. 8 StPO. in Gebert-Pallin-Pfeiffer), was vorliegendenfalls nicht zutrifft. Somit erweist sich auch die Rüge der Rechtsbelehrung als nicht gerechtfertigt. Die unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28, 75 StGB. unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB. auf das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 3.Mai 1977, GZ. 6 e E Vr 1917/77, Hv 131/77-9 (vier Monate Freiheitsstrafe wegen des Vergehens nach §§ 33 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB.) zu einer zusätzlichen Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Jahren und acht Monaten. Es nahm bei der Strafzumessung als erschwerend die Wiederholung der Mordversuche, das Zusammentreffen von Straftaten, das Vorliegen einer einschlägigen Vorverurteilung, die Begehung der Straftaten während eines wegen gleichartigen strafbaren Verhaltens anhängigen Strafverfahrens, den raschen Rückfall in Beziehung auf ein einschlägiges Delikt und die bei Dietrich C verursachten schweren Tatfolgen an; als mildernd wertete es das Zugestehen der äußeren Tatbestandsmerkmale, das Alter des Angeklagten unter 21 Jahren zur Tatzeit, sowie den Umstand, daß es beim Verbrechen des Mordes beim Versuch geblieben ist.

Die Berufung des Angeklagten, die eine Strafminderung begehrt, ist im Ergebnis begründet.

Wenn auch Unbesonnenheit schon im Hinblick auf den Tathergang wie auch die (gewiß vorgelegene), aber nicht den Voraussetzungen des § 35 StGB. entsprechende Alkoholisierung als zusätzliche Milderungsgründe ausscheiden, muß doch die Provokation durch die in der Folge Verletzten als zusätzlicher Milderungsumstand in Betracht gezogen werden. Dieser rechtfertigt eine Reduzierung der (zusätzlichen Freiheitsstrafe) um das Ausmaß von einem Jahr; einer weitergehenden Herabsetzung der Dauer der Freiheitsstrafe, wie es offenbar dem Berufungswerber vorschwebt, stehen allerdings die Bestimmungen des § 41 Abs. 1 Z. 1

StGB. entgegen, da von einem beträchtlichen Überwiegen der Milderungsgründe weder der Zahl noch dem Gewichte nach die Rede sein kann.

Es war somit spruchgemäß zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

Anmerkung

E02314

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1979:0120OS00134.79.1025.000

Dokumentnummer

JJT_19791025_OGH0002_0120OS00134_7900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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