TE OGH 1979/11/14 6Ob631/79

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Veröffentlicht am 14.11.1979
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Norm

ABGB §1310

Kopf

SZ 52/168

Spruch

Bei der Ermessensentscheidung nach dem 3. Fall des § 1310 ABGB ist die Schadensdeckung durch einen (Feuer-)Versicherer des Geschädigten ebenso zu veranschlagen wie die Deckung für eine Ersatzleistung des Schädigers durch dessen Haftpflichtversicherer

OGH 14. November 1979, 6 Ob 631/79 (OLG Innsbruck 2 R 40/79; LG Feldkirch 7a Cg 4327/77)

Text

Die Vorsäßhütte des Wilfried I brannte am 13. April 1975 ab. Daraus entstand ein Sachschaden von 83 330 S. Diesen deckte nach eigenem Vorbringen der klagende Versicherer im Rahmen einer Brandschadenversicherung.

Der klagende Versicherer begehrte als Legalzessionar nach § 67 VersVG von den beiden beklagten Kindern den Ersatz des der Höhe nach außer Streit stehenden Schadens gemäß § 1310 ABGB. Dazu steht außer Streit, daß der Vater der Beklagten, die zur Zeit des Schadensereignisses mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebten, bei einem inländischen Versicherer eine Haushaltsversicherung unterhielt, die eine Privathaftpflichtversicherung mit einer Versicherungssumme von 200 000 S einschloß.

Ein wegen dieses Schadensfalles gegen die Eltern der beiden Kinder im Sinne des § 1309 ABGB erhobenes Ersatzbegehren wurde rechtskräftig abgewiesen (OGH 6. Juli 1977, 8 Ob 532/77).

Die Beklagten bestritten die Ursächlichkeit ihres Verhaltens für den Ausbruch des schadenstiftenden Brandes; sie machten einen Ersatzausschluß gemäß § 1308 ABGB wegen eigener grober Fahrlässigkeit des Hütteneigentümers geltend und beantragten die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Hälfte statt und wies es im übrigen ab.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im Sinne einer vollständigen Klagestattgebung ab.

Die Vorinstanzen legten dabei folgenden Sachverhalt zugrunde: Die abgebrannte Vorsäßhütte stand neben anderen Alphütten und zwei Gasthöfen auf einem von B aus über eine Seilschwebebahn erreichbaren, in ungefähr 1200 m Seehöhe gelegenen Hochplateau. Im Erdgeschoß befand sich ein gemauerter Stall, der von dem entlang der Südfront ebenerdig verlaufenden, offenen, balkonartigen Gang "Schopf") durch eine Holztür - ohne Schloß und nur mit einfachem Riegel an der Außenseite - zu betreten war; an den Stall schloß eine zum sogenannten Schopf völlig offene, schmale Tenne; an diese schloß ein unterkellerter, gemauerter, aus Küche, Wohn- und Schlafraum bestehender Wohnteil ("Hausstock"), der vom sogenannten Schopf durch eine nach der Art der Stalltür gesicherte Tür erreichbar war. Der Küchenboden bestand aus Lehm, Wohn- und Schlafraum, Tenne und Stall hatten einen Holzboden. Im Dachgeschoß befand sich der zur Südfront offene, vom Stall über eine Leiter durch eine Luke erreichbare Heuboden. Auch dieser besaß einen Holzboden. Das Dach war mit Schindeln gedeckt.

Die beklagten Kinder waren am Tag des Schadensereignisses 81/2 und 6 Jahre alt (Helga S, geb. 26. September 1966, Manfred S, geb. 14. Feber 1969). Ihre Mutter arbeitete nebenberuflich als Serviererin in einem der genannten Gasthöfe. Auf Geheiß ihres Vaters fuhren die beiden Geschwister am Tag des Schadensereignisses, einem Sommertag, gegen 14 Uhr mit der Seilbahn von B auf das Hochplateau, wo sie den Nachmittag unter der Aufsicht ihrer Mutter verbringen sollten. Sie meldeten sich auch bei ihrer Mutter im Gasthof. Kurze Zeit später erklärte das Mädchen ihrer Mutter, sie wolle aus der Vorsäßhütte des Wilfried I Haarspangen holen, die sie dort bei einem vorangegangenen Aufenthalt vergessen habe. Darauf suchten beide Kinder diese Hütte auf. Dort häuften sie auf dem Boden Strohabfälle zusammen und zundeten sie mit Streichhölzern, die sie in der Hütte fanden, an. Dann löschten sie das kleine Feuer mit Holzstückchen und zertraten die Glut mit ihren Stiefeln, bis nur mehr leicht rauchende Glutreste vorhanden waren, und verließen die Hütte. Die Zundholzschachtel mit ungebrauchten Zundhölzern ließen sie in der Hütte zurück. Etwa 15 Minuten nach ihrem Verlassen des Gasthauses trafen die Kinder wieder dort ein. Gegen 16.55 Uhr, also mehr als 2 1/2 Stunden später, brach im Inneren der Hütte der Brand aus, der das Gebäude völlig einäscherte. Brandtechnisch kann ein (ursächlicher) Zusammenhang zwischen den nach dem Zundeln der Kinder verbliebenen Glutresten und dem späteren Ausbruch des Brandes als wahrscheinlich angesehen werden. Am Brandtag reichte eine ungefähr 50 cm hohe Schneelage von allen Seiten bis an die Hütte heran. Über die Schneefläche führten von dem Gasthof, in dem die Mutter der Beklagten beschäftigt war, zwei oder drei Fußspuren von Kindern zur Hütte. Nach dem Brand waren auf der Fläche zwischen der Hütte und dem ungefähr 50 m südlich verlaufenden Weg zahlreiche Spuren von Feuerwehrmännern und Helfern sichtbar, auf der Fläche nördlich der Hütte aber keine von dieser wegführende Spuren. Den ersten Anschein einer Verursachung des Brandes durch das Zundeln der Beklagten vermochten diese nicht zu entkräften. Die Behauptung der Beklagten, der Hütteneigentümer selbst habe die von ihnen verwendeten Zundhölzer in der Hütte liegenlassen, war nicht zu erweisen.

Das Erstgericht folgerte in rechtlicher Beurteilung, daß die Negativvoraussetzung eines auf § 1310 ABGB gestützten Anspruches, keinen Ersatz von Aufsichtspflichtigen nach § 1309 ABGB erlangen zu können, durch die Entscheidung in dem gegen die Eltern der Beklagten geführten Rechtsstreit geklärt worden sei. Das Erstgericht nahm auch die Voraussetzung für einen Haftungsausschluß nach § 1308 ABGB als nicht gegeben an. Daß der geschädigte Eigentümer seine Hütte unversperrt gelassen habe, habe keine Gefahrensituation herbeigeführt und sei ihm nicht zum Verschulden anzurechnen. Die Haftung des knapp 6 Jahre alten Knaben und des 8 1/2 Jahre alten Mädchens nach dem ersten Fall des § 1310 ABGB sei zu verneinen, weil die Gefahr der nur unzulänglich gelöschten Glutreste zwar mundigen Personen hätte erkennbar sein müssen, die Beklagten aber noch nicht fähig gewesen seien einzusehen, daß sich aus der Glut durch Selbsterhitzung wieder ein Feuer entwickeln könnte. Der Klägerin stehe aber ein auf sie übergegangener Ersatzanspruch des Geschädigten nach dem dritten Fall des § 1310 ABGB zu. Der Versicherungsanspruch der beklagten Schädiger gegen einen Haftpflichtversicherer auf Deckung der gegen sie berechtigt erhobenen Schadenersatzansprüche sei ebenso als Vermögen im Sinne des § 1310 ABGB zu veranschlagen wie die Feuerversicherungsleistung, die der Geschädigte aus der Feuerversicherung von der Klägerin zu beanspruchen gehabt habe. Der Billigkeit entspreche es, daß die Beklagten den von ihnen verursachten Schaden zur Hälfte ersetzten.

Auch nach der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes käme nur eine Haftung nach dem dritten Fall des § 1310 ABGB in Betracht. Dabei sei einerseits zu berücksichtigen, daß eine Ersatzleistung, die durch eine Haftpflichtversicherung gedeckt sei, den Schädiger nicht berühre, und daß andererseits auf das Vermögen des Geschädigten deshalb nicht mehr Bedacht zu nehmen sei, selbst dann nicht, wenn auch hinter ihm ein Versicherer stehe. Im Sinne der Ausführungen der Entscheidung des vom 1. September 1977, 7 Ob 45/77, entspreche der Zuspruch des vollen Schadens der Billigkeit, weil den Schädiger die Ersatzleistung wirtschaftlich überhaupt nicht beschwere.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten teilweise Folge und stellte das Ersturteil wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Entgegen der von der Revision vertretenen Ansicht haben die Vorinstanzen mit Recht die Voraussetzungen für einen Haftungsausschluß gemäß § 1308 ABGB nicht als gegeben angenommen, weil durch das bloße Nichtversperren der unbewohnten Hütte das Eindringen der Kinder in diese zwar erleichtert, das Entfachen eines Feuers in der Hütte aber nicht veranlaßt wurde (vgl. Koziol, Österr. Haftpflichtrecht I, 190 und die ständige Rechtsprechung des OGH, z. B. EvBl. 1974/234; ZVR 1974/39 u. v. a.). Das bloße Nichtversperren der Hütte ist dem Geschädigten aber nach den getroffenen Feststellungen auch nicht zu einem im Sinne des § 1304 ABGB zu berücksichtigenden Verschulden anzurechnen.

Entscheidend ist daher ausschließlich die nach dem letzten Fall des § 1310 ABGB gebotene Abwägung mit "Rücksicht auf das Vermögen des Beschädigers und des Beschädigten".

Die herrschende Lehre (Ehrenzweig[2] I/1, 679; Gschnitzer, Schuldrecht, Bes. Teil und Schadenersatz 180; Koziol - Welser[5] I,

372) und die Rechtsprechung (SZ 47/43; ZVR 1975/196; VersR 1977, 486; VersRdSch 1979, 67 u. a.) sehen das Kriterium für diese Ermessensentscheidung darin, wer mit Rücksicht auf seine Vermögenslage den Schaden leichter tragen kann. Dazu hat die Rechtsprechung zunächst in Fällen, in denen die Haftung des Schädigers nach dem ersten Fall des§ 1310 angenommen wurde (JBl. 1969, 503; SZ 45/69), anerkannt, daß der Deckungsanspruch des Schädigers gegen einen Haftpflichtversicherer bei der Billigkeitsentscheidung im Sinne des § 1310 ABGB als Vermögen zu veranschlagen sei. Dem stimmt grundsätzlich auch Koziol, Österr. Haftpflichtrecht II, 239 zu. Diesen Grundsatz wendete die Rechtsprechung aber unverändert auch auf die Fälle an, in denen eine Haftung des Schadensverursachers ausschließlich auf den letzten Fall des § 1310 gegrundet werden konnte (SZ 47/43; EvBl. 1974/234; ZVR 1975/196; VersR 1977, 486; 7 Ob 45/77 = EFSlg. 29.402; VersRdSch. 1979, 67). Dies wurde als anfechtbares Ergebnis eines Zirkelschlusses kritisiert, weil der versicherungsrechtliche Deckungsanspruch eine Schadensersatzpflicht des Versicherten voraussetze, diese aber mit dem Deckungsanspruch begrundet werde (Posch in RdA 1978, 210 ff. Kap. XVIII).

Der OGH sieht sich jedoch nicht veranlaßt, von seiner nunmehr ständigen Rechtsprechung abzugehen: In den Fällen des § 1310 ABGB stehen einander das Eigenrisiko der Persönlichkeit und der einer Person zugeordneten Vermögenswerte (§ 1311 ABGB) einerseits und das Risiko aus dem eigenen Verhalten, auch soweit es keine Kriterien für eine absolute Zurechnung fremden Schadens in sich trägt (Verschulden, - Nutznießung aus risikobelasteter Unternehmung), andererseits gegenüber. Dem Richter wird eine Ermessensentscheidung übertragen. Dabei ist es im letzten Fall des § 1310 ABGB sowohl mit dem Sinn des Gesetzes als auch mit den Regeln der Logik durchaus vereinbar, als Haftungskriterium den Umstand heranzuziehen, daß das Risiko versicherbar war, wenn von dieser Möglichkeit auch tatsächlich Gebrauch gemacht wurde.

Die Billigkeit erfordert jedoch, daß eine genutzte Möglichkeit der vertraglichen Risikoüberwälzung nicht bloß beim Schädiger, sondern grundsätzlich in gleicher Weise auch beim Geschädigten veranschlagt werde. Dieser Gedanke wird nicht verletzt, wenn der haftpflichtversicherte Schädiger ein feuerversichertes Gebäude in Brand gesetzt hat und dem Schädiger im Hinblick auf seinen Deckungsanspruch gegen einen Haftpflichtversicherer - sei es auch nur wegen Unzulänglichkeit der Haftpflichtversicherungssumme - ein teilweiser Ersatz auferlegt wird (VersR 1977, 486; VersRdSch 1979, 67; aber im Ergebnis auch 7 Ob 45/77).

Wird im Rahmen der Billigkeit erwogen, daß den Schädiger eine Ersatzleistung, soweit ein Haftpflichtversicherer auf Grund vertraglicher Deckungspflicht für sie einzustehen hat, wirtschaftlich überhaupt nicht belastet, dann darf auch nicht außer acht gelassen werden, daß in gleicher Weise ein Schaden, den der Feuerversicherer dem Geschädigten in Erfüllung eines Versicherungsvertrages zu ersetzen hat, den Geschädigten selbst ebenfalls wirtschaftlich nicht belastet. In der Entscheidung des OGH vom 1. September 1977, 7 Ob 45/77, EFSlg. 29.399 wurde diesem Gedanken entgegengehalten, einem Geschädigten solle nach österreichischem Schadenersatzrecht grundsätzlich sein Schaden ersetzt werden; Schadenersatz sei als solcher nie unbillig; daß ein Versicherer den Schaden gedeckt habe, sei nach dem Sinn des § 67 VersVG für den Haftpflichtigen unerheblich. Dabei wurde aber übersehen, daß in allen Fällen des § 1310 ABGB nach den absolut normierten Schadenszurechnungsregeln der Schadensstifter eben nicht zur Haftung heranzuziehen ist, das Kriterium für die Ersatzleistung erst in der relativen Lage des Verursachers gegenüber dem unmittelbar Betroffenen liegt. Der Ersatzanspruch ergibt sich erst aus der Abwägung der konkreten wirtschaftlichen Lage des Schädigers und jener des Geschädigten. Die in ihrem Leitsatz, daß die Feuerversicherung des Geschädigten (wie dessen sonstiges Vermögen) bei der Ermittlung der Ersatzpflicht nach dem letzten Fall des § 1310 ABGB außer Ansatz zu bleiben habe, wenn der Haftpflichtversicherer des Schädigers dessen Ersatzleistung zu decken habe, abzulehnende Vorentscheidung zitiert selbst den Rechtsprechungsgedanken, daß es der Billigkeit entspreche, dem Schädiger die Ersatzleistung aufzuerlegen, den sie im Gegensatz zum Geschädigten, der sonst den Schaden selbst zu tragen hätte, wirtschaftlich nichtbeschwere. Die Schadensdeckung durch seinen Feuerversicherer stellt den Geschädigten eben wirtschaftlich dem haftpflichtversicherten Schädiger gleich, weil er ohne die Ersatzleistung nach § 1310 ABGB den Schaden nach seiner konkreten Vermögenslage, zu der auch der Anspruch gegen seinen Versicherer zählt, den Schaden eben auch nicht selbst zu tragen hätte.

Stehen sich auf Grund vertraglicher Deckungspflichten in einem Schadensfall wirtschaftlich der Feuerversicherer des Geschädigten und der Haftpflichtversicherer des Schädigers gegenüber, erschiene die völlige Verneinung eines bloß aus Billigkeit zu gewährenden Ersatzes (vgl. z.B. Stubenrauch, Komm.[8] II, 666 zu § 1310) viel naheliegender als die Auferlegung des vollen Ersatzes an den Schädiger bloß im Hinblick auf die Deckungspflicht seines Haftpflichtversicherers. Im Rahmen der Billigkeit könnte nämlich bei einer großen Zahl der Fälle ein sich daraus ergebender gewisser Ausgleich berücksichtigt werden, falls jeder Feuerversicherer im selben Umfang auch die Haftpflichtsparte betriebe. Dies ist aber nicht der Fall.

Der erkennende Senat vermag der in der zu 7 Ob 45/77, EFSlg. 29.399, ergangenen Entscheidung vertretenen Auffassung nicht zu folgen, sondern vertritt den Grundsatz, daß bei der Ermessensentscheidung nach dem dritten Fall des § 1310 ABGB die Schadensdeckung durch einen Feuerversicherer des Geschädigten ebenso zu veranschlagen ist wie die Deckung für eine Ersatzleistung des Schädigers durch dessen Haftpflichtversicherer.

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß der Brandschaden durch die Feuerversicherung des Geschädigten voll gedeckt wurde und daß eine Schadenersatzleistung in voller Höhe dieses Betrages auch in der Haftpflichtversicherungssumme Deckung findet. Nach Ansicht des Revisionsgerichtes entspricht es mangels sonstiger zu veranschlagender Umstände der Billigkeit, daß die Beklagten zur ungeteilten Hand verpflichtet werden, die Hälfte des von ihnen verursachten Brandschadens zu ersetzen.

Anmerkung

Z52168

Schlagworte

Ermessensentscheidungen nach § 1310 ABGB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1979:0060OB00631.79.1114.000

Dokumentnummer

JJT_19791114_OGH0002_0060OB00631_7900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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