TE OGH 1980/1/16 11Os171/79

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Veröffentlicht am 16.01.1980
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.Jänner 1980 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Mayerhofer als Schriftführer in der Strafsache gegen Anna Maria A wegen des Verbrechens der Verleumdung nach dem § 297 Abs. 1 StGB. über die von der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengerichts vom 25.September 1979, GZ. 3 c Vr 3.867/79-19, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Harramach und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwaltes Dr. Knob, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß dem § 390 a StPO. hat die Angeklagte die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am 20.November 1955 geborene Bankangestellte Anna Maria A des Verbrechens der Verleumdung nach dem § 297 Abs. 1 (zweiter Deliktsfall) StGB. schuldig erkannt. Von der weiters wider sie erhobenen Anklage (in Tateinheit mit dem Verbrechen der Verleumdung) auch das Vergehen der falschen Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde nach dem § 289 StGB. begangen zu haben, wurde sie gemäß dem § 259 Z. 3 StPO. (unangefochten) freigesprochen.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen sagte die Angeklagte im Dezember 1973 zu ihrem damaligen Verlobten und nunmehrigen Ehemann Anton A anläßlich des ersten mit ihm vollzogenen Geschlechtsverkehrs (wahrheitswidrig) sie sei deshalb keine Jungfrau mehr, weil sie im Sommer 1973 von ihrem Arzt Dr. Josef B in dessen Ordination durch eine Injektion betäubt und in diesem Zustand defloriert worden sei. Anton A, der dieser Erzählung Glauben schenkte, wollte daraufhin - ohne Wissen der Angeklagten - von Dr. B (telefonisch) einen größeren Geldbetrag erpressen, unterließ es aber nach mehreren im Jänner 1974 erfolglos unternommenen Versuchen, die Angelegenheit weiter zu verfolgen. Erst am 18.Jänner 1979

erschien er persönlich in der Ordination des erwähnten Arztes, lüftete seine Identität und beschuldigte Dr. B, die Angeklagte genotzüchtigt zu haben. In weiterer Folge wurde die Angeklagte nach Einschaltung der Polizei in den frühen Morgenstunden des 20.Jänner 1979 mit ihrem Ehemann zur Einvernahme in das Sicherheitsbüro gebracht. In einer ersten, von 9 Uhr bis 13 Uhr 30 dauernden Vernehmung, in der sie als Zeugin gehört, jedoch über ihr Entschlagungsrecht in bezug auf ihren (im Verdacht der Erpressung stehenden) Ehemann nicht belehrt wurde, hielt sie die Vorwürfe gegenüber Dr. B im wesentlichen aufrecht und behauptete sinngemäß (im Juli 1973) durch diesen Arzt in dessen Ordination nach Verabreichung einer Injektion defloriert worden zu sein. Nach dem Verlassen der Ordination habe sie sich in das Stiegenhaus begeben, wo eine Freundin (Monika C, geborene D), die sie zuvor zufällig getroffen habe, angeblich auf sie wartete. Sie habe sich auf die Stiegen gesetzt, sei dort mit ihrer Freundin ca. 10 Minuten gesessen und habe dabei auch bemerkt, daß ihre Unterhose blutig war (vgl. S. 69-73).

Nach Abschluß dieser Vernehmung fanden polizeiliche Erhebungen in Form einer Befragung der Monika C statt, die jedoch die vorerwähnten Angaben der Angeklagten nicht bestätigte (vgl. S. 75). Hierauf wurde um 14 Uhr mit einer zweiten polizeilichen Einvernahme der Angeklagten begonnen, bei der sie nach Vorhalt des Erhebungsergebnisses ihre ersten (bewußt wahrheitswidrigen) Angaben widerrief und erklärte, die Vorgänge in der Ordination des Dr. B nur erfunden zu haben, weil sie ihrem nunmehrigen Ehegatten nicht zugeben wollte, vor ihm schon mit einem anderen Mann intim gewesen zu sein (vgl. S. 77, 78).

Im übrigen nahm das Erstgericht als erwiesen an, daß die Angeklagte nicht nur wußte, daß die von ihr in Ansehung des Dr. B bei der Polizei geäußerte Verdächtigung falsch war, sondern daß sie darüber hinaus - insoweit mit bedingtem Vorsatz - auch die Gefahr einer behördlichen Verfolgung des Verdächtigten billigend in Kauf nahm (vgl. S. 192, 193).

Ihrer in der Hauptverhandlung vorgebrachten Verantwortung, sie habe von vornherein beabsichtigt, ihre wahrheitswidrigen Behauptungen so rechtzeitig zu widerrufen, daß nichts zu einer Verfolgung des Arztes unternommen werde, versagte es hingegen ausdrücklich den Glauben (vgl. S. 191).

Rechtliche Beurteilung

Den auf Grund dieser Feststellungen ergangenen, eingangs erwähnten Schuldspruch bekämpft die Angeklagte mit einer auf den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z. 9

lit. a (sachlich auch Z. 9 lit. b) StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt. Soweit die Beschwerdeführerin zunächst behauptet, sie habe lediglich in Ausübung ihrer Rechte als Beschuldigte gehandelt, wofür sie prinzipiell nicht bestraft werden könne, übergeht sie - wie die Generalprokuratur zutreffend darlegt - einerseits die Tatsache, daß die Falschangaben im Zug einer Zeugenvernehmung stattfanden, und läßt sie anderseits unberücksichtigt, daß selbst ein Beschuldigter für seine (aufrecht erhaltenen) Falschbezichtigungen nur dann nicht wegen (neuerlicher) Verleumdung haftet, wenn er sie zur Abwehr eines gegen ihn bereits erhobenen Verleumdungsvorwurfes wiederholt (vgl. ÖJZ-LSK. 1975/46 = JBl. 1975, 269, SSt. 34/12 u.a.). Wird letzteres beachtet, dann gehen auch alle weiteren Ausführungen ins Leere, mit denen die Beschwerdeführerin darzutun sucht, zumindest subjektiv überzeugt gewesen zu sein, daß sie nicht als Zeugin, sondern als Verdächtige vernommen werde. Denn sie behauptete selbst niemals, geglaubt zu haben, die (erste) polizeiliche Vernehmung vom 20.Jänner 1979 gelte einem gegen sie erhobenen Verleumdungsvorwurf. Vielmehr verantwortete sie sich in der Hauptverhandlung dahin, der Meinung gewesen zu sein, man werfe ihr eine Beteiligung an der (von ihrem Mann versuchten) Erpressung des Dr. B vor (vgl. insbes. S. 138, 140, 141, 143, 147 in Verbindung mit S. 173). Das - zur Abwehr eines allfälligen Erpressungsvorwurfes keineswegs notwendige - Vorbringen konkreter falscher Tatsachen, mit dem eine andere Person (Dr. B) falsch verdächtigt und der Gefahr behördlicher Verfolgung ausgesetzt wurde, müßte daher auch dann als (strafbare) Überschreitung der Verteidigungsrechte beurteilt werden, wenn die Angeklagte nicht (wie nach der Aktenlage geschehen) als Zeugin, sondern als (der Erpressung) Verdächtige vernommen worden wäre (vgl. ÖJZ-LSK. 1975/72).

Nicht gesetzmäßig ausgeführt ist die Nichtigkeitsbeschwerde insoweit, als darin vorgebracht wird, die Beschwerdeführerin sei der Meinung gewesen, für Dr. B bestehe (auch wegen Verjährung der behaupteten Tat) ohnehin keinerlei Gefahr einer behördlichen Verfolgung. Denn abgesehen davon, daß das (vorgeworfene) Delikt des § 201 StGB. erst nach zehn Jahren verjährt (§ 57 Abs. 3 StGB.) und daß auch schon eine nur vorübergehende (konkrete) Gefahr behördlicher Verfolgung genügt (vgl. SSt. 47/19 u.a.), stellte das Erstgericht im angefochtenen Urteil mit zureichender Begründung ausdrücklich fest, daß der Eintritt einer solchen Gefahr sehr wohl vom (bedingten) Vorsatz der Beschwerdeführerin umfaßt war. Es wird daher im gegebenen Zusammenhang nicht etwa - wie es bei einer dem Gesetz entsprechenden Darstellung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes erforderlich wäre - das (hier zur subjektiven Tatseite) festgestellte Tatsachenmaterial mit dem darauf angewendeten Gesetz verglichen, sondern der unzulässige und daher unbeachtliche Versuch unternommen, die bezüglichen Urteilsfeststellungen durch andere (für die Beschwerdeführerin günstigere) Tatsachenkonstatierungen zu ersetzen.

Unbeachtlich ist auch der Hinweis der Beschwerdeführerin darauf, daß ihr - wolle man die Einvernahme vom 20.Jänner 1979 als Zeugenvernehmung betrachten - keine Belehrung im Sinn des § 152 StPO. zuteil wurde. Denn dieser Umstand war - in Berücksichtigung der Bestimmungen des § 290 StGB. - ohnedies der Anlaß für den Teilfreispruch von der gleichzeitig auch wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde nach dem § 289 StGB. erhobenen Anklage, konnte jedoch die Beschwerdeführerin anderseits in keiner Weise berechtigen, falsche Verdächtigungen zu äußern.

Es bleibt daher der - sachlich auf § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. b StPO. gestützte - Einwand zu prüfen, daß die Beschwerdeführerin aus dem Grund des § 297 Abs. 2 StGB. straffrei geworden sei. Mit der Behauptung, ihre beiden polizeilichen Einvernahmen vom 20.Jänner 1979 seien als Einheit zu betrachten, übergeht sie allerdings neuerlich die gegenteiligen Urteilsfeststellungen. Entscheidend ist aber, daß jedenfalls noch vor Beginn der den wahren Sachverhalt zutage bringenden zweiten (oder - wie die Beschwerdeführerin meint - vor Wiederaufnahme der unterbrochenen) Vernehmung polizeiliche Erhebungen durch Einvernahme der Monika C (vgl. S. 75) stattfanden. Im Zeitpunkt des Widerrufs der Falschangaben hatte daher die zuständige Behörde bereits etwas zur Verfolgung des Verleumdeten unternommen. Denn unter den Begriff der behördlichen Verfolgung, der weiter ist als jener der Gerichtsanhängigkeit im Sinn des § 58 Abs. 3 Z. 2 StGB., fallen neben gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen (vgl. ÖJZ-LSK. 1979/127 =

EvBl. 1979/151) auch sicherheitsbehördliche Erhebungen (vgl. SSt. 47/19), die der Überprüfung des fälschlich behaupteten Sachverhalts dienen. Letzteres trifft in bezug auf die polizeiliche Befragung der Monika C zu.

Da die zunächst im Vordergrund stehenden Ermittlungen wegen Erpressung im Hinblick auf das bald abgelegte Geständnis des Anton A (vgl. S. 63 ff.) praktisch bereits abgeschlossen waren, zielte diese Befragung nämlich in erster Linie auf eine Klärung der Frage ab, ob die - den Anlaß für die Erpressungsversuche bildende - (Falsch-) Bezichtigung der Beschwerdeführerin, Dr. B habe sie genotzüchtigt, der Wahrheit entspreche (vgl. hiezu die zur Urteilsgrundlage erhobenen Aussagen der Polizeibeamten F und G S. 175, 176 und 178, wonach Ziel der gesamten Amtshandlung auch war herauszufinden, 'ob die Version /der Angeklagten / mit dem Doktor stimmt'), und stellte sich daher solcherart (auch) als gegen den Verleumdeten gerichtete sicherheitsbehördliche Verfolgungsmaßnahme dar, die der Ehemann der Angeklagten ausdrücklich auch nach dem Eingeständnis seiner Erpressungsversuche gefordert hatte (S. 64 und 68 d.A.).

Daraus folgt, daß das Erstgericht rechtlich zutreffend annahm, der (verspätete) Widerruf der Falschangaben der Beschwerdeführerin wirke nicht strafbefreiend. Denn nicht darauf kommt es an, ob der Widerruf noch im Zug einer nur unterbrochenen oder bereits nach einer schon formell beendeten Vernehmung stattfand, sondern ausschließlich darauf, ob die Gefahr der behördlichen Verfolgung freiwillig beseitigt wurde, bevor eine Behörde - wenn auch nur vorübergehend - etwas zur Verfolgung des Verdächtigten unternommen hatte (§ 297 Abs. 2 StGB.).

Da - wie gezeigt - eine solche rechtzeitige Gefahrenbeseitigung im vorliegenden Fall nicht bewirkt wurde, die Verhinderung einer weiteren (über die bereits unternommene hinausgehenden) Verfolgung aber nicht genügt (vgl. ÖJZ-LSK. 1976/353), war die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten zu verwerfen. Im Gerichtstag wurde von der Verteidigung zusätzlich zum Inhalt der Rechtsmittelschrift vorgetragen, der Angeklagten käme entschuldigender Notstand im Sinn des § 10 StGB. zugute, und damit der Sache nach eine Maßnahme nach dem § 290 Abs. 1 StPO. angeregt. Die Voraussetzungen des § 10 StGB. liegen nach den zur Beurteilung ausreichenden (Tatsachen-) Feststellungen des erstgerichtlichen Urteils jedoch keinesfalls vor.

Gemäß dem § 10 Abs. 1 StGB. ist - unter den weiteren dort angeführten Voraussetzungen - entschuldigt, wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um einen unmittelbar drohenden bedeutenden Nachteil von sich oder einem anderen abzuwenden. Es ist vorliegend schon nicht ersichtlich, welcher unmittelbar drohende bedeutende Nachteil vom Ehemann der Angeklagten durch Verleumdung des Arztes hätte abgewendet werden sollen. Dem Ehemann lag eine an Dr. B begangene Erpressung zur Last, somit ein Vorwurf, der unabhängig davon (weiter) bestand, ob der Arzt die Angeklagte genotzüchtigt hatte oder nicht, wobei auch keine Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, die Angeklagte habe auch nur geglaubt, durch ihre Verleumdung ihren Ehemann vom Erpressungsvorwurf (überhaupt) befreien zu können.

Das Landesgericht verurteilte die Angeklagte nach dem zweiten Strafsatz des § 297 Abs. 1 StGB. unter Anwendung des § 41 StGB. zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten, die es gemäß dem § 43 Abs. 1 StGB. unter Bestimmung einer Probezeit in der Dauer von drei Jahren bedingt nachsah.

Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht als erschwerend keinen Umstand, als mildernd hingegen den ordentlichen Lebenswandel der Angeklagten, ihr Tatsachengeständnis, ihre Gemütsverfassung nach der überraschenden Fahrt zum Sicherheitsbüro und der Konfrontation mit der Tatsache, daß ihr Mann eine Erpressung begangen habe, und den Umstand, daß die falsche Verdächtigung nach kurzer Zeit widerrufen wurde.

Das Erstgericht hielt bei diesen Strafzumessungsgründen die Voraussetzungen für die außerordentliche Strafmilderung und für eine bedingte Strafnachsicht gegeben.

Mit ihrer Berufung strebt die Angeklagte lediglich eine Herabsetzung der Dauer der über sie verhängten Freiheitsstrafe an. Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Sie vermag gegen die der Sache nach vom Erstgericht zutreffend angenommenen Strafzumessungsgründe nichts Wesentliches vorzubringen. Daß die Aussage der Angeklagten zur Wahrheitsfindung beitrug, ist Voraussetzung zur Wertung des 'Tatsachengeständnisses' als mildernd. Dem Beweggrund für die Tat und der Unbesonnenheit der Angeklagten trug das Erstgericht in seinen Strafzumessungsgründen gleichfalls schon Rechnung. Es beachtete auch den Umstand, daß kein nennenswerter Schaden entstand, indem der bereits nach kurzem stattgefundene Widerruf der Verleumdung als mildernd gewertet wurde. Die vom Erstgericht gefundene Strafe ist dem Unrechtsgehalt der Tat und dem Verschuldensgrad der Täterin angemessen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der im Spruch angeführten Gesetzesstelle.

Anmerkung

E02440

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1980:0110OS00171.79.0116.000

Dokumentnummer

JJT_19800116_OGH0002_0110OS00171_7900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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