Norm
ABGB §287Kopf
SZ 53/16
Spruch
Über die Ausgestaltung einer dem Gemeingebrauch dienenden Verkehrsfläche entscheiden die Verwaltungsbehörden auf Grund der in Betracht kommenden Straßenverwaltungsgesetze. Der Gründeigentümer kann nicht unter Berufung auf sein Gründeigentum eine Änderung des bestehenden Zustandes erzwingen oder verhindern
OGH 30. Jänner 1980, 3 Ob 642/79 (OLG Wien 18 R 77/79; LGZ Wien 22 Cg 105/78)
Text
Die Klägerinen begehren als Eigentümerinnen der Grundstücke Nr. 1138/2 und 1138/3 der Liegenschaft EZ 653 KG A von der beklagten Partei, dem Land Niederösterreich, die Wiederherstellung des über diese Grundstücke führenden Gehsteiges der B-Gasse in Hochbordausführung. Sie brachten vor, der Entfernung des früheren Gehsteiges im Zuge von Straßensanierungsarbeiten nur unter der Bedingung zugestimmt zu haben, daß der Gehsteig wieder in Hochbordausführung, also dem Fahrbahnniveau gegenüber etwas erhöht und durch Randsteine abgegrenzt, hergestellt werde. Weder die beklagte Partei noch die Marktgemeinde A hätten diesem Verlangen zunächst widersprochen, den Gehsteig aber dann doch nur in Niederbordausführung, also niveaugleich mit der Fahrbahn, hergestellt. Mit einer solchen Änderung der Gestaltung bzw. Benützungsform ihres Eigentums seien die Klägerinnen nicht einverstanden.
Die beklagte Partei wendete Unzulässigkeit des Rechtsweges ein, bestritt ihre passive Klagslegitimation und die sachliche Berechtigung des Klagebegehrens mit der Begründung, daß das Eigentum der Klägerinnen durch den Gemeingebrauch beschränkt und über die Art der Benützung eines öffentlichen Weges von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden sei. Die Niederbordausführung sei deshalb gewählt worden, weil mit Beginn des Jahres 1979 eine Fußgängerzone eingerichtet und damit den gehbehinderten Kurgästen die Benützung der Straße erleichtert werden sollte.
Das Erstgericht wies - ohne formell über die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges zu entscheiden - das Klagebegehren ab. Es ging hiebei von folgenden Feststellungen aus; Die ehemalige niederösterreichische Landeshauptstraße 167 verlief von der seinerzeitigen Rollfähre über die Donau und A bis an die burgenländische Grenze. Im Ortsgebiet führte sie die Bezeichnung B-Gasse. Seit Einstellung des Rollfährenbetriebs hat die Straße nur mehr lokale Bedeutung. Im Jahre 1975 plante die Marktgemeinde A die Verlegung von Kanal- und Wasserleitungsrohren. Die Vertreter der Gemeinde schlugen der beklagten Partei vor, sie möge nach durchgeführter Verlegungsarbeit die Fahrbahn und die Nebenflächen der B-Gasse wieder instandsetzen. Die Marktgemeinde sei zu einem finanziellen Zuschuß und zur Übernahme der B-Gasse in die Gemeindeverwaltung bereit. Nach mehreren Verhandlungen faßte der Gemeinderat einen "Straßenübernahmsbeschluß". Mit der Verordnung vom 8. April 1977 wurde die B-Gasse der Marktgemeinde A unterstellt. Im Zuge der erwähnten Kanalisierungsarbeiten wurde "zwecks Koordinierung der Arbeiten zwischen der zuständigen Landesstraßenbauabteilung 2 und der Marktgemeinde" das Einvernehmen gepflogen und durch den Bauausschuß beschlossen, den Gehsteig abzutragen und ihn im Zuge der Sanierung neu anzulegen, dies jedoch nicht in Hochbordausführung, sondern in der erwähnten Niederbordausführung, was zwischenzeitig auch tatsächlich geschehen ist. Da die Abtragung und Erneuerung der Fahrbahn Landessache, die Abtragung und Wiederanbringung von Gehsteigen im Ortsgebiet hingegen Gemeindesache ist und die Landesstraßenbauleitung 2 die Straßenmeisterei Bruck an der Leitha mit der Fahrbahnsanierung betraute, wurde aus Zweckmäßigkeitsgrunden zwischen der Landesstraßenbauabteilung und der Marktgemeinde A vereinbart, daß die Straßenmeisterei Bruck an der Leitha auch die in die Kompetenz der Marktgemeinde A fallenden Gehsteigsanierungsarbeiten durchführt, dies jedoch auf Kosten der Marktgemeinde A. Diese Vereinbarung wurde einzig und allein aus Zweckmäßigkeitsgrunden getroffen, "um ein Nebeneinanderarbeiten von Gemeindebediensteten und Bediensteten der Straßenmeisterei Bruck an der Leitha zu vermeiden".
Die Klägerinnen erhoben im Zuge der Wiedererrichtung des Gehsteiges in Niederbordausführung massive Einwendungen und wiesen insbesondere auf eine Fußgängergefährdung hin. Daher wurde über Veranlassung der Marktgemeinde A von der zuständigen Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha am 25. Oktober 1977 eine kommissionelle Augenscheinsverhandlung anberaumt, um die Frage der Verkehrssicherheit einer Klärung zuzuführen. Im Zuge dieser Verhandlung wurde der Marktgemeinde aufgetragen, für eine ausreichende bauliche Trennung des neuangelegten Gehsteiges von der Fahrbahn zu sorgen, etwa durch Anbringung von Mauern, Geländern, Leitschienen und dergleichen.
Rechtlich erachtete das Erstgericht die beklagte Partei für passiv legitimiert, weil die B-Gasse im Zeitpunkt der Entfernung und Wiedererrichtung der Gehsteiganlagen Landeshauptstraße im Sinne des § 3 Abs. 1 lit. 1 des Niederösterreichischen Landesstraßengesetzes gewesen sei. Wenngleich die Gemeinde etwa die Kosten einer notwendigen Gehsteigerhaltung zu tragen hätte, ändere dies nichts an der grundsätzlichen Zuständigkeit der Straßenverwaltung des Landes und damit der beklagten Partei. Dennoch sei das Klagebegehren nicht gerechtfertigt, weil ihm der "Gemeingebrauch" an den Gehsteigen entgegenstunde. Die Abtragung des vorhanden gewesenen Hochbordgehsteiges und die Wiederanlegung in Niederbordausführung sei eine der Einflußnahme der Klägerinnen entzogene Erhaltungs- bzw. Erneuerungsarbeit im Rahmen des Gemeingebrauches. Sie seien dadurch in ihrem Eigentumsrecht an sich nicht über den Gemeingebrauch hinausgehend beschränkt worden.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil mit dem Ausspruch, daß der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S übersteige. Es befaßte sich in der Begründung seiner Entscheidung zunächst ausführlich mit dem in der Berufungsmitteilung der beklagten Partei wiederholten Einwand der Unzulässigkeit des Rechtsweges und lehnte die Berechtigung dieser Prozeßeinrede ab. Dabei ging es von der Annahme aus, daß auch schon das Erstgericht diese Einrede - zwar nicht ausdrücklich, aber doch eindeutig in schlüssiger Weise - verworfen habe. In der Sache selbst verwies das Berufungsgericht auf die Wechselbeziehung zwischen Eigentumsrecht und Gemeingebrauch: Der Gemeingebrauch sei eine Art öffentlich-rechtliche Dienstbarkeit mit der Rechtswirkung, daß das Eigentumsrecht nur insoweit ausgeübt werden könne, als es mit ihm nicht im Widerspruch stehe. Die Befugnisse des Eigentümers könnten unter Umständen auf die bloße Verfügungsberechtigung über die Substanz beschränkt sein. Wie der Gemeingebrauch der belasteten Sache vonstatten gehe, entziehe sich - soferne er sich in seinem Rahmen halte - der Eigentümergewalt. Daraus folge, daß die beklagte Partei durch die Umgestaltung des Gehsteiges das Eigentumsrecht der Klägerinnen in seinem verbliebenen Inhalt nicht verletzt habe. Die Wiederherstellung des Gehsteiges in Niederbordausführung sei eine der Einflußnahme der Klägerinnen entzogene Erhaltungs- bzw. Erneuerungsmaßnahme im Rahmen des Gemeingebrauches. Das Klagebegehren sei daher vom Erstgericht mit Recht abgewiesen worden.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerinnen nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die beklagte Partei hat beantragt, der Revision keine Folge zu geben. Auf die im Widerspruch zu diesem Antrag stehenden Ausführungen der Revisionsbeantwortung, in denen die Beklagte ihren Einwand der Unzulässigkeit des Rechtsweges aufrecht erhält, ist nicht mehr einzugehen. Über diese Prozeßeinrede der beklagten Partei wurde jedenfalls vom Berufungsgericht - zwar nicht im Spruch seiner Entscheidung, aber doch in den Entscheidungsgründen - ausdrücklich in abweisendem Sinne entschieden. Da ein rechtzeitig erhobenes Rechtsmittel dagegen nicht vorliegt, ist nach der neueren Rechtsprechung des OGH (vgl. SZ 48/76; RZ 1976/111; SZ 43/121; SZ 41/184; SZ 31/74 u. a.) damit über die Frage der Rechtswegzulässigkeit in bindender Weise abgesprochen.
Zur Revision ist dem Berufungsgericht beizupflichten, daß zwischen Gemeingebrauch und Eigentumsrecht eine Wechselbeziehung besteht: Der Gemeingebrauch ist eine Art öffentlich-rechtlicher Dienstbarkeit, die bewirkt, daß der Eigentümer den Gebrauch dieser Sache durch jedermann nicht hindern kann, sofern sich dieser im Rahmen des Gemeingebrauches hält. Soweit der Gemeingebrauch reicht, kommt dem Eigentümer lediglich die rechtliche Verfügungsbefugnis über die Sache ohne tatsächliche Sachherrschaft zu (vgl. Krzizek in ZVR 1960, 121 ff. u. a.). Die Eigentumsfreiheitsklage des § 523 ABGB versagt gegen Maßnahmen, die sich im Rahmen des Gemeingebrauches halten (vgl. Krzizek, Das öffentliche Wegerecht, 22, 65 f.; ZVR 1962/27 u. a.). Über die Ausgestaltung der dem Gemeingebrauch dienenden Verkehrsflächen entscheiden die Verwaltungsbehörden auf Grund der in Betracht kommenden Straßenverwaltungsgesetze (vgl. Krzizek, Wegerecht, 65; SZ 37/4; SZ 5/132 u. a.). Ebenso, wie den Klägerinnen als Gründeigentümerinnen keine Einflußnahme darauf zusteht, ob und in welcher Ausführung ein Teil der dem öffentlichen Verkehr dienenden Fläche als Gehsteig ausgestaltet wird, können sie auch nicht unter Berufung auf ihr Gründeigentum eine Änderung des bestehenden Zustandes erzwingen oder verhindern. Entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht der Klägerinnen ist auch eine Umgestaltung der im Gemeingebrauch stehenden Sache zulässig, wenn sie im Interesse des Gemeingebrauches vorgenommen wird und weder zu einer unzulässigen Ausweitung des Gemeingebrauches führt noch die Verfügungsmöglichkeit der Gründeigentümer über die dem Gemeingebrauch dienende Sache beeinträchtigt (vgl. Krzizek, Wegerecht, 65, 125 ff.; ähnlich bezüglich der Beschotterung eines Weges EvBl. 1968/230). Daß durch die vorgenommene Umgestaltung des Gehsteiges die Klägerinnen in ihrem mit dem Gemeingebrauch belasteten Gründeigentum beeinträchtigt worden wären, vermochten sie nicht aufzuzeigen. Sie begrundeten ihr Begehren auf Wiederherstellung des früheren Zustandes im wesentlichen auch nur mit Sicherheitsinteressen der Fußgänger. Solche sind aber nicht von den klagenden Gründeigentümerinnen, sondern der Verwaltungsbehörde wahrzunehmen (vgl. § 13 Abs. 1 des nö. Landesstraßengesetzes, LGBl. 8500). Diese hat auch über die Notwendigkeit von Straßenerneuerungs- oder -erhaltungsarbeiten zu entscheiden. Auf eine privatrechtliche Verpflichtung der beklagten Partei zur Wiederherstellung des früheren Hochbordgehsteiges nach Durchführung der Straßensanierungsarbeiten haben sich die Klägerinnen in erkennbarer Weise nicht berufen.
Anmerkung
Z53016Schlagworte
Eigentum, Beschränkung durch Gemeingebrauch, Gemeingebrauch von Verkehrsflächen, Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde, Liegenschaftseigentum, Rechte bei Gemeingebrauch, Verwaltungsbehörde, Zuständigkeit bei Gemeingebrauch von Verkehrsflächen, Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde bei Gemeingebrauch von, VerkehrsflächeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1980:0030OB00642.79.0130.000Dokumentnummer
JJT_19800130_OGH0002_0030OB00642_7900000_000