TE OGH 1980/3/11 10Os42/80

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.03.1980
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Kronlachner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Slavica A wegen des Vergehens der versuchten Entwendung nach §§ 15, 141 Abs. 1 StGB.

nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 2. Oktober 1979, GZ. 5 Vr 1109/79-37, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Slavica A des Vergehens der versuchten Entwendung nach §§ 15, 141

Abs. 1 StGB. schuldig erkannt, begangen dadurch, daß sie am 24. September 1977 in Wien in Gesellschaft der abgesondert verfolgten Erwachsenen Jovanka B als einer Beteiligten (§ 12 StGB.) der Monika C zwei Damenoberhosen im Wert von zusammen 396 S, also Sachen geringen Wertes, aus Unbesonnenheit zu entziehen versuchte, indem sie diese Waren in ihre Einkaufstasche steckte.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen war die (am 2. Februar 1963 geborene) Angeklagte zur Tatzeit vierzehneinhalb Jahre alt und unbescholten; sie lebte seit mindestens vier Jahren als Jugoslawin in Österreich, ging nicht mehr zur Schule und wohnte ohne Beschäftigung sowie dementsprechend auch ohne Einkommen in mindergünstigen häuslichen Erziehungsverhältnissen bei ihren Eltern und Geschwistern. Am Vormittag des Tattages war sie mit B unterwegs, um Lebensmittel einzukaufen; als die beiden an einer Boutique vorbeikamen, vor der auf einem Ständer verschiedene Kleidungsstücke ausgestellt waren, wurde der Jugendlichen plötzlich und völlig unerwartet von ihrer erwachsenen Begleiterin vorgeschlagen, sie solle, während jene aufpasse, von den ausgestellten Waren zwei Hosen nehmen. Sie tat dies, ohne zu überlegen, lief mit der Beute in Diebstahlsabsicht weg, war aber beobachtet worden, wurde verfolgt und eingeholt;

die beiden Damenoberhosen wurden ihr abgenommen.

Den Ausspruch und die Vollstreckung einer wegen dieser Tat über die Angeklagte zu verhängenden Strafe schob das Jugendschöffengericht gemäß § 13 Abs. 1 JGG. für eine Probezeit von zwei Jahren vorläufig auf. Einen Freispruch wegen mangelnder Strafwürdigkeit der Tat im Sinn des § 42

StGB. zog es, 'vor allem aus spezialpräventiven Erwägungen, aber auch aus generalpräventiven Gründen' nicht in Betracht.

Rechtliche Beurteilung

Der auf § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. b StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten gegen dieses Urteil kommt Berechtigung zu.

Da die bisher nicht nachteilig in Erscheinung getretene (S. 56) Jugendliche zur Tatzeit - wie schon einleitend hervorgehoben - erst vierzehneinhalb Jahre alt war und die nach der Aktenlage erstmalige Verfehlung nicht nur aus (für den Tatbestand des § 141 Abs. 1 StGB. allerdings vorauszusetzender) Unbesonnenheit beging, sondern dazu überdies noch durch ihre erwachsene jugoslawische Begleiterin verleitet wurde, zu der sie - in ihrem Alter und im Ausland - gewiß in einem besonderen Naheverhältnis stand, ist ihre Schuld sowohl absolut als auch im Vergleich zu den für den Deliktstypus charakteristischen Fällen (vgl. RZ. 1976/125, ÖJZ-LSK. 1976/379 u. a.) - wobei kein extrem strenger Maßstab anzulegen ist (vgl. EvBl. 1980/7) - als gering zu bewerten. Die Tat hat auch keine Folgen nach sich gezogen, zumal die Angeklagte dabei betreten und das entwendete Gut sogleich an die Verfügungsberechtigte zurückgestellt wurde. Die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 Z. 1 und Z. 2 StGB. liegen daher jedenfalls vor.

Gleichermaßen läßt der beschriebene Entwendungsversuch keine Aspekte erkennen, nach denen eine Bestrafung der Jugendlichen erforderlich wäre, um - sei es durch den konkreten Abschreckungseffekt oder sei es durch die mit dem Schuldspruch verbundene Bestärkung der allgemeinen Rechtstreue (vgl. Zipf, Die mangelnde Strafwürdigkeit der Tat, 1975, S. 32-34) - der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken (§ 42 Abs. 1 Z. 3 zweiter Teil StGB.). Das Tatgeschehen entspricht insbesondere keineswegs etwa dem kriminologisch-typischen Erscheinungsbild eines (zudem auch nicht schon deshalb allein eine mangelnde Strafwürdigkeit der Tat zwangsläufig und generell ausschließenden - vgl. EvBl. 1977/102; 10 0s 11/80) sogenannten 'Ladendiebstahls'. Die Urteilsannahme von gegen die Anwendung des § 42 StGB. sprechenden 'generalpräventiven Gründen' läßt jede Begründung vermissen und ist umso weniger verständlich, als das Erstgericht selbst das Vorliegen des in Rede stehenden (in beiden Fällen weitestgehend identen) Hindernisses bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine bedingte Verurteilung nach § 13 Abs. 1 JGG. - woran der Oberste Gerichtshof allerdings ungeachtet dessen, daß jener Ausspruch von Seiten der Anklagebehörde unbekämpft blieb, bei der Entscheidung über die Anwendbarkeit des § 42 StGB. nicht gebunden war - ausdrücklich negiert hat.

Die vom Jugendschöffengericht zur Stützung seiner Ansicht, daß der Schuldspruch allein genügen werde, um die Angeklagte von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, ins Treffen geführten Milderungsgründe schließlich, und zwar ihr bisher ordentlicher Lebenswandel, ihr Alter, ihr Geständnis, die Beeinträchtigung ihrer Erziehung durch ungünstige häusliche Verhältnisse, das Verstreichen von mehr als zwei Jahren zwischen der Tat und der Urteilsfällung sowie die objektive Schadensgutmachung, könnten an sich - der bezüglichen, abermals unbegründet gebliebenen Urteilsauffassung zuwider -

in Verbindung mit den Umständen, unter denen sie zur Tat verleitet wurde, durchaus auch die Annahme decken, daß es zur Erreichung des in Rede stehenden Zwecks nicht einmal des Schuldspruchs bedürfe, sodaß dementsprechend (vgl. EvBl. 1976/228) die auf die Erfordernisse der Spezialprävention Bedacht nehmende (hier letzte) Voraussetzung des § 42 Abs. 1 Z. 3

(erster Teil) StGB. gleichfalls vorläge. Insoweit ist aber das Verfahren noch nicht spruchreif, weil das Erstgericht den gegen die Jugendliche in der Hauptverhandlung erhobenen weiteren Anklagevorwurf, sie habe im Juni 1978 von einer Baustelle in Innsbruck etwa siebzig Schalbretter im Gesamtwert von rund 1.500 S gestohlen, nicht abschließend untersucht, sondern in diesem Umfang dem öffentlichen Ankläger die selbständige Verfolgung vorbehalten hat (§ 263 Abs. 2 StPO.), anstatt - wie dies bei der gegebenen Sachlage geboten gewesen wäre - die Hauptverhandlung abzubrechen und die Entscheidung über beide der Angeklagten zur Last fallenden strafbaren Handlungen einer neuen Hauptverhandlung vorzubehalten (§ 263 Abs. 3 StPO.). Denn die Aufklärung jenes Vorfalls ist, zumal bei den festgestellten häuslichen und persönlichen Verhältnissen der Jugendlichen, im Interesse einer verläßlichen Beurteilung der seit der Tat bei ihr eingetretenen Persönlichkeitsentwicklung in bezug auf die Notwendigkeit einer spezialpräventiv wirksamen Urteilsgestaltung unerläßlich.

Da demnach die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung in erster Instanz nicht zu vermeiden ist, war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285 e StPO. (i.d.F. BGBl. 1980/28) nach Anhörung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung wie im Spruch zu erkennen.

Anmerkung

E02522

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1980:0100OS00042.8.0311.000

Dokumentnummer

JJT_19800311_OGH0002_0100OS00042_8000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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