TE OGH 1980/3/27 12Os50/80

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Veröffentlicht am 27.03.1980
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. März 1980 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kral, Dr. Steininger und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Sperker als Schriftführerin in der Strafsache gegen Karl Alfred A wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 9. Jänner 1979, GZ. 23 Bs 2082/78-14, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Kodek, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wird verworfen.

Text

Gründe:

Aus den Akten 3 a Vr 3567/78 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien und 23 Bs 2082/78 des Oberlandesgerichtes Wien ergibt sich folgender Sachverhalt:

Der Tankwart Karl Alfred A wurde am 26. März 1978, 4 Uhr, wegen Verdachtes des 'Autodiebstahls' von einem Polizeibeamten festgenommen und dem Koat. Wien 2 überstellt, wo er um 11 Uhr 15, nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft, daß sie keinen Haftantrag stelle, auf freien Fuß gesetzt wurde.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien traf über diese aktenkundige Anhaltung (S. 5, 9 und 16) in seinem den Beschuldigten des Vergehens nach § 136 Abs. 1 StGB schuldigsprechenden Urteil vom 11. August 1978, ON. 10, keine Entscheidung. Hingegen ergänzte das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht am 9. Jänner 1979 zu 23 Bs 2082/78 in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes der Z. 11 des § 281 Abs. 1 StPO gemäß den § 477 Abs. 1, 489 Abs. 1 StPO das erstgerichtliche Urteil dahin, daß es gemäß dem § 38 Abs. 1 Z. 1 StGB dem Angeklagten die polizeiliche Verwahrungshaft vom 26. März 1978, 4 Uhr bis 11 Uhr 15, auf die verhängte Strafe anrechnete (ON. 14.).

Die Generalprokuratur beantragt in ihrer gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, im Verfahren AZ. 3 a E Vr 3567/78

des Landesgerichtes für Strafsachen Wien eine Verletzung des Gesetzes in den Bestimmungen der § 38 Abs. 1 StGB und 477 Abs. 1 StPO festzustellen, weil das Oberlandesgericht Wien in seiner Entscheidung vom 9. Jänner 1979, AZ. 23 Bs 2082/78, aus Anlaß der Berufung des Angeklagten Karl Alfred A in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes der Z. 11 des § 281 Abs. 1 StPO dem Angeklagten die polizeiliche Verwahrungshaft vom 26. März 1978, 4 Uhr bis 11 Uhr 15 desselben Tages, auf die verhängte Strafe angerechnet hat.

Sie führt hiezu aus:

'Die (in ZVR. 1980/23 publizierte) Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom 9. Jänner 1979, AZ. 23 Bs 2082/78, stünde mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Gemäß dem § 38 Abs. 1 StGB sind die verwaltungsbehördliche und die gerichtliche Verwahrungshaft und die Untersuchgungshaft unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen auf Freiheits- und Geldstrafen anzurechnen. Daß dabei unter 'Haft' nur eine mindestens 24-stündige Anhaltung zu verstehen ist, war schon unter der Geltung des StG. bei Anwendung der § 55 a, 266 a dieses Gesetzes in der Judikatur im wesentlichen unbestritten, entspricht doch ein kürzere Anhaltung nicht dem Wesen der Haft, wie es aus den Vorschriften über die Freiheitsstrafe zu erkennen ist. Konnten darüber bis 31. Dezember 1974 noch Zweifel bestehen, weil das gemäß § 247 StG. 24 Stunden betragende Mindestmaß der (Arrest-)Freiheitsstrafe nach den § 260, 266 StG. unterschritten werden konnte, so ist die Rechtslage diebeszüglich nach § 18 Abs. 2 StGB vollkommen eindeutig (vgl. auch § 14 Abs. 1 Z. 5 StGB). Aus dieser Vorschrift folgt für die Strafbemessung, daß die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder Ersatzfreiheitsstrafe, die nicht in vollen Tagen bemessen werden kann, das Gesetz verletzt (ÖJZ-LSK.

1977/224; EvBl. 1977/106).

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat daher am 30. September 1976 zu 9 Os 85/76 ausgesprochen, daß nach dem § 38 StGB zwar jede polizeiliche Verwahrungshaft, wenn auch die Festnahme nicht im Auftrag eines Gerichtes erfolgte und nicht unmittelbar zu einer gerichtlichen Haft führte, anzurechnen ist, aber nur, sofern diese Haft das Ausmaß der geringsten zeitlichen Freiheitsstrafe von mindestens einem Tag im Sinne des § 18 Abs. 2 StGB übersteigt (ÖJZ-LSK. 1977/55). Im vorliegenden Fall erreichte die Dauer der polizeilichen Anhaltung aber (bei weitem) nicht jenes Maß, das es erst gestattet, von einer Haft im Sinne des § 38 StGB zu sprechen.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien verkannte diese Rechtslage und verletzte daher das Gesetz in der Vorschrift des § 38 Abs. 1 StGB sowie des - da in Wahrheit das Strafgesetz zum Nachteil des Angeklagten nicht verletzt worden war - nicht anwendbar gewesenen § 477 Abs. 1 StPO Diese Gesetzesverletzungen wären festzustellen. Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß das (vom Oberlandesgericht Wien in der Begründung seines Urteils abgelehnte) Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes 9 Os 84/76 (= ÖJZ-LSK. 1976/389 =

RZ. 1977/8) zwar (zutreffend) aussprach, daß bei einem Verstoß gegen § 38 StGB nicht gemäß dem § 290 StPO zum Vorteil des diesen Verstoß nicht rügenden Betroffenen vorzugehen sei, wenn die Differenz nur einige Stunden beträgt, sich aber mit der hier entscheidenden Frage der Mindestdauer der anrechenbaren Haft (die im Anlaßfall überschritten war) gar nicht beschäftigte.' Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Der Oberste Gerichtshof hält zwar an seiner insbesondere in der Entscheidung vom 13. September 1976, 9 Os 85/76 (= ÖJZ-LSK. 1977/55), vertretenen Rechtsmeinung, wonach eine polizeiliche Verwahrungshaft nur dann auf die Strafe anzurechnen ist, wenn diese Haft das Ausmaß der geringsten zeitlichen Freiheitsstrafe von mindestens einem Tag im Sinne des § 18 Abs. 2 StGB übersteigt, fest. Hat aber ein Erstgericht oder - wie vorliegend - ein Rechtsmittelgericht dennoch eine kürzere Anhaltung gemäß § 38 Abs. 1 StGB auf die verhängte Strafe angerechnet, so liegt allein darin noch keine Gesetzesverletzung. Denn das Erfordernis einer bestimmten Mindestdauer der Haft bedeutet nur, daß Anhaltung, die diese Mindestdauer erreichen oder übersteigen, jedenfalls bei sonstiger Nichtigkeit des Urteils auf die Strafe angerechnet werden müssen, verbietet es aber umgekehrt nicht, auch eine kürzere Anhaltung gemäß der zitierten Gesetzesstelle anzurechnen, mag diese Anrechnung auch nicht zwingend geboten gewesen sein. So gesehen bewirkt daher die Anrechnung einer kürzeren Anhaltung, auch wenn sie nach dem eingangs Gesagten nicht zwingend vorgeschrieben war, keine Gesetzwidrigkeit.

Aus diesen Erwägungen war somit die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu verwerfen.

Anmerkung

E02729

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1980:0120OS00050.8.0327.000

Dokumentnummer

JJT_19800327_OGH0002_0120OS00050_8000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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