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L92051 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Burgenland;Norm
ABGB §140 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde des LW in P, vertreten durch Dr. Peter Hajek und Mag. Michael Wagner, Rechtsanwälte in 7100 Neusiedl am See, Untere Hauptstraße 52, gegen den Bescheid der Burgenländischen Landesregierung vom 25. Juni 2003, Zl. 6-SO-N1901/1-2001, betreffend Kostenersatz für Sozialhilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Burgenland hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Burgenländischen Landesregierung vom 25. Juni 2003 wurde der Beschwerdeführer verpflichtet, zu den für seine Tochter Claudia H. in der Zeit vom 10. März 1998 bis einschließlich November 2000 aufgewendeten Sozialhilfekosten einen Ersatz in Höhe von EUR 2.770,77 zu leisten. Begründend wurde nach Darstellung des Verfahrensganges im Wesentlichen ausgeführt, Claudia H. seien im erwähnten Zeitraum Sozialhilfeleistungen in Höhe von insgesamt EUR 3.893,23 gewährt worden. Während des Sozialhilfebezuges habe Claudia H. auch Geldleistungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz in Höhe von monatlich EUR 386,18 bezogen. Sie sei vor Bezug der Sozialhilfeleistungen drogenabhängig gewesen und unter ärztlicher Aufsicht therapiert worden. Im Jahre 1989 sei es zu epileptischen Anfällen und zu Handlungen von Autoaggression (Schnitte und sonstige Körperverletzungen) gekommen. Während des Sozialhilfebezuges habe sich Claudia H. laufend in Betreuung durch den Psychosozialen Dienst Burgenland befunden. Durch die Drogenabhängigkeit bzw. durch die physischen und psychischen Spätfolgen (medikamentöse und betreuerische Drogen-Nachbehandlung, psychische Probleme, Autoaggressionshandlungen, epileptische Anfälle) sei es ihr aus gesundheitlichen Gründen unmöglich gewesen, einen Beruf auszuüben. Es sei bei ihr daher zu einem Verlust der Selbsterhaltungsfähigkeit im Sinne des § 140 ABGB gekommen. Sie habe nachweislich die ihr zumutbaren und von ihr auch zu erwartenden Bemühungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes unternommen; dass dieses Bemühen nicht von Erfolg gekrönt gewesen sei, könne ihr nicht angelastet werden. Es könne also keine Rede davon sein, dass sie durch vorsätzliches Verhalten die durch den Unterhalt abzusichernden Bedürfnisse erst geschaffen oder die Erzielung eigener Einkünfte beeinträchtigt habe. Am Unterhaltsanspruch der Claudia H. gegen den Beschwerdeführer ändere der Umstand, dass diese ihm gegenüber schon vor Jahren einen Erbverzicht erklärt habe, ebenso wenig wie der Hinweis des Beschwerdeführers, sie habe sich in einer Art und Weise verhalten, die sein Ansehen in der Öffentlichkeit herabgesetzt hätte. Das Gesetz kenne nämlich keine Verwirkung des Unterhaltsanspruches. Selbst wenn von Claudia H. Handlungen gesetzt worden wären, die ihren Ausschluss vom Pflichtteil rechtfertigen würden - weder der Umstand, dass sie dem Beschwerdeführer eine Schusswaffe entwendet habe, noch der vom Beschwerdeführer behauptete "liederliche Lebenswandel" rechtfertige jedoch einen Ausschluss vom Pflichtteil -, bestünde immer noch ihr Anspruch auf den notwendigen Unterhalt. Leistungen der Sozialhilfe gingen über den notwendigen Unterhalt jedoch ohnedies nicht hinaus. Was die Feststellung des notwendigen Unterhaltsbedarfes von Claudia H. anlange, bedürfe es nach Maßgabe des § 7 Abs. 1 Burgenländisches Sozialhlifegesetz (Bgld. SHG) einer Orientierung am jeweiligen ASVG-Ausgleichszulagenrichtsatz (§ 8 Abs. 12 Bgld. SHG). Eine höhere Vorschreibung würde subjektive Rechte des Beschwerdeführers verletzen. Nach Anrechnung der Leistungen des Arbeitsmarktservices sei die Höhe des Kostenersatzes daher mit dem Betrag der ASVG-Ausgleichszulage zu beschränken. Dies ergäbe einen Kostenersatzbetrag von EUR 2.770,77. Dem Einwand des Beschwerdeführers, er habe Kreditrückzahlungen zu leisten, sei zu erwidern, dass Rückzahlungen für Bankkredite grundsätzlich der freien Disposition der Vertragsparteien unterlägen, dadurch aber gesetzliche Unterhaltspflichten nicht umgangen werden könnten. Der Beschwerdeführer habe erst nach Einleitung des Kostenersatzverfahrens eine monatliche Kreditrückzahlung von EUR 726,73 bei einer Laufzeit des Kredits von lediglich 3 1/2 Jahren vereinbart. Da die geschiedene Ehefrau des Beschwerdeführers und Mutter von Claudia H. selbst Ausgleichszulagenempfängerin sei und lediglich eine Eigenpension in Höhe des ASVG-Ausgleichszulagenrichtsatzes beziehe, könne ihr kein anteiliger Kostenersatz vorgeschrieben werden. Zahlungen, die der Beschwerdeführer an seine geschiedene Ehefrau geleistet habe, könnten seine Unterhaltspflicht gegenüber Claudia H. "nicht in direkter Weise beeinträchtigen". Sie stünden zudem in keinem zeitlichen Zusammenhang mit der in Rede stehenden Sozialhilfegewährung. Dass Claudia H. den Wiedereinstieg in das Erwerbsleben nunmehr offensichtlich geschafft habe, sei für den vom Beschwerdeführer geforderten Kostenersatz nicht relevant, weil es um den Zeitraum März 1998 bis November 2000 gehe, in dem zufolge der Selbsterhaltungsunfähigkeit der Claudia H. Sozialhilfe habe geleistet werden müssen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wurde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 45 Abs. 1 Burgenländisches Sozialhilfegesetz (Bgld. SHG) haben Personen, die gesetzlich oder vertraglich zum Unterhalt des Empfängers der Sozialhilfe verpflichtet sind, im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht Kostenersatz zu leisten, sofern nicht eine Anrechnung ihres Einkommens gemäß § 8 Abs. 5 erfolgt ist.
Eine Verpflichtung zum Kostenersatz besteht gemäß § 45 Abs. 3 Bgld. SHG nicht, wenn dieser wegen des Verhaltens des Hilfeempfängers gegenüber dem Ersatzpflichtigen sittlich nicht gerechtfertigt (§ 143 ABGB) wäre oder eine soziale Härte bedeuten würde.
Der Beschwerdeführer bestreitet, für Claudia H. unterhaltspflichtig zu sein. Diese habe im fraglichen Zeitraum über eigene Einkünfte verfügt und sei selbsterhaltungsfähig gewesen. Zum einen habe sie Geldleistungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz in Höhe von monatlich EUR 386,18 erhalten, die ihren Bedarf gedeckt hätten. Zum anderen habe sie Sozialhilfeleistungen bezogen, die ebenfalls als eigene Einkünfte anzusehen seien und die Unterhaltspflicht des Beschwerdeführers minderten. Die Arbeitslosigkeit von Claudia H. sei weiters auf ihre Drogenabhängigkeit zurückzuführen, an der sie ein Verschulden treffe. Auch führe Arbeitslosigkeit nur dann zum Wiederaufleben der elterlichen Unterhaltspflicht, wenn eine ausreichende soziale Absicherung fehle. Diese Absicherung sei jedoch in Gestalt der Leistungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz und nach dem Bgld. SHG gegeben gewesen, sodass die von Claudia H. mit dem Abschluss ihrer Berufsausbildung erlangte Selbsterhaltungsfähigkeit nicht weggefallen sei. Im Übrigen sei für Claudia H. primär der von ihr geschiedene Ehegatte unterhaltspflichtig. Dies habe die belangte Behörde ebenso verkannt wie den Umstand, dass ein Ersatzanspruch gegenüber dem Beschwerdeführer sittlich nicht gerechtfertigt sei, zumal Claudia H. seine soziale und berufliche Stellung durch ihr Verhalten in Misskredit gebracht habe. Sie habe einen liederlichen Lebenswandel geführt, Schulden angehäuft, die vom Beschwerdeführer immer wieder hätten beglichen werden müssen, sie habe sich im Drogenmilieu aufgehalten und sei in einem Bordell tätig gewesen. Die belangte Behörde habe in Ansehung der Tatbestandsvoraussetzungen gemäß § 45 Abs. 3 Bgld. SHG nur unzureichende Feststellungen getroffen. Schließlich sei die Verpflichtung zum Kostenersatz für den Beschwerdeführer mit sozialer Härte verbunden; verblieben ihm abzüglich der monatlichen Kreditrückzahlungen doch monatlich nur EUR 907,67, wovon der Betrag von EUR 2.770,77 nur mit erheblicher Beeinträchtigung der Aufwendungen für seinen Lebensunterhalt gezahlt werden könnte.
Gemäß § 45 Abs. 1 Bgld. SHG haben Personen, die gesetzlich zum Unterhalt des Empfängers der Sozialhilfe verpflichtet sind - der Fall vertraglicher Unterhaltspflicht ist im gegebenen Zusammenhang nicht relevant -, im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht Kostenersatz zu leisten. Mit der Wendung "im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht" verweist das Gesetz auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die gesetzliche Unterhaltspflicht (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 2001, Zl. 97/08/0425, und die dort zitierte Vorjudikatur).
Gemäß § 140 Abs. 1 ABGB haben Kinder gegen ihre Eltern Anspruch auf angemessenen Unterhalt, zu dessen Deckung jeder Elternteil entsprechend seiner Leistungsfähigkeit anteilig beizutragen hat. Der Anspruch auf Unterhalt mindert sich gemäß § 140 Abs. 3 ABGB insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist.
Soweit der Beschwerdeführer die Nichtberücksichtigung von der Claudia H. nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz zugeflossenen Geldleistungen als "eigene Einkünfte" im Sinn des § 140 Abs. 3 ABGB bemängelt, übersieht er, dass diese Leistungen - wie dargelegt - von der belangten Behörde ohnedies angerechnet wurden. Sie waren allerdings - so die belangte Behörde - nicht ausreichend, um in der Situation der Claudia H. ihren Mindestbedarf zur Führung eines menschenwürdigen Lebens zu decken. Vielmehr bedurfte sie, bedingt durch ihre Drogenabhängigkeit und deren Folgen der ihr gewährten Sozialhilfeleistungen, sodass ihr in diesem Umfang die Fähigkeit mangelte, sich aus eigenem zu erhalten. Soweit sie die Selbsterhaltungsfähigkeit zuvor bereits erlangt hatte, ist von einem Wiederaufleben der elterlichen Unterhaltspflicht auszugehen (vgl. dazu Schwimann in Schwimann, ABGB I2, § 140, Rz 90 ff).
Wenn der Beschwerdeführer aber die gewährten Sozialhilfeleistungen als seine Unterhaltspflicht im Sinne des § 140 Abs. 3 ABGB mindernde eigene Einkünfte der Claudia H. gewertet wissen will, so vernachlässigt er den Umstand, dass es im Anwendungsfall des § 140 ABGB (u.a.) seine Sache gewesen wäre, den offenen (Sozialhilfe-)Bedarf der Claudia H. zu decken. Eben weil dies nicht geschehen ist, hatte der Sozialhilfeträger durch Erbringung von Leistungen gemäß dem Bgld. SHG der bei Claudia H. bestehenden Notlage abzuhelfen, allerdings gegen nachträglichen Kostenersatz durch den privatrechtlich Unterhaltsverpflichteten, der sonst eine sachlich nicht gerechtfertigte Entlastung erführe (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 2004, Zl. 2002/10/0078, und die dort zitierte Judikatur). Die Auffassung des Beschwerdeführers, es treffe ihn im Umfang der gewährten Sozialhilfeleistungen keine Pflicht zur Unterhaltsleistung, übersieht, dass die Gewährung von Sozialhilfe unter dem Vorbehalt des nachträglichen Kostenersatzes u.a. durch den Unterhaltspflichtigen erfolgt. Die Gewährung von Sozialhilfe ändert daher nichts an der Verpflichtung zur Unterhaltsleistung (vgl. auch Pfeil, Österreichisches Sozialhilferecht 1989, S. 412).
Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, Claudia H. treffe in Form ihrer Drogenabhängigkeit ein Verschulden an ihrer Notlage, sodass seine Unterhaltspflicht (auch) aus diesem Grunde nicht zum Tragen komme, ist zu sagen, dass die dem Beschwerdeführer offenbar vor Augen stehende Verwirkung des Unterhaltsanspruches eines Kindes gesetzlich nicht vorgesehen ist. Es besteht allerdings ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, wonach die Erfüllung der Voraussetzungen eines Rechtsmissbrauches zur Versagung eines Anspruches führt. Die Verneinung eines Anspruches wegen Rechtsmissbrauches greift auch beim Kindesunterhalt ein. Voraussetzung ist nach allgemeinen Grundsätzen allerdings ein vorsätzliches Verhalten, das die durch die Unterhaltsleistung abzudeckenden Bedürfnisse erst schafft oder das Zulangen jener Mittel, die gemäß § 140 Abs. 3 ABGB primär und vor der Fremdleistungspflicht heranzuziehen sind, beeinträchtigt. Soweit das unterhaltsberechtigte Kind daher seine Erwerbsfähigkeit absichtlich beschränkt, ist es unterhaltsrechtlich so zu behandeln, als läge diese Beschränkung der Erwerbsfähigkeit nicht vor (vgl. den Beschluss des OGH vom 31. August 1994, 7 Ob 577/94). Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor, wenn das Kind infolge einer Krankheit außer Stande gesetzt ist, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, selbst wenn die Krankheit auf von ihm selbst zu vertretende Aktionen zurückzuführen ist, es sei denn, es habe diese Aktionen eben deshalb gesetzt, um weiterhin Unterhaltsleistungen zu erhalten; nur dann wäre eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung des Unterhaltsanspruches anzunehmen (vgl. nochmals den zitierten Beschluss des OGH).
Anhaltspunkte für die Annahme, es liege der beschriebene Missbrauchsfall vor, bestehen - wie die belangte Behörde zu Recht betont - nicht; auch die Beschwerde behauptet dies nicht.
Allerdings erweist sich das Beschwerdevorbringen, die belangte Behörde habe trotz Vorbringen des Beschwerdeführers Feststellungen betreffend einen Unterhaltsanspruch der Claudia H. gegen ihren geschiedenen Ehegatten unterlassen, als berechtigt. Bestünde nämlich ein Unterhaltsanspruch der Claudia H. gegen ihren geschiedenen Ehegatten und würde dieser bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen den eigenen angemessenen Unterhalt nicht gefährden, so wäre dieser Unterhaltsanspruch gemäß § 71 Abs. 1 Ehegesetz jenem gegenüber dem Beschwerdeführer vorrangig (vgl. Zankl in Schwimann, ABGB I2, § 71 Ehegesetz, Rz 1 f). Eine Heranziehung des Beschwerdeführers zum Kostenersatz käme insoweit nicht in Betracht. Indem die belangte Behörde daher, ohne auf das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen, in diesem Punkt keinerlei Feststellungen getroffen hat, sondern ohne Weiteres von der (primären) Unterhaltspflicht des Beschwerdeführers ausgegangen ist, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Dieser war daher - ohne auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der beantragten Verhandlung konnte gem. § 39 Abs. 2 Z.4 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 2. Mai 2005
Schlagworte
Rechtsgrundsätze Allgemein Anwendbarkeit zivilrechtlicher Bestimmungen Verträge und Vereinbarungen im öffentlichen Recht VwRallg6/1 Rechtsgrundsätze Diverses VwRallg6/7European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2003100215.X00Im RIS seit
31.05.2005Zuletzt aktualisiert am
07.10.2008