Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 24.April 1980 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Horak, Dr. Schneider und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Vichytil als Schriftführerin in der Strafsache gegen Andreas A und Wolfgang B wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs. 1 und 2 Z. 1 StGB.
und anderer strafbarer Handlungen über die von den beiden Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Jugendschöffengerichts vom 22.Oktober 1979, GZ. 24 Vr 1636/79-12, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Schuldberufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Hörburger, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Hiller und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalts Dr. Scheibenpflug, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Die Schuldberufung wird zurückgewiesen.
Gemäß § 390 a StPO. fallen den Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden der am 16.August 1964 geborene beschäftigungslose Andreas A und der am 29.Jänner 1964 geborene Dachdeckerhilfsarbeiter Wolfgang B der Vergehen des Diebstahls nach dem § 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 StGB., der dauernden Sachentziehung nach dem § 135 Abs. 1 StGB. und der Urkundenunterdrückung nach dem § 229 Abs. 1 StGB. schuldig erkannt.
Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen haben die beiden Angeklagten und ihr noch strafunmündiger Mitschüler Peter C am 29. Juni 1979 in Linz aus dem unversperrt auf der Straße abgestellten Personenkraftwagen des Josef D eine Herrenhandtasche des Fahrzeugeigentümers gestohlen, wobei B aufpaßte, A die Wagentür öffnete und C die Tasche aus dem Fahrzeug nahm. Sie durchsuchten die Tasche noch auf dem Tatort und nahmen daraus einen Bargeldbetrag von 300 S, den sie untereinander aufteilten. Die Herrenhandtasche samt dem restlichen, aus einem Etui mit Dokumenten des Josef D (Führerschein der Gruppen A und B, je ein Zulassungsschein für einen Personenkraftwagen und für einen Anhänger, Personalausweis, Schiffsführerpatent für die österreichische Donau und Seen und Scheckkarte) bestehenden Inhalt, versteckten sie hinter einem in der Nähe befindlichen Steinhaufen. Vier Tage nach der Tat entnahm der Angeklagte Wolfgang B der Handtasche das Etui mit den Dokumenten und legte es auf den Gehsteig der stark frequentierten Haiderstraße, damit die Dokumente gefunden und an den Geschädigten zurückgegeben würden, was auch tatsächlich geschehen ist.
Ausgehend von diesem Sachverhalt erachtete das Erstgericht in Ansehung der Barschaft von 300 S das Vergehen des Diebstahls nach dem § 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 StGB., bezüglich der Herrenhandtasche (Wert ca. 220 S) das Vergehen der dauernden Sachentziehung nach dem § 135 Abs. 1
StGB. und hinsichtlich der Dokumente das Vergehen der Urkundenunterdrückung nach dem § 229 Abs. 1 StGB. als verwirklicht. Diesen Schuldspruch bekämpfen die Angeklagten mit einer (gemeinsam ausgeführten) auf die Z. 9 lit. b und 10 des § 281 Abs. 1 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Rechtliche Beurteilung
Soweit die Angeklagten in Ausführung des erstgenannten Nichtigkeitsgrunds die Auffassung vertreten, bezüglich des ihnen angelasteten Diebstahls mangle es im Sinn des § 42 StGB. an der Strafwürdigkeit der Tat, kommt der Beschwerde keine Berechtigung zu. Wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, kann entgegen der Meinung der Beschwerdeführer von einer geringen Schuld - die nach § 42 StGB. nur dann vorliegt, wenn sie absolut, aber auch im Vergleich zu den typischen Fällen des Delikts gering ist und das Verhalten des Täters erheblich hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt zurückbleibt (Leukauf-Steininger, Komm.2, S. 375, RN. 9 zu § 42 StGB. und die dort zitierte Judikatur) - nicht gesprochen werden, zumal das zielstrebige und wohlüberlegte Handeln der Angeklagten auf eine soziale Fehlhaltung gegenüber den rechtlich geschützten Werten hinweist (siehe die Rollenverteilung bei der Tatverübung), die beiden jugendlichen Rechtsbrecher auch noch einen Strafunmündigen in das Tatgeschehen hineinzogen und nach den Urteilsfeststellungen zur Beteiligung verleiteten (S. 78). Mit Recht verweist das Jugendschöffengericht aber auch darauf, daß die in Rede stehende Tat der Angeklagten keineswegs keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat. Ob diese im Gesetz normierte Voraussetzung gegeben ist, darf nämlich nicht bloß nach den unmittelbaren Tatfolgen, sondern muß nach allen Auswirkungen der Tat beurteilt werden (Leukauf-Steininger, Komm.2 RN. 11 zu § 42 StGB., LSK. 1977/344). Dabei sind hier wie stets auch die außertatbestandsmäßigen Folgen zu berücksichtigten. Es ist daher nicht zulässig, den Diebstahl des Geldbetrags isoliert zu betrachten, sondern es ist auch darauf zu sehen, daß sich in der von den Angeklagten weggenommenen Handtasche wichtige und schwer zu ersetzende Urkunden befanden, deren Verlust Josef D - der sich kurz nach der Tat bereits um Duplikate für einen Teil der Dokumente bemühen mußte - naturgemäß empfindlich traf (S. 31 und 79).
Schon aus diesen Gründen liegen die Voraussetzungen des § 42 StGB. nicht vor, weshalb nicht weiter darauf einzugehen ist, ob und inwieweit hier der Annahme des in Rede stehenden sachlichen Strafausschließungsgrunds auch Erwägungen der Spezial- und Generalprävention (§ 42 Abs. 1 Z. 3 StGB.) entgegenstehen.
Mit dem Nichtigkeitsgrund der Z. 10 des § 281 Abs. 1 StPO. (im Ergebnis auch die Z. 9 lit. b der genannten Gesetzesstelle anrufend, weil das Fehlen der Verfolgungsermächtigung gemäß § 141 Abs. 2 StGB. geltend gemacht wird) rügen die Beschwerdeführer die Annahme von Diebstahl statt Entwendung, wobei sie sich auf Unbesonnenheit berufen.
Dieser Auffassung kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil die bloße Ausnützung einer günstigen Gelegenheit, so auch jener, welche ein unversperrt auf der Straße stehendes Auto für die Wegnahme von Gegenständen daraus bietet, noch nicht Unbesonnenheit begründet. Ein Blick auf das Erscheinungsbild der modernen Großstadtkriminalität macht zusätzlich die rechtspolitische Unhaltbarkeit einer anderen Gesetzesauslegung deutlich. Mehr ist dazu bei der Alltäglichkeit des gegenständlichen Sachverhalts nicht zu sagen.
Mit dem Vorbringen, nach den Urteilsfeststellungen könne von einer 'dauernden Entziehung' der Herrenhandtasche weder in objektiver, noch in subjektiver Hinsicht die Rede sein, wenden sich die Beschwerdeführer, sachlich den Nichtigkeitsgrund der Z. 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO. relevierend, gegen den Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 135 Abs. 1 StGB. in bezug auf die Herrenhandtasche. Dem ist zunächst zu erwidern, daß im Umfang der Bestreitung des subjektiven Tatbestands kein materieller Nichtigkeitsgrund gesetzmäßig dargestellt wird. Die Behauptung, die Entziehung der Handtasche niemals gewollt zu haben, ist urteilsfremd, weil der Vorsatz, die Tasche dauernd zu entziehen, konstatiert ist (S. 78 unten). Zu prüfen ist sonach im Rahmen der erhobenen Rechtsrüge nur das Vorliegen der objektiven Tatbestandsmerkmale des § 135 Abs. 1 StGB.
Hiebei ist folgendes zu erwägen:
Richtig ist, daß der bisherige Gewahrsam an der fremden Sache für dauernd beseitigt, die Sache also für dauernd entzogen werden muß. Dabei ist das Vorliegen dieses Kriteriums nach der allgemeinen Lebenserfahrung zu beurteilen.
Eine Sachentziehung ist dann als dauernd anzusehen, wenn der Gewahrsam auf eine Weise gebrochen und darnach mit der Sache auf eine Art verfahren wird, welche die Erwartung des Täters, der Geschädigte werde die Sache unbegrenzt entbehren, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge rechtfertigt. Eben dies trifft aber zu, weil die Täter die Handtasche im freien Gelände hinter einem Steinhaufen versteckten. Soweit die Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auch behaupten, die Tasche sei zurückgestellt worden, entfernen sie sich wieder von den Urteilsfeststellungen. Nach der Aktenlage hat nämlich der Mittäter Peter C erst später im Zug der gegen ihn geführten polizeilichen Erhebungen die Tasche zurückgegeben, was nur als nachträgliche Schadensgutmachung (d.h. als Restitution nach der Deliktsvollendung) beurteilt werden kann. Rechtsrichtig hat das Erstgericht darum das Verbergen der Handtasche als dauernde Sachentziehung nach § 135 Abs. 1
StGB. qualifiziert.
Der Beschwerde kommt aber auch keine Berechtigung zu, soweit sie den Schuldspruch wegen Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 StGB. bekämpft. Diesen Tatbestand erfüllt, wer eine Urkunde, über die er nicht oder nicht allein verfügen darf, vernichtet, beschädigt oder unterdrückt, wenn er mit dem Vorsatz handelt, zu verhindern, daß sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde. Als 'Unterdrücken' ist dabei jede (vorsätzliche) Handlung anzusehen, welche die Urkunde zwar unversehrt erhält, den Berechtigten aber um die Möglichkeit bringt, sich ihrer zu bedienen (LSK. 1976/221). Ein solches Verhalten muß, um den Tatbestand zu verwirklichen, auch von dem (zumindest bedingten) Vorsatz getragen sein, den Gebrauch der Urkunde (durch wen immer) zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache zu verhindern. Es wäre nun geradezu lebensfremd, anzunehmen, daß in einer hochentwickelten Industriegesellschaft wie der österreichischen nicht jedermann, auch der einfachste Mensch, wüßte, daß mit dem Verlust von Urkunden, auch von (gültigen) Beweis- und Legitimationsurkunden deren Gebrauch im Rechtsverkehr, für den sie ja geschaffen, erworben, bei sich getragen oder aufbewahrt werden, durch den Berechtigten verhindert wird. In der Regel wird also der Täter bei was immer für einer Wegnahme von (gültigen) Urkunden, sei es auch anläßlich des Diebstahls oder der dauernden Entziehung anderer Sachen, wenigstens mit dem bedingten Vorsatz handeln, zu verhindern, daß sie im Rechtsverkehr zu Beweiszwecken gebraucht werden (dazu trefflich Kienapfel in ZVR. 1979 S. 157 f.); denn daß er, hat er einmal erkannt, daß es Urkunden (Schriftstücke zu irgendwelchen Rechtsoder Beweiszwecken) sind, deren er sich bemächtigt (hat), deren Gebrauchsverhinderung durch sein Verhalten nicht für möglich hielte und sich nicht damit abfände, kann unter den Verhältnissen der Gesellschaft von heute nicht angenommen werden, will sich die Rechtsprechung nicht dem Vorwurf der Weltfremdheit aussetzen. Seltene Ausnahmsfälle werden wohl meist in das Gebiet sachverständiger (psychologischer) Beurteilung einschlagen. Aus den dargelegten Erwägungen vermag der Oberste Gerichtshof an der in seiner Entscheidung vom 11.Mai 1976, SSt.
XLVII/28 = EvBl. 1976
Nr. 277 = LSK. 1976/222, zum Ausdruck gebrachten Ansicht, § 229 Abs.
1 StGB. verlange einen (gewissermaßen speziellen) Gebrauchsverhinderungsvorsatz, nicht festzuhalten.
Nach den hier relevanten Urteilsfeststellungen bestand bei den Angeklagten zu dem Zeitpunkt, als sie die Handtasche mit den Urkunden in der Nähe des I***-Kaufhauses bei einem Steinhaufen versteckten, 'von vorneherein die Absicht ..., sowohl die Herrenhandtasche als auch die darin befindlichen Urkunden dem Geschädigten dauernd zu entziehen' (S. 78). Diese Konstatierungen reichen nicht nur (objektiv und subjektiv) für das oben umschriebene Tatbestandsmerkmal des Unterdrückens der Urkunden aus, sondern auch für die Annahme des auf Gebrauchsverhinderung gerichteten, wenigstens bedingten Vorsatzes im soeben erörterten Sinn (§§ 229 Abs. 1, 5 Abs. 1, zweiter Satz, StGB.).
Das Erstgericht hat daher das Verstecken der Urkunden mit Recht dem Tatbestand des § 229 StGB. und nicht dem des § 135 StGB. unterstellt. Daß der Angeklagte B das Etui mit den Urkunden vier Tage nach der Tat auf den Gehsteig eines frequentierten Straßenzugs legte, damit die Papiere gefunden und dem Berechtigten zugeleitet würden, vermag den Strafaufhebungsgrund der tätigen Reue nach § 229 Abs. 2 StGB. nicht herzustellen:
Erstens hatte sich der Geschädigte Josef D, bevor ihm die Dokumente dann wirklich wieder zukamen (polizeiliche Ausfolgung), bereits genötigt gesehen, sich für einen Teil von ihnen Duplikate ausstellen zu lassen, wofür er 350 S in Stempelmarken hatte entrichten müssen (siehe abermals Seiten 31 und 79); zweitens hat B die Unterdrückung nicht 'rückgängig gemacht' oder 'bewirkt, daß die Tat den Beweis ... nicht behindert' (§ 229 Abs. 2 StGB.), sondern, die Auffindung der Urkunden auf dem Gehsteig weiterhin dem Zufall überlassen (man denke nur an die Möglichkeit einer maschinellen Straßenreinigung oder der Auffindung durch eine nicht ablieferungswillige Person).
In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 28.September 1978, 13 Os 123/78 (ZVR. 1979 Nr. 151 =
EvBl. 1979 Nr. 91), wurde zwar die Ansicht vertreten, daß die Ansichnahme und Einbehaltung von Beweis- und Legitimationsurkunden (wie etwa den urteilsgegenständlichen) dem Tatbestand der dauernden Sachentziehung des § 135 StGB. zu unterstellen sei. Diese Entscheidung ist alsbald auf Kritik gestoßen (Leukauf-Steininger, Kommentar2 RN. 5 a bei § 135 StGB.; Kienapfel in einer Glosse zur angeführten Entscheidung: ZVR. 1979 S. 157 f.). Der Oberste Gerichtshof vermag sich dieser Kritik nicht zu verschließen: Objekt des § 135 StGB. ist eine fremde bewegliche Sache; diese Bezeichnung des Deliktsgegenstands stimmt wörtlich mit derjenigen des Diebstahlsobjekts im § 127 StGB. überein ! Damit nicht genug, ist § 135 StGB.
in den Sechsten Abschnitt des Strafgesetzbuchs: 'Strafbare Handlungen gegen fremdes Vermögen' eingereiht. Daraus folgt, daß dem Sachbegriff des § 135 StGB. der (identische) des § 127 StGB. zugrundezulegen ist (vgl. dasselbe Ergebnis in LSK. 1977/284 und EBRV. 1971 S. 283 rechts).
Beweis- und Legitimationsurkunden wie die inkriminierten haben aber keinen Sach- oder Tauschwert, sonst wären sie ja Gegenstände des Diebstahls, was nach neuem wie nach altem Recht einhellig verneint wird (siehe statt vieler Leukauf-Steininger, Kommentar2 RN. 6 bei § 127 StGB.).
Daraus folgt aber, daß § 135 StGB. im vorliegenden Fall mangels 'diebstahlsfähiger' Sachen keine Anwendung finden kann. Die in der oben angeführten Entscheidung vom 28.September 1978, 13 Os 123/78, vertretene Ansicht würde dagegen - wie Leukauf-Steininger2 (RN. 5 a bei § 135 StGB.) mit Recht hervorheben - zu einer bedenklichen Verwischung der Grenze zu den Urkundendelikten führen. Letztlich ist wiederum Kienapfel durchaus beizupflichten, daß die nunmehr abgelehnte Auffassung bzw. Entscheidung darauf hinausläuft, § 135 StGB. in einen Auffangtatbestand für Verhaltensweisen umzufunktionieren, deren eigentlicher Unwert auf einem ganz anderen Gebiet und zwar im Bereich der Urkundenstraftaten liegt (Kienapfel in ZVR. 1979 S. 157).
Die Schuldberufung war zurückzuweisen, weil ein solches Rechtsmittel gegen schöffengerichtliche Urteile im Gesetz nicht vorgesehen ist.
Anmerkung
E02635European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1980:0130OS00029.8.0424.000Dokumentnummer
JJT_19800424_OGH0002_0130OS00029_8000000_000