TE OGH 1980/5/13 10Os63/80

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.05.1980
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Bart als Schriftführer in der Strafsache gegen Otto A wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB. und einer anderen strafbaren Handlung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 6.März 1980, GZ. 27 Vr 634/79-30, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Vergehens (der schweren Körperverletzung) nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB. (Punkt 1. des Urteilssatzes), demzufolge ferner im Strafsowie im Adhäsionsausspruch aufgehoben sowie die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 30.Oktober 1952 geborene Maschinenschlosser Otto A außer anderen strafbaren Handlungen (§ 83 Abs. 1 StGB.) des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB. schuldig erkannt, begangen dadurch, daß er am 21.Dezember 1978 in Innsbruck (den am 26.Dezember 1920 geborenen) Franz B durch zahlreiche Faustschläge vorsätzlich verletzte, wobei die Tat eine an sich schwere Verletzung, nämlich ein schweres, kombiniertes Thoraxtrauma mit Serienbrüchen der siebenten bis neunten Rippen links, eine stumpfe Thoraxverletzung rechts mit Lufteintritt in den Brustkorbraum (Mantelpneu), eine Mikrohämaturie (leichte Nierenprellung), weiters Prellungen mit Blutunterlaufungen im Bereich beider Augen (Brillenhämatome), über dem linken Ohr, an der Nase und am rechten Jochbein, ferner einen Nasenbeinbruch (ohne Verschiebung), eine Rißquetschwunde über dem linken Ohr, eine Gehirnquetschung, eine mittelschwere Gehirnerschütterung, eine Bißwunde an der rechten oberen Brustkorbseite mit Zahnabdrücken und eine kleine (Biß-)Rißquetschwunde am linken Ringfinger, verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Der auf § 281 Abs. 1 Z. 5 und 9 lit. b StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen diesen Schuldspruch kommt Berechtigung zu.

Das Erstgericht stützt die - der vom Beschwerdeführer (primär in tatsachenmäßiger Beziehung) bekämpften Annahme eines Notwehrexzesses aus sthenischem Affekt (S. 192: 'insbesondere aus Zorn') zu Grunde liegenden - Feststellungen, er (Beschwerdeführer) habe über Franz B, nachdem ihn dieser am Hals gepackt, in die Wohnung der Stefanie C gestoßen, und dort über einen Tisch (dessen Glasplatte dabei zerbrach) geworfen hatte, worauf beide stürzten und sich am Boden wälzten, 'eindeutig die Oberhand' gewonnen und den 'bereits völlig hilf- und wehrlosen B durch eine Serie schwerster Faustschläge richtig fertig gemacht und so lange traktiert, bis jener bewußtlos in einer Blutlache am Boden lag' (S. 187), namentlich auf 'Art und Umfang der Verletzungen der beiden Beteiligten'; aus der Tatsache, daß Franz B die zuvor bezeichneten, auf mehrfache schwerste Mißhandlungen hinweisenden multiplen Verletzungen erlitten hatte, während der Angeklagte (bloß) eine Schnittverletzung am linken Knie, eine Kontusion am rechten Vorfuß, Abschürfungen an der rechten Wange und am Hals sowie am rechten Daumen davongetragen hatte, ergab sich

für das Schöffengericht zwingend (S. 190: '... muß ...';

S. 191: '... undenkbar ...') der in obiger Weise konstatierte

Hergang der Ereignisse. Außerdem führte es gegen den Beschwerdeführer noch ins Treffen, daß er nach der Tat die Wohnung der Stefanie C verlassen hat, ohne das Eintreffen der Polizei abzuwarten.

Zu Recht wirft der Angeklagte dem Urteil vor allem Begründungsmängel (im Sinne einer Unvollständigkeit) nach dem erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund mit der Argumentation vor, es habe bei seinen Sachverhaltsfeststellungen den Tatablauf, weiters die körperliche Konstitution des Franz B und dessen Erregungszustand zur Tatzeit betreffende wesentliche Verfahrensergebnisse, so insbesondere die einschlägigen Angaben der Zeugin Stefanie C und seine bezügliche eigene Verantwortung, aber auch entsprechende Teile des Gutachtens des Sachverständigen Univ.Prof. Dr. D übergangen. Schon die Tatsache, daß Franz B, dem auf Grund einer sogenannten retrograden Amnesie jegliche Erinnerung an den fraglichen Vorfall fehlt (S. 43 f., 87 f., 122, 167 f.), die Tätlichkeiten den Urteilskonstatierungen nach durch einen (massiven) Angriff gegen den Angeklagten eröffnete, hätte dem Erstgericht Anlaß geben müssen, sich (vor allem auch) mit der Darstellung des Angeklagten, wonach B immer wieder auf ihn losgegangen sei, was zur Folge hatte, daß sie (beide) mehrmals zu Boden kamen (S. 47, 122), eingehend auseinanderzusetzen.

Insoweit durfte sich das Erstgericht nicht, so wie dies letztlich geschah - unter faktisch willkürlicher Ergänzung der Verfahrensergebnisse zum Nachteil des Angeklagten und damit in Überschreitung der Grenzen des Rechtes der freien Beweiswürdigung (vgl. SSt. 30/20, 27/47 u.a.) -

bloß an einen Vergleich der (Zahl und Schwere der) Verletzungen der beiden Kontrahenten berufen und hieran nicht einfach - ohne weitere (mängelfreie) Begründung den Ausspruch knüpfen dürfen, die eingangs bezeichneten Verletzungen seien dem Franz B vom Angeklagten infolge Überschreitung des Maßes der gerechtfertigten Verteidigung aus einem sthenischen Affekt (Zorn) zugefügt worden; und dies umso weniger, als der Angeklagte sinngemäß ins Treffen geführt hat, er sei laufend immer wieder neuen Angriffen des Franz B ausgesetzt gewesen, gegen die er sich (bloß) zur Wehr gesetzt habe. Dabei läßt das Urteil ferner Erörterungen darüber vermissen, ob bzw. welche der Verletzungen, die nach dem Urteil insgesamt ausschließlich aus Faustschlägen resultieren sollen (S. 184, 187), ihrer Natur nach aber wohl doch eher für die Einwirkung erheblicherer stumpfer Gewalt gegen den Körper BS sprechen, allenfalls durch Angriffshandlungen BS gegen den Angeklagten ausgelösten Stürzen oder (jeweiligen) Abwehrhandlungen des Angeklagten gegen diese Angriffe entsprungen sind. Insoweit fällt auf, daß Franz B auch (zwei) Bißwunden, also Verletzungen erlitten hat, die nicht ohneweiteres als typische Folgen von Aggressionsakten angesehen werden können. Gleichfalls mit Recht macht der Beschwerdeführer (unter dem Gesichtspunkt einer Unvollständigkeit bzw. eines Feststellungsmangels) geltend, das Schöffengericht betrachte zwar den Umstand, 'daß er sich von der Kampfstätte entfernte, als dort B in seinem Blut bewußtlos am Boden lag' als Zeichen seines schlechten Gewissens und damit als Indiz für einen Notwehrexzess aus einem sthenischen Affekt, übergehe jedoch die Tatsache mit Stillschweigen, daß er - nach seiner insoferne mit den Bekundungen der Zeugin Stefanie C im Einklang stehenden Verantwortung - die Herbeiholung der Polizei selbst veranlaßt habe (S. 22, 47, 60, 124). Soweit das Erstgericht die körperliche Überlegenheit des Angeklagten gegenüber Franz B (allein) aus dem Altersunterschied zwischen den Genannten abzuleiten versucht, läßt es - von der Beschwerde gleichfalls zutreffend gerügt - außer Acht, daß B in den Gutachten der Sachverständigen Dr. E (S. 69) und Univ.Prof. Dr. D (S. 157) als 58jähriger, 186 cm großer, 94 (96) kg schwerer, kräftiger, breitschultriger Mann von athletisch-muskulärer Konstitution beschrieben wird; ebenso die für die Beurteilung der Intensität des Erregungszustandes des Franz B nicht unwesentlichen Depositionen der (Bekannten desselben) Marianne F (S. 39, 54, 123), die sich, nachdem es ihr nicht gelungen war, B zu beruhigen, sogar zum Verlassen ihrer Wohnung bewogen sah (S. 14).

Die aufgezeigten Begründungsmängel nötigen zur Aufhebung des Urteils und zur Anordnung einer Verfahrenserneuerung. Ohne daß es eines Eingehens auf das weitere Beschwerdevorbringen bedurfte, war sohin der Nichtigkeitsbeschwerde nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 285 e StPO. (i.d.F. BGBl. 1980/28) bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort Folge zu geben und spruchgemäß zu erkennen.

Im zweiten Rechtsgang könnte (außer einer ergänzenden Befragung des schon gehörten unfallchirurgischen Sachverständigen) allenfalls (auch) die Beiziehung eines weiteren (gerichtsmedizinischen) Sachverständigen (§§ 118 Abs. 2, 126 StPO.) angezeigt sein.

Anmerkung

E02674

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1980:0100OS00063.8.0513.000

Dokumentnummer

JJT_19800513_OGH0002_0100OS00063_8000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten