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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art6 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des A, geboren 1969, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Adalbert-Stifter-Straße 16, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 10. Februar 2003, Zl. St 71/02, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer den Aufwand von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 10. Februar 2003 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen serbisch-montenegrinischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 sowie den §§ 37 und 39 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Der Beschwerdeführer sei am 30. Oktober 1991 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet eingereist. Sein am 5. November 1991 gestellter Asylantrag sei mit Bescheid der belangten Behörde vom 22. November 1991 (nach der am 9. Juli 1992 erfolgten Zurückziehung der dagegen erhobenen Berufung) rechtskräftig abgewiesen worden. Am 9. Juli 1992 habe er erstmals einen befristeten Sichtvermerk erhalten. Zuletzt sei ihm am 8. April 1998 eine unbefristete Niederlassungsbewilligung erteilt worden.
Am 16. November 2001 seien der Beschwerdeführer, sein mit einer Schusswaffe bewaffneter Neffe sowie ein weiterer Landsmann in Regau auf frischer Tat beim Verkauf von etwa 350 Gramm Kokain betreten und festgenommen worden. Der Beschwerdeführer sei mit Urteil (des Landesgerichtes Wels) vom 27. Februar 2002 wegen des Verbrechens nach § 15 Abs. 1 StGB, § 28 Abs. 2 vierter Fall und Abs. 3 (1. Fall) SMG rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 6 Monate unbedingt und 18 Monate bedingt, verurteilt worden. Es sei die Annahme gerechtfertigt, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle.
Der im Kosovo verheiratete Beschwerdeführer lebe in Österreich in Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsangehörigen. Ferner halte sich der (bereits erwähnte) Neffe des Beschwerdeführers in Österreich auf.
In Anbetracht der gerichtlichen Verurteilung sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt und die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt. Das Aufenthaltsverbot greife zwar in das Privatleben des Beschwerdeführers ein, es sei aber in Anbetracht der besonderen Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität gemäß § 37 Abs. 1 FrG gerechtfertigt. Die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wögen wesentlich schwerer als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine Lebenssituation, weshalb das Aufenthaltsverbot auch im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG zulässig sei.
Der Aufenthaltsverbot-Verbotsgrund des § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG komme dem Beschwerdeführer nicht zu Gute, weil der Beginn seiner Niederlassung erst mit Abschluss seines Asylverfahrens (der Zurückziehung der Berufung gegen den erstinstanzlichen negativen Asylbescheid am 9. Juli 1992) angesetzt werden könne. Der Aufenthalt während seines Asylverfahrens könne "wohl noch kaum vom Niederlassungswillen getragen gewesen sein, zumal mit der Zuerkennung einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz eine andere Intention verfolgt wird". In gleicher Weise könne erst nach Abschluss seines Asylverfahrens von einem ununterbrochenen Hauptwohnsitz im Sinn des § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes ausgegangen werden, weil davor nicht klar sei, ob der Beschwerdeführer Asyl erhalten werde und wie lange er im Bundesgebiet verbleiben dürfe. Da nicht vorhergesehen werden könne, wann die Gründe für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes weggefallen sein würden, habe das Aufenthaltsverbot nur auf unbefristete Dauer verhängt werden können.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor; von der Erstattung einer Gegenschrift wurde abgesehen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, ihm hätte bereits Anfang November 2001 (sohin vor Verwirklichung des "maßgeblichen Sachverhaltes" im Sinn des § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG am 16. November 2001) die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden können, weil er sich zu diesem Zeitpunkt seit über zehn Jahren im Bundesgebiet befunden habe. Die belangte Behörde gehe zu Unrecht davon aus, dass der Wohnsitz bzw. Hauptwohnsitz erst am 9. Juli 1992 mit der Erteilung eines befristeten Sichtvermerkes begründet worden sei.
1.2. Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht.
Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 hätte verliehen werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Unter dem Zeitpunkt "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" ist der Zeitpunkt vor Eintritt des ersten der in ihrer Gesamtheit für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände zu verstehen. Im Fall eines auf strafbaren Handlungen gründenden Aufenthaltsverbotes handelt es sich beim "maßgeblichen Sachverhalt" nicht um die jeweilige Verurteilung bzw. Bestrafung, sondern um das einer Verurteilung bzw. Bestrafung zu Grunde liegende Fehlverhalten, weil nur dieses die im § 36 Abs. 1 Z. 1 bzw. § 36 Abs. 1 Z. 2 FrG umschriebene, für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes notwendige Annahme rechtfertigen kann. Im vorliegenden Fall ist der für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Umstand am 16. November 2001 mit dem Versuch des Beschwerdeführers eingetreten, Suchtmittel zu verkaufen. Ein Aufenthaltsverbot-Verbotsgrund nach § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG ist dann gegeben, wenn dem Fremden zu dem vorhin genannten Zeitpunkt die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 hätte verliehen werden können. Dazu müsste der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet gehabt haben.
Nach Art. VII des Hauptwohnsitzgesetzes, BGBl. Nr. 505/1994, gilt in Bezug auf das Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 für Zeiten vor Inkrafttreten des Hauptwohnsitzgesetzes (am 1. Jänner 1995) als Hauptwohnsitz der ordentliche Wohnsitz. Gemäß § 5 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 in seiner bis zum 31. Dezember 1994 geltenden Stammfassung ist der ordentliche Wohnsitz einer Person an dem Ort begründet, an dem sie sich in der erweislichen oder - wie bei der Stellung eines Asylantrages - aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, ihn bis auf weiteres zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu wählen. Hiebei ist es unerheblich, ob die Absicht darauf gerichtet war, für immer an diesem Ort zu bleiben, und es ist auch nicht erforderlich, dass der Aufenthalt des Fremden rechtmäßig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. April 2003, Zl. 2002/18/0292). Nach der Rechtslage ab dem 1. Jänner 1995 ist der Hauptwohnsitz im Sinn des Art. 6 Abs. 3 B-VG dort begründet, wo sich die Person in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, hier den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu schaffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 2003, Zl. 2002/01/0081, wonach dem Ausdruck "Hauptwohnsitz" im Rahmen des Staatsbürgerschaftsrechtes das sich aus dem B-VG ergebende Verständnis zu Grunde gelegt werden muss). Auch nach der seither geltenden Rechtslage kommt es nicht darauf an, ob der Aufenthalt im Bundesgebiet rechtmäßig ist oder ob die betreffende Person ihrer Meldepflicht gemäß § 3 Meldegesetz 1991 nachgekommen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 2000, Zl. 99/18/0249). In Anbetracht des Wunsches des Beschwerdeführers, in Österreich (als Flüchtling) zu bleiben, kann im vorliegenden Fall kein Zweifel daran bestehen, dass er seit seiner Einreise nach Österreich am 30. Oktober 1991 seine ordentlichen Wohnsitz bzw. seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hatte. Unmittelbar vor der Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes am 16. November 2001 hätte ihm daher - vorbehaltlich der Erfüllung der weiteren Anspruchsvoraussetzungen - die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden können. Damit könnte der Aufenthaltsverbot-Verbotsgrund des § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG erfüllt sein, zumal der Beschwerdeführer unstreitig nicht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist.
2. Der angefochtene Bescheid war wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
3. Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 3. Mai 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2003180084.X00Im RIS seit
10.06.2005Zuletzt aktualisiert am
18.11.2011