TE OGH 1980/6/11 11Os75/80 (11Os76/80)

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Veröffentlicht am 11.06.1980
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.Juni 1980 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Rietdijk als Schriftführer in der Strafsache gegen Anton A wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und Abs. 4

(erster Fall) StGB über die von der Generalprokuratur gegen die Urteile des Bezirksgerichtes Dornbirn vom 27.Juni 1979, GZ U 656/78- 15, und des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgericht vom 17. Oktober 1979, AZ Bl 94/79, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur Generalanwalt Dr. Strasser zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Bezirksgerichtes Dornbirn vom 27.Juni 1979, GZ U 656/78-15, sowie das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgericht vom 17.Oktober 1979, AZ Bl 94/79, verletzen das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 6, 88 Abs. 1 StGB in Verbindung mit dem § 16 Abs. 2 lit. a StVO.

Text

Gründe:

Die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn erließ am 20.Juni 1973 unter der Zahl III 623/73 eine Verordnung mit folgendem Wortlaut:

Gemäß § 43 Abs. 1 lit. b Z 1 StVO 1960 wird angeordnet:

Auf der Bundesstraße B 203 in Lustenau wird das Überholen mehrspuriger Fahrzeuge ca. 150 m südlich der Abzweigung der Schweizer-Riedstraße bis unmittelbar nach der Abzweigung in Fahrtrichtung Norden verboten. Ausgenommen ist das Überholen von Zugmaschinen.' Diese Verordnung wurde am 13.Juli 1973 durch Anbringen der Vorschriftszeichen 'Überholen verboten' (§ 52 Z 4 a und 4 b StVO) kundgemacht.

Der Verordnung war eine vom Gendarmeriepostenkommando Lustenau gegebene Anregung vorausgegangen, derzufolge sich im Kreuzungsbereich vermehrt Verkehrsunfälle ereignet hatten, wenn sich aus Richtung Hohenems kommende Verkehrsteilnehmer in der Mitte der Bundesstraße B 203 zum Einbiegen nach links in die stark frequentierte Schweizer-Riedstraße einordneten und dies von nachfolgenden Verkehrsteilnehmern wegen der 'sehr leicht zu übersehenden Abzweigung' nicht rechtzeitig erkannt wurde, sodaß es im Zug von Überholmanövern zur Kollision kam (ON 12 der erstgerichtlichen Akten).

Am 10.März 1978 gegen etwa 19 Uhr 10 lenkte Anton A seinen PKW Mercedes 250, Kennzeichen V 91.747, bei Dunkelheit und eingeschaltetem Abblendlicht auf der Bundesstraße B 203 in Richtung Norden und überholte trotz des im erwähnten Kreuzungsbereich in seiner Fahrtrichtung bestehenden Überholverbotes (§ 16 Abs. 2 lit. a StVO) einen in derselben Richtung fahrenden PKW mit einer Geschwindigkeit von ca. 100 km/h. Gleichzeitig bog Maria B mit dem PKW VW 1302, Kennzeichen V 66.203, ebenfalls mit Abblendlicht aus der, in der Fahrtrichtung Anton AS gesehen, von links einmündenden Schweizer-Riedstraße nach rechts, also dem PKW Anton AS entgegenfahrend, in die Bundesstraße B 203 ein.

Da Anton A den Überholvorgang nicht beendet hatte und sich sein PKW noch auf der linken Straßenhälfte (Gegenfahrbahn) befand, kam es zum (Frontal-) Zusammenstoß mit dem PKW der Maria B, knapp nachdem sie das Einbiegemanöver beendet und von ihrer Anhalteposition vor der Einmündung innerhalb von drei Sekunden eine Strecke von 6 m im ersten Gang zurückgelegt hatte.

Durch den Unfall erlitt Maria B Rißquetschwunden im Bereich der Stirn, im Bereich beider Augenbrauenregionen und am linken Knie sowie eine Eröffnung des linken Knieschleimbeutels. Nach dem Gutachten des ärztlichen Sachverständigen (ON 5 und S 89) sind diese Verletzungen in ihrer Gesamtheit noch leicht; sie hatten für die Verletzte eine zwar drei, nicht aber vierundzwanzig Tage übersteigende 'Gesundheitsstörung' (gemeint wohl: Gesundheitsschädigung) bzw. Berufsunfähigkeit zur Folge. Mit dem Urteil vom 27.Juni 1979, GZ U 656/78-15, erkannte das Bezirksgericht Dornbirn über den von der Staatsanwaltschaft Feldkirch am 25.April 1978 gestellten Antrag auf Bestrafung des Anton A wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und 4 (erster Fall) StGB (S 1 f) dahin zu Recht, daß es den Beschuldigten gemäß dem § 259 Z 3 StPO von der Anklage freisprach. Das Erstgericht gründete den Freispruch auf die Erwägung, daß dem Beschuldigten eine absolut überhöhte Geschwindigkeit (§ 20 Abs. 2 letzter Fall StVO) sowie eine verspätete Reaktion nicht zum Vorwurf gemacht werden könne und es in Beziehung auf eine relative Überhöhung der Geschwindigkeit (§ 20 Abs. 1 StVO) sowie den Verstoß gegen das Überholverbot (§ 16 Abs. 2 lit. a StVO) am spezifischen Rechtswidrigkeitszusammenhang fehle.

Nach der Auffassung des Bezirksgerichtes Dornbirn fasse die eingangs erwähnte, das Überholverbot aussprechende Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn ein 'ganz anderes Risiko ins Auge als jenes, welches gegenständlich in Erscheinung getreten ist'. Die von der Staatsanwaltschaft Feldkirch gegen dieses Urteil aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 9 lit. a (§ 468 Abs. 1 Z 4) StPO erhobene Berufung wurde mit dem Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgericht vom 17. Oktober 1979, AZ Bl 94/79 (ON 20 der erstgerichtlichen Akten), verworfen.

Das Berufungsgericht teilte die Ansicht des Erstgerichtes über den hier fehlenden Rechtswidrigkeitszusammenhang: Seiner Ansicht nach diene das Überholverbot nur dem Schutz der (in der Fahrtrichtung des Angeklagten) aus der Bundesstraße B 203 nach links in die Schweizer-Riedstraße abbiegenden Verkehrsteilnehmer, zumal es an dieser Stelle wiederholt zu Verkehrsunfällen zwischen solchen Linksabbiegern und gerade überholenden Fahrzeugen gekommen sei.

Die Urteile der beiden Untergerichte stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Rechtliche Beurteilung

Zunächst kommt es bei Prüfung des strafrechtlich bedeutsamen Schutzzweckes der von der Verwaltungsbehörde gemäß dem § 43 Abs. 1 lit. b Z 1 StVO 1960 erlassenen Verordnung - wie die Generalprokuratur im wesentlichen zutreffend ausführt - nicht auf mögliche konkrete Motive des Normsetzers an. Der (auch für die Normadressaten erkennbare) Schutzzweck ist vielmehr aus dem Inhalt der Norm selbst sinnvoll abzuleiten.

So gesehen dient das vorliegende Überholverbot - im Sinn der dafür maßgeblichen gesetzlichen Verordnungsermächtigung - ganz allgemein der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des gesamten sich über die stark frequentierte Kreuzung bewegenden Verkehrs. Dies gilt insbesondere auch für den aus der Schweizer-Riedstraße einbiegenden Gegenverkehr, wie überhaupt jegliches Überholverbot nach dem § 16 Abs. 2 lit. a StVO (gleich den Verboten gemäß dem § 16 Abs. 1 lit. a bis c, Abs. 2 lit. b und d StVO) stets auch bezweckt, den Gegenverkehr gefahrlos zu ermöglichen (vgl. ZVR 1979/120).

Gleiches gilt auch für die, insofern die Bestimmungen über die Überholverbote ergänzenden, Rechtsfahrgebote des § 7 Abs. 1 bis Abs. 3 StVO (vgl. ZVR 1976/166).

Geht man davon aus, dann erweist sich die Verneinung des Rechtswidrigkeits(Risiko-)zusammenhanges zwischen der vom Angeklagten übertretenen Schutzvorschrift des § 16 Abs. 2 lit. a StVO und dem ihm im Sinn des § 88 Abs. 1 StGB anzulastenden (laut dem Sachverständigengutachten leichten) Verletzungserfolg als verfehlt.

Die durch das sorgfaltswidrige Verhalten des das Überholverbot außer acht lassenden Angeklagten verursachte Verletzung der Maria B ist vielmehr zu jener Art von Unfällen zu zählen, welchen die in concreto verletzte Norm gezielt entgegenwirken will (vgl. auch Wiener Kommentar zum StGB § 6 RN 64 ff). Deshalb wäre der Verletzungserfolg - bei Bejahung der übrigen Tatbestandserfordernisse des § 88 Abs. 1 StGB durch die Unterinstanzen - rechtsrichtig dem Angeklagten objektiv und subjektiv im Sinn des genannten Tatbildes strafrechtlich zuzurechnen gewesen.

Es war daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen.

Anmerkung

E02685

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1980:0110OS00075.8.0611.000

Dokumentnummer

JJT_19800611_OGH0002_0110OS00075_8000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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