Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 3. September 1980
unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dr. Karl A wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach dem § 223 Abs. 2 StGB und eines anderen Deliktes über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 26. Februar 1980, AZ. 23 Bs 469/79, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Bernhauser und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur Generalanwaltes Dr. Gehart zu Recht erkannt:
Spruch
Das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 26. Februar 1980, AZ. 23 Bs 469/79, verletzt in seinem Ausspruch über die Anzahl der Tagessätze und (demgemäß auch) über die Höhe der Ersatzfreiheitsstrafe das Gesetz in den Bestimmungen des § 477 Abs. 1 und 2 (§ 489 Abs. 1) StPO.
Dieses Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, wird in dem vorbezeichneten Ausspruch aufgehoben; aufgehoben werden auch alle auf diesem Ausspruch beruhenden Beschlüsse und Verfügungen des Erstgerichtes und es wird gemäß §§ 288 Abs. 2 Z 3, 292 StPO in der Sache selbst erkannt:
Der Berufung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Anzahl der Tagessätze wird nicht Folge gegeben.
Text
Gründe:
Aus den Akten AZ. 6 e E Vr 548/74 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ergibt sich folgender Sachverhalt:
Mit Urteil eines Einzelrichters des genannten Gerichtshofes erster Instanz vom 13. Dezember 1976 (ON 67 d. A) wurde der (damalige) Wirtschaftskonsulent und Unternehmensberater Dr. Karl A im ersten Rechtsgang der Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB sowie der Erschleichung eines Amtes nach § 315 StGB schuldig erkannt; es wurde über ihn nach § 223 Abs. 1
StGB unter Anwendung des § 28 StGB - der Sache nach auch des § 37 StGB - eine Geldstrafe von 200 Tagessätzen (für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Freiheitsstrafe von 100 Tagen) verhängt; der Einzelrichter setzte die Höhe des Tagessatzes mit 100 S fest und sah die Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nach.
Gegen dieses Urteil erhoben der Angeklagte und (zu dessen Nachteil) die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel der Berufung; in ihrer Berufungsausführung erklärte die Staatsanwaltschaft, 'insbesondere' die Höhe (: die Bemessung) des Tagessatzes sowie die bedingte Strafnachsicht zu bekämpfen, und stellte hiezu entsprechende Anträge (ON 74 d. A).
Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht gab mit Urteil vom 30. Dezember 1977, AZ. 13 Bs 258/77 (ON 86 d. A), der Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld Folge, hob das angefochtene Urteil (zur Gänze) auf und verwies die Strafsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück; die Staatsanwaltschaft wurde mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. Juli 1979 (ON 122 d. A) wurde im zweiten Rechtsgang Dr. Karl A abermals der vorangeführten Vergehen schuldig erkannt und nach denselben strafgesetzlichen Bestimmungen nunmehr zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen (für den Uneinbringlichkeitsfall zu 90 Tagen Freiheitsstrafe) verurteilt sowie die Höhe des Tagessatzes mit 90 S festgesetzt; eine bedingte Strafnachsicht unterblieb. Auch gegen dieses Urteil beriefen der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft; die Anklagebehörde wendete sich (erneut zum Nachteil des Angeklagten) gegen 'Zahl und Höhe der Tagessätze' (ON 133 d. A).
Über die beiderseitigen Rechtsmittel entschied das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht am 26. Februar 1980 zum AZ. 23 Bs 469/79; während die Berufung des Angeklagten erfolglos blieb, gab das Oberlandesgericht der Berufung der Staatsanwaltschaft Folge und erhöhte die Anzahl der Tagessätze auf 240 (die Ersatzfreiheitsstrafe demgemäß auf 120 Tage), den Tagessatz auf 200 S (ON 151 d. A).
Rechtliche Beurteilung
Das zuletzt angeführte Urteil des Oberlandesgerichtes Wien steht, soweit es das Ausmaß betrifft, auf das die Anzahl der Tagessätze erhöht wurde, mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Gemäß dem für das in Rede stehende Rechtsmittelverfahren (zufolge § 489 Abs. 1 StPO) sinngemäß geltenden § 477 Abs. 1 StPO hat sich nämlich der Gerichtshof (zweiter Instanz) auf die in Beschwerde gezogenen Punkte zu beschränken; sofern nicht unter den im zweiten Satz dieser Verfahrensbestimmung bezeichneten Voraussetzungen zu Gunsten des Angeklagten von Amts wegen vorzugehen ist, darf er nur jene Teile des erstrichterlichen Erkenntnisses ändern, gegen die eine Berufung gerichtet ist. Zwar reicht für die Bezeichnung eines Beschwerdepunktes im bezirksgerichtlichen Verfahren und demgemäß auch im Einzelrichterverfahren zufolge der hier zur Anwendung kommenden Norm des § 467 Abs. 2 StPO unter anderem die bloße Erklärung aus, die Berufung wegen des Ausspruches über die Strafe zu erheben, wie aus dem in der Vorschrift des § 467 Abs. 2 (Satz 1) StPO enthaltenen - verweisenden - Zitat '§ 464' hervorgeht (siehe die ziffernmäßige Untergliederung des § 464 StPO in Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe, wegen des Ausspruches über die Schuld und die Strafe und wegen der Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche); richtet sich aber die Berufung nur gegen einen von mehreren Faktoren des Strafausspruches, so etwa gegen die Anzahl der Tagessätze oder gegen die Bemessung des (einzelnen) Tagessatzes als voneinander unabhängige und folglich auch gesondert anfechtbare Bestandteile dieses Ausspruches (§ 19 Abs. 1
und 2 StGB), dann darf das Berufungsgericht nur diesen Teil des erstrichterlichen Erkenntnisses ändern; für den anderen gilt - ohne Kompensationsmöglichkeit - das im § 477 Abs. 2 (§ 489 Abs. 1; vgl. § 290 Abs. 2) StPO aufgestellte Verschlimmerungsverbot (RZ 1977/45 u. a.).
Im vorliegenden Fall hätte das Oberlandesgericht im ersten Rechtsgang, weil damals die Staatsanwaltschaft - ungeachtet des bei der Bezeichnung der Beschwerdepunkte in ihrer Berufungsausführung gebrauchten Wortes 'insbesondere' - ausdrücklich nur die Erhöhung des (einzelnen) Tagessatzes und die Ausschaltung der bedingten Strafnachsicht beantragt hatte, die Anzahl der Tagessätze nicht über das im damaligen Ersturteil bestimmte Ausmaß von 200 erhöhen dürfen. Dieselbe gesetzliche Schranke galt aber in dem eingetretenen Fall einer Aufhebung des Ersturteils und Zurückverweisung der Strafsache an die erste Instanz für alle weiteren Stadien des Strafverfahrens in gleicher Weise; vom Erstgericht wurde sie im neuen Rechtsgang gewahrt, weil es bei der neuerlichen Verhängung einer Geldstrafe zwar - auf Grund der in dieser Richtung vorgelegenen (zulässigen) Berufung der Staatsanwaltschaft dazu befugt - eine abermalige bedingte Nachsicht unterließ, die Anzahl der Tagessätze (und die Höhe des Tagessatzes) jedoch niedriger festsetzte als in seinem ersten Urteil.
Soweit die Anzahl der Tagessätze noch unter dem im ersten Rechtsgang ausgesprochenen Maß blieb, war die dagegen zum Nachteil des Angeklagten erhobene Berufung der Staatsanwaltschaft auch statthaft. Keinesfalls durfte ihr jedoch das Oberlandesgericht dahin stattgeben, daß - wie es vorliegend geschah - die im ersten Rechtsgang bestimmte, damals von der Anklagebehörde nicht bekämpfte Anzahl der Tagessätze nunmehr überschritten wurde.
Die unterlaufene Gesetzesverletzung gereicht dem Angeklagten zum Nachteil.
Der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher stattzugeben und gemäß § 292 StPO wie eingangs zu erkennen. Der Berufung der Staatsanwaltschaft wurde - in Ausübung der Funktion des Rechtsmittelgerichtes - der Erfolg versagt, weil unter Zugrundelegung der vom Oberlandesgericht Wien zutreffend festgestellten Strafzumessungsgründe, auf welche zwecks Vermeidung von Wiederholungen verwiesen sei (s. S 390, Band III des Vr-Aktes), das vom Erstgericht gefundene Strafausmaß von 180 Tagessätzen als tat- und schuldangemessen anzusehen ist.
Anmerkung
E02743European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1980:0110OS00114.8.0903.000Dokumentnummer
JJT_19800903_OGH0002_0110OS00114_8000000_000