Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 23. September 1980 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Reisenleitner und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Hausenberger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Manfred A wegen des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs. 1 StGB. und einer weiteren strafbaren Handlung über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 14. April 1980, GZ. 3 b Vr 1404/79-22, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Steininger, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Holy und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Melnizky, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 18.Oktober 1961 geborene, zur Tatzeit mithin jugendliche Kraftfahrzeug-Mechanikerlehrling Manfred A des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und Abs. 4 (erster Fall) StGB. (: Punkt B/ des Urteilssatzes) und des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs. 1 StGB. (: Punkt A/ des Urteilssatzes) schuldig erkannt, weil er am 20. April 1979 (gegen 22 Uhr) im Gemeindegebiet von Ebreichsdorf als Lenker eines Mopeds infolge überhöhter Geschwindigkeit, mangelnder Aufmerksamkeit und Fahrkenntnis beim Befahren einer Linkskurve (der Landesstraße 4049 im Ortsteil Unterwaltersdorf) von der Fahrbahn abkam und im freien Feld zu Sturz kam, wobei die am Soziussitz des Mopeds mitfahrende Erika B vom Fahrzeug geschleudert und schwer verletzt wurde (Punkt B/ des Schuldspruches), und es (darnach) unterließ, Erika B, deren Verletzungen er verursacht hatte, die erforderliche Hilfe zu leisten (Punkt A/ des Schuldspruches).
Nach den zu Punkt A/ getroffenen Urteilsfeststellungen erlitt die in Wampersdorf wohnhafte Erika B, die mit dem Angeklagten entfernt bekannt war und die er in den Abendstunden des 20. April 1979 von der Diskothek Waitz in Unterwaltersdorf mit seinem Moped heimbringen wollte, bei dem beschriebenen Unfall (neben einem Jochbeinbruch) eine schwere Gehirnerschütterung mit (vorübergehender) Bewußtlosigkeit, einen Bruch des linken Augenhöhlendaches, einen Nasenbeinbruch, einen 'Brillen-Bluterguß', Prellungen und Bluterguß der Oberlippe, einen Teilausbruch des linken oberen ersten Schneidezahnes und einen vollständigen Ausbruch des linken oberen zweiten Schneidezahnes sowie eine Rißquetschwunde am Zahnfleisch des Oberkiefers (siehe S. 19 und ON. 10). Obwohl Erika B nach dem Unfall blutüberströmt und durch das Ausschlagen zweier Zähne stark entstellt war, wollte sie der Angeklagte - der, wie das Erstgericht als erwiesen annahm, lediglich den Wunsch hatte, den Unfall vor der Behörde geheim zu halten, um dadurch seiner strafrechtlichen Verantwortung zu entgehen - (nur) nach Hause bringen. In Ausführung dieses Vorhabens begleitet er deshalb die Verletzte von der Unfallsstelle bis zur Diskothek in Unterwaltersdorf zurück, wo er sie allein zurückließ, und begab sich sodann in das Lokal, da er dort Freunde zu finden hoffte, die ihm helfen sollten, einerseits sein am Unfallsort havariert zurückgelassenes Moped zu bergen und andererseits die Verletzte nach Hause zu bringen. Während sich der Angeklagte in der Diskothek befand, wurde die vor dem Lokal zurückgebliebene Erika B ohne sein Wissen und Zutun von zwei Burschen - Peter C und Christian D - mit einem Kraftfahrzeug nach Hause gebracht.
Allein den Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 94 Abs. 1 StGB. (Punkt A/ des Urteilssatzes) bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z. 5, 9 lit. a und 10
des § 281 Abs. 1 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in welcher er in rechtlicher Hinsicht (sachlich den Nichtigkeitsgrund der Z. 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO.
relevierend) 'eine Unterbrechung des kausalen Zusammenhanges im Handeln der Verletzten bzw. der Zeugen C und D' - die, wie geschildert, Erika B wegbrachten, während der Angeklagte in der Diskothek nach 'Helfern' Ausschau hielt - geltend macht, und in Ausführung des erstbezeichneten Nichtigkeitsgrundes dem Erstgericht die (angebliche) Nichterörterung dieses Herganges sowie der fehlenden Kenntnis des Angeklagten vom Familiennamen der Verletzten und ihres Aufenthaltsortes nach ihrem Abtransport durch C und D als Begründungsmängel des Urteils vorwirft.
Rechtliche Beurteilung
Die Beschwerde ist unbegründet.
Zutreffend ging das Erstgericht bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Verhaltens des Angeklagten nach dem Unfall, bei dem seine Mitfahrerin mehrfache schwere Verletzungen erlitten hatte, davon aus, daß Erika B wegen ihrer augenfälligen (blutenden) Verletzungen unverzüglich sachkundiger, womöglicher ärztlicher Hilfe bedurfte. Mit dem vom Angeklagten demgegenüber unternommenen Versuch, das ersichtlich schwer verletzte und hilfebedürftige Mädchen unter Einschaltung erst ausfindig zu machender (motorisierter) Freunde, ohne vorherige ärztliche Versorgung, von Unterwaltersdorf nach Hause (nach Wampersdorf) bringen zu lassen, entsprach der Angeklagte mithin seiner sich aus § 4 Abs. 1 StVO. und § 94 Abs. 1 StGB. ergebenden Hilfeleistungspflicht - deren Erfüllung durch rasche (telefonische) Besorgung ärztlichen Beistandes, zumindest aber durch Alarmierung der Gendarmerie und Zuwarten bis zum Eintreffen eines Arztes oder der Gendarmerie ihm unter den gegebenen Umständen trotz seiner eigenen Unfallsverletzungen spätestens sogleich nach seiner Rückkehr in die Diskothek möglich und zumutbar war (vgl. S. 65 oben d.A.) - in keiner Weise, weil damit der Verletzten nicht ohne unnötige Verzögerung die erforderliche sachkundige Hilfe zuteil werden konnte (vgl. ZVR. 1978/249 und die dort zitierte Judikatur; Kienapfel, Grundriß, BT I, RN 545 ff.).
So gesehen ist aber für die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten unter dem Gesichtspunkt des Vergehenstatbestandes des § 94 Abs. 1 StGB. (der mit jenem des § 88 Abs. 1 und Abs. 4, erster Fall, StGB.
real konkurriert) der in der Nichtigkeitsbeschwerde relevierte, vom Erstgericht im übrigen ohnedies in den Kreis seiner Erwägungen einbezogene Umstand, daß Erika B während der Suche des Angeklagten nach 'Helfern' in der Diskothek ohne Wissen und Zutun des Angeklagten von zwei Burschen nach Hause geführt worden war, ebensowenig von entscheidender Bedeutung wie seine behauptete Unkenntnis vom genauen Namen der Verletzten und von den näheren Umständen ihres Abtransportes durch C und D. Die Mängelrüge muß daher schon deshalb versagen, weil sie keine entscheidenden Tatsachen betrifft.
Pflicht des Angeklagten wäre es nach dem Gesagten gewesen, nach dem Unfall unverzüglich die Herbeiholung ärztlichen Beistandes (allenfalls im Wege der Gendarmerie) für das ersichtlich schwerverletzte und hilfebedürftige Unfallopfer zu veranlassen und bis zum Einsetzen sachkundiger Hilfe bei der Verletzten zu bleiben. Diese Unterlassungen wurden ihm ohne Rechtsirrtum als vorsätzliches und vorwerfbares Imstichlassen des Verletzten gemäß § 94 Abs. 1 StGB. zur Last gelegt und die tatsächlich unternommenen 'Ersatzhandlungen' des Angeklagten zutreffend als für eine wirksame Hilfeleistung im Sinne dieser Bestimmung ungenügende und zeitversäumende Aktion gewertet. Damit geht aber auch der Hinweis des Beschwerdeführers, daß in Anbetracht des ohne sein Wissen erfolgten Abtransportes des Mädchens durch andere Personen mit ihm unbekanntem Ziel selbst eine von ihm veranlaßte ärztliche Hilfe nicht (mehr) möglich gewesen wäre, ins Leere.
Der zur Gänze unbegründeten Nichtigkeitsbeschwerde war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.
Anmerkung
E02791European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1980:0090OS00097.8.0923.000Dokumentnummer
JJT_19800923_OGH0002_0090OS00097_8000000_000