TE OGH 1980/12/16 9Os134/80

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Veröffentlicht am 16.12.1980
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Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Dezember 1980

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, Dr. Steininger, Dr. Horak und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Brandhuber als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef A wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach §§ 111 Abs. 1, 117 StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 17. April 1980, AZ Bl 92/80, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Kodek, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren gegen Josef A wegen §§ 111, Abs. 1, 117 StGB, AZ U 603/79 des Bezirksgerichtes Lienz, verletzt das Erkenntnis des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 4.1980, AZ Bl 92/80, mit welchem aus Anlaß der Berufung des Angeklagten das Urteil des Bezirksgerichtes Lienz vom 29.1.1980, GZ U 603/79-17, gemäß § 477 Abs. 1 StPO von Amts wegen als nichtig aufgehoben und der Angeklagte Josef A freigesprochen wurde, das Gesetz in der Bestimmung des § 117 Abs. 2 StGB.

Text

Gründe:

I./ Aus dem Akt U 603/79 des Bezirksgerichtes Lienz ergibt sich folgender Sachverhalt:

Mit Schriftsatz vom 18.8.1979 (ON 1) zeigte Andrä B, der Bürgermeister der Tiroler Gemeinde Nußdorf-Debant, der Staatsanwaltschaft Innsbruck an, daß gegen ihn während der öffentlichen Gemeinderatssitzung am 13.8.1979, in der er den Vorsitz führte, das Mitglied des Gemeinderates Josef A ehrenrührige Vorwürfe erhoben hätte, die dem Tatbild des § 111 Abs. 1 StGB entsprächen. Unter einem erteilte er dem öffentlichen Ankläger die Ermächtigung zur Strafverfolgung dieses Gemeinderatsmitgliedes.

Die Staatsanwaltschaft Innsbruck beantragte daraufhin am 22.8.1979 beim Bezirksgericht Lienz die Bestrafung des Josef A nach den §§ 111, 117 StGB (S 4).

Das Bezirksgericht Lienz gelangte nach mehrmaliger Vertagung der Hauptverhandlung am 29.1.1980 zu einem Schuldspruch wegen Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 StGB (ON 17). In formeller Beziehung vertrat es die Auffassung, daß der Bürgermeister einer Gemeinde als Behörde anzusehen und der öffentliche Ankläger (daher) zur Verfolgung einer gegen ihn gerichteten strafbaren Handlung gegen die Ehre mit dessen Ermächtigung legitimiert sei (§ 117 Abs. 1 StGB).

Aus Anlaß der gegen diesen Schuldspruch ergriffenen Berufung des Angeklagten hob jedoch das Landesgericht Innsbruck als Berufungsgericht am 17.4.1980 zu Bl 92/80

das angefochtene Urteil gemäß § 477 Abs. 1 StPO als nichtig auf und sprach den Angeklagten von der wider ihn erhobenen Anklage gemäß § 259 Z 1 StPO frei (ON 24).

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht stellte klar, daß ein Bürgermeister als Einzelperson keine dem § 117 Abs. 1 StGB zu unterstellende Behörde, sondern ein Beamter im Sinn der §§ 117 Abs. 2, 74 Z 4 StGB ist. Davon (zu Recht) ausgehend, vertrat es die Auffassung, daß zur Legitimation des öffentlichen Anklägers zur Verfolgung einer gegen einen Bürgermeister gerichteten strafbaren Handlung gegen die Ehre nicht dessen Ermächtigung allein genüge, sondern, ebenso wie bei jedem anderen Beamten, gemäß § 117 Abs. 2

StGB auch die Ermächtigung der dem Verletzten vorgesetzten Stelle erforderlich sei. Als solche sei bei einem Bürgermeister der Bezirkshauptmann anzusehen, weil dieser in den Angelegenheiten der Bundes- und der Landesverwaltung gegenüber dem Bürgermeister weisungsberechtigt und ihm daher vorgesetzt sei. Auch wenn die inkriminierte Ehrenbeleidigung nicht im Zusammenhang mit derartigen Kompetenzen des Bürgermeisters erfolgt sei, so sei dennoch die zur Prüfung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung erforderliche Ermächtigung des Bezirkshauptmanns als vorgesetzter Stelle für den Staatsanwalt Anklagevoraussetzung. Da es an dieser gefehlt habe, sei das angefochtene Urteil nichtig, von Amts wegen aufzuheben und mit Freispruch vorzugehen.

II./ Hinsichtlich des bezeichneten Urteiles des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 17. April 1980 hat die Generalprokuratur gemäß § 33 Abs. 2 StPO eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wegen Verletzung der Bestimmung des § 117 Abs. 2

StGB erhoben, in der sie (wörtlich) ausgeführt hat:

Wird eine strafbare Handlung gegen die Ehre wider einen Beamten oder wider einen Seelsorger einer im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgesellschaft während der Ausübung seines Amtes oder Dienstes begangen, so hat der öffentliche Ankläger den Täter mit Ermächtigung des Verletzten und der diesem vorgesetzten Stelle innerhalb der sonst dem Verletzten für das Verlangen nach Verfolgung offenstehenden Frist zu verfolgen (§ 117 Abs. 2 StGB). Wie die Entstehungsgeschichte dieser, im wesentlichen auf die Neufassung des § 495 Abs. 2 StG durch das StRÄG 1971, BGBl. Nr. 273, zurückgehenden Bestimmung zeigt, hat die Ermächtigung durch die dem Beamten vorgesetzte Stelle dabei vor allem die Bedeutung, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung des Täters festzustellen. Im Hinblick darauf eliminierte der Justizausschuß auch aus der Regierungsvorlage des StRÄG 1971

die dort vorgesehen gewesene Prüfungspflicht des öffentlichen Anklägers, ob die Verfolgung des Täters im öffentlichen Interesse liege (39 und 512 Beil. XII. GP). Unbeschadet dieser Bedeutung der Ermächtigung durch eine dem Beamten vorgesetzte Stelle und der sie scheinbar ausnahmslos verlangenden Textierung des § 117 Abs. 2 StGB ist andererseits unbestritten, daß in den - freilich seltenen und atypischen, vom Gesetzgeber daher nicht erwähnten - Fällen, in denen dem Beamten keine Stelle vorgesetzt ist, dessen Ermächtigung allein zur Strafverfolgung durch den öffentlichen Ankläger ausreicht. Eine gegenteilige Auslegung würde zu einem völlig unbefriedigenden Ergebnis führen, die sohin dem Willen des Gesetzgebers nicht unterstellt werden kann und sich schon nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen verbietet (vgl. Leukauf-Steininger, Kommentar zum StGB2, RN 20 zu § 117 StGB).

Wie vorliegend das Berufungsgericht im wesentlichen richtig erkannt hat, ist die rechtliche Stellung des Bürgermeisters einer Gemeinde zweifach: Einerseits (und wohl primär) ist er, zur Leitung der gesamten Gemeindeverwaltung berufen, im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde, zu welchem alle im Gemeinderat zu behandelnden Angelegenheiten gehören, oberstes Organ der Gemeinde und (politisch, nicht dienstrechtlich) dem Gemeinderat verantwortlich (vgl. Art. 118 Abs. 5, B-VG und die §§ 17, 41 der Tiroler Gemeindeordnung 1966, LGBl. für Tirol 1966/4). In diesem Bereich ist - unbeschadet des Bund und Land über die Gemeinde insoweit zustehenden Aufsichtsrechtes (Art. 119 a B-VG) - keine andere Stelle dem Bürgermeister im Sinne des § 117 Abs. 2 StGB vorgesetzt. Anderseits ist der Bürgermeister gemäß § 42 Abs. 1

der zitierten Gemeindeordnung bei der Besorgung der Angelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereiches, mag es sich nun um die Vollziehung von Bundes- oder von Landesangelegenheiten handeln, weisungsgebunden (Art. 119 Abs. 2 B-VG) und ihm insoferne die örtlich zuständige Bezirkshauptmannschaft vorgesetzt.

Dem Landesgericht Innsbruck als Berufungsgericht kann aber nicht gefolgt werden, daß deshalb, weil ein Bürgermeister in einem Teil seines Aufgabenbereiches einer anderen Stelle untergeordnet ist, zur Verfolgung gegen ihn gerichteter Ehrenbeleidigungen, die im Zusammenhang mit Tätigkeiten erfolgten, in Ansehung deren ihm niemand vorgesetzt ist, ebenfalls die Ermächtigung der vorgesetzten Stelle einzuholen wäre. Der vom Berufungsgericht gezogene Vergleich mit dem in Ausübung seines Amtes unabhängigen und weisungsfreien Richter, bei dem unbestrittenermaßen dieser Eigenschaften ungeachtet die Ermächtigung einer vorgesetzten Stelle zur Strafverfolgung eines Täters gemäß § 117 Abs. 2 StGB nötig ist, übersieht, daß der Richter trotz der Besonderheiten seiner Amtsstellung in die staatliche Behördenorganisation, insbesondere auch in dienstrechtlicher Beziehung, eingebunden ist (vgl. Art. 86 Abs. 1 B-VG, §§ 25 ff RDG), und die Prüfung, ob das öffentliche Interesse an der Verfolgung einer gegen ihn gerichteten Beleidigung gegeben ist, einem (dem Richter insofern vorgesetzten) Justizverwaltungsorgan ohne weiteres möglich ist (vgl. §§ 73 ff GOG, 57 Abs. 2 RDG). Ganz anders die Stellung des Bürgermeisters, der seinem Wesen nach ein politischer Mandatar ist und dessen typische Aufgaben im autonomen Gemeindebereich liegen. Gerade seine im hier anklagegegenständlichen Fall ausgeübte Funktion, in der er bei der Erörterung von Grundvergaben durch die Gemeinde Nußdorf-Debant beleidigt wurde, nämlich der Vorsitz in einer Sitzung des im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde (§ 26 der Tiroler Gemeindeordnung 1966) tätigen Gemeinderates ist eine eher politische, von den Aufgaben der Bundes- und Landesverwaltung völlig getrennte Tätigkeit. Eine Prüfung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung von Ehrenbeleidigungen, die auf diesen mit den Angelegenheiten der Bundes- und Landesverwaltung in keinerlei Zusammenhang stehenden Amtsbereich des Bürgermeisters Bezug haben, durch den Bezirkshauptmann (oder den nach § 3 Abs. 1 des Bundes-Gemeindeaufsichtsgesetzes, BGBl. Nr. 123/1967 /primär/ in Betracht kommenden Landeshauptmann) als Angehörige der staatlichen (Landes-) Verwaltung wäre einerseits geeignet, die Gemeindeautonomie zu verletzen, und andererseits für die genannten Organe eine ihrem Aufgabenbereich fremde Pflicht, die ihnen gar nicht auferlegt werden darf, zumal das in Art. 119 a B-VG statuierte vorerwähnte Aufsichtsrecht - neben der Überprüfung der Gebarung - (nur) dahin auszuüben ist, daß die Gemeinde bei Besorgung des eigenen Wirkungsbereiches die Gesetze und Verordnungen nicht verletzt, insbesondere ihren Wirkungsbereich nicht überschreitet und die ihr gesetzlich obliegenden Aufgaben erfüllt (Abs. 1 und Abs. 2 leg. cit.).

III./ Der Beschwerde kommt (im Ergebnis) Berechtigung zu. Allerdings ist für die Beurteilung der Frage, ob ein beleidigter Beamter eine 'vorgesetzte Stelle' in der Bedeutung des § 117 Abs. 2 StGB hat, nicht relevant, ob er (bzw. die von ihm in Ausübung seines Dienstes repräsentierte Gebietskörperschaft) eine 'übergeordnete Behörde' (Gebietskörperschaft) hat, deren Weisungen er - etwa gemäß Art. 119 Abs. 1 und 2 B-VG - befolgen muß, weil er ihre Angelegenheiten im übertragenen Wirkungsbereich besorgt. Diesbezüglich wurde nämlich vom Gesetzgeber durch die vom Wortlaut des § 495 Abs. 2 Strafgesetz 1945 (in der Fassung des Strafrechtsänderungsgesetzes 1971) abweichende Fassung des § 117 Abs. 2 StGB - der nicht mehr von der dem Verletzten 'vorgesetzten Behörde', sondern von der diesem 'vorgesetzten Stelle' spricht - unmißverständlich klargelegt, daß darunter nur jene 'Stelle' innerhalb der einer Gebietskörperschaft bzw. einem sonstigen Selbstverwaltungskörper (öffentlichen Rechtes) zuzuordnenden Behörde zu verstehen ist, zu der der Verletzte kraft der seine Tätigkeit (jedenfalls in Teilbereichen) bestimmenden Dienstrechts- und Organisationsvorschriften (unmittelbar) im Verhältnis der Über- und Unterordnung steht.

Fehlt es an einer solchen 'Stelle', weil der Verletzte selbst das (ein) oberste(s) Organ dieser Gebietskörperschaft (des Selbstverwaltungskörpers) ist, dann bedarf eben der Staatsanwalt zur Anklageerhebung der Ermächtigung einer solchen 'Stelle' nicht. Es genügt in einem solchen Fall die vom Verletzten allein erteilte Verfolgungsermächtigung (vgl. dazu Leukauf-Steininger2 RN 19 bis 21 zu § 117 StGB).

Vorliegend war nun der Verletzte nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes zur Tatzeit als Bürgermeister, sohin als ein Beamter tätig, der nach den einschlägigen Rechtsvorschriften innerhalb des Selbstverwaltungskörpers 'Gemeinde' (vgl. dazu Ringhofer, Die Österreichische Bundesverfassung, S 87, 347) keine 'vorgesetzte Stelle' hat, sondern selbst vorgesetzte Stelle ist. Demzufolge war auch - entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes - die Einholung einer Ermächtigung seitens des Bezirkshauptmannes, des Landeshauptmannes oder der Landesregierung nicht erforderlich. Insoweit also das Berufungsgericht den Beschuldigten (nur) wegen des Fehlens der erforderlichen Ermächtigung freigesprochen hat, verletzt dieser Freispruch das Gesetz, weshalb in Stattgebung der Wahrungsbeschwerde spruchgemäß zu erkennen war.

Anmerkung

E02922

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1980:0090OS00134.8.1216.000

Dokumentnummer

JJT_19801216_OGH0002_0090OS00134_8000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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