TE OGH 1980/12/16 10Os147/80

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Veröffentlicht am 16.12.1980
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.Dezember 1980 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Braitenberg-Zennenberg als Schriftführer in der Strafsache gegen Helmut A wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Mordes nach §§ 75 und 15 StGB über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 21.Dezember 1979, GZ 20 a Vr 8530/78-95, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Bernhauser und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Kodek, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung, welcher der unberührt bleibende Wahrspruch (zur Hauptfrage) mit zugrunde zu legen sein wird (§ 349 Abs. 2 StPO), an das Erstgericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Helmut A des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Mordes nach §§ 75 und 15 StGB schuldig erkannt, begangen dadurch, daß er am 10.Oktober 1978 auf dem Hermonberg (in Syrien) vorsätzlich Werner B durch zwei Schüsse und Rudolf C durch zumindest vier Schüsse tötete sowie Anton D durch zumindest drei Schüsse und Roland E durch drei Schüsse zu töten versuchte.

Die Geschwornen hatten die betreffende Hauptfrage (I.) bejaht und (dementsprechend) eine - entgegen § 342

StPO nicht in der Urteilsausfertigung enthaltene - Eventualfrage (II.) nach Begehung der Tat im Zustand voller Berauschung (§ 287 StGB) unbeantwortet gelassen.

Rechtliche Beurteilung

Der auf § 345 Abs. 1 Z 5 und 6 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen den Schuldspruch kommt teilweise Berechtigung zu.

Verfehlt ist jene - (der Sache nach) auch eine Aufhebung des Wahrspruchs (zur Hauptfrage) anstrebende - Verfahrensrüge (Z 6) des Beschwerdeführers, mit der er die Nichtaufnahme einer Eventualfrage nach Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83, 86 StGB) ins Fragenschema anficht.

Denn die aus den aktenkundigen Lichtbildern zu entnehmende Zielrichtung seiner Schüsse indiziert, seinem Beschwerdeeinwand zuwider, durchaus nicht die Annahme, daß er - der nunmehr, vom Detonationslärm abgesehen, jede Erinnerung an das Tatgeschehen leugnet - sie blindlings und ohne Tötungsvorsatz abgefeuert hätte. Soweit er aber zur Begründung einer Notwendigkeit der reklamierten Fragestellung darüber hinaus bloß auf den 'objektivierten Sachverhalt' und auf 'sämtliche Tatumstände' verweist, läßt die Rüge eine für ihre sachbezogene Erörterung erforderliche deutliche und bestimmte Bezeichnung jener Tatumstände, die den Nichtigkeitsgrund bilden sollen (§§ 285 Abs. 1, 285 a Z 2, 344 StPO), vermissen. Einen in erster Instanz unterlaufenen Verstoß gegen § 314 (Abs. 1) StPO - wonach zur Stellung einer Eventualfrage an die Geschwornen vorauszusetzen ist, daß in der Hauptverhandlung dementsprechende Tatsachen vorgebracht worden sind - vermag der Angeklagte sohin nicht aufzuzeigen.

Im Umfang dieses - wie erwähnt - (im Ergebnis) auf die Aufhebung (auch) des Wahrspruchs (zur Hauptfrage) abzielenden Begehrens war die Nichtigkeitsbeschwerde deshalb zu verwerfen.

Eine Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte erblickt der Beschwerdeführer darin, daß der Schwurgerichtshof seinen Antrag auf Einholung eines Fakultätsgutachtens - sinngemäß unmißverständlich - zum Nachweis seiner vollen Berauschung zur Tatzeit, den er mit dem 'doch vorhandenen Widerspruch' zwischen den darüber erstatteten Gutachten der Sachverständigen für Neurologie und Psychiatrie Dr. Otto F (einerseits) und Dr. Heinrich G (anderseits) begründet hatte (S 219/III) - und der entsprechend dem (wie noch darzulegen sein wird, prozeßordnungswidrigen) Fragenschema letzten Endes zur Verneinung der Hauptfrage (I.) nach Mord sowie zur Bejahung der Eventualfrage (II.) nach einer Begehung der Tat im Zustand voller Berauschung hätte führen sollen -, aus der verfehlten Erwägung abgewiesen habe, entscheidende Widersprüche (und auch sonstige Gründe nach § 126 StPO) lägen insoweit nicht vor (S 220/III). Mit dieser Verfahrensrüge (Z 5), die bei prozessual richtiger Gestaltung des (im zweiten Rechtsgang demgemäß abzufassenden) Fragenschemas allerdings den Wahrspruch (zur Hauptfrage) nicht betrifft, sondern nur den darauf beruhenden Schuldspruch, ist er im Recht. Der Erstgutachter Dr. F maß dem Verhalten des Angeklagten nach seiner Tat im Lazarett in Haifa - wo jener wegen seiner (zunächst) lebensgefährlichen eigenen Verletzung untergebracht worden war, die er sich im Anschluß an das Tatgeschehen durch einen Brustschuß selbst zugefügt hatte - entscheidende Bedeutung bei: er wertete dieses Verhalten, wie es durch mehrere (der Beweiswürdigung durch die Geschwornen anheimgegebene) Zeugenaussagen zutagetrat und sich darnach (im wesentlichen) in einem Imponiergehabe, in Morddrohungen mit Bezug auf 'Todeslisten', in Sympathiebekundungen für einen Mord-Täter, im Sich-Brüsten mit 'Jäger'-Gefühlen bei der eigenen Tat und im Mangel jeglichen Bedauerns über den Vorfall sowie jeglichen Mitgefühls mit den Opfern äußerte, wogegen doch bei einer Tatbegehung im Zug eines (für den Täter unfaßbaren) Dämmerzustands-Geschehens eine (auch in den Gesprächen darüber dominierende) tiefe Niedergeschlagenheit zu erwarten gewesen wäre, als 'psychische Entkleidung' und leitete daraus als einen beim Beschwerdeführer schon vorher vorhanden, aber noch nicht sichtbar gewesenen Charakterzug eine bei schweren Außenseitern anzutreffende und bis zum extremen Killertum reichende Freude an der Gewalt ab, mit der auch die schließliche Selbstbeschädigung als ein aus der nachfolgenden Erkenntnis der Ausweglosigkeit seiner Situation resultierender Suicid-Versuch im Einklang stehe (S 325, 327, 333/I, 189 f., 195 f./II). Dementsprechend sah der genannte Sachverständige die Tat des Angeklagten als durchaus nicht persönlichkeitsfremd, sondern ganz im Gegenteil als eine (durch die enthemmende Wirkung von Alkohol und durch die besondere Situation zur Tatzeit geförderte) Freisetzung von in dessen Persönlichkeitsartung gelagerten, in dessen Psyche verankerten Aggressionstendenzen an:

speziell aus dem geschilderten Folgeverhalten des Beschwerdeführers im Lazarett zog er (als eine für ihn geradezu zwingende Konsequenz) den Schluß, daß mit dem Tatgeschehen abseits von Dämmerzuständen und Volltrunkenheit Killergedanken entladen und ausgelebt wurden (S 327- 333, 337-341/I, 189 f./II).

Der Zweitgutachter Dr. G dagegen lehnte eine derartige Verwertung jenes späteren Täterverhaltens bei der Persönlichkeitsbeurteilung ab, weil er nicht zu entscheiden vermöge, ob es sich dabei nicht doch bloß um das Ergebnis einer erlebnisreaktiven Entwicklung nach einem vom Angeklagten nicht wahrgenommenen Geschehensablauf gehandelt habe (S 609-611/I, 207, 214 f./II); davon ausgehend wertete er die Tat als eine dem Beschwerdeführer persönlichkeitsfremde Durchbrechung der bis dahin sichtbar gewesenen Sinnkontinuität in dessen Lebensentwicklung (S 615-617/I, 208, 214/II). Unter dieser Voraussetzung und in der weiteren Annahme einer (obgleich nicht erwiesenen, so seines Erachtens doch auch nicht widerlegbaren) echten amnestischen Lücke beim Angeklagten - mit der dessen Meldung kurz nach dem Exzeß bei seiner Auffindung im schwer verletzten Zustand, er habe alle bis auf einen erledigt, gleichwie dessen eher knappe niederschriftliche Angaben über den Tathergang drei Tage später im Lazarett als bloße 'Erinnerungsinseln' vereinbar seien - sowie einer (seiner Ansicht nach 'auf der Hand liegenden') Sinnlosigkeit des Täterverhaltens kam der zweite Sachverständige zum Ergebnis, daß der Geisteszustand des Beschwerdeführers zur Tatzeit noch am ehesten im Sinn eines (allerdings gleichfalls nicht beweisbaren, aber ebensowenig zu widerlegenden) 'dämmerigen Rausches' zu interpretieren sei; in einem derartigen Zustand, für dessen Diagnose ein abnormer elektroencephalographischer Befund nicht zwingend vorauszusetzen sei, werde die Orientierung des Berauschten in der Situation trotz eines bruchstückweisen Erfassens der Wirklichkeit, welches einen automatenhaft richtigen Ablauf einfacher Handlungen ermögliche, traumhaft verfälscht und es komme neben bestimmten zielgerichteten Komplextendenzen auch eine völlig ungerichtete reine Triebhaftigkeit zum Durchbruch, die sich als blindes Angriffs-, Abwehr- oder Fluchtverhalten zeige und gleichermaßen zu Suicid-Handlungen führen könne;

solcherart sei die Tat am ehesten als eine - wahrscheinlich bloß durch die Alkoholeinwirkung zustandegekommene, möglicherweise aber auch durch konstellative Faktoren (wie etwa durch eine Neigung zu abnormen Alkoholreaktionen, durch Medikamente oder durch die Höhe des Tatorts) beeinflußte - 'explosive Primitivreaktion' zu beurteilen, bei der in einem (zumindest nahezu) ungerichteten Bewegungssturm durch den Mangel an Zusammenhang eine völlige Verstandesausschaltung offenbar werde (S 611-617/I, 205 f., 209-215/ II). Eine gewisse Neigung des Angeklagten zu abnormen Alkoholreaktionen lasse sich daraus ableiten, daß er bereits früher einmal in alkoholisiertem Zustand zu unvermittelter, impulsiver Aggression tendiert und sich nachher an den Vorfall nicht mehr erinnert habe, wobei nicht ausgeschlossen werden könne, daß eine derartige Neigung durch zwei Schädel-Hirn-Traumen (mit wahrscheinlichem Residualschaden) begünstigt werde, die er im Jahr 1976 erlitten hatte, und wobei zudem dahingestellt bleiben müsse, ob sowie inwieweit sich allenfalls auch eine in seiner Jugend bei ihm vorgelegene Inklination zu vasomotorischen Synkopen (in Form von - einmal bis zu einer 'Bewußtseinsstörung' gesteigerten - Übelkeitsanfällen nach blutenden Verletzungen) auf seine Alkoholverträglichkeit auswirke (S 605-609/I, 203-205, 209/II). Jener Beurteilung hinwieder hält der Erstgutachter außer der bereits eingangs aufgezeigten prinzipiellen Ablehnung der Annahme, das Tatverhalten sei als dem Beschwerdeführer persönlichkeitsfremd anzusehen, überdies entgegen:

daß die von diesem behauptete - aber auch vom Sachverständigen Dr. H aus neuro-psychologischer Sicht bloß als eine Mischung von Verdrängungsmechanismen und Schutzbehauptungen gewertete (S 243- 245/I, 175-177/II) - Erinnerungslücke über den Geschehensablauf in einer derart extremen Ausprägung nicht angenommen werden könne (S 335/I, 187 f./II); daß bei der in dessen Persönlichkeitsstruktur vorgegebenen Freude an der Gewalt von einer eigentlichen 'Sinnlosigkeit' der Tat nicht gesprochen werden dürfe (S 325-327, 331-333/I, 189 f./II); daß der Hypothese, der Angeklagte könnte sich zur Tatzeit in einem Dämmerzustand oder in einem pathologischen Rausch befunden haben, die Unwahrscheinlichkeit eines (dazu vorauszusetzenden) Hirnschadens und das Fehlen einer echten Amnesie bei ihm sowie seine von ihm selbst berichteten 'Jäger'-Gefühle bei der Tat zuwiderliefen, daß aber vor allem die Vielzahl von ihm wohlgesteuerter Handlungen dagegen und gegen die Diagnose einer Volltrunkenheit sowie eines wilden Enthemmungssturms spreche, wie insbesondere die Ankündigung von genau zwei Schüssen, die er gleich nachher tatsächlich abgab und mit denen er als ersten den (ihm bei der Bestellung hiezu vorgezogenen - vgl. S 133/I, 25/II) Positionskommandant-Stellvertreter B, der in einem anderen Raum schlief, aus nächster Nähe tötete, bevor er in den Mannschaftsschlafraum zurückkehrte und jetzt erst nach Art eines Amokläufers gegen die (wegen der vorerwähnten Ankündigung der beiden ersten Schüsse als 'Warnschüsse' arglos) in ihren Betten verbliebenen übrigen Kameraden zu feuern begann (S 335-341/I, 185- 187, 195-199/II); und daß schließlich für den Tatzeitraum ein Einfluß von Medikamenten auf die Alkoholverträglichkeit des Beschwerdeführers unwahrscheinlich sowie eine Auswirkung der Höhenlage auf dessen Geisteszustand praktisch auszuschließen sei (S 183 f., 197/II).

Gemäß §§ 125, 126 StPO ist ein Fakultätsgutachten unter anderem dann einzuholen, wenn die Gutachten zweier ärztlicher Sachverständiger (in wesentlichen Punkten) voneinander erheblich abweichen und sich die insoweit bestehenden Bedenken auch durch eine nochmalige Vernehmung nicht beseitigen lassen. Diese Voraussetzungen lagen nach dem Obengesagten - der von der Generalprokuratur vertretenen Auffassung zuwider - im gegebenen Fall vor; vertraten doch die bisher beigezogenen Sachverständigen für Neurologie und Psychiatrie Dr. F (einerseits) und Dr. G (anderseits) in der entscheidenden Frage, ob sich der Angeklagte zur Tatzeit (in tatsächlicher Hinsicht) im Zustand einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung befand und deswegen unfähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (§ 11 dritter Fall StGB), nicht nur im (letztlichen) Ergebnis (persönlichkeitskonforme Tat abseits von Dämmerzuständen und Volltrunkenheit / persönlichkeitsfremde Tat in einem am ehesten als 'dämmeriger Rausch' zu interpretierenden Zustand), sondern gleichermaßen schon in Ansehung fast aller dafür maßgebender Prämissen, wie etwa des Einflusses der Tatorthöhe und von Medikamenten auf die psychische Verfassung des Täters, der Annahme eines 'sinnlosen' Enthemmungssturmes oder eines zielgerichteten Tatgeschehens, des Bestandes oder Nichtbestandes einer echten Erinnerungslücke beim Beschwerdeführer sowie insbesondere der Bedeutung von dessen späterem Verhalten im Lazarett - also keineswegs etwa, wie die Generalprokuratur vermeint, bloß in 'Nuancen' -, grundlegend konträre Auffassungen.

Die Beurteilung dieser (mit der Verfahrensrüge immerhin im Kern zutreffend aufgezeigten) Abweichungen der Gutachten voneinander als - für die Meinungsbildung der Geschwornen (§§ 258 Abs. 2, 302 Abs. 1, 325 StPO) - erheblich wird durch die Hinweise des Erstgutachters auf die Unmöglichkeit einer absolut sicheren Aussage (S 341-345/I, 190 f./II) ebensowenig beeinträchtigt wie durch jene sehr häufigen Ausführungen des Zweitgutachters, wonach er (im gegebenen Zusammenhang) über bestimmte Fragen nicht zu entscheiden vermöge (vgl. S 611/I, 203, 204, 205, 207, 208, 209, 212/II): denn zum einen hat der Sachverständige Dr. F doch unmißverständlich betont, daß er als Experte nach dem Abwägen von allem Für und Wider sowie unter Bedachtnahme auf alle möglichen Fehlerquellen nichtsdestoweniger keine ernsthafen (konkreten) Zweifel gegen die Annahme einer Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit hege (S 343-345/I, 191/II), und zum anderen zielen die vorerwähnten Formulierungen des Sachverständigen Dr. G gewiß nicht dahin, daß er sich etwa insoweit zu einer gutächtlichen Äußerung außerstande fühle, sondern ganz im Gegenteil auf die (der Ansicht des anderen Sachverständigen zuwiderlaufende) positive Aussage, daß seines Erachtens hiezu eine wissenschaftlich fundierte Entscheidung nicht getroffen werden könne. Auch durch die (nochmalige) Vernehmung der beigezogenen Experten in der Hauptverhandlung sind die in Rede stehenden grundlegenden Divergenzen zwischen deren Gutachten (im gesamten und im Detail) nicht beseitigt worden, weil der Sachverständige Dr. G, der sich in seiner schriftlichen Expertise zusammenfassend dahin geäußert hatte, daß 'gewisse und auch gewichtige Kriterien, die allerdings noch durch zusätzliche Beurteilungskriterien erhärtet werden müßten, für die Annahme eines sogenannten dämmerigen Rausches' sprächen (S 619/I), mit seiner abschließenden mündlichen Erklärung, nach dem Verhandlungsergebnis sei (sinngemäß:) die Wahrscheinlichkeit einer bei der Tat vorgelegenen vollen Berauschung des Beschwerdeführers eher geringer geworden (S 216/II), zwar einräumte, daß ein (nach seiner Beschreibung das Fehlen von dessen Dispositions- und/oder Diskretionsfähigkeit indizierender) Rauschzustand im vorerwähnten Sinn nicht beweisbar sei, damit aber doch keineswegs von seiner (vom Gutachten des Sachverständigen Dr. F erheblich abweichenden) Auffassung abging, ein solcher Zustand sei 'noch am ehesten' anzunehmen (und jedenfalls nicht zu widerlegen). Demgemäß hätte der Schwurgerichtshof die divergierenden Gutachten nicht einfach, worauf die Ansicht der Generalprokuratur hinausläuft, der Beurteilung durch die Geschwornen zuschieben dürfen, sondern jenen (in Ausübung der nach der Prozeßordnung ihm zukommenden Kompetenz zur Bestimmung von Art und Umfang der Beweisaufnahme) die gerade für diesen Fall im Gesetz (§§ 125, 126 StPO) vorgeschriebene Entscheidungshilfe durch ein - antragsgemäß einzuholendes, die in § 134 StPO bezeichneten Kriterien berücksichtigendes und sodann (durchaus) ihrer Beweiswürdigung unterliegendes (vgl. ÖJZ-LSK 1980/62) - Fakultätsgutachten darüber bieten müssen, ob (und allenfalls bei welchen faktischen Voraussetzungen) der Angeklagte zur Tatzeit an einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung litt und deswegen unfähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder (/und) nach dieser Einsicht zu handeln (§ 11 StGB). Durch die Abweisung von dessen eben hierauf abzielendem Beweisantrag wurden daher die zuvor bezeichneten (Verfahrens-) Gesetze verletzt, deren Beachtung durch das Wesen eines (auch) die Verteidigung sichernden Verfahrens geboten gewesen wäre (§ 345 Abs. 1 Z 5 StPO).

Eine Zusatzfrage nach dem Schuldausschließungs- (und damit im - weiteren - Sinn des § 313 StPO 'Strafausschließungs'-) Grund der Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) ist allerdings den Geschwornen nicht gestellt worden, obwohl sie durch jene in der Hauptverhandlung vorgebrachten Tatsachen jedenfalls indiziert war, die zur Eventualfrage (II.) nach Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung (§ 287 StGB) Anlaß gaben:

setzt doch dieses Delikt, neben der - notwendigerweise den Gegenstand einer Schuldfrage (§§ 312, 314 StPO) bildenden - Verübung einer strafbaren Handlung durch den Täter, vom Tatbestand her zwangsläufig voraus, daß letztere (als sogenannte 'Rauschtat') in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden (und eben deshalb mit einer darauf gerichteten Zusatzfrage zu erfassenden) Rausch begangen wird.

Daraus folgt für die in Rede stehende Fallkonstellation mit aller Klarheit, daß - wie in Judikatur und Literatur seit langem und zu wiederholten Malen hervorgehoben wurde (vgl. SSt. 44/32, EvBl. 1974/77, 1975/285, 10 Os 170/79, 10 Os 61/80 u.v.a.; Melnizky in JBl. 1973, 353 f. u.a.) -

allein ein 'Drei-Fragen-Schema', bei dem für den Fall einer Bejahung der Hauptfrage (§ 312 StPO) nach Mord (§§ 75, 15 StGB) eine Zusatzfrage (§ 313 StPO) nach Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) und (erst) für den Fall von auch deren Bejahung (außerdem) eine Eventualfrage (§ 313 StPO) in Richtung § 287 StGB zu stellen gewesen wäre, dem Gesetz entsprochen hätte, und nicht das vom Schwurgerichtshof erstellte (in jedem Fall in sich widersprüchliche und darum verfehlte, Mißverständnisse und Inkonsequenzen ermöglichende) 'Zwei-Fragen-Schema', bei dem die Beantwortung der Eventualfrage (II.) nach deren Inhalt eine Bejahung, nach ihren prozessualen Aktualitätsbedingungen aber eine Verneinung der Hauptfrage voraussetzte; die damit dargetane Nichtigkeit gemäß § 345 Abs. 1 Z 6 StPO ist jedoch nicht gerügt worden und kann auch von Amts wegen (§§ 290 Abs. 1, 344 StPO) nicht aufgegriffen werden.

Nichtsdestoweniger war aber (auch) der vom Beschwerdeführer mit

Recht geltend gemachte, nach § 345 Abs. 1 Z 5

StPO Nichtigkeit bewirkende (zuvor erörterte) Verfahrensmangel durchaus geeignet, einen ihm nachteiligen Einfluß auf die Entscheidung zu üben; zumindestens kann nicht gesagt werden, daß diese Formverletzung (Z 5) keinen solchen Einfluß zu entfalten vermochte (§ 345 Abs. 3 StPO), zumal nicht auszuschließen ist, daß die Geschwornen (im Hinblick auf das verfehlte Fragen-Schema) dann, wenn sie zur Annahme seiner Zurechnungsunfähigkeit gelangt wären, deswegen - obgleich bei richtiger Betrachtung materiell und prozessual zu Unrecht (dennoch) - die Hauptfrage nach Mord (I.) verneint hätten, um in weiterer Folge die Eventualfrage (II.) nach Begehung der Tat im Zustand voller Berauschung beantworten zu können.

Umgekehrt wieder bedeutet die tatsächlich erfolgte Bejahung dieser (nur die objektive und subjektive Tatbestandsmäßigkeit des Täterverhaltens betreffenden) Hauptfrage noch nicht, daß damit nach einer Aufhebung des darauf beruhenden Schuldspruchs auch schon über die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten (bejahend) abgesprochen worden wäre. Dementsprechend genügt es, den Geschwornen durch die Kassation dieses Schuldspruchs unter Aufrechterhaltung des bejahenden Wahrspruchs (zur Hauptfrage), welcher gemäß § 349 Abs. 2 StPO der neuerlichen Entscheidung mit zugrunde zu legen sein wird, die Möglichkeit zu eröffnen, im zweiten Rechtsgang (nach der gebotenen Verfahrensergänzung durch die Einholung eines Fakultätsgutachtens) im Weg der Beantwortung einer ihnen vom Schwurgerichtshof vorzulegenden - der Eventualfrage in Richtung § 287 StGB voranzustellenden - (darauf gerichteten) Zusatzfrage zu entscheiden, ob der Beschwerdeführer etwa zur Tatzeit wegen einer (nach dem) sie indizierenden Ergebnis der neuen Hauptverhandlung zu individualisierenden) tiefgreifenden Bewußtseinsstörung unfähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde war daher wie im Spruch zu erkennen.

Anmerkung

E02948

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1980:0100OS00147.8.1216.000

Dokumentnummer

JJT_19801216_OGH0002_0100OS00147_8000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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