Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Harbich, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller, Dr. Horak, Dr. Schneider und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Reissner als Schriftführers in der Strafsache gegen Karl A wegen des Vergehens des Diebstahls nach §§ 127 Abs. 1, 128 Abs. 1 Z. 4 StGB. und anderer strafbarer Handlungen nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengerichts vom 10. September 1980, GZ. 11 Vr 1106/80-41, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde sowie die Berufung des Angeklagten wegen Schuld und Strafe werden zurückgewiesen.
Über die Berufung der Staatsanwaltschaft wird bei einem Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung entschieden werden.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 29. Oktober 1955 geborene, beschäftigungslose Karl A der Vergehen des schweren Diebstahls nach den §§ 127 Abs. 1, 128 Abs. 1 Z. 4 StGB. (begangen am 3. März 1980 zum Nachteil des Rudolf B durch Wegnahme einer Goldkette mit goldenem Kreuz im Gesamtwert von 10.000 S und am 28. März 1980
zum Nachteil der Sylvia B durch Wegnahme einer Brieftasche im Wert von 200 S, beinhaltend einen Geldbetrag von mindestens 1.450 S Bargeld), der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB. (an Karl E durch Versetzen von zwei Faustschlägen, verbunden mit einem Nasenbeinbruch mit Verschiebung der Bruckstücke und Notwendigkeit operativer Aufrichtung) und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB. (an Walter D infolge einer kleinen Platzwunde an der Unterlippe) - Tatzeit der Körperverletzungsdelikte: 3. März 1980 - schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Dieses Urteil fechten der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wegen Schuld und Strafe sowie die Staatsanwaltschaft mit Berufung an.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde:
Unter Geltendmachung der Nichtigkeitsgründe der Z. 5 sowie 9 lit. a und b des § 281 Abs. 1 StPO. bekämpft der Beschwerdeführer zunächst (undifferenziert) die Urteilsannahme, er habe sich anläßlich der drei am 3. März 1980 verübten Taten nicht in einem Zustand der vollen Berauschung befunden. Er behauptet mit den Hinweisen, sein Vater sei Alkoholiker gewesen und er (Beschwerdeführer) habe am 3. März 1980 das Medikament 'Captagon' genommen, einen pathologischen Rausch; schließlich reklamiert er in diesem Zusammenhang die Beurteilung seiner Alkoholisierung 'im Sinne des § 287 StGB.'.
Diese Rüge versagt:
Das Schöffengericht konnte auf Grund des Gutachtens des medizinischen Sachverständigen DDr. Walther Kutschera (S. 176 ff.), welches es seinen Feststellungen (u.a.) über den Alkoholisierungsgrad des Beschwerdeführers am 3. März 1980 als unbedenklich zugrunde legte (S. 206), ohne sich eines formalen Begründungsmangels im Sinne des § 281 Abs. 1 Z. 5 StPO. schuldig zu machen, konstatieren, der Beschwerdeführer habe sich bei Verübung der beiden Körperverletzungsdelikte und - nach kurzem Ausruhen - des Diebstahls zum Nachteil des Rudolf B zwar 'in stärker alkoholisiertem, jedoch keinesfalls volltrunkenem Zustand' (S. 201) befunden. Im gegebenen Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß sich das - wie erwähnt, den in Rede stehenden Urteilsfeststellungen zugrunde liegende - Gutachten nicht nur mit den vom Beschwerdeführer angegebenen Trinkzeiten und -mengen, sondern auch - und dies übergeht der Beschwerdeführer - mit dem klinischen Befund, also jenem Zustand, den der Beschwerdeführer auf Grund von Zeugenschilderungen seiner Umgebung vermittelte, und mit der Frage eines pathologischen Rauschzustands auseinandersetzte. Die dazu vom Beschwerdeführer im Nichtigkeitsverfahren vorgebrachten Neuerungen, nämlich der Brief seiner Mutter über die Alkoholikereigenschaft des (inzwischen verstorbenen ausländischen) Vaters und die Behauptung des Captagongenusses sind auf Grund des im Nichtigkeitsverfahren geltenden, sich aus § 288 Abs. 2 Z. 3 StPO. ergebenden Neuerungsverbots unbeachtlich.
Insoweit der Beschwerdeführer unter Hinweis auf einzelne, aus dem Zusammenhang gelöste Aussageteile von Zeugen die Feststellung begehrt, er sei am 3. März 1980
volltrunken gewesen, zeigt er keinen formalen Begründungsmangel auf, sondern bekämpft in unzulässiger und daher unbeachtlicher Weise die schöffengerichtliche Beweiswürdigung.
Das im Rahmen der Rechtsrüge vorgebrachte Begehren des Beschwerdeführers, den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt unter der Annahme eines nicht verschuldeten (Z. 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO.) oder verschuldeten (Z. 10 leg. cit. - § 287 Abs. 1 StGB.) Rauschzustand zu beurteilen, entbehrt einer gesetzmäßigen Ausführung der insoweit geltend gemachten Nichtigkeitsgründe nach den Z. 9 lit. a und b (richtig: Z. 9 lit. b und 10) des § 281 Abs. 1 StPO., weil der Beschwerdeführer von dem urteilsfremden Sachverhalt einer vollen Berauschung ausgeht und das Gesetz nicht mit den vom Erstgericht getroffenen Konstatierungen vergleicht. Zu den Diebstahlsfakten bekämpft der Beschwerdeführer die Urteilsannahmen, Sylvia B habe durch die scherzhafte Äußerung, in ihrer Kellnerbrieftasche sei zu wenig drinnen, um sie zu nehmen, möglicherweise die 'Absicht', diese Brieftasche zu stehlen, ausgelöst (S. 203, 205), und er sei (in beiden Fällen) im ausschließlichen Gelegenheitsverhältnis gestanden (S. 205). Die erstangeführte Annahme widerspräche unter 'normalen Verhältnissen' (gemeint: bei Verneinung eines Vollrausches) den Gesetzen der Logik, die zweitgenannte sei tatsachenund aktenwidrig, weil sich nach den Zeugenaussagen der Bestohlenen zur fraglichen Zeit auch andere Personen im Lokal aufhielten.
Diesem - ersichtlich unter dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z. 5 StPO. aufzufassenden - Vorbringen kommt Berechtigung nicht zu:
Das Schöffengericht zeigte neben einigen anderen, im Rahmen freier Beweiswürdigung als sicher angenommenen Umständen nur die Möglichkeit auf, der Angeklagte hätte durch die relevierte Äußerung der Sylvia B zum Diebstahl der Kellnerbrieftasche animiert werden können.
Mit diesem Hinweis traf es aber keine entscheidungswesentliche Tatsachenfeststellung, sondern erwähnte bloß eine zur Beurteilung des Diebstahlstatbestands gar nicht erforderliche Möglichkeit des Entstehens des Vorsatzes.
Daß der Beschwerdeführer anläßlich der Diebstähle im ausschließlichen Gelegenheitsverhältnis stand, konnte das Schöffengericht ohne Verstoß gegen die Denkgesetze aus den Aussagen der Zeugen Sylvia und Rudolf B ableiten. Es kommt dabei nicht darauf an, ob sich außer dem Angeklagten noch andere Personen im Lokal aufhielten, was ja unbestritten ist, sondern darauf, ob sich (allein) der Angeklagte in unmittelbarer Nähe der jeweiligen, von den späteren Opfern gewählten Aufbewahrungsorte des Halsumhanges bzw. der Kellnerbrieftasche befand. Im übrigen ist dieses Indiz vom Beschwerdeführer aus dem Zusammenhang mit den übrigen, vom Schöffengericht im Einklang mit den Verfahrensergebnissen aufgezeigten Umständen, die in beiden Diebstahlsfällen für die Täterschaft des Beschwerdeführers sprechen, genommen. Mithin laufen die eben behandelten Beschwerdeeinwände (abermals) auf eine Bekämpfung der Beweiswürdigung hinaus. Damit wird aber kein gesetzlicher Nichtigkeitsgrund zur Darstellung gebracht. Schließlich rügt der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf § 281 Abs. 1 Z. 10 StPO. die rechtliche Beurteilung der - als mangelhaft bezeichneten und damit der Sache nach im Sinne der Z. 5 des § 281 Abs. 1 StPO.
bekämpften - Feststellung betreffend die Verletzung des Karl E als (an sich) schwer in der Bedeutung des § 84 Abs. 1 StGB. Auch diese Rüge geht fehl.
Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers konnte nämlich das Schöffengericht ohne Verletzung seiner im § 270 Abs. 1 Z. 5 StPO. normierten Begründungspflicht in Ausübung freier Beweiswürdigung auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen DDr. Kutschera (siehe dazu S. 176 f.) die Feststellung treffen, Karl E habe (infolge der zwei ihm vom Angeklagten versetzten Faustschläge) einen Nasenbeinbruch mit Verschiebung der Bruchstücke und Notwendigkeit operativer Aufrichtung erlitten.
Bei dieser vom Erstgericht zur Grundlage seiner Konstatierung herangezogenen (vgl. S. 206) Begutachtung wurden auch alle Krankenhausbefunde berücksichtigt. Die Unterlassung der Vernehmung der behandelnden Ärzte kann - abgesehen davon, daß der Beschwerdeführer eine Verfahrensrüge gar nicht erhob - mangels entsprechender Antragstellung in der Hauptverhandlung im Nichtigkeitsverfahren nicht geltend gemacht werden. Worin der behauptete Subsumtionsirrtum bestehen soll, wurde vom Beschwerdeführer nicht ausgeführt. Die bloße, mithin nicht substantiierte Behauptung, es liege ein 'offenbarer Subsumtionsirrtum vor', wenn ihm 'bei Karl E eine schwere Körperverletzung im Sinne des Gesetzes zur Last gelegt wird', stellt nicht die gesetzmäßige Ausführung eines Nichtigkeitsgrundes dar. Diese verlangt nämlich, wie die Auslegung der Vorschriften der §§ 285 Abs. 1 und 285 a Z. 2 StPO. ergibt, die Bezeichnung der Tatumstände, die einen Nichtigkeitsgrund bilden sollen. Nur der Vollständigkeit halber kann jedoch bemerkt werden, daß nach der Rechtsprechung ein Nasenbeinbruch mit Dislokation der Bruchenden als an sich schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB.) zu beurteilen ist (vgl. dazu u.a. LSK. 1975/215; auch LSK. 1976/312). Aus den aufgezeigten Gründen war die Nichtigkeitsbeschwerde teilweise gemäß § 285 d Abs. 1 Z. 2 und teilweise nach § 285 d Abs. 1 Z. 1 i.V.m. § 285 a Z. 2 StPO. zurückzuweisen.
Zu den Berufungen:
Die vom Angeklagten ausgeführte Berufung wegen Schuld und Strafe war gleichfalls zurückzuweisen. Eine Berufung wegen Schuld ist gegen schöffengerichtliche Urteile nicht vorgesehen (§§ 280, 283 Abs. 1 StPO.). Die gegen das Strafausmaß gerichtete Berufung wurde nicht innerhalb der hiezu nach § 294 Abs. 1 StPO. i.V.m. § 284 StPO. offenstehenden, im vorliegenden Fall mit der Urteilsverkündung am 10. September 1980 in Lauf gesetzten Dreitagefrist angemeldet (vgl. S. 197 und 209 f.), sodaß sich deren Ausführung am 26. November 1980 (s. S. 217) als verspätet erweist. Die Zurückweisung dieses Teils der Berufung stützt sich auf die §§ 294 Abs. 4, 296 Abs. 2 StPO.
Über die Berufung der Staatsanwaltschaft wird bei einem mittels abgesonderter Verfügung anzuberaumenden Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung entschieden werden (§ 296 Abs. 3 StPO.).
Anmerkung
E03013European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1981:0130OS00192.8.0129.000Dokumentnummer
JJT_19810129_OGH0002_0130OS00192_8000000_000