Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Februar 1981
unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Braitenberg-Zennenberg als Schriftführers in der Strafsache gegen Rudolf A wegen des Vergehens nach § 64 LMG 1975 über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 11. April 1978, GZ 18 U 394/78-4, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwaltes Dr. Stöger, zu Recht erkannt:
Spruch
Das Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 11. April 1978, GZ 18 U 394/78-4, mit dem Rudolf A des Vergehens nach dem § 64 LMG 1975 schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 57 Abs 2 und Abs 3, letzter Fall, StGB.
Dieses Urteil und alle darauf beruhenden Anordnungen und Verfügungen, insbesondere die Endverfügung vom 12. April 1978, ON 6 des Aktes, werden aufgehoben und es wird gemäß den §§ 292, 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:
Rudolf A wird von der Anklage, am 3. März 1977
in Wien als verantwortlicher Koch des Kaffeerestaurants des Heinz B vorsätzlich (oder fahrlässig) ein verdorbenes Lebensmittel (§§ 7 Abs 1 lit b, 8 lit b LMG 1975), und zwar verdorbenes Backfett, das zur (weiteren) Zubereitung von Speisen im Küchenbetrieb dieses Kaffeerestaurants bestimmt war, gelagert und solcherart in Verkehr gebracht (§ 1 Abs 2 LMG 1975) und hiedurch das Vergehen nach dem § 63 Abs 1 Z 1 LMG 1975 (oder nach dem § 64 LMG 1975) begangen zu haben, gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Text
Gründe:
Mit dem durch einen Protokolls- und Urteilsvermerk beurkundeten Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 11. April 1978, GZ 18 U 394/78-4, wurde Rudolf A des Vergehens nach dem § 64 (§ 63 Abs 1 Z 1) LMG 1975
schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt:
Nach dem wesentlichen Akteninhalt wurde am 3. März 1977 im Kaffeerestaurant des Heinz B in Wien, in welchem damals Rudolf A in seiner Eigenschaft als Koch für die Herstellung der Speisen verantwortlich war, durch einen Revisionsbeamten des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 59, Marktamtsabteilung für den 17. Bezirk, von dem in der Küche gelagerten und zur (weiteren) Zubereitung von Speisen bestimmten Backfett eine Probe gezogen, die laut Gutachten der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und -forschung in Wien vom 21. November 1977 als verdorben im Sinn der Begriffsbestimmung des § 8 lit b LMG 1975 zu beurteilen war. Die daraufhin vom Marktamt an den Bezirksanwalt beim Strafbezirksgericht Wien gerichtete und mit 21. Februar 1978
datierte Anzeige gegen Rudolf A langte laut Eingangsvermerk am 27. Februar 1978 beim genannten Gericht ein (S 1 d. A). Sie wurde zunächst dem Bezirksanwalt übermittelt, der am 3. März 1978 beim Strafbezirksgericht Wien die Beischaffung einer Strafregisterauskunft und die Bestrafung des Rudolf A wegen § 63 Abs 1 Z 1 (64) LMG (1975) beantragte.
Nachdem - wie aus dem neuerlichen Eingangsvermerk ersichtlich (S 11 d. A) - der Akt mit diesen Anträgen noch am 3. März 1978 wieder beim Strafbezirksgericht Wien angefallen war, ordnete das Gericht (erst) am 7. März 1978 (S 12 d.A) die Hauptverhandlung gegen Rudolf A (für den 11. April 1978) an und verfügte gleichzeitig die Einholung einer Strafregisterauskunft. In der Hauptverhandlung am 11. April 1978
wurde sodann das angeführte Urteil gefällt, das in Rechtskraft erwuchs.
Rechtliche Beurteilung
Dieses Urteil steht mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Die Verjährungsfrist für das Rudolf A urteilsmäßig angelastete und nur mit Geldstrafe bedrohte Vergehen nach dem § 64 LMG 1975 beträgt gemäß dem § 57 Abs 3, letzter Fall, StGB ein Jahr. Der Lauf dieser Frist setzte bereits am 4. März 1977 (§ 68 StGB) ein, weil am 3. März 1977 die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen war und das nach dem § 64 LMG 1975 strafbare Verhalten des Rudolf A aufgehört hatte. Der im § 58 Abs 2 StGB genannte, den Ablauf der Verjährung hindernde Fall der neuerlichen Begehung einer auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden, mit Strafe bedrohten Handlung während der Verjährungsfrist liegt nach den Akten nicht vor. Es kommt hier aber auch eine Fortlaufhemmung der Verjährung nach der Bestimmung des § 58 Abs 3 Z 2 StGB - derzufolge die Zeit, während der wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei Gericht 'anhängig' ist, in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet wird - nicht in Betracht:
Die teleologische Auslegung dieser Vorschrift - insbesondere ein Vergleich mit dem sinn- und zweckverwandten Fall der Fortlaufhemmung nach der Z 1 dieser Gesetzesstelle (welcher Zusammenhang vom Gesetzgeber durch die Umgestaltung des Textes der Regierungsvorlage hervorgehoben wurde; s. Bericht des Justizausschusses, Dokumentation S 109) - ergibt nämlich, daß mit den Worten 'bei Gericht anhängig' nicht schon der Zeitpunkt des Einlangens der Sache bei Gericht erfaßt, sondern (erst) jener Verfahrensabschnitt bezeichnet wird, von dem an ein richterlicher Wille zur (strafrechtlichen) Verfolgung (Z 1) einer bestimmten Person als Täter in Erscheinung tritt (s. dazu im übrigen auch RZ 1976/
25 = JBl 1976/325).
Ein Strafverfahren ist daher (schon oder erst) als in diesem Sinn anhängig anzusehen, sobald irgendeine gerichtliche Maßnahme (das ist eine richterliche Verfügung) gegen den Täter getroffen wird (vgl. auch ÖJZ-LSK 1976/63, 1976/ 232, 1977/244; 10 Os 10/ 81, 13 Os 7/81;
Leukauf-Steininger, Kommentar2, RN 20, 21 und 22 zu § 58 StGB). Von einem bei Gericht im Sinn des § 58 Abs 3 Z 2 StGB anhängigen Strafverfahren kann somit nicht schon ab dem (sich allenfalls in einer Registereintragung manifestierenden) Anfall der Sache bei Gericht (vgl. ÖJZ-LSK 1978/164 und Leukauf-Steininger, Kommentar2, RN 21 zu § 58 StGB), sondern erst ab der ersten, gegen den Täter gewendeten und solcherart den richterlichen Verfolgungswillen dokumentierenden gerichtlichen Maßnahme gesprochen werden, die dazu bestimmt ist, den gegen den Täter bestehenden Verdacht einer bestimmten strafbaren Handlung zu überprüfen. Im gegenständlichen Fall ist in der am 7. März 1978, sohin bereits nach dem schon mit Ablauf des 3. März 1978 eingetretenen Ende der Verjährungsfrist getroffenen richterlichen Anordnung einer Hauptverhandlung (unter gleichzeitiger Einholung einer Strafregisterauskunft) die erste gegen Rudolf A gerichtete gerichtliche Maßnahme zu erblicken. Das ihm letztlich angelastete Vergehen nach dem § 64 LMG 1975 war daher im Zeitpunkt der Anordnung der Hauptverhandlung verjährt. Das Verfahren gegen Rudolf A wäre daher nach dem 3. März 1978 infolge des Strafaufhebungsgrundes der Verjährung, der die Strafbarkeit der Tat zum Erlöschen gebracht hatte (§ 57 Abs 2 StGB), mit Beschluß einzustellen gewesen; jedenfalls hätte aber in der Hauptverhandlung ein Freispruch von der Anklage wegen Vergehens nach dem § 63 Abs 1 Z 1 LMG 1975 (für das die gleichen Verjährungsvoraussetzungen gelten) bzw § 64 LMG 1975
gemäß dem § 259 Z 3 StPO ergehen müssen.
Anmerkung
E03050European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1981:0110OS00009.81.0211.000Dokumentnummer
JJT_19810211_OGH0002_0110OS00009_8100000_000