Norm
ABGB §1327Kopf
SZ 54/17
Spruch
Die aus gleichteiligem Verschulden geschiedene Frau hat gegen denjenigen, der den Tod ihres geschiedenen Ehemannes verschuldete, insoweit einen Schadenersatzanspruch, als ihr der unter den Voraussetzungen des § 68 EheG zustehende Unterhalt entgeht
OGH 12. Feber 1981, 8 Ob 247/80 (OLG Linz 5 R 133/80; KG Wels 5 Cg 23/79)
Text
Am 5. September 1977 wurde Karl M bei einem Verkehrsunfall auf der Bundesstraße 130 bei Eferding getötet. Den Erstbeklagten traf das Alleinverschulden an dem Unfall. Die Zweitbeklagte war die Haftpflichtversicherung seines PKW. Die Klägerin war mit Karl M bis 4. September 1969 verheiratet. An diesem Tag wurde ihre Ehe aus dem Verschulden beider Ehegatten rechtskräftig geschieden.
Die Klägerin begehrt die Verurteilung beider Beklagten zur ungeteilten Hand zur Bezahlung des Betrages von 52 500 S samt Anhang und die Zuerkennung einer monatlichen Rente von 3500 S ab dem Tag der Einbringung der Klage. Karl M habe auch nach der Scheidung die Lebensgemeinschaft mit der Klägerin aufrecht erhalten, habe die gesamten Miet- und Betriebskosten der Wohnung, die Kosten für Strom und Rundfunk und das monatliche Haushaltsgeld von 1500 S bezahlt. Sie sei auf Grund des schlechten Gesundheitszustandes nicht in der Lage gewesen, selbst für ihren Unterhalt aufzukommen. Er habe daher eine tatsächliche Alimentation im Sinne des § 68 EheG von monatlich 3500 S geleistet.
Die Beklagten beantragen die Abweisung des Klagebegehrens. Das Gericht habe einen auf § 68 EheG beruhenden Unterhaltsanspruch der Klägerin zu Lebzeiten ihres geschiedenen Mannes nicht festgesetzt, weshalb ihr kein Unterhaltsanspruch ihm gegenüber zugestanden sei. Allfällige Leistungen seien von Karl M als Entlohnung für geleistete Dienste gedacht oder freiwilliger Natur gewesen. Sie hätten auch nicht die Höhe von 3500 S monatlich erreicht.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende Feststellungen:
Nach der Ehescheidung lösten Karl und Maria M den gemeinsamen Haushalt nicht auf, sondern wohnten mit den drei damals minderjährigen Kindern weiter in A zusammen. Karl M leistete den Unterhalt für die Kinder in natura. Mit dem gerichtlichen Vergleich vom 22. März 1973 verpflichtete er sich, ab 1. April 1973 für die Kinder Silvia, Gabriele und Karl bis auf weiteres einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 4000 S an die zur Sachwalterin bestellte Mutter zu leisten; die Familienbeihilfe wurde dabei ebenfalls der Klägerin zum Direktbezug überlassen.
Karl M war während dieser Zeit als Schlossergehilfe bei der Firma X beschäftigt. Sein Jahresnettobezug betrug 131 094.90 S, woraus sich ein monatliches Nettoeinkommen von durchschnittlich ungefähr 11 000 S errechnet. Auch beim Spenglermeister Hans F arbeitete er schwarz mit und bezog daraus ein Nebeneinkommen in nicht genau feststellbarer Höhe. Bis zum Zeitpunkt seines Todes bezahlte Karl M für die Wohnung 905 S monatlich an Miete, dazu für die Garage 100 S. Für den Strom bezahlte er 400 S, für Radio und Fernsehen 120 S monatlich sowie für Heizkosten etwa 6000 S jährlich und für eine Hausratsversicherung 650 S. Auch trug er die Telefonkosten. Der Klägerin gab er zudem wöchentlich etwa 1500 S bis 2000 S Kostgeld, woraus sie die gesamten Bedürfnisse des Haushaltes (auch für die Kinder) bestritt.
Die Klägerin absolvierte in der Zeit vom 2. Oktober 1950 bis 31. Mai 1954 eine Lehre als Verkäuferin, die Gehilfenprüfung bestand sie jedoch nicht. Sie war bis 28. Jänner 1956 ohne längere Unterbrechung bei verschiedenen Dienstgebern im erlernten Beruf beschäftigt. Bis 17. Oktober 1956 war sie als arbeitsuchend gemeldet. Danach schied sie für die Dauer von 14 Jahren aus dem Erwerbsleben aus und widmete sich dem Haushalt und der Erziehung der Kinder. In diese Zeit fällt die Eheschließung vom 4. Mai 1957. In den acht Jahren vor ihrer Ehescheidung (4. September 1969) bis zum Tod ihres geschiedenen Mannes am 5. September 1977 ging sie drei Dienstverhältnisse als Halbtagskraft ein, die von häufigen längeren Krankenständen unterbrochen wurden. Ab 15. Mai 1974 unterbrach sie ihre Berufstätigkeit rund drei Jahre. Am 19. Jänner 1977 trat sie bei ihrem früheren Dienstgeber, der Firma B in Eferding, als Halbtagskraft ein, wo sie bis jetzt als Verkäuferin und Kassierin beschäftigt ist. Auch in diese Zeit fallen mehrere Krankenstände.
Der neurologische Status der Klägerin ist normal. Sie weist aber vegetative Störungen auf. Ihr organisches Zustandsbild würde für sich allein keine Arbeitsunfähigkeit bedingen. Sie leidet jedoch an endogenen Depressionen. Es bestehen Symptome der Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Existenzangst und eine starke Verminderung des Kontaktgefühles sowie Isolierungstendenzen; dies obwohl die Klägerin Psychopharmaka und hier vor allem Antidepressiva einnimmt. Auf Grund dieser psychischen Veränderungen war daher in den Jahren zwischen 1969 und 1977 eine zur Selbsterhaltung notwendige Arbeitsleistung nicht zu erwarten. Auch aus berufspsychologischer Sicht war ihr in der Zeit vom 4. September 1969 bis 5. September 1977 eine kontinuierliche Berufstätigkeit, die zur Selbsterhaltung notwendig wäre, nicht zuzumuten. Die Klägerin hatte für drei minderjährige Kinder und für ihren geschiedenen Gatten, mit dem sie in Lebensgemeinschaft lebte, zu sorgen, so daß sie auf Grund dieser Betreuungspflichten nur eine Arbeit am Wohnort anzunehmen in der Lage gewesen wäre. Am lokalen Arbeitsmarkt in A bestand jedoch so gut wie kein Bedarf an Verkäuferinnen. Derzeit ist der Klägerin eine Halbtagsbeschäftigung zuzumuten.
Rechtlich war das Erstgericht der Auffassung, daß die Klägerin nur Anspruch auf Unterhalt nach § 68 EheG gehabt hätte, wenn ihr ein solcher durch ein rechtsgestaltendes Gerichtsurteil konstitutiv begrundet worden wäre. Sie habe aber nie ein Gerichtsurteil dieser Art gegen Karl M erwirkt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und hob das erstgerichtliche Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es verwies darauf, daß nach der oberstgerichtlichen Judikatur ein Anspruch nach § 68 EheG nicht erst mit der richterlichen Entscheidung entstehe, sondern unter den in dieser Gesetzesstelle angeführten Voraussetzungen kraft Gesetzes. Die Klägerin sei demnach als Hinterbliebene anzusehen, für deren Unterhalt der Getötete im Rahmen des § 68 EheG sorgepflichtig war. Die Rechtssache sei noch nicht spruchreif. Es sei noch nicht eindeutig geklärt, ob bzw. inwieweit die Klägerin sich selbst erhalten konnte bzw. durch die Halbtagstätigkeit bei der Firma B derzeit hiezu in der Lage wäre. Auch müßte erörtert werden, ob sie Verwandte habe, die vor dem geschiedenen Ehegatten zur Leistung des mangelnden Unterhaltes heranzuziehen sind. Die mutmaßliche Lebensdauer Karl M sei wegen der erforderlichen zeitlichen Begrenzung der Witwenrente festzustellen. Schließlich sei zu erheben, in welchem Ausmaß die Klägerin Unterhalt erhielt, zumal die Kinder im Jahre 1977 schon selbsterhaltungsfähig gewesen sein konnten.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Auch der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau ist ein familienrechtlicher Anspruch. Es handelt sich um eine Nachwirkung der ehelichen Unterhaltspflicht. Der Unterhaltsanspruch erfährt zwar im Fall der Scheidung sowohl in den Voraussetzungen als auch in seinem Umfang eine besondere Ausgestaltung, es bleibt aber die Tatsache unberührt, daß der letzte und eigentliche Entstehungsgrund die frühere Ehe ist (vgl. Hoffmann - Stephan, EheG[2], 655. EFSlg. 3606). Ob dem nach § 68 EheG Bedürftigen ein Rechtsanspruch, insbesondere ein echter Unterhaltsanspruch, zusteht, ist in der Lehre strittig. Aus dem Wesen des Unterhaltsanspruches als Ausfluß der bestandenen Ehe ergibt sich aber, daß durch § 68 EheG dem Bedürftigen ein Rechtsanspruch gewährt wird (so auch Godin, EheG[2], 304), der, wenn seine Voraussetzungen vorliegen, schon mit der Scheidung wenigstens dem Gründe nach entsteht. Auch aus der amtlichen Begründung zum Ehegesetz 1938 (DJ 1938, 1111) ergibt sich, daß ein solcher Anspruch nicht ausgeschlossen werden sollte, denn es wird von einem Unterhaltsanspruch und einer Unterhaltspflicht gesprochen. Es war also nicht beabsichtigt, durch § 68 EheG ein Rechtsverhältnis eigener Art zu schaffen (vgl. Hoffmann - Stephan, EheG[2], 702). Demnach ist davon auszugehen, daß den aus beiderseitigem gleichteiligem Verschulden geschiedenen Ehegatten ein Unterhaltsanspruch nicht erst mit Rechtskraft eines über das Unterhaltsbegehren ergehenden Urteiles zusteht, sondern schon dann, wenn die im Gesetz geforderten Voraussetzungen gegeben sind (SZ 43/77). Bei dieser Rechtslage hat daher die Klägerin einen nach § 1327 ABGB als Schadenersatzanspruch zu qualifizierenden Anspruch gegen die Beklagten insoweit, als ihr der unter den Voraussetzungen des § 68 EheG zustehende Unterhalt gegenüber ihrem durch das fremde Verschulden getöteten geschiedenen Ehegatten entging (ZVR 1963/234; SZ 44/39 u. a.).
Anmerkung
Z54017Schlagworte
Frau, geschiedene, Schadenersatz (Unterhalt) bei Tötung des Mannes, Unterhalt (Schadenersatz) der geschiedenen Frau bei Tötung des Mannes, Unterhalt, Rechtsanspruch des Bedürftigen (§ 68 EheG)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1981:0080OB00247.8.0212.000Dokumentnummer
JJT_19810212_OGH0002_0080OB00247_8000000_000