TE Vwgh Erkenntnis 2005/5/12 2003/02/0037

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Veröffentlicht am 12.05.2005
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §52;
StVO 1960 §29b Abs1 idF 1998/I/092;
StVO 1960 §29b Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ströbl, über die Beschwerde des AK in L, vertreten durch Anwaltspartnerschaft Dr. Karl Krückl, Dr. Kurt Lichtl, Rechtsanwälte in Linz, Harrachstraße 14/I, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 9. Jänner 2003, Zl. VerkR- 240.596/10-2002-Atz, betreffend Ausweis gemäß § 29b Abs. 1 StVO, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 9. Jänner 2003 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Ausweises für dauernd stark gehbehinderte Personen gemäß § 29b Abs. 1 StVO abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die belangte Behörde stützte sich hinsichtlich des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 29b Abs. 1 StVO auf amtsärztliche Gutachten, welche zum Ergebnis kamen, dass dem Beschwerdeführer das Zurücklegen "derart kurzer Strecken von etwa 150 m in ebenem Gelände, jedoch in einer als Gehen zu qualifizierenden Weise und ohne Aufwendung überdurchschnittlicher Kraftanstrengung und erheblichen Schmerzen möglich" sei.

Gemäß § 29b Abs. 1 erster Satz StVO hat die Behörde Personen, die dauernd stark gehbehindert sind, auf deren Ansuchen einen Ausweis über diesen Umstand auszufolgen.

Die Feststellung der Grundlagen für die Beurteilung, ob eine Person stark gehbehindert ist, ist Gegenstand eines Beweises durch einen ärztlichen Amtssachverständigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2003, Zl. 2000/02/0243). Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auf das Gutachten des Facharztes für Neurologie Dr. B. vom 14. November 1997 verweist, so handelt es sich - wie sich aus der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 27. April 2005 zu einer diesbezüglichen Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes ergibt - um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung; dies gilt auch (schon datumsmäßig) für das mit dieser Stellungnahme vorgelegte Schreiben des Bundessozialamtes vom 22. März 2004, wobei zur Klarstellung gesagt sei, dass es im Anwendungsbereich des § 29 b Abs. 1 StVO auf einen Bescheid des Bundessozialamtes über den Grad der Behinderung nach dem Behinderteneinstellungsgesetz nicht ankommt (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2003, Zl. 2000/02/0243, betreffend einen Bescheid über die Minderung der Erwerbsfähigkeit).

Der Beschwerde ist dennoch Erfolg beschieden:

Der Gesetzesbegriff der "starken Gehbehinderung" im Sinn des § 29b Abs. 1 StVO stellt darauf ab, ob die betreffende Person in einer als Gehen zu qualifizierenden Weise ohne Aufwendung überdurchschnittlicher Kraftanstrengung und ohne große Schmerzen eine bestimmte Wegstrecke zurücklegen kann; ist sie dazu in der Lage, so wird eine festgestellte Gehbehinderung nicht als schwer im Sinne des Gesetzes anzusehen sein. Die Fähigkeit zum Zurücklegen einer Strecke von mehr als 300 m ohne überdurchschnittliche Kraftanstrengung und ohne große Schmerzen schließt eine starke Gehbehinderung im Sinne des Gesetzes aus, wobei der Umstand, dass dies nur mit Hilfsmitteln (wie etwa einem Gehstock oder orthopädischen Schuhen) möglich ist, die Behinderung nicht zu einer schweren macht (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 22. März 2002, Zl. 99/02/0187). In diesem Erkenntnis wurde im Übrigen in Ansehung der Unerheblichkeit der nötigen Verwendung von "Hilfsmitteln" die dazu im Widerspruch stehende, zu § 29b Abs. 4 StVO idF vor der 20. StVO-Novelle ergangene hg. Rechtsprechung - wie sie etwa im vom nunmehrigen Beschwerdeführer zitierten hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1989, Zl. 88/18/0343, zum Ausdruck kam - zu § 29b Abs. 1 StVO idF der 20. StVO-Novelle nicht mehr aufrecht erhalten.

Im zitierten Erkenntnis vom 22. März 2002, Zl. 99/02/0187, wurde im Anwendungsbereich des § 29b Abs. 1 StVO (idF der 20. StVO-Novelle) hinsichtlich der maßgeblichen "Wegstrecke" auch nicht mehr - wie etwa im vom nunmehrigen Beschwerdeführer (unter Hinweis auf eine Fundstelle in der Literatur) zitierten hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1989, Zl. 88/02/0207, und noch im vom Beschwerdeführer zitierten hg. Erkenntnis vom 22. März 1995, Zl. 94/03/0295, zu § 29b Abs. 4 StVO (idF vor der 20. StVO-Novelle) - auf eine Strecke, wie sie der "gewöhnlichen Entfernung von einem (erlaubten) Abstellplatz bis zu einem unter gewöhnlichen Bedingungen erreichbaren Ziel entspricht", sondern auf eine Strecke von "300 m" abgestellt und diese als maßgeblich erachtet (vgl. dazu auch das zitierte hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2003, Zl. 2000/02/0243).

Schon deshalb erweist sich der Sachverhalt im Beschwerdefall als ergänzungsbedürftig, weil die belangte Behörde auf diese maßgebliche "300 m-Strecke" nicht Bedacht genommen hat und dies auch aus den von ihr herangezogenen medizinischen Gutachten nicht entnehmbar ist (vgl. zum Ganzen auch das hg. Erkenntnis vom 29. April 2003, Zl. 2001/02/0234).

Da der Sachverhalt sohin in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 12. Mai 2005

Schlagworte

Gutachten Beweiswürdigung der Behörde widersprechende Privatgutachten Gutachten Verwertung aus anderen Verfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003020037.X00

Im RIS seit

14.06.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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