Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kral, Dr. Steininger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Mayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Waltraud A wegen des Verbrechens der Tötung eines Kindes bei der Geburt nach § 79, 2.Fall StGB. nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Waltraud A gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 11.Dezember 1980, GZ. 3 b Vr 2080/80-13, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am 11.April 1959 geborene Friseurin Waltraud A schuldig gesprochen, in der Nacht auf den 26. Februar 1980 in Wien ihr Kind, während sie noch unter der Einwirkung des Geburtsvorganges stand, dadurch getötet zu haben, daß sie dieses in eine Klosettmuschel legte und ihm die erforderliche Hilfe nicht angedeihen ließ, wodurch es erstickte und hiedurch das Verbrechen der Tötung eines Kindes bei der Geburt nach § 79 zweiter Fall StGB. begangen zu haben.
Nach den wesentlichen Feststellungen des Erstgerichtes kam der Angeklagten bereits Ende August 1979 der Umstand, daß sie mit hoher Wahrscheinlichkeit schwanger war, zu Bewußtsein. Sie errechnete als voraussichtlichen Geburtstermin Ende Februar, Anfang März 1980. Ihrer Mutter, der sie die Schwangerschaft verschwieg, gab sie wahrheitswidrig an, daß ein Frauenarzt eine Scheinschwangerschaft festgestellt habe. Da die Lebensgemeinschaft mit dem Erzeuger des Kindes bereits Anfang August 1979 einverständlich aufgelöst worden war, festigte sich bei ihr im Laufe der Zeit der Entschluß, das Kind den der Geburt unmittelbar folgenden Zeitraum nicht überleben zu lassen. Am 25.Februar 1980
fühlte sich die Angeklagte nicht wohl. Im Laufe des Abends suchte sie mehrmals die Toilette auf und wurde vor Mitternacht von den Geburtswehen erfaßt. Sie verständigte jedoch ihre in derselben Wohnung lebende Mutter nicht. Es kam zu einer äußerst problemlosen und raschen Geburt, einer sogenannten Sturzgeburt. Das neugeborene Kind, ein voll ausgetragener und entsprechend entwickelter Knabe, kam mit der Nachgeburt in der Klosettmuschel zu liegen. Die Angeklagte nahm das zuckende Kind aus der Muschel, unterließ aber jegliche Hilfeleistung, und legte es mit dem Vorsatz zu töten, wieder in die Muschel und betätigte die Klosettspülung. Der Aufforderung ihrer Mutter, die Klosettüre zu öffnen, folgte sie nicht. Als sie nach einiger Zeit das Klosett verließ, machte sie auf ihre Mutter einen verstörten Eindruck, erwähnte aber, daß es ihr besser gehe. Im Vorzimmer begann sie zu taumeln und ihre Mutter brachte sie ins Bett.
Dort fing die Angeklagte zu weinen an und gestand der Mutter, daß es ein Kind war, und daß 'jetzt alles vorbei' sei. Das Kind war lebensfähig und hat, wenngleich nur kurze Zeit, tatsächlich gelebt. Als wahrscheinliche Todesursache wurde ein Erstickungsvorgang durch Zurücklegen in die Klosettmuschel und das Unterlassen jeglicher Hilfeleistung festgestellt.
Dieses Urteil wird von der Angeklagten mit einer auf § 281 Abs. 1 Z. 4 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft. Der Strafausspruch wird mit Berufung angefochten.
Rechtliche Beurteilung
Den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund erblickt die Beschwerdeführerin in der Abweisung ihres Antrages auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zum Beweis, daß die Angeklagte weder nach ihrem Wissen noch nach ihrer psychischen Lage unmittelbar nach der Geburt fähig war, dem Kinde die notwendigen lebenserhaltenden Maßnahmen angedeihen zu lassen (S. 100 d.A.). Dieser Beweisantrag wurde vom Erstgericht mit der Begründung abgewiesen, daß die Frage, ob die Angeklagte nach ihrem Wissen zur Hilfeleistung fähig war, eine vom Gericht zu lösende Frage der Beweiswürdigung sei. Im übrigen sei aber die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens nicht erforderlich gewesen, 'da nicht das geringste Anzeichen für eine über die - vom Gesetzgeber im Tatbestand der Strafdrohung ohnehin schon über die Maßen berücksichtigte - Ausnahmesituation einer gebärenden Frau hinausgehende Beeinträchtigung erkannt werden konnte'. Auch könnte durch den Beweisantrag nicht die der Geburt vorausgegangene Vorgangsweise der Angeklagten - Unterlassung der Beiziehung ihrer Mutter - entkräftet werden, die auf einen Tötungsvorsatz hinweist (S. 116 d.A.). Im übrigen vertrat das Erstgericht die Ansicht, daß die Angeklagte, falls sie tatsächlich aus Unwissen oder aus körperlicher Unfähigkeit im Zustand der Geburt nicht anders handeln hätte können, das vorsätzliche Verschweigen ihres Zustandes bis zuletzt und damit das Hintanhalten möglicher Hilfe als eine actio libera in causa, somit als Vorsatzdelikt zu verantworten hätte (S. 117 d.A.).
Durch die Abweisung des Beweisantrages wurden wesentliche Verteidigungsrechte verletzt. Das Verhalten der Angeklagten vor der Tat kann zwar als Indiz für den Vorsatz bei der Ausführung der Tat gewertet werden, berührt aber die Frage, ob die Angeklagte im Zeitpunkt der Tötung des Kindes schuldfähig war, nicht. Wenn objektive Momente vorliegen, die die Zurechnungsfähigkeit der Angeklagten in Frage stellen, ist eine Psychiatrierung zu veranlassen (Mayerhofer-Rieder, Das österreichische Strafrecht 2. Teil, Entscheidung unter 121 zu § 281 Z. 4 StPO.). Im Gegensatz zu der in dem den Beweisantrag abweisenden Erkenntnis des Erstgerichtes ausgedrückten Ansicht liegen Umstände vor, die für einen psychischen Ausnahmezustand der Mutter sprechen, der über den bei jeder Geburt vorliegenden Zustand hinausgeht. Die Angeklagte verantwortete sich, daß sie das Bewußtsein verlor und dann nicht ganz bei sich war (S. 34, 87). Nach der Aussage der Zeugin Elfriede A vor der Polizei, der das Schöffengericht folgte, war die Angeklagte ziemlich verstört, als sie das Klosett verließ. Sie taumelte und mußte von der Mutter ins Bett gebracht werden (S. 23, 24, 100).
Gerade bei Beurteilung eines psychischen Ausnahmezustandes, der bei der Geburt in der Regel besteht und vom Gesetz auch vermutet wird - der Grund für die Privilegierung der Tötung eines Kindes bei der Geburt gegenüber dem Mord - ist eine besonders gewissenhafte Prüfung der Zurechnungsfähigkeit erforderlich, die im vorliegenden Fall ohne Beiziehung eines Sachverständigen nicht verläßlich möglich ist. Das Erstgericht hat im Rahmen einer Eventualbegründung erwogen, daß die Angeklagte, selbst wenn sie im Zeitpunkt der Tat unzurechnungsfähig gewesen sein sollte, diesen Zustand vorsätzlich herbeigeführt habe. Es kam daher zu dem rechtlichen Schluß, daß sie den Erfolg als vorsätzlich herbeigeführt zu verantworten hat. Diese Erwägung ist verfehlt. Die Annahme, daß sie den Zustand der Geburt vorsätzlich (im Zeitpunkt des Geschlechtsverkehrs) herbeigeführt hat, damit im Ausnahmezustand der Geburt die erforderliche Hilfe für das Kind unterbleibt, widerspricht jeder Lebenserfahrung, ist in den Urteilsfeststellungen nicht gedeckt und geht von unrichtigen rechtlichen Vorstellungen vom Begriff der actio libera in causa aus. Auch das vom Erstgericht angenommene Verschweigen der Geburt, um eine Hilfeleistung durch dritte Personen zu verhindern, ist eine noch im Vorbereitungsstadium der Tat liegende Unterlassung. Das Verschweigen der erwarteten Geburt ist mangels Ausführungsnähe zur Tötung auch als Versuch nicht strafbar. Für die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit der Angeklagten ist somit der Zeitpunkt der Tötung maßgeblich.
Für die vom Richter zu lösende Rechtsfrage, ob in diesem Zeitpunkt einer der im § 11 StGB. angeführten Zustände vorlag, bedarf es aber, wie bereits ausgeführt, im vorliegenden Fall der Hilfe eines Sachverständigen.
Da durch die Ablehnung des berechtigten Beweisantrages der Angeklagten der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z. 4 StPO. vorliegt und die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist, war der Beschwerde bei der nichtöffentlichen Beratung sofort Folge zu geben.
Das angefochtene Urteil war somit aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen. Mit ihrer Berufung war die Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Anmerkung
E03113European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1981:0120OS00038.81.0326.000Dokumentnummer
JJT_19810326_OGH0002_0120OS00038_8100000_000