Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 7. April 1981 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. König als Schriftführer in der Strafsache gegen Martin A wegen des Verbrechens der erpresserischen Entführung nach § 102 Abs. 2 Z 1 und Abs. 4 StGB über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18. Juni 1980, GZ 5 c Vr 6376/79-24, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Hammer und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Gehart, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird teilweise Folge gegeben und die Freiheitsstrafe gemäß §§ 31, 40 StGB unter Rücksichtnahme auf die Strafverfügung des Strafbezirksgerichtes Wien vom 5. Mai 1980, AZ 7 U 18/80, auf 5 (fünf) Monate (als Zusatzstrafe) herabgesetzt; im übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Martin A des Verbrechens der erpresserischen Entführung nach § 102 Abs. 2 Z 1 und Abs. 4 StGB (unter unrichtiger Zitierung auch des Abs. 1 dieser Strafbestimmung) schuldig erkannt, begangen dadurch, daß er sich am 16. Juni 1979 in Wien einer unmündigen Person bemächtigte, um zwei Polizeibeamte zur Unterlassung seiner Eskortierung zu nötigen, indem er seinen neun Monate alten Sohn aus dem Gitterbett riß, mit ihm zu einem offenstehenden Fenster der im dritten Stockwerk gelegenen Wohnung stürzte und schrie 'Wenn ihr mir zu nahe kommt, werfe ich das Kind aus dem Fenster', wobei er den Unmündigen kurz vom Fenster weg und sofort wieder zum Fenster zurück schwang, später aber freiwillig unter Verzicht auf die begehrte Leistung ohne Schaden in seinen Lebenskreis zurückgelangen ließ.
Rechtliche Beurteilung
Der auf § 281 Abs. 1 Z 5 und 9 lit. a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen diesen Schuldspruch kommt keine Berechtigung zu.
Die Urteilsfeststellung, daß der Beschwerdeführer mit der Androhung, er werde sein Kind aus dem Fenster werfen, wenn ihm die Polizeibeamten zu nahe kämen, letzten Endes jedenfalls auf das Unterbleiben seiner Eskortierung und keineswegs (allein) darauf abzielte, von ihnen nicht geschlagen zu werden, hat das Erstgericht - unbeschadet der Frage nach der rechtlichen Relevanz jenes Vorsatzaspektes für die Tatbestandsmäßigkeit des inkriminierten Verhaltens des Angeklagten nach § 102 StGB - mit der Darstellung des Zeugen Walter B über das Tatgeschehen (S 12-14, 91) sowie mit seiner eigenen Verantwortung in der Hauptverhandlung (S 78 f) durchaus zureichend begründet (S 107 f); nach § 258 Abs. 2 StPO durfte es dabei auf Grund seiner freien, durch die gewissenhafte Prüfung aller für und wider den Angeklagten vorgebrachten Beweismittel gewonnenen Überzeugung aus den Verfahrensergebnissen auch Schlußfolgerungen ziehen, die sich daraus nicht zwingend ergeben, sondern nur naheliegen. Die Mängelrüge (Z 5) ist demnach unbegründet. Warum das An-sich-Reißen eines neun Monate alten Kindes und dessen Verbringen zu einem offenstehenden Fenster der im dritten Stockwerk eines Gebäudes befindlichen Wohnung mit der durch Gesten unterstrichenen Androhung, es hinauszuwerfen, nicht dem Tatbestandsmerkmal 'sich bemächtigen' im § 102 Abs. 2 Z 1 StGB, also der Herstellung einer (die Zufügung eines Übels ermöglichenden) physischen Herrschaft des Täters über das Opfer (vgl Leukauf-Steininger, Komm2, RN 8 zu § 102), entsprechen sollte, ist den Beschwerdeausführungen ebensowenig zu entnehmen wie ein Hinweis darauf, weshalb durch die festgestellte Absicht (§ 5 Abs. 2 StGB) des Angeklagten, die Polizeibeamten durch sein tatbildliches Verhalten zur Unterlassung seiner Eskortierung zu nötigen, nicht der für die subjektive Tatseite der in Rede stehenden strafbaren Handlung erforderliche Vorsatz verwirklicht worden sei; durch die bloße Bezugnahme auf Fallkonstellationen, an die der Gesetzgeber bei der Schaffung des Tatbestands (als Regelfälle) in erster Linie gedacht haben mag, kann die Unrichtigkeit einer Sachverhaltssubsumtion (und damit auch jene der hier vorliegenden) nicht dargetan werden. Insoweit läßt die Rechtsrüge (Z 9 lit. a) folglich eine prozeßordnungsgemäße Darstellung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes vermissen (§§ 285 Abs. 1, 285 a Z 2 StPO). Verfehlt hingegen ist ihr Einwand, die Anordnung des § 105 Abs. 2 StGB, wonach eine durch Abs. 1 jener Strafbestimmung pönalisierte Nötigung nicht rechtswidrig ist, wenn die Anwendung der Gewalt oder Drohung als Mittel zu dem angestrebten Zweck nicht den guten Sitten widerstreitet, gelte auch für nach § 102 StGB tatbestandsmäßige Nötigungen.
Denn schon im Hinblick auf den bei weitem höheren Unrechtsgehalt des zuletzt bezeichneten Verbrechens, der (bereits) in der unterschiedlichen Höhe der angedrohten Freiheitsstrafen - nach § 102 Abs. 1 und Abs. 2 StGB jeweils zehn bis zwanzig Jahre, unter den Voraussetzungen des § 102 Abs. 4 StGB immerhin noch sechs Monate bis fünf Jahre; nach § 105 Abs. 1 StGB dagegen nur bis zu einem Jahr - unmißverständlich zum Ausdruck kommt, ist eine analoge Anwendung des relevierten, für erpresserische Entführung nach § 102 StGB im Gesetz nicht vorgesehenen Rechtfertigungsgrundes keinesfalls in Betracht zu ziehen (vgl Kienapfel, BT I, RN 762, Leukauf-Steininger, Komm2, RN 15 zu § 102). Auf die in diese Richtung hin zielende (in Ansehung der subjektiven Tatseite zudem nicht von den Urteilsfeststellungen ausgehende) Beschwerdeargumentation muß demzufolge nicht näher eingegangen werden.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten nach § 102 Abs. 4 StGB zu neun Monaten Freiheitsstrafe. Dabei hielt es ihm keinen Milderungsumstand zugute, wogegen es sein (auch) durch einschlägige Vorstrafen stark getrübtes Vorleben und seinen Rückfall innerhalb einer offenen Probezeit als erschwerend wertete. Der Berufung, mit welcher der Angeklagte eine Strafherabsetzung und die Gewährung bedingter Strafnachsicht anstrebt, kommt teilweise Berechtigung zu.
Seine nicht unbeträchtliche Alkoholisierung zur Tatzeit, die unter den gegebenen Begleitumständen seine Erregung über die (neuerliche) Polizeiintervention als an sich teilweise verständlich erscheinen läßt, ist dem Angeklagten nach Lage des Falles zusätzlich als mildernd zugute zu halten (§ 35 StGB). Weiters ist zu bedenken, daß seine mehreren Vorstrafen wegen Gewalttätigkeit durchwegs dem Bereich der Kleinkriminalität zuzurechnen sind, daß der Unrechtsgehalt der ihm im vorliegenden Verfahren zur Last fallenden Tat doch deutlich unter jenem der für die strengen Strafdrohungen des § 102 StGB maßgebenden Regelfälle liegt und daß sein Rückfall innerhalb offener Probezeit zwar gewiß bei der Bewertung seiner Schuld zu berücksichtigen ist, aber keinen eigenen Erschwerungsgrund bildet (vgl ÖJZ-LSK 1976/263 sowie Leukauf-Steininger, Komm2, RN 8 zu § 33).
Demnach hätte bei gemeinsamer Aburteilung der vom Angeklagten nunmehr zu verantwortenden Straftat mit dem Vergehen nach § 89 StGB, dessentwegen mit Strafverfügung vom 5. Mai 1980, AZ 7 U 18/80 des Strafbezirksgerichtes Wien, eine Geldstrafe im Ausmaß von sechzig Tagessätzen, im Fall der Uneinbringlichkeit dreißig Tage Ersatzfreiheitsstrafe, über ihn verhängt wurde, im Hinblick auf seine tat- und persönlichkeitsbezogene Schuld (§ 32 StGB) mit seiner Verurteilung zur gesetzlichen Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten das Auslangen gefunden werden können, sodaß die Strafdauer unter Rücksichtnahme auf die bezeichnete Strafverfügung gemäß §§ 31, 40 StGB in teilweiser Stattgebung seiner Berufung auf fünf Monate zu reduzieren war.
Die Gewährung bedingter Strafnachsicht dagegen kam unter Bedacht auf das Vorleben des Angeklagten schon aus Gründen der Spezialprävention nicht in Betracht (§ 43 Abs. 1 StGB). Insoweit mußte daher der Berufung ein Erfolg versagt bleiben.
Anmerkung
E03108European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1981:0100OS00150.8.0407.000Dokumentnummer
JJT_19810407_OGH0002_0100OS00150_8000000_000