Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Bernardini, Dr. Steininger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Garai als Schriftführer in der Strafsache gegen Manfred A wegen des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs. 1, 143 (letzter Fall) StGB. und einer anderen strafbaren Handlung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengerichtes vom 20.Jänner 1981, GZ. 22 Vr 2126/80-31, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 9.Juni 1965 geborene, sohin jugendliche Angeklagte Manfred A der Verbrechen des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs. 1, 143 (letzter Fall) StGB. sowie des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127 Abs. 1, 129
Z. 1 StGB. schuldig erkannt.
Nach den hiefür wesentlichen Feststellungen des Erstgerichtes verantwortet er I./ einen am 17.August 1980 in Weißbach bei Lofer an dem (65-jährigen) Rentner Josef B verübten Raubversuch, bei dem er mit dem auf Abnahme von Bargeld (in der Höhe von 200 bis 300 S) gerichteten Vorhaben auf den Genannten mit einem Holzknüppel mehrmals (etwa 6 bis 7 mal) derart kräftig auf dessen Kopf hinschlug, daß das Opfer noch am selben Tag seinen schweren Kopfverletzungen erlag; der Raub selbst blieb deshalb beim Versuch, weil der Angeklagte vor zwei zufällig am Tatort auftauchenden Fußgängern noch vor Aneignung der Beute die Flucht ergriff; ferner II./ einen am 7.März 1980 in Wörgl durch Einsteigen in einen Autoabstellplatz zwecks Erbeutung eines Autoradios verübten Diebstahlsversuch, der infolge seiner Betretung am Tatort scheiterte.
Das Erstgericht hielt die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit des im übrigen geständigen jugendlichen Angeklagten unter Hinweis auf das als schlüssig, überzeugend und widerspruchsfrei bezeichnete (S. 165 d.A.) Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Univ. Doz. Dr. Werner C für gegeben (vgl. S. 161 bis 165 d.A.). Mit der ziffernmäßig auf die Z. 4, 5 und 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter dem Nichtigkeitsgrund der Z. 5 der angeführten Gesetzesstelle einen dem Ersturteil anhaftenden Begründungsmangel in Ansehung des dahin enthaltenen Ausspruches, der Angeklagte sei (bei der jeweiligen Tatbegehung) reif genug gewesen, das Unrechtmäßige seines Verhaltens einzusehen und sich nach dieser Einsicht entsprechend zu verhalten, weil diese entscheidungswesentliche Feststellung in dem Gutachten des genannten Sachverständigen keine Stütze finde. Einen Verfahrensmangel erblickt der Beschwerdeführer in der Abweisung seines in der Hauptverhandlung (S. 150 d. A.) gestellten Antrages durch das Erstgericht (S. 150 d. A. unten) auf Einholung eines jugendpsychologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, daß er infolge verzögerter Reife nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht der Tat einzusehen und vor allem dieser Einsicht entsprechend zu handeln. Durch die Abweisung dieses Beweisantrages sieht sich der Beschwerdeführer deshalb in seinen Verteidigungsrechten beeinträchtigt, weil das Gutachten dieses Sachverständigen entgegen der im Erstgericht vertretenen Auffassung, das die Frage seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit durch dieses Gutachten für ausreichend geklärt erachtete (S. 150 d.A.), unschlüssig und in sich widerspruchsvoll sei, sodaß die Einholung des begehrten weiteren Sachverständigengutachtens erforderlich gewesen wäre.
Rechtliche Beurteilung
Die Verfahrens- und Mängelrüge des Angeklagten ist berechtigt. Der psychiatrische Sachverständige Univ. Doz.
Dr. Werner C bezeichnete in seinem - das schriftliche Gutachten, ON. 15 d.A., ergänzenden und modifizierenden - Gutachten in der Hauptverhandlung den Angeklagten als eine grenzdebile, unausgereifte und unausgesteuerte Persönlichkeit (S. 147 d.A.), der intellektuell und nach seiner Reife unter dem Niveau von gleichaltrigen Jugendlichen liege. Um wieviele Jahre der Angeklagte reifemäßig nachhinke, vermochte dieser Sachverständige nicht zu sagen (S. 148 d. A.). Er bejahte zwar die Diskretionsfähigkeit des Angeklagten (sohin dessen Fähigkeit, das Unrecht seines Verhaltens zu erkennen), sein Gutachten blieb aber in Bezug auf das weitere - zur Annahme der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit essentielle - Erfordernis der Dispositionsfähigkeit des Angeklagten unklar.
Der Sachverständige meinte zwar einerseits, nicht annehmen zu können, daß der bereits als Hilfsarbeiter in den Arbeitsprozeß eingegliederte Angeklagte über kein Dispositionsvermögen verfüge (S. 149 d.A.), konnte aber andererseits Schwierigkeiten des Angeklagten, sich einsichtsgemäß zu verhalten, nicht ausschließen (S. 149 d.A.). Schließlich erklärte er ausdrücklich, nicht in der Lage zu sein, über das Dispositionsvermögen ein genaues Gutachten abzugeben (S. 149 d.A.).
Von einem schlüssigen überzeugenden und widerspruchsfreien Gutachten, das - wie im Ersturteil ausgeführt wird - an der Schuldfähigkeit des Angeklagten keinen Zweifel offen lasse (S. 163 und 165 d.A.), kann sohin keine Rede sein, zumal der Sachverständige die für die Annahme der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten wesentliche Frage seiner Dispositionsfähigkeit nach dem Inhalt seines in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachtens offen ließ und das Erstgericht auch nicht durch Heranziehung anderer Verfahrensergebnisse oder auf Grund des Gesamtverhaltens des Angeklagten das Vorliegen der Dispositionsfähigkeit bejaht hat. Die Feststellungen des Ersturteiles auch über eine beim Angeklagten gegebene Dispositionsfähigkeit finden demnach in diesem Gutachten keine ausreichende Deckung, bedurften im übrigen aber einer eingehenden Begründung schon deswegen, weil dieser beim Diebstahl nur wenige Monate unter 15, beim Raube wenige Monate über 15 Jahre alt war, sodaß die Beantwortung der Frage eines allenfalls möglichen, verzögerten Reifeprozesses bisher offen blieb. Es liegt demnach der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nach der Z. 5 des § 281 Abs. 1 StPO. vor.
Aber auch durch die Abweisung seines Beweisantrages auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens, welcher sich nach dem Vorgesagten zur Klärung der offengebliebenen Frage der Dispositionsfähigkeit als notwendig erweist, wurde der Angeklagte in seinen Verteidigungsrechten maßgeblich beeinträchtigt, sodaß dem Ersturteil auch der Nichtigkeitsgrund der Z. 4 des § 281 Abs. 1 StPO. anhaftet.
Denn der Sachverständige und ihm folgend das Erstgericht unterscheidet nicht mit hinreichender Deutlichkeit, ob eine Unzurechnungsfähigkeit im Sinne des § 11
StGB. oder der Schuldausschließungsgrund der verzögerten Reife nach § 10 JGG. nicht oder doch vorliege; im letzteren Fall sind Jugendliche, die eine mit Strafe bedrohte Handlung begehen, nicht strafbar, wenn sie aus besonderen Gründen noch nicht reif genug sind, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach ihrer Einsicht zu handeln. Haben daher besondere Umstände die geistige oder sittliche Entwicklung eines Jugendlichen, ohne daß zugleich auch die Gründe des § 11 StGB. vorliegen, abweichend von der Norm ungünstig beeinflußt, so daß seine Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit ausgeschaltet ist, dann kommt ihm der Schuldausschließungsgrund des § 10 JGG. zustatten (RZ. 1974/28; 9 Os 36/75; SSt. 29/12 u.a.). Handelt es sich dagegen nicht um eine bloß entwicklungsbedingte Unreife, sondern um eine Geisteskrankheit, um Schwachsinn, um eine tiefgreifende Bewußtseinsstörung oder um eine andere schwere, einem dieser Zustände gleichwertige seelische Störung, so kommt nur § 11 StGB. zur Anwendung (vgl. EvBl. 1977/75).
Vorliegend fehlen aber schon die Grundlagen dafür, ob allenfalls die Dispositionsfähigkeit aus dem einen oder anderen Grunde beeinträchtigt oder erheblich gestört ist, wobei nach Lage des Falles schon zufolge Schwierigkeit bei der Begutachtung die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen notwendig erscheint (§ 118 Abs. 2 StPO.), wenngleich die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, bei schweren Rechtsbrüchen eher erwartet werden kann, als bloß bei leichten Gesetzesverstößen (ÖJZ-LSK. 1975/78).
Da die aufgezeigten Begründungs- und Verfahrensmängel (§ 281 Abs. 1 Z. 5 u. 4 StPO.) eine neue Verhandlung nicht vermeiden lassen, war der begründeten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Folge zu geben und das Ersturteil nach Anhörung der Generalprokuratur aufzuheben (§ 285 e StPO.), ohne daß es ein Eingehen auf den weiters geltendgemachten Nichtigkeitsgrund der Z. 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO. bedurfte.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Anmerkung
E03128European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1981:0120OS00061.81.0507.000Dokumentnummer
JJT_19810507_OGH0002_0120OS00061_8100000_000