TE Vwgh Erkenntnis 2005/5/13 2004/02/0306

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Veröffentlicht am 13.05.2005
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs3;
StVO 1960 §29b Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ströbl, über die Beschwerde des GR in L, vertreten durch die Anwaltspartnerschaft Dr. Karl Krückl und Dr. Kurt Lichtl, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Harrachstraße 14/I, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 4. August 2004, Zl. VerkR-240.845/7-2004-Wa/G, betreffend Ausstellung eines Behindertenausweises nach § 29b Abs. 1 StVO 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 4. August 2004 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 28. Mai 2003 auf "Ausstellung eines Ausweises für dauernd stark gehbehinderte Personen gemäß § 29b Abs. 1 StVO 1960 abgelehnt".

In der Begründung des angefochtenen Bescheides legte die belangte Behörde - soferne entscheidungswesentlich - den Inhalt des von ihr eingeholten amtsärztlichen Sachverständigengutachtens Dris. Eva W (deren Fachgebiet aus dem Bereich der Humanmedizin nach der Aktenlage unbekannt ist) vom 27. Jänner 2004 (welche davon ausging, dass der Beschwerdeführer in einer als Gehen zu qualifizierenden Weise ohne Aufwendung überdurchschnittlicher Kraftanstrengung und ohne dauernd große Schmerzen (zu verspüren) eine Wegstrecke von 300 m zurücklegen könne) sowie des vom Beschwerdeführer beigebrachten Gutachtens des gerichtlich beeideten Sachverständigen (ein Facharzt für Unfallchirurgie) Dr. G vom 30. April 2004 dar. Die belangte Behörde führte aus, dass einige vom Beschwerdeführer behauptete Unvollständigkeiten im Gutachten Dris. W sowie mehrere behauptete Widersprüche dieses Gutachtens zum Gutachten Dris. G nicht entscheidungsrelevant seien bzw. die Widersprüche gar nicht vorlägen. Sodann zeigte die belangte Behörde tatsächlich vorliegende Widersprüche dieser Gutachten zueinander auf (betreffend den Zustand des linken Kniegelenkes und die Lähmung der Wadennerven samt den daraus resultierenden Auswirkungen auf das dem Beschwerdeführer mögliche Gehen). Zu diesen Widersprüchen stellte die belangte Behörde folgende "Überlegungen" an:

"Bei den Überlegungen, welchem Gutachten im Hinblick auf die in den vorangehenden drei Absätzen angeführten Widersprüche in seinen Schlussfolgerungen zu folgen ist, ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich die an den privaten Gutachter gerichtete Fragestellung nicht mit der an die amtsärztliche Sachverständige gerichteten Fragestellung deckt ... und die Ergebnisse der Gutachten dadurch nicht unmittelbar miteinander vergleichbar sind."

Sie setzt fort:

"Sieht man einmal davon ab, so kommt folgender - vom Berufungswerber in seiner Stellungnahme vom 1. März 2004 (Seite 9) getätigten - Aussage nach Ansicht der Berufungsbehörde eine besondere Bedeutung zu: er führe 'ein Muskelaufbautraining sowie Kreislauftraining auf einem Crosstrainer der Marke 'Kettler' regelmäßig, nach körperlicher Verfassung und Möglichkeit' durch. 'Dabei betrage die Pulsobergrenze, die von mir vorher festgelegt wird, maximal 135 (...). Nach durchschnittlichem zwanzigminütigem Training beträgt die durchschnittliche Belastung ca. 70 Watt'.

Diese Angabe ist für die Beurteilung der Frage, ob auf Seiten des Berufungswerbers eine dauernde starke Gehbehinderung im Sinne des § 29b Abs. 1 StVO vorliegt, von hohem Gewicht: Laut dem amtsärztlichen Sachverständigen Dr. E" (Anmerkung des Verwaltungsgerichtshofes: dessen Fachgebiet aus dem Bereich der Humanmedizin nach der Aktenlage gleichfalls unbekannt ist) "handelt es sich bei einem Crosstrainer um ein Fitnessgerät, das üblicherweise zur Stärkung der Bein-, Rumpf- und Armmuskulatur eingesetzt wird. Der Crosstrainer wird in aufrechter Position bestiegen und es erfolgt ein Bewegungsablauf ähnlich einer 'Tretmühle'. Griffstangen sind dabei an den Tretmechanismus und damit an den ergometrischen Antrieb (der in seinem Widerstand verstellbar ist) gekoppelt. Der Bewegungsablauf kann als tretende Bewegung beschrieben werden, wobei gleichzeitig die Arme - eben im Rhythmus der Gangbewegung - mitbewegt werden. Den Ausführungen des amtsärztlichen Sachverständigen zu Folge ergibt sich dadurch 'insgesamt ein einem forcierten Gehen vergleichbarer Bewegungsablauf, der durch die Bewegung aller Körperpartien zu einem 'Ganzkörpertraining' führen soll. Der Bewegungsablauf der Beine ist etwa mit Treppensteigen vergleichbar. Der Bewegungsablauf ist somit durchaus mit dem Gehen vergleichbar', was nach den Ausführungen des Berufungswerbers 20 Minuten hindurch möglich ist.

Dies lässt für den amtsärztlichen Sachverständigen den Schluss zu, 'dass eine zwanzigminütige, dem Gehen ähnliche Belastung möglich ist, und demnach auch das Zurücklegen einer Distanz von 300 Metern möglich ist.'" (Hervorhebung durch Unterstreichen durch den Verwaltungsgerichtshof).

Im Zusammenwirken mit dem von Dr. W "festgestellten Gangbild" (auf eine Strecke laut Beschwerdeführer von 30,72 m, laut Dr. W von ca. 50 - 60 m) gelangt die belangte Behörde zum Ergebnis, dass das Gutachten Dris. W "in den relevanten Punkten schlüssig und widerspruchsfrei" sei, dem vom Beschwerdeführer beigebrachten Gutachten könne hingegen nicht gefolgt werden. Das "Einholen eines weiteren Gutachtens" könne "aus denselben Gründen unterbleiben".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer rügt, dass die belangte Behörde zur Begründung, warum sie dem Gutachten Dris. W den Vorzug gab, zu Unrecht auf eine unterschiedliche Fragestellung hinweist. Zur Beantwortung dieser Rüge ist der Wortlaut der Fragen an die Gutachter Dr. W und Dr. G zu vergleichen. Die belangte Behörde formulierte die Frage an die Gutachterin Dr. W folgendermaßen:

"... ein amtsärztliches Gutachten darüber abzugeben, ob der Antragsteller kurze Wegstrecken ohne Schmerzen und Einschränkungen zurücklegen kann bzw. ob eine dauernde starke Gehbehinderung im Sinne des § 29b Abs. 1 StVO 1960 vorliegt.

Insbesondere wäre darauf einzugehen, ob der Antragsteller in einer als Gehen zu qualifizierenden Weise ohne Aufwendung überdurchschnittlicher Kraftanstrengung und ohne große Schmerzen eine Wegstrecke von 300 m zurücklegen kann, wie sie der gewöhnlichen Entfernung von einem (erlaubten) Abstellplatz für das Kraftfahrzeug bis zu einem unter gewöhnlichen Bedingungen erreichbaren Ziel, wie etwa Eingängen zu Wohn- und Bürogebäuden oder öffentlichen Gebäuden, wie Amtsgebäuden, Kirchen oder Veranstaltungsstätten, entspricht."

Die Fragestellung an Dr. G war folgendermaßen formuliert:

"Ist die Zurücklegung einer Wegstrecke von 300 Metern ohne Aufwendung überdurchschnittlicher Kraftanstrengung und ohne große Schmerzen möglich?"

Damit ist die Frage im Wesentlichen inhaltlich ident, zumal es nach der hg. Rechtsprechung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. April 2003, Zl. 2001/02/0234) darauf ankommt, ob das Zurücklegen einer Strecke von mehr als 300 m ohne überdurchschnittliche Kraftanstrengung und ohne große Schmerzen möglich ist, was eine starke Gehbehinderung im Sinne des Gesetzes ausschließen würde.

Der Beschwerdeführer rügt weiters, dass ihm das Gutachten Dris. E zum "Crosstrainer" nicht zur Kenntnis gebracht worden sei. Er schließt Ausführungen an, dass die Bewegung auf einem "Crosstrainer" (unter anderem wegen der fehlenden Abrollbewegung des Fußes) nicht mit Gehen bzw. Treppensteigen vergleichbar sei, sondern eher dem Radfahren. Man könnte auf ebenem Untergrund mit einer Bewegung, wie sie beim Crosstrainer durchgeführt wird, keinen einzigen Schritt tun. Bei Wahrung des Parteiengehörs hätte der Beschwerdeführer "die Möglichkeit gehabt, den Ausführungen des Amtssachverständigen auf gleicher fachlicher Ebene zu begegnen und ganz konkret, gutachtlich den essentiellen Unterschied zwischen den Bewegungsabläufen auf dem speziell von ihm verwendeten Gerät zum normalen Gehen nachzuweisen."

Mit diesen Ausführungen ist der Beschwerdeführer im Recht. Denn es ist keineswegs - wie die belangte Behörde in der Gegenschrift behauptet - eine "allgemein bekannte Tatsache", dass ein "Crosstrainer" im Bewegungsablauf "mit Treppensteigen - und somit durchaus mit dem Gehen - vergleichbar" sei, zeigen doch Dr. E selbst in seiner "fachlichen Äußerung" (an den Tretmechanismus seien "Griffstangen .. gekoppelt") und der Beschwerdeführer in der Beschwerde ("keine Abrollbewegung") deutliche Unterschiede zur gewöhnlichen Gehbewegung auf. Zur Beurteilung der Auswirkungen dieser Unterschiede im Bewegungsablauf am "Crosstrainer" zum gewöhnlichen Gehen hat sich die belangte Behörde entscheidungswesentlich im angefochtenen Bescheid - richtigerweise - auch nicht auf eine allgemein bekannte Erfahrungstatsache gestützt, sondern auf die "fachliche Äußerung" Dris. E, ohne allerdings das Parteiengehör gewahrt zu haben. Die Relevanz dieses Verfahrensmangels hat der Beschwerdeführer mit seinen oben wiedergegebenen Ausführungen dargelegt.

Überdies hat der Gutachter Dr. E seine Ausführungen selbst relativiert, weil er darlegt, dem vorgelegten Gutachten Dris. G könne "aus hs. Sicht nicht auf gleichem fachlichärztlichem Niveau begegnet werden". Er regt zudem für den Fall, dass die Behörde die Einholung eines weiteren Gutachtens in Betracht ziehe, die Beauftragung eines "unabhängigen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Orthopädie oder Unfallchirurgie" samt Berücksichtigung ua. der "Feststellungen des Beschwerdeführers zum Crosstrainer" an.

An diesem Ergebnis kann die Feststellung Dris. W über das Gangbild auf eine Strecke von 30,72 m bzw. ca. 50 - 60 m (die tatsächliche Länge der Beobachtungsstrecke wurde von der belangten Behörde offen gelassen) nichts ändern, weil dieser Umstand allein nicht ausreicht, der Beurteilung durch die Gutachterin Dr. W den Vorzug zu geben.

Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 13. Mai 2005

Schlagworte

Parteiengehör Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2004020306.X00

Im RIS seit

13.06.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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