Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 25.Juni 1981 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Kral, Dr. Steininger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Garai als Schriftführer in der Strafsache gegen Rumena A, geschiedene B wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4
2. Fall (§ 81 Z. 1) StGB. über die von der Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wr. Neustadt als Schöffengericht vom 6. Februar 1981, GZ. 12 a Vr 1337/80-34, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, der Ausführungen des Verteidigers, Rechtsanwalt Dr. Rudolf Breuer und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Nurscher, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO. fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am 1.Jänner 1950 geborene Hilfsarbeiterin Rumena A (früher B) des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4, 2. Fall (§ 81 Z. 1) StGB. schuldig erkannt. Ihr wird angelastet, am 16.Oktober 1980 in Sollenau als Lenkerin eines PKWs. dadurch, daß sie das Fahrzeug in einer verschärften psychischen Belastungssituation lenkte und damit auf eine Fußgängergruppe zufuhr, wodurch sie infolge Verwechslung des Bremsund des Gaspedals ungebremst in diese hineinfuhr, sohin unter besonders gefährlichen Verhältnissen, fahrlässig Silvia C durch Zufügung einer Gehirnerschütterung, eines Schädelbruches, eines Schädelgrundbruches, einer Rißquetschwunde am Hinterhaupt und einer Bauchprellung schwer und den Christian D durch Zufügung einer Schädelprellung, einer Rißquetschwunde am Hinterhaupt und in der rechten Augengegend sowie einer Prellung der rechten Hand leicht am Körper verletzt zu haben.
Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die auf die Nichtigkeitsgründe der Z. 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO. gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.
Den erstgenannten Nichtigkeitsgrund erblickt die Beschwerdeführerin vorerst darin, daß das Schöffengericht feststelle, sie habe das Fahrzeug in einer verschärften psychischen Belastungssituation gelenkt, in der ihre Ziel- und Wunschvorstellungen ohne Aufhebung der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit rährenfärmig eingeengt gewesen seien (S. 337, 340). Der psychiatrische Sachverständige habe aber in seinem die Grundlage dieses Ausspruches bildenden Gutachten von einer rährenfärmigen Einengung des Bewußtseins der Angeklagten auf eine Zieloder Wunschvorstellung (S. 215) gesprochen. Die Feststellung des Erstgerichtes decke sich daher nicht mit dem Sachverständigengutachten.
Rechtliche Beurteilung
Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund liegt jedoch nicht vor. Eine Aktenwidrigkeit haftet dem Urteil nicht an, denn das Gutachten des Sachverständigen wird im Urteil gar nicht wörtlich zitiert, somit auch nicht unrichtig oder unvollständig wiedergegeben. Das Erstgericht kommt vielmehr, gestützt auf dieses Gutachten, zu Feststellungen, die im Ergebnis mit den Ausführungen des Sachverständigen übereinstimmen. Denn auch der Sachverständige kommt zur Überzeugung, daß bei der Kurzschlußhandlung der Angeklagten ihr Bewußtsein nicht aufgehoben war. Die Angeklagte war zur Zeit der Tat weder geisteskrank, noch hatte die psychogene Bewußtseinseinengung den Stellenwert einer Geisteskrankheit, auch wenn sie die Verantwortlichkeit weitgehend einschränkte (S. 215, 216). Eine Unvollständigkeit der Urteilsbegründung vermeint die Beschwerdeführerin darin zu finden, daß das Schöffengericht im Hinblick auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen sich nur mit der Frage ihrer strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit, nicht aber damit befaßt habe, ob ihr rechtmäßiges Verhalten auch zuzumuten gewesen sei, sowie daß es die Meinung des kraftfahrtechnischen Sachverständigen nicht berücksichtigt habe, es könne eine Verwechslung von Gas- und Bremspedal selbst im normalen Straßenverkehr unterlaufen.
Soweit die Beschwerdeführerin die Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens bestreitet, macht sie der Sache nach den Nichtigkeitsgrund nach dem § 281 Abs 1 Z. 9 lit a StPO. geltend. Hierauf wird ihr bei der Erörterung der ohnehin auch in dieser Richtung ausgeführten Rechtsrüge zu antworten sein. Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin war es nicht notwendig, sich mit den Ausführungen des kraftfahrtechnischen Sachverständigen, daß eine Verwechslung von Brems- und Gaspedal oder ein Abrutschen von einem auf das andere Pedal auch im normalen Straßenverkehr bei Belastungssituationen vorkommen könne, weiter zu befassen. Denn der Sachverständige hat in seinen bezüglichen Ausführungen (S. 223, 225) lediglich auf die Möglichkeit derartiger Fehlreaktionen hingewiesen, ohne sich über die Frage ihrer Vermeidbarkeit zu äußern. Dem Gutachten des kraftfahrtechnischen Sachverständigen ist insbesondere kein Hinweis darauf zu entnehmen, daß solche Fehlreaktionen etwa entschuldbar wären. Die Ausbildung des angehenden Kraftfahrers und seine abschließende Prüfung dient dem Zweck, solche Irrtümer zu vermeiden. Unterlaufen sie trotzdem so sind sie dem ausgebildeten und geprüften Kraftfahrer in der Regel als fahrlässiges Verhalten zuzurechnen, weil sie auf einem Aufmerksamkeitsoder Sorgfaltsfehler beruhen. Im übrigen ist das Schöffengericht, dem Gutachten des kraftfahrtechnischen Sachverständigen folgend, der eine Verwechslung des Brems- mit dem Gaspedal nicht ausschloß (S. 219, 220), ohnehin davon ausgegangen, daß die Angeklagte die Pedale verwechselte (S. 339, 340). Auch war es entgegen den am Ende der Nichtigkeitsbeschwerde enthaltenen Ausführungen der Angeklagten unerheblich, welche Wegstrecke sie mit dem Fahrzeug zurückgelegt hat, worin die Beschwerde zu Unrecht einen weiteren Begründungsmangel im Sinne des § 281 Abs 1 Z. 5 StPO. zu erblicken vermeint. Wesentlich allein ist, daß sie in einem ihr bewußten Erregungszustand das Auto überhaupt in Betrieb genommen hat, wodurch es zur Fehlreaktion und in deren Folge zum Unfall kommen konnte. Sowohl in Rahmen ihrer Mängel- wie auch im Rahmen ihrer Rechtsrüge befaßt sich die Beschwerdeführerin mit der Frage der Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens und meint, daß diese wegen ihres psychischen Erregungszustandes auszuschließen gewesen wäre.
Auch hierin kann ihr nicht gefolgt werden. Ihr Erregungszustand war ihr bewußt (S. 16, 29, 31, 156, 161, 163), wovon auch das Erstgericht ausgegangen ist (S. 337). Ihre Fahrlässigkeit ist schon darin zu erblicken, daß sie in ihrer hochgradigen Erregung ein Fahrzeug überhaupt in Betrieb genommen hat, wobei ihr der verhängnisvolle Bedienungsfehler unterlaufen ist.
Das Unterlassen des Lenkens eines PKWs. in diesem Zustand, somit die konkrete Anwendung jener Sorgfalt, zu der sie (objektiv) verpflichtet und (subjektiv) befähigt war, war ihr auch unter Berücksichtigung ihres Ausnahmszustandes, der ihre Verantwortlichkeit eingeschränkt aber keineswegs aufgehoben hat, zumutbar (Leukauf-Steininger Kommentar zum StGB.2 § 80 RN. 36). Dem Ersturteil haftet somit auch der gerügte Rechtsirrtum nicht an. Mit ihren auf die Z. 10 des § 281 Abs 1 StPO. gestützten Ausführungen wendet sich die Beschwerdeführerin schließlich gegen die Annahme der besonders gefährlichen Verhältnisse des § 81 Z. 1 StGB. und bringt hiezu vor, sie habe sich wegen ihrer Erregung in einem die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden, aber doch die Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens verdrängenden Ausnahmezustand befunden. Sie habe keine Situation herbeigeführt, die eine außergewÄhnlich hohe Unfallwahrscheinlichkeit bedeutet habe, wie dies Voraussetzung für die Anwendung des § 88 Abs 4, 2. Fall (§ 81 Z. 1) StGB. sei. Sie habe bei geringer Verkehrsdichte (Nachtzeit) nur eine kurze Fahrstrecke von etwa 200 Metern zurückgelegt, wozu noch komme, daß das der Angeklagten unterlaufene Fehlverhalten (Verwechslung von Gas- und Bremspedal) auch im sonstigen Straßenverkehr bei olötzlich auftretenden Hindernissen geschehen könne.
Auch mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin nicht im Recht.
Besonders gefährliche Verhältnisse liegen nach der neuen Rechtsprechung dann vor, wenn eine gegenüber spezifischen Normalfällen qualitativ verschärfte Gefahrenlage im Sinn einer außergewÄhnlich hohen Unfallwahrscheinlichkeit hergestellt wird; es genügt eine verschärfte Gefahrenlage auch nur für eine Person, die Herbeiführung einer Gemeingefahr wird nicht (mehr) verlangt (Leukauf-Steininger a.a.O., § 81, RN. 6 und 7).
Eine solche außergewÄhnlich verschärfte Gefahrenlage für einen eng begrenzten Personenkreis hat die Beschwerdeführerin durch ihr Verhalten herbeigeführt, weil sie trotz des von ihr erkannten hochgradigen Erregungszustandes (Leukauf-Steininger, a.a.O., § 81, RN. 16), der, wie bereits ausgeführt, die Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens freilich nicht ausschloß, überhaupt ein Fahrzeug in Betrieb genommen hat, und in der Folge damit auf eine Personengruppe zugefahren ist. Ein derartiges Verhalten bedeutet wegen des seelischen Erregungszustandes der Angeklagten gegenüber dem Normalfall des ruhigen Fahrers eine beträchtliche Erhähung der Unfallwahrscheinlichkeit. Das Erstgericht hat somit zutreffend die Qualifikation nach § 81 Z. 1 StGB. angenommen, wobei es ohne Bedeutung ist, wie groß die Verkehrsdichte zur Tatzeit und die von der Angeklagten vor dem Unfall zurückgelegte Strecke war. Die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Rumena A war daher zu verwerfen.
Die Angeklagte wurde nach § 88 Abs 4 2. Fall StGB.
zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt. Gemäß § 43 Abs 1 StGB. wurde die verhängte Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Bei der Strafzumessung wertete das Erstgericht als erschwerend die verstärkte Tatbestandsmäßigkeit durch die leichte Verletzung einer zweiten Person, als mildernd das Geständnis und den bisher ordentlichen Lebenswandel der Angeklagten.
Mit ihrer Berufung strebt die Angeklagte eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe bzw. die Verhängung einer Geldstrafe an. Die Berufung ist nicht berechtigt.
Zwar kommen zu den vom Erstgericht im übrigen zutreffend festgestellten Strafbemessungsgründen als weiterer Milderungsumstand noch die weitgehende Herabsetzung der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit der Angeklagten, dennoch ist mit Rücksicht auf die schweren Unrechtsfolgen der Tat die verhängte und bedingt nachgesehene Strafe nicht zu hoch. Auch ist dem Schöffengericht beizupflichten, daß es im vorliegenden Fall der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe bedarf, um die Angeklagte von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten.
Der Berufung war somit ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der angeführten Gesetzesstelle.
Anmerkung
E03209European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1981:0120OS00054.81.0625.000Dokumentnummer
JJT_19810625_OGH0002_0120OS00054_8100000_000