Norm
ZPO §419Kopf
SZ 54/103
Spruch
Die Ergänzung eines Rechtsmittels ist ausnahmsweise insoweit zulässig, als durch eine Urteilsberichtigung nach Erhebung des Rechtsmittels eine unvorhersehbare zweifelhafte Lage herbeigeführt wurde
OGH 9. Juli 1981, 7 Ob 646/81 (LG Klagenfurt 1 R 124/81; BG Wolfsberg C 935/79)
Text
Der Klägerin stehen auf Grund eines Übergabsvertrages gegenüber der Beklagten, ihrer Tochter, verschiedene Ausgedingsleistungen zu, die neben einem monatlichen Handgeld von 500 S zu erbringen sind.
Mit der Behauptung eines sogenannten "Unvergleichsfalles" begehrt die Klägerin an Stelle der Ausgedingsleistungen neben dem Handgeld ein monatliche Geldrente von 4000 S. Die Beklagte bestritt das Vorliegen eines Unvergleichsfalles sowie die Angemessenheit der begehrten Rente.
Mit dem angefochtenen Urteil sprach das Erstgericht der Klägerin unter Abweisung des Mehrbegehrens von 250 S monatlich 3750 S zu. Es ging hiebei u. a. von einem Streit im Jahre 1978 aus und unterließ Tatsachenfeststellungen, die als Grundlage für die Berechnung der zuerkannten Geldrente dienen hätten können. Mit ihrer auf die Berufungsgrunde der Aktenwidrigkeit, der unrichtigen Beweiswürdigung, der unvollständigen Sachverhaltsfeststellung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützten Berufung wandte sich die Beklagte u. a. auch gegen die Feststellung eines Streites im Jahre 1978 und gegen das Fehlen von Feststellungen betreffend den Wert der Ausgedingsleistungen. Hierauf faßte das Erstgericht einen mit Beschluß des Berufungsgerichtes vom 6. Feber 1981, 1 R 575/ 80- 34, bestätigten Berichtigungsbeschluß, mit dem einerseits das Datum 1978 auf 1979 berichtigt und ein Absatz eingefügt wurde, der Feststellungen über die Bewertung der vereinbarten Ausgedingsleistungen enthielt. In der rechtlichen Beurteilung war bereits von einer Bemessung der begehrten Geldrente nach § 273 ZPO die Rede gewesen.
Nach Zustellung der Berichtigungsentscheidung des Berufungsgerichtes brachte die Beklagte eine "ergänzende Berufung" ein, in der unrichtige Sachverhaltsfeststellung durch Aktenwidrigkeit, fehlende Beweiswürdigung und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht wurden. Die Ausführungen zu diesen Berufungsgrunden beschäftigten sich jedoch lediglich mit jenen Umständen, die von der Berichtigung betroffen worden waren.
Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge, wobei es sich nur mit der "ergänzenden Berufung" auseinandersetzte und den Standpunkt vertrat, durch den Berichtigungsbeschluß sei die ursprüngliche Berufung hinfällig geworden. Da die allein maßgebende "ergänzende Berufung" keine Rechtsausführungen zum Gründe des Anspruches enthalte, sei auf diese Frage nicht einzugehen. Die Bemessung der monatlichen Rente nach § 273 ZPO sei richtig erfolgt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge, hob das Berufungsurteil auf und verwies die Rechtssache an die zweite Instanz zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Entgegen den Ausführungen der Revision war Gegenstand der Berichtigung des Ersturteiles nicht ein praktisch bedeutungsloser Fehler. Es kann nicht gesagt werden, daß die Rechtsmittelwerberin auch ohne die Berichtigung den wirklichen Inhalt der erstrichterlichen Entscheidung zweifelsfrei erkennen hätte können. Immerhin hat sie in ihrer Berufung eine umfangreiche Argumentation auf der unrichtigen Jahreszahl (1978 statt 1979) aufgebaut. Die Bemessung der begehrten Rente nach § 273 ZPO war ohne die mit dem Berichtigungsbeschluß ergänzten Feststellungen überhaupt nur schwer durchschaubar. Kombinationen aus dem Akteninhalt muß aber eine Partei nicht anstellen, um dadurch zum Verständnis einer richterlichen Entscheidung zu gelangen. Die in der Entscheidung SZ 27/219 und der ihr folgenden Judikatur aufgezeigten Voraussetzungen dafür, daß eine Berichtigung der Entscheidung keine neue Rechtsmittelfrist in Gang setzt, liegen also nicht vor. Vielmehr wurde durch die Zustellung der berichtigten Urteilsausfertigung bzw. mangels einer solchen Zustellung durch die Zustellung der Bestätigung des Berichtigungsbeschlusses eine neue Rechtsmittelfrist in Gang gesetzt (Spr. 8 neu = SZ 2/145 u. a.).
Damit ist aber die Frage noch nicht beantwortet, welchen Einfluß die Berichtigung einer Entscheidung auf ein bereits erhobenes Rechtsmittel hat. Fasching III, 814, steht diesbezüglich auf dem Standpunkt, durch die Einbringung eines Rechtsmittels sei das Rechtsmittelrecht konsumiert, so daß auch eine nachfolgende Berichtigung der Entscheidung nicht die Berechtigung für ein weiteres Rechtsmittel derselben Partei schaffe. Allerdings läßt er die Frage offen, wie die Rechtslage ist, wenn durch die Berichtigung eine Ergänzung des angefochtenen Urteiles stattgefunden hat, was hier bezüglich der Nachholung von Feststellungen der Fall war.
Richtig ist die Erwägung Faschings, daß einer Partei gegen ein und dieselbe Entscheidung auch innerhalb der Rechtsmittelfrist grundsätzlich nur ein Rechtsmittel zusteht und Ergänzungen des Rechtsmittelschriftsatzes nicht zuzulassen sind (Fasching IV, 26; JBl. 1961, 326; JBl. 1955, 150 u. a.). Ferner ist es auch zutreffend, daß ein Rechtsmittel bereits vor Zustellung der angefochtenen Entscheidung erhoben werden kann, demnach die Erhebung eines Rechtsmittels gegen eine erst nachträglich berichtigte Entscheidung als wirksames Rechtsmittel gegen diese angesehen werden muß. Aus diesem Gründe erscheint es tatsächlich schwer denkbar, daß jene Partei, die bereits ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung erhoben hat, berechtigt sein sollte, nach Berichtigung dieser Entscheidung ein neues Rechtsmittel gegen sie zu erheben, weil es sich bei der berichtigten Entscheidung um keine andere handelt als um die ursprüngliche. Die Erhebung eines weiteren Rechtsmittels würde daher eine vorherige Beseitigung des ersten Rechtsmittels voraussetzen. Dies ist auch der Gedankengang des Berufungsgerichtes, das die erste Berufung der Beklagten als "überholt" angesehen hat. Allerdings hat es hiebei übersehen, daß eine Partei grundsätzlich Anspruch auf Entscheidung über ihr Rechtsmittel hat. Zutreffend verweist die Beklagte darauf, daß bei Richtigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes zumindest eine Zurückweisung der ursprünglichen Berufung erfolgen hätte müssen. Ein solcher Zurückweisungsgrund wäre aber bei Wegfall des Rechtsschutzinteresses vorgelegen. Dies wäre denkbar, wenn die Berichtigung die gesamten in der Berufung aufgezeigten Beschwerdepunkte im Sinne des Beschwerdeführers erledigt hätte und sohin die für eine sachliche Erledigung eines Rechtsmittels erforderliche Beschwer zur Gänze weggefallen wäre (JBl. 1977, 650; EvBl. 1971/152 u. a.). Wurde dagegen durch die Berichtigung nur einem Teil der Beschwerdepunkte Rechnung getragen, kann von einem gänzlichen Wegfall der Beschwer keine Rede sein, was aber eine Zurückweisung des Rechtsmittels aus diesem Grund ausschließt.
Denkbar wäre zwar eine Zurückziehung der ursprünglichen Berufung, doch ist dieser Weg für den Beschwerdeführer mit derartigen Risken verbunden, daß er ihm kaum zugemutet werden kann, zumal es nach der Lehre (Fasching IV, 26) und einer Entscheidung (1 Ob 416, 417/53) fraglich erscheint, ob man nicht durch die Erhebung des ursprünglichen Rechtsmittels das Rechtsmittelrecht als konsumiert erachtet und daher die zweite Berufung als unzulässig zurückweisen müßte.
Es kann demnach der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, durch die Berichtigung sei die erste Berufung "überholt", nicht beigetreten werden. Es besteht nicht einmal eine Handhabe für deren Zurückweisung, weil die in ihr aufgezeigten Beschwerdepunkte durch die Berichtigung nicht zur Gänze im Sinne der Beschwerdeführerin erledigt worden sind.
Es darf nun nicht übersehen werden, daß durch die Berichtigung einer Entscheidung eine Situation eintreten kann, die der Beschwerdeführer vor der Berichtigung nicht absehen konnte, weshalb ihm eine Reaktion darauf noch nicht möglich war. Würde man daher schlechthin den Standpunkt vertreten, er habe durch sein ursprüngliches Rechtsmittel sein Rechtsmittelrecht zur Gänze konsumiert, würde ihm hiedurch die Möglichkeit genommen werden, für ihn ungünstige Teile von Entscheidungen wirksam zu bekämpfen. Demnach muß man in einem Fall, in dem durch eine Urteilsberechtigung eine zweifelhafte Lage herbeigeführt wurde, der Partei, die gegen das unberechtigte Urteil bereits ein Rechtsmittel erhoben hat, das Recht zubilligen, ihren Rechtsmittelschriftsatz durch einen weiteren Schriftsatz zu ergänzen (SZ 37/146). Diesfalls stellt die Ergänzung nur einen Teil der ursprünglichen Rechtsmittelschrift dar.
Es handelt sich sohin um eine zulässige Ergänzung der ursprünglichen Berufung, die nach wie vor offen ist und daher vom Berufungsgericht einer Erledigung unterzogen werden muß. Da das Berufungsgericht eine solche Erledigung abgelehnt hat, liegt der gerügte Verfahrensmangel vor.
Wäre lediglich die Rechtsrüge der ursprünglichen Berufung unerledigt geblieben, müßte der OGH selbst eine Sachentscheidung fällen, weil das Fehlen einer solchen Erledigung eine erschöpfende Erörterung und grundliche Beurteilung nicht hindern könnte (§ 503 Z. 2 ZPO). Die ursprüngliche Berufung enthält jedoch auch Rügen betreffend das erstgerichtliche Verfahren und die erstrichterlichen Tatsachenfeststellungen.
Anmerkung
Z54103Schlagworte
Rechtsmittel, Ergänzung bei Urteilsberichtigung, Urteilsberichtigung, Ergänzung des RechtsmittelsEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1981:0070OB00646.81.0709.000Dokumentnummer
JJT_19810709_OGH0002_0070OB00646_8100000_000