Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 9.September 1981
unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Schramm als Schriftführers in der Strafsache gegen Peter A wegen des Vergehens des Diebstahls nach dem § 127 Abs 1 StGB. über die von der Staatsanwaltschaft Wien gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengerichtes vom 12.Mai 1981, GZ. 1 b Vr 3.432/81-16, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwaltes Dr. Scheibenpflug, und der Ausführungen des Verteidigers Dr. Hans Michel Piech zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird dahin Folge gegeben, daß das angefochtene Urteil, welches im übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch ausschließlich des Ausspruches über die Anrechnung der Vorhaft aufgehoben und gemäß dem § 288 Abs 2 Z. 3 StPO. in der Sache selbst erkannt wird:
Der Angeklagte Peter Heinrich A ist weiters schuldig, am 26.März 1981 in Wien dadurch versucht zu haben, Berta B und Frau N. C mit Gewalt zur Duldung seiner Flucht, bzw. Unterlassung seiner Anhaltung als unmittelbar nach der Tat betretener Dieb zu nötigen, daß er gewaltsam eine Gittertür unter Überwindung des Widerstandes der sich entgegenstemmenden Berta B aufzuziehen und sich von den ihn festhaltenden obgenannten beiden Personen gewaltsam loszureißen bemühte.
Er hat hiedurch das Vergehen der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs 1 StGB. begangen und wird hiefür sowie für das ihm nach dem unberührt gebliebenen Schuldspruch zur Last liegende Vergehen des Diebstahles nach dem § 127 Abs 1 StGB. nach dem § 105 Abs 1 StGB. unter Anwendung des § 28 StGB. zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 9 (neun) Monaten verurteilt.
Der Ausspruch über die Anrechnung der Vorhaft wird aus dem Ersturteil übernommen.
Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 18.Mai 1947 geborene beschäftigungslose Peter A - abweichend von der Qualifikation der Tat in der Anklageschrift - des Vergehens des Diebstahls nach dem § 127 Abs 1 StGB. schuldig erkannt, weil er am 26. März 1981 in Wien fremde bewegliche Sachen in einem 5.000 S nicht übersteigenden Wert, nämlich Lusterlaternen im Wert von ca. 300 S, dem Josef D mit dem Vorsatz wegnahm, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern.
Die auf die Z. 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO.
gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft vertritt den Standpunkt, daß der unter Anklage gestellte Sachverhalt Tatumstände umfaßte, deren Unrechtsgehalt im Fall anklagekonformer Beurteilung als Verbrechen des räuberischen Diebstahles durch Einbruch nach den §§ 127 Abs 1, 129 Z. 1, 131 (erster Fall) StGB. in der letztgenannten Qualifikation aufgegangen wäre, die aber angesichts der Nichtannahme (auch) dieser Qualifikation durch das Erstgericht die Tatbilder anderer Delikte verwirklichten, und zwar jene des Vergehens der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs 1 StGB. (weil der Angeklagte beim Versuch der Erzwingung der Flucht gegen andere Personen Gewalt anwendete) sowie die des Vergehens der Körperverletzung nach dem § 83 (Abs 1 oder 2) StGB. (weil er eine dieser Personen dabei auch verletzte). Dementsprechend strebt die Staatsanwaltschaft im Ergebnis den Schuldspruch des Angeklagten auch wegen dieser beiden Delikte an. Als Begründungsmangel im Sinn des angezogenen Nichtigkeitsgrundes der Z. 5 des § 281 Abs 1 StPO. wird dem Erstgericht zum Vorwurf gemacht, es habe sich nicht mit den Angaben der (bei dem Vorfall verletzten) Zeugin Berta B in der Hauptverhandlung: 'Als das Herumraufen war, ...' (S. 77) und: 'Es war eine Ranglerei. Am Oberarm hat er mich so weggedrückt' (S. 78) auseinandergesetzt. In der Rechtsrüge - zum Teil formal im Rahmen der Mängelrüge - wird behauptet, das Schöffengericht habe nicht festgestellt, welche Gewalt der Angeklagte gegenüber Personen anwendete und ob er aktiv Widerstand gegen seine (sodann durch die Zeugin B und eine weitere weibliche Person namens C vorgenommene) Festhaltung leistete (§§ 15, 105 Abs 1 StGB.); auch habe das Erstgericht Feststellungen darüber unterlassen, wie sich das 'Herumraufen' (mit Berta B) tatsächlich abspielte und wie deren Verletzungen im einzelnen entstanden (§ 83 StGB.).
Rechtliche Beurteilung
Den Ausführungen zur Mängelrüge ist zu erwidern, daß es vorliegend bei Prüfung der Frage, ob der Angeklagte auch das Vergehen nach dem § 83 StGB. zu verantworten hat, nicht darauf ankommt, ob im Zuge seines Fluchtversuches ein 'Herumraufen', bzw. eine 'Ranglerei' stattfand und ob der Angeklagte die Zeugin B am Oberarm 'wegdrückte', sondern allein darauf, ob jene Blutunterlaufungen am linken Oberarm, welche die genannte Zeugin nach den erstgerichtlichen Feststellungen 'im Zuge des Herumraufens' erlitt, überhaupt vom Angeklagten verursacht wurden und bejahendenfalls, ob er hiebei schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) handelte. Für die Klärung dieser Frage ist aber aus den zitierten Teilen der Aussage der Zeugin Berta B nichts zu gewinnen, zumal sie im übrigen erklärte, nicht zu wissen, woher sie die 'blauen Flecken' habe und solcherart nicht zu bestätigen vermochte, daß der Angeklagte deren Urheber war (S. 78).
Die Mängelrüge vermag daher nicht durchzuschlagen.
Hingegen kommt der Rechtsrüge der Staatsanwaltschaft insofern Berechtigung zu, als das Erstgericht den Angeklagten auf der Basis der entgegen der Beschwerde durchaus zureichenden Tatsachenfeststellungen rechtsrichtig auch des Vergehens der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs 1 StGB. hätte schuldig erkennen müssen. Es konstatierte nämlich, daß der mit der Diebsbeute über die Kellerstiege des Hauses heraufkommende Angeklagte beim Kellerabgang - der durch ein 'halbhohes' Gitter mit einem nach unten aufgehenden Tor abgeschlossen ist - auf die Hausbesorgerin Berta B stieß und sich (nicht in der Absicht, sich im Besitz der Beute zu erhalten, sondern nur noch seine Flucht bezweckend) vergeblich bemühte, das Gittertor gegen den Widerstand der sich dagegen stemmenden Hausbesorgerin aufzuziehen. Nachdem er die Beute weggeworfen hatte und - vorerst von der Hausbesorgerin durch Zurückstoßen auch daran gehindert - letztlich doch über das Gitter geklettert war, wurde er sodann von Berta B zusammen mit einer inzwischen herbeigeeilten Hauspartei (C) in einen Gang bedrängt und dort bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten, wobei er sich - wieder vergeblich - loszureißen suchte (S. 87, 89). In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht ohne nähere Begründung die Auffassung, Tathandlungen eines Angeklagten, die seinen Gegner zu einer 'körperlichen Kraft zur Überwindung des Widerstandes' zwingen, seien zwar früher in verschiedenen zu § 81 StG. 1945 ergangenen Entscheidungen als gewaltsame Handanlegung gegen Beamte gewertet worden, reichten aber weder 'für eine Gewalt im Sinn des § 131 StGB.' noch 'für Gewalt im Sinn des § 105 Abs 1 StGB.' aus. Dieser Rechtsansicht kann nicht gefolgt werden.
Zur Erfüllung des Tatbestandes der Nötigung bedarf es keiner besonders qualifizierten Gewalt. Es genügt vielmehr die Anwendung nicht unerheblicher physischer Kraft, wodurch ein tatsächlicher oder erwarteter Widerstand überwunden werden soll (vgl. Leukauf-Steininger, Komm. zum StGB.2, RN. 4 zu § 105), d.h. mit anderen Worten: die Einsetzung nicht ganz unerheblicher körperlicher Kraft zum Zweck der Willensbeugung (Kienapfel BT. I RN. 784). Diese Voraussetzungen sind aber erfüllt, wenn der Täter mit aller Kraft versucht, eine Türe aufzuziehen, während eine andere Person mit solcher Gewalt in die andere Richtung zieht, daß seine Versuche schließlich erfolglos bleiben; auch die ernstlichen Bemühungen, sich von zwei Personen, die den Täter halten, loszureißen, entsprechen dem dargelegten Begriff der 'Gewalt' im Sinn des § 105 Abs 1 StGB. Daß das Opfer die Gewalt als solche empfindet - vgl. die Aussage der Zeugin Berta B in der Hauptverhandlung 'Gewalt hat er gegen mich nicht angewandt' (S. 76) - ist nicht nötig (vgl. Leukauf-Steininger und Kienapfel a.a.O.). Die Anhaltung des Angeklagten als auf frischer Tat betretener Dieb durch die Zeugin Berta B (und später auch durch die Hauspartei C) fand in Ausübung des im § 86 Abs 2 StPO.
statuierten allgemeinen Anhalterechtes (vgl. auch Leukauf-Steininger, Komm. zum StGB.2, RN. 15 bis 17 zu § 99) statt und war sohin rechtmäßig, die vom Angeklagten dagegen angewendete Gewalt hingegen rechtswidrig.
Der Angeklagte verantwortet somit, weil er die Gewalt anwendete, um die beiden Frauen zur Duldung seiner Flucht, bzw. der Unterlassung seiner Anhaltung zu zwingen, strafrechtlich auch das Vergehen der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs 1 StGB. Was hingegen die Frage allfälliger für eine Beurteilung des Verhaltens des Angeklagten auch als Vergehen der Körperverletzung nach dem § 83 StGB. erforderlicher Feststellungen anlangt - die erstgerichtliche Wendung 'im Zuge des Herumraufens erlitt die Hausbesorgerin am linken Oberarm Blutunterlaufungen' stellt weder für die Bejahung des Vorliegens der objektiven, noch der subjektiven Tatbestandsmerkmale dieses Vergehens eine hinreichende Grundlage dar -, so wird von der beschwerdeführenden Staatsanwaltschaft selbst nicht vorgebracht, daß die Ergebnisse des Beweisverfahrens für entsprechende Konstatierungen ausreichten; sie behauptet bloß, daß nach den Beweisergebnissen von einem 'aktiven Tun' des Angeklagten auszugehen sei, übersieht jedoch, daß ein derartiges 'Tun' angesichts des Fehlens jeglicher Anhaltspunkte für notwendige weitere Feststellungen zur subjektiven Tatseite für die rechtliche Annahme des Vergehens nach dem § 83 StGB. noch nicht ausreicht. Die entsprechenden Konstatierungen hätten aber auch auf Grund der Beweisergebnisse nicht getroffen werden können, weil der Angeklagte einen tätlichen Angriff auf die Hausbesorgerin Berta B überhaupt bestreitet (S. 71 bis 73) und diese Zeugin selbst erklärte, sie habe am linken Oberarm blaue Flecken gehabt, es sei 'dort' das Geländer mit einer Eisenstange, sie habe sich festhalten müssen und ihren linken Fuß bei dieser Eisenstange verspreizt; der Angeklagte habe sie am Oberarm 'so' weggedrückt, sie könne nicht sagen, woher sie die blauen Flecken bekommen habe (S. 78). Sonstige Zeugen dieses Teiles des Vorfalles gibt es nach der Aktenlage nicht, weil andere Personen auf Grund der Rufe der Zeugin B erst später erschienen. Für die Annahme, der Angeklagte habe allenfalls auch das Vergehen der vorsätzlichen oder der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 83 (Abs 1 oder 2) bzw. § 88
StGB. begangen, fehlt es daher an hinreichenden und damit eine diesbezügliche Aufhebung des angefochtenen Urteils rechtfertigenden Anhaltspunkten.
Bei der durch das Hinzukommen des Vergehens der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs 1 StGB.
notwendig gewordenen Neubemessung der Strafe wertete der Oberste Gerichtshof die einschlägigen Vorstrafen, den raschen Rückfall des Angeklagten und das Zusammentreffen zweier Vergehen als erschwerend, während das Geständnis und die Zustandebringung des Diebsgutes als mildernd angesehen wurden.
In Abwägung dieser Strafzumessungsgründe entspricht eine Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten dem Handlungs- und Erfolgsunwert der vom Angeklagten zu verantwortenden Taten sowie seiner Täterpersönlichkeit.
Die Staatsanwaltschaft war mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.
Anmerkung
E03348European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1981:0110OS00118.81.0909.000Dokumentnummer
JJT_19810909_OGH0002_0110OS00118_8100000_000