Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. September 1981
unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Schramm als Schriftführers in der Strafsache gegen Eduard A wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach den §§ 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z 4 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Staatsanwaltschaft Feldkirch gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengerichtes vom 8. April 1981, GZ 21 a Vr 297/81-16, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwaltes Dr. Scheibenpflug, und der Ausführungen des Verteidigers Dr. Haselauer, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen - nämlich im Schuldspruch sowie im Punkt 2 des Freispruches (betreffend das Vergehen nach dem § 229 Abs 1 StGB im Bezug auf den Reisepaß des Thomas B) - unberührt bleibt, im Punkt 1 des Freispruches (betreffend das Vergehen nach dem § 229 Abs 1 StGB im Bezug auf Reisepaß, Führerschein und Kfz-Zulassungsschein des Alois C) sowie im Strafausspruch einschließlich des Ausspruches über die Anrechnung der Vorhaft aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfang dieser Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft verworfen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 29. Mai 1926 geborene beschäftigungslose Eduard A des Vergehens des schweren Diebstahles nach den §§ 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z 4 StGB schuldig erkannt, weil er am 19. August 1980 in Maurach am Achensee fremde bewegliche Sachen in einem 5.000 S übersteigenden Wert dem Alois C mit dem Vorsatz wegnahm, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar eine Herrenhandtasche unerhobenen Wertes, ein Gasfeuerzeug im Wert von ca 5.000 bis 6.000 S, Bargeld in der Höhe von ca. 3.500 S und ca 1.000
DM.
Hingegen wurde der Angeklagte von der weiteren Anklage, er habe am 19. August 1980 in Maurach am Achensee den in der Herrenhandtasche des Alois C verwahrten Reisepaß, den Führerschein und den Kfz-Zulassungsschein, sowie im Jahr 1978 in St. Wolfgang den Reisepaß des Thomas B, sohin Urkunden, über die er nicht verfügen durfte, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, daß sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes gebraucht werden, und hiedurch das Vergehen der Urkundenunterdrückung nach dem § 229 (zu ergänzen: Abs 1) StGB begangen, gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Zu diesem Teilfreispruch traf das Erstgericht folgende wesentliche Feststellungen:
Den auf den Namen Thomas B lautenden Reisepaß fand der Angeklagte im Jahr 1978 auf einem Gehsteig in St. Wolfgang und vergaß, ihn abzugeben. Seither trug er diesen Reisepaß ständig in seinem Koffer mit, ohne daran zu denken. Er hatte nicht die Absicht, die Urkunde bei sich zu behalten, um damit eine Benützung zu verhindern. Was die Papiere des Alois C (Rcisepaß, Führerschein, Kfz-Zulassungsschein) anlangt, so befanden sie sich in der Herrenhandtasche des Genannten, die der Angeklagte (zusammen mit den ebenfalls darin enthaltenen Geldbeträgen und dem Gasfeuerzeug) am 19. August 1980 in der Rezeption des Hotels D in Maurach am Achensee stahl.
Er stellte den Inhalt der gestohlenen Tasche erst in seinem Zimmer fest und erkannte dabei auch, daß sie seinem früheren Dienstgeber Alois C gehört. Das Bargeld steckte er zu sich, die anderen Sachen - sohin auch die obgenannten Papiere - beließ er in der Handtasche, die er in seinem Koffer verwahrte; diesen ließ er zunächst während einer vierwächigen Abwesenheit im Hotel D zurück und holte ihn dann ab. Er wollte den Reisepaß und die beiden Kraftfahrzeugpapiere dem Alois C zurückgeben, 'wußte jedoch nicht wie'. Eines Tages legte er den Reisepaß (zusammen mit Hotelschlüsseln) in einen Nylonsack und warf diesen in einen Fluß. Die Fahrzeugpapiere behielt er bei sich und 'wollte diese bei passender Gelegenheit in einen Briefkasten werfen' (S 64). Tatsächlich behielt er sie dann jedoch bis zu seiner Verhaftung (am 10. Februar 1981). Er hatte nicht die Absicht, den Reisepaß und die Kfz-Papiere zu behalten, um eine Benützung durch den Besitzer im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes zu verhindern, sondern setzte seine Tat deshalb, um nicht in Verbindung mit dem Diebstahl gebracht zu werden. Nach der Annahme des Erstgerichtes hatte sich der Angeklagte überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, daß er beim Einbehalten dieser Urkunden etwa den Besitzer am Gebrauch im Rechtsverkehr behindern könnte. Der Angeklagte habe dafür - so das Schöffengericht in seiner Urteilsbegründung -
einen stichhältigen Hinweis durch seine Erklärung gegeben, er habe angenommen, daß Alois C sich den Reisepaß ohnehin wieder neu beschaffen werde. Gerade bei Personalausweisen der vorliegenden Art sei tatsächlich die Wiederbeschaffung ohne große Umstände möglich und gewÄhnlich werde daher einem Täter, der anläßlich eines Diebstahles in den Besitz solcher Urkunden gelangt, gar nicht der Gedanke kommen, daß er durch das Einbehalten den Besitzer 'daran hindern mächte', diese Urkunden im Rechtsverkehr zu gebrauchen, weil jedermann weiß, daß solche Urkundenpapiere jederzeit wiederbeschafft werden können und der Inhaber mit den neu erworbenen Urkunden jederzeit sein Recht im Rechtsverkehr beweisen kann. Es könne dem Angeklagten somit nicht nachgewiesen werden, sich mit einem solchen Gedanken innerlich überhaupt befaßt und es für möglich gehalten zu haben, daß er durch das Unterdrücken dieser Urkunden vorsätzlich deren Besitzer an einem Gebrauch im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes hindere.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht - insoweit offensichtlich der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 11. Mai 1976, 12 Os 43/76 = SSt 47/28
= EvBl 1976/277 = ÖJZ-LSK 1976/222 folgend - den Standpunkt, daß das Vergehen nach dem § 229 Abs 1 StGB in subjektiver Hinsicht 'absichtliches' Handeln im Sinn des § 5 Abs 2 StGB voraussetze, welches auf Grund der getroffenen Feststellungen nicht vorliege, vermerkte aber im übrigen, daß ihm auch jene Judikatur des Obersten Gerichtshofes bekannt sei, welche die Rechtsansicht vertritt, daß für die innere Tatseite des genannten Vergehens bedingter böser Vorsatz genüge, und verneint im Hinblick auf seine oben wiedergegebenen weiteren Feststellungen ausdrücklich auch das Vorliegen eines solchen dolus in Ansehung der mit der Unterdrückung bzw Vernichtung der Papiere des Alois C verbundenen Gebrauchsverhinderung.
Gegen diesen freisprechenden Teil des Erkenntnisses wendet sich die Staatsanwaltschaft mit einer auf die Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Rechtliche Beurteilung
Soweit die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft in Ausführung der den erstgenannten Nichtigkeitsgrund relevierenden Mängelrüge dem Erstgericht zum Vorwurf macht, die Feststellung der Absicht des Angeklagten, dem Alois C die in Rede stehenden Urkunden zurückzugeben, stehe im Widerspruch mit der weiteren Konstatierung, daß er dessen Reisepaß schließlich in einen Fluß warf, und des weiteren - damit in Wahrheit Feststellungsmängel geltendmachend - behauptet, das Erstgericht hätte feststellen müssen, ab wann und wie lange der Angeklagte einen Rückgabewillen bezüglich des Reisepasses und auch die Absicht hatte, die Kraftfahrzeugpapiere in einen Briefkasten zu werfen, kann ihr allerdings nicht gefolgt werden. Denn aus den Feststellungen des Schöffensenates geht nach den Gesetzen der Logik eindeutig hervor, daß ein vorhandener Rückgabewille bezüglich des Reisepasses des Alois C zumindest zu dem Zeitpunkt nicht mehr bestand, als er den Paß in einen Fluß warf, womit er diese Urkunde nach den zutreffenden Feststellungen des Erstgerichtes durch Wegwerfen vernichtete. Desgleichen bewirkte allein schon das bewußte Beisichbehalten der beiden Kraftfahrzeugpapiere des Alois C während eines Zeitraumes von nahezu sechs Monaten (19. August 1980 bis 10. Februar 1981) - bezüglich dessen das Erstgericht kein 'Vergessen' des Angeklagten feststellte - in objektiver Hinsicht - und auch zu dieser Rechtsansicht bekannte sich das Erstgericht ohne Rechtsirrtum (S 66) - die Verwirklichung des Tatbildes des Vergehens nach dem § 229 Abs 1
StGB in der Begehungsform der Unterdrückung dieser Urkunden. Insoweit liegt daher weder ein entscheidungswesentlicher Begründungsmangel vor, noch unterließ das Erstgericht Feststellungen, welche für die rechtliche Beurteilung der Tat von Bedeutung gewesen wären.
Hingegen kommt dem weiteren Beschwerdevorbringen zur Mängelrüge, wonach das Erstgericht seine Tatsachenannahme, der Angeklagte habe sich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, daß er beim Einbehalten der an sich gebrachten Urkunden etwa den Besitzer in ihrem Gebrauch im Rechtsverkehr behindere, er sei innerlich damit gar nicht befaßt gewesen (weshalb auch kein bedingter böser Vorsatz vorliege), nicht oder jedenfalls offenbar unzureichend begründet habe, Berechtigung zu.
Im Sinn der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 24. April 1980, 13 Os 29/80 = ÖJZ-LSK 1980/107, mit welcher an dem im obzitierten Erkenntnis SSt 47/28
= EvBl 1976/277 = ÖJZ-LSK 1976/222 (zu der für die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes des Vergehens nach dem § 229 Abs 1 StGB vorausgesetzten Schuldform) zum Ausdruck gebrachten Rechtsstandpunkt nicht festgehalten und ausgesprochen wurde, daß in Ansehung des Vorsatzes, den Gebrauch der Urkunden (durch wen immer) zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache zu verhindern, dolus eventualis genügt, muß nämlich nach der allgemeinen Lebenserfahrung in der Regel angenommen werden, daß der Täter - sobald er den Urkundencharakter der Papiere erkennt - die Gebrauchsverhinderung ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet, zumal sie ja in objektiver Hinsicht zwingend jedenfalls mit einer Unterdrückung oder Vernichtung der Urkunden verbunden ist. Wenn das Erstgericht daher vorliegend entgegen diesen naheliegenden Erwägungen allenfalls aus besonderen Gründen annahm, daß der Angeklagte in concreto doch nicht daran dachte, durch die Vernichtung bzw Unterdrückung der Papiere des Alois C werde eine Gebrauchsverhinderung eintreten, dann hätte es diese Feststellung ausführlich und schlüssig begründen müssen. Eine solche Begründung bleibt das Erstgericht jedoch schuldig, weil seine in diesem Belang ins Treffen geführten Argumente, der Angeklagte habe die Urkunden glaubhaft bei sich behalten, um nicht in Verbindung mit dem Diebstahl gebracht zu werden und er habe ferner zu Recht angenommen, daß ihre Wiederbeschaffung leicht möglich sei, am Kern der Sache vorbeigehen. Denn daß für den Angeklagten - was durchaus glaubwürdig ist -
Selbstschutzerwägungen im Zusammenhang mit dem Diebstahl der Tasche und ihres sonstigen (wertvollen) Inhaltes im Vordergrund standen, vermag an den oben angestellten Erwägungen, daß er sich normalerweise gleichzeitig auch der mit der in objektiver Hinsicht gegebenen Unterdrückung bzw Vernichtung verbundenen Gebrauchsverhinderung bewußt gewesen sein müßte, nichts zu ändern. Was aber die Möglichkeit des Geschädigten anlangt, verhältnismäßig leicht zu Duplikaten der ihm entzogenen Urkunden zu gelangen, so unterliegt das Erstgericht hier neuerlich einem Rechtsirrtum. Nach dem klaren Wortlaut des § 229 Abs 1 StGB macht sich nämlich dieses Vergehens schuldig, wer eine Urkunde, über die er nicht oder nicht allein verfügen darf, vernichtet, beschädigt oder unterdrückt, wenn er mit dem Vorsatz handelt, zu verhindern, daß sie - demnach also die vernichtete, beschädigte oder unterdrückte Urkunde - im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden. Allfällige Erwägungen des Täters darüber, daß der Geschädigte leicht eine neue (also andere) Urkunde, bzw ein Urkundenduplikat erlangen könne, vermögen daher an der subjektiven Tatseite in bezug auf die in Rede stehende, das Tatobjekt bildende Urkunde nichts zu ändern und können nur bei der Strafzumessung in Betracht gezogen werden.
Zu Recht vertrat sohin - was die Urkunden des Alois C anlangt - die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft die Auffassung, daß für den diesbezüglichen Ausspruch des Gerichtshofes im angefochtenen Urteil keine oder nur offenbar unzureichende Gründe angegeben wurden (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO).
Es erweist sich folglich in diesem Umfang (und daher auch bezüglich des Strafausspruches) die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils und die Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht erforderlich, wobei dieses im zweiten Rechtsgang seiner Entscheidung die im Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 24. April 1980, 13 Os 29/80 = ÖJZ-LSK 1980/107 zum Ausdruck gebrachte, oben bereits zitierte Rechtsansicht in Bezug auf das Hinreichen bedingten bösen Vorsatzes (§ 5 Abs 1, zweiter Halbsatz StGB) in Ansehung der im Sinn des § 229 Abs 1 StGB tatbildlichen Gebrauchshinderung zugrundezulegen haben wird. Nicht kann indessen den Beschwerdeausführungen der Staatsanwaltschaft auch zu Punkt 2 des Freispruches gefolgt werden. Das Erstgericht begründete seine Feststellung, der Angeklagte habe den im Jahr 1978 auf einem Gehsteig gefundenen Reisepaß des Thomas B abzugeben vergessen und ihn, ohne daran zu denken, bis zu seiner Verhaftung im Februar 1981 ständig in seinem Koffer mitgetragen, hinlänglich mit der diesbezüglichen, durch kein anderes Beweismittel widerlegten Verantwortung des Angeklagten (vgl S 54, Verlesung S 58). Ein Begründungsmangel liegt demnach in diesem Belang nicht vor, zumal die vom Angeklagten hiezu gemachten Angaben - mögen sie nun mehr oder minder glaubwürdig sein - jedenfalls nicht den Denkgesetzen widersprechen und das Erstgericht demnach befugt war, ihnen im Rahmen seines Rechtes auf freie Beweiswürdigung Glauben zu schenken. Ausgehend von der erwähnten Feststellung verneinte das Erstgericht - zumal das Vergessen auf den Reisepaß des Thomas B denkgesetzmäßig zwingend auch einen nur bedingten Gebrauchsverhinderungsvorsatz ausschließt - hinsichtlich dieses Anklagepunktes (mangels Vorliegens der subjektiven Tatseite) ohne Rechtsirrtum die Erfüllung des Tatbestandes des Vergehens nach dem § 229 Abs 1 StGB und sprach den Angeklagten von diesem Punkt der Anklage (siehe Anklageausdehnung S 57) sohin zu Recht frei. Aus diesen Erwägungen war spruchgemäß zu entscheiden.
Anmerkung
E03320European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1981:0110OS00099.81.0916.000Dokumentnummer
JJT_19810916_OGH0002_0110OS00099_8100000_000