Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. September 1981
unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Schramm als Schriftführer in der Strafsache gegen Gerhard A wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach dem § 125 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 27. Mai 1981, GZ 5 b Vr 1.880/80-33, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Strigl und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur Generalanwalt Dr. Nurscher zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß dem § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:
Gerhard A wird von der (in erster Instanz mit Schuldspruch wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach dem § 125 StGB und wegen des Vergehens der versuchten Körperverletzung nach den §§ 15, 83 Abs 1 StGB erledigten) Anklage, er habe in Wien A) am 2. August 1980 in Gesellschaft als Beteiligter (§ 12 StGB) mit zwei Unbekannten Irene B mit Gewalt vorsätzlich zur Unzucht genötigt, indem die beiden Unbekannten das Mädchen an den Armen festhielten, Gerhard A 'ihr' ein 'T-Shirt' vor der Brust zerriß und sie sodann das Opfer an den Brüsten abgriffen, B) am 5. September 1980 Josef C dadurch, daß er dem Genannten mehrere Schläge gegen den Kopf und den Körper versetzte, wodurch C Kopfschmerzen und Schmerzen im Bereich des Brustkorbes erlitt, vorsätzlich am Körper verletzt; er habe hiedurch zu A) das Vergehen der Nötigung zur Unzucht nach dem § 204 Abs 1 StGB und zu B) das Vergehen der Körperverletzung nach dem § 83 Abs 1 StGB begangen, gemäß dem § 259 Z 4 StPO freigesprochen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 16. Februar 1963 geborene Tischlerlehrling Gerhard A (abweichend von der in Richtung der Vergehen der Nötigung zur Unzucht nach dem § 204 Abs 1 StGB und der /vollendeten/ Körperverletzung nach dem § 83 Abs 1 StGB erhobenen Anklage) der Vergehen der Sachbeschädigung nach dem § 125 StGB und der versuchten Körperverletzung nach den §§ 15, 83 Abs 1, StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe verurteilt. Ihm liegt zur Last, in Wien A) am 2. August 1980
eine fremde Sache dadurch (vorsätzlich) beschädigt zu haben, daß er ein T-Shirt der Irene B zerriß, und B) am 5. September 1980 versucht zu haben, Josef C durch Versetzen mehrerer Faustschläge gegen den Körper, am Körper zu verletzen.
Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht als mildernd das Geständnis des Angeklagten, seinen bisher untadelhaften Wandel, die Schadensgutmachung im Faktum Sachbeschädigung, eine gewisse Provokation in beiden Fakten und den Umstand, daß es einmal beim Versuch blieb; erschwerend war das Zusammentreffen eines vollendeten Deliktes mit einem versuchten.
Rechtliche Beurteilung
Den Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 1, 4, 5, 8, 9 lit a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Diese erweist sich schon, soweit wegen der (vom Erstgericht nicht erörterten) Nichtanwendung des § 42 StGB der Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO geltend gemacht wird, als berechtigt:
Die Zuerkennung des vom Beschwerdeführer für sich reklamierten sachlichen Strafausschließungsgrundes der mangelnden Strafwürdigkeit der Tat (§ 42 Abs 1 StGB) setzt voraus, daß eine von Amts wegen zu verfolgende Straftat vorliegt, die im Gesetz nur mit Geldstrafe oder mit nicht mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe oder mit einer solchen Freiheitsstrafe und Geldstrafe bedroht ist; weiters, daß die Schuld des Täters gering ist, die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat und überdies eine Bestrafung des Täters weder aus Gründen der Spezialprävention noch aus generalpräventiven Erwägungen geboten ist.
Sämtliche dieser (kumulativen) Voraussetzungen liegen hier vor, zumal der Umstand, daß dem Angeklagten zwei strafbare Handlungen zur Last liegen, ein Vorgehen nach dem § 42 StGB (an sich) nicht ausschließt.
Zunächst eignen sich die von Amts wegen zu verfolgenden Vergehen der Sachbeschädigung nach dem § 125 StGB und der Körperverletzung gemäß dem § 83 Abs 1 StGB nach den hiefür jeweils im Gesetz angedrohten Strafen (: Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen) für eine Anwendung des § 42 StGB. Ob die Schuld des Täters (jeweils) gering war, ist vor allem unter Zugrundelegung der schuldspezifischen Strafzumessungsgründe zu prüfen. Vorliegend lassen die festgestellten Begleitumstände der Taten - zur Sachbeschädigung kam es infolge 'Hänselns' des unter Alkoholeinfluß stehenden Angeklagten, eines fanatischen Rapid-Anhängers, durch Irene B wegen einer vorangegangenen Niederlage dieses Fußballvereines; der versuchten Körperverletzung des Josef C ging voraus, daß der Angeklagte in einen Raufhandel zwischen einem vom stark betrunkenen C attackierten Freund und C zunächst schlichtend eingreifen wollte, dann aber, als er selbst dabei verletzt wurde, wieder unter Alkoholeinfluß stehend, seinerseits gegen C Faustschläge führte (siehe S 151 ff d.A) -
und die dem Angeklagten vom Erstgericht deshalb zutreffend zugebilligte 'gewisse Provokation in beiden Fakten' die Annahme geringer Schuld durchaus zu. Hinzu kommt noch, daß eine besondere Vorsatzintensität beim Angeklagten weder im Fall der Beschädigung des T-Shirts der Irene B noch bei den Tätlichkeiten gegen Josef C festgestellt wurde und auch nicht indiziert erscheint. Unter diesen Umständen kann daher seine Schuld im Sinn des § 42 Abs 1 Z 1 StGB (noch) als gering angesehen werden, zumal bezüglich der von der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang verlangten - hier zu bejahenden -
Voraussetzung eines erheblichen Zurückbleibens des tatbildlichen Verhaltens des Täters hinter dem in der betreffenden Strafdrohung (hier: § 125 bzw § 83 StGB) typisierten üblichen Unrechtsgehalt kein extrem strenger Maßstab anzulegen ist (vgl EvBl 1980/7). Im Fall der (leichten) Körperverletzung zog die (beim Versuch gebliebene) Tat des Angeklagten überhaupt keine Folgen (C trug keine objektivierbaren Verletzungen davon), im Fall der Sachbeschädigung nur ganz unbedeutende Folgen nach sich, sodaß der Angeklagte durch (freiwillige) Zahlung von 100 S an Irene B (siehe S 152 d.A) den zugefügten, ersichtlich geringen Sachschaden (siehe SSt 46/71) zur Gänze gutmachen konnte (s S 109 d.A).
Schließlich sprechen auch angesichts des bisher ordentlichen Lebenswandels des in Berufsausbildung stehenden, sozialintegrierten (siehe Jugenderhebungen ON 13 und Bericht des Sozialarbeiters Wilfried D, S 147 d.A) und bisher unauffälligen Angeklagten, der geständig war und dessen urteilsgemäße Straftaten nach all dem als für seinen Charakter atypische Verfehlungen angesehen werden können, weder spezial- noch generalpräventive Aspekte gegen eine Heranziehung des § 42 StGB, zumal hiebei stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abzustellen ist (SSt 47/55 am Ende). Vorliegend kann somit ohne Nachteil für die Rechtsordnung wie für den Angeklagten selbst - dem in zwei schöffengerichtlichen Hauptverhandlungen der Ernst der Situation eindringlich vor Augen geführt wurde - auf die strafgerichtliche Ahndung der ihm nach den Urteilsfeststellungen zur Last liegenden, an sich in die Kompetenz des Bezirksgerichtes fallenden Taten - mangels ihrer Strafwürdigkeit - verzichtet werden.
Der Nichtigkeitsbeschwerde war daher aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO - ohne auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen - Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und Gerhard A von den auch die (vorsätzliche) Beschädigung des T-Shirts der Irene B umfassenden (siehe ON 12, S 87 und 89 d.A) Anklagevorwürfen gemäß dem § 259 Z 4 StPO freizusprechen.
Mit seiner damit gegenstandslos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Anmerkung
E03313European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1981:0110OS00119.81.0916.000Dokumentnummer
JJT_19810916_OGH0002_0110OS00119_8100000_000