TE OGH 1981/10/8 12Os58/81

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Veröffentlicht am 08.10.1981
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.Oktober 1981 unter dem Vorsitz des Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kießwetter, Dr. Steininger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Mag. Oberhofer als Schriftführer in der Strafsache gegen Josefa A wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z. 1, 86 StGB. über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung der Angeklagten sowie über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 17.Dezember 1980, GZ. 11 Vr 2440/80-45, nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, nach Verlesung der Rechtsmittelschrift der Angeklagten und der Rechtsmittelschrift der Staatsanwaltschaft und nach Anhörung der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Strasser, zu Recht erkannt:

Spruch

Den Nichtigkeitsbeschwerden wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am 15.März 1951 geborene Hausfrau Josefa A des Verbrechens der schweren Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z. 1, 86 StGB. schuldig erkannt, weil sie am 17.August 1980 in Sernau ihren Gatten Franz A durch fünf Stiche mit einem Küchenmesser gegen die linke Brustseite, also mit einem solchen Mittel und auf solche Weise, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, verletzt hat, wobei die Tat den Tod des Geschädigten zur Folge hatte.

Dieses Urteil bekämpft die Angeklagte Josefa A mit einer auf die Z. 5, 9 lit a, 9 lit b, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in welcher sie vor allem, sachlich teils Begründungs-, teils Feststellungsmängel geltend machend, das Vorliegen des Rechtsfertigungsgrundes der Notwehr reklamiert. Die Staatsanwaltschaft hingegen strebt mit ihrer Nichtigkeitsbeschwerde unter Anrufung der Nichtigkeitsgründe der Z. 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO. die Beurteilung der Tat der Angeklagten als Totschlag nach § 76 StGB., subsidiär als absichtliche schwere Körperverletzung mit Todesfolge nach § 87 Abs 1 und 2 StGB. an.

Das Erstgericht stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Josefa A war von ihrem Gatten Franz A, mit dem sie am 23.Oktober 1971 die Ehe geschlossen hatte und der ihr nach übermäßigem Alkoholgenuß immer wieder Eifersuchtsszenen gemacht hatte, wiederholt mißhandelt worden, weswegen Franz A seit dem Jahre '1963' (richtig: 1973) mehrmals der Körperverletzung bzw. der Mißhandlung des Ehegatten schuldig erkannt wurde. Andererseits ist auch die leicht erregbare Angeklagte wegen Übertretung der Mißhandlung des Ehegatten nach § 419 StG. strafgerichtlich verurteilt worden (vgl. die Strafregisterauskunft S. 7 d.A.).

Nachdem Franz A in den frühen Morgenstunden des 17.August 1980 in schwer alkoholisiertem Zustand nach Hause gekommen war und sich am Vormittag desselben Tages neuerlich aus der ehelichen Wohnung entfernt hatte, wurde er am frühen Nachmittag, abermals stark alkoholisiert, von einem gewissen Anton B nach Hause gebracht.

Josefa A beschimpfte ihren Mann mit der Äußerung: 'Bsoffener Hund, jetzt kumst ham' und erklärte in der Folge gegenüber Anton B, ihr Mann 'gehöre umgebracht', sie würde ihn heute noch umbringen. Als Franz A um etwa 16,30 Uhr wieder aufstand, verlangte er von seiner Gattin zu trinken. Nachdem ihm Josefa A die Verabreichung alkoholischer Getränke verweigert und durch Abziehen des Zündschlüssels ihn am Wegfahren mit seinem PKW. zu hindern versucht hatte, setzte Franz A das Fahrzeug durch Kurzschließen der Zündkabel in Betrieb, mußte jedoch bald darauf von der Weiterfahrt ablassen, weil die Lenkradsperre des Kraftfahrzeuges einrastete. Deswegen in Zorn geraten, stellte Franz A seine Gattin im Freien zur Rede, versetzte ihr mehrere Ohrfeigen, drohte ihr mit Selbstmord und befestigte demonstrativ hinter dem Haus einen Strick. Auf Vorhaltungen mißhandelte Franz A seine Gattin neuerlich, indem er sie zu Boden schlug, gegen die Hausmauer stieß und ihr Fußtritte versetzte, wodurch sie Hautabschürfungen am rechten Ellenbogen sowie Schwellungen und Blutunterlaufungen am linken Bein vom Knie abwärts erlitt.

Daraufhin trat Franz A die kurz zuvor von seiner Gattin versperrte Haustüre ein, zerrte Wäsche aus einem Kasten, warf einen Teil davon in eine Mülltonne, zerriß unter gleichzeitiger Beschimpfung seiner Gattin die Hochzeitsbilder und versetzte ihr neuerlich Schläge gegen den Kopf.

Die in Zorn geratene Angeklagte lief nun in die Küche, nahm ein insgesamt 22,5 cm langes Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 12 cm an sich, wobei sie den Entschluß faßte, ihrem Mann mit dem Messer einen 'Denkzettel zu versetzen', falls er weitere Tätlichkeiten gegen sie unternehmen sollte, und äußerte sodann von der Stiege vor ihrem Wohnhaus her zu ihrem bei einem gegenüber befindlichen Schotterhaufen stehenden Gatten: 'Komm' nicht her, ich stech' dich ab wie eine Sau, und wenn ich fünf Jahre sitzen muß !'. Durch diese Äußerung provoziert stürzte sich Franz A, dessen Blutalkoholgehalt damals zwischen 2,1 und 2,5 %o betrug, neuerlich auf die Angeklagte, warf sie zu Boden und begann sie zu würgen, wobei sie mit dem Rücken am Boden zu liegen kam. Nunmehr holte die Angeklagte mit ihrem freien rechten Arm das Küchenmesser mit der Klinge an der Daumenseite in der Hand haltend, aus und versetzte ihrem Mann fünf Stiche gegen die linke Brustseite, von denen vier bis in die Lunge drangen. Der schwerverletzte Franz A konnte sich zwar noch erheben und torkelte einige Meter in Richtung zu seinem PKW. brach dann aber zusammen. Die Angeklagte fuhr mit dem PKW. zum Gendarmeriepostenkommando Gamlitz und ersuchte um Verständigung der Rettung, die bald darauf eintraf und Franz A ins Landeskrankenhaus Wagna verbrachte. Noch auf der Fahrt verstarb Franz A aber an innerer Verblutung.

In rechtlicher Beziehung verneinte das Erstgericht die Voraussetzungen der Notwehr, weil die Angeklagte das Küchenmesser in der Absicht an sich genommen hatte, damit im Falle weiterer Tätlichkeiten ihres Gatten gegen diesen vorzugehen und ihm einen 'Denkzettel zu versetzen', und weil sie den Angriff ihres Gatten durch die Äußerung:

'Ktmm' nicht her, ich stech' dich ab .....' provoziert hatte.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Argumentation wendet sich die Angeklagte in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde, der Sache nach vorwiegend aus dem Nichtigkeitsgrund der Z. 9 lit b, teils aber auch aus dem der Z. 5 des § 281 Abs 1 StPO. im Ergebnis zu Recht:

Da es sich bei dem Ansichbringen des Küchenmessers als Waffe durch die Angeklagte um die Vorbereitung künftiger Verteidigung gegen allfällige weitere Angriffe ihres betrunkenen Gatten, der sie bis dahin wiederholt mißhandelt und auch verletzt hatte, nicht aber um die Verteidigung selbst gehandelt hat und eine solche vorsorgliche Bewaffnung an sich weder der Annahme einer allfälligen späteren echten Notwehrlage, bei welcher die Angeklagte das Messer, ohne Überschreitung der nötigen Verteidigung, als Stichwaffe hätte verwenden können, entgegensteht, noch auch schon eine einen allfälligen späteren Notwehrexzeß 'einleitende Fahrlässigkeit' bedeutet (vgl. SSt. 43/50), ist das Ansichbringen des Messers gleichwie die darauffolgende, erwähnte Äußerung der Angeklagten zu ihrem Gatten nur unter dem Aspekt einer Provokation der Notwehrsituation von Belang.

Insoweit ist zunächst zu differenzieren, ob der Angegriffene den Angriff absichtlich, d.h. mutwillig und ausschließlich um der Gelegenheit zur Abwehr willen, herausgefordert oder den Angriff sonst schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) herbeigeführt hat. Im ersteren Fall der sogenannten Absichtsprovokation ist das Notwehrrecht in der Regel verwirkt; bei sonstiger schuldhafter Provokation ist zwar Notwehr zulässig, der Provokateur muß sich aber grundsätzlich mit den begrenzten Mitteln gefahrloser Abwehr begnügen und darf sich nur dann aktiv wehren, wenn ihm ein Ausweichen unmöglich ist, wobei aber diesfalls an die Erforderlichkeit maßvoller Verteidigung strengere Anforderungen zu stellen sind als bei der Abwehr eines unprovozierten nngriffes (vgl. Steininger 'Die Notwehr in der neueren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes' ÖJZ. 1980, S. 231 f.). Gleiches gilt, wenn der Provozierte in anderer Weise tätig wird, als es der Provokateur vorhersah, und letzterer, abweichend von seinem Gesamtplan, etwa infolge der Anwendung lebensbedrohender Mittel durch den Provozierten, tatsächlich in eine echte Notwehrlage gerät (vgl. Maurach-Zipf5 387 f.).

Diese Kriterien außer acht lassend, hat das Erstgericht bei Annahme einer Provokation des Angriffes ihres Gatten durch die Angeklagte ausreichende Feststellungen zu den subjektiven Komponenten der Provokation unterlassen.

Die bloße Konstatierung, die Angeklagte habe bei Ansichnahme des Messers beabsichtigt, ihrem Mann einen 'Denkzettel zu versetzen', falls er weitere Tätlichkeiten gegen sie unternehme - woraus allein der Schluß gezogen werden könnte, daß das Erstgericht, zumal es auch die verbalen Drohungen der Angeklagten, teils mittelbar zum Zeugen B, teils unmittelbar zu ihrem Gatten selbst, als bloße milieubedingte Unmutsäußerungen wertete (vgl. S. 277 f.), eine absichtliche Provokation nicht für gegeben ansah -

genügte umsoweniger, als, worauf in der Beschwerde zutreffend verwiesen wird, die Äußerung der Angeklagten: 'Komm' nicht her, ich stech' dich ab ....', der sprachlichen Fassung und auch dem Sinngehalt nach, nicht ohneweiters als, sonst schuldhafte, Herbeiführung des Angriffes ihres Gatten gedeutet werden kann, sondern eher als das Gegenteil, nämlich als von der Angeklagten damit bezweckte Verhinderung weiterer Angriffe gegen sie. Insofern mangelt es auch an einer zureichenden Begründung der, an sich ungenügenden, Feststellung der Provokation in tatsächlicher Hinsicht.

Doch selbst wenn das Erstgericht ausreichende, mängelfrei begründete Tatsachenfeststellungen über eine absichtliche oder sonst schuldhafte Provokation getroffen hätte, wären in Ansehung des letztlich erfolgten Angriffes des Franz A gegen seine Gattin und deren Verteidigung durch Messerstiche, die den Tod des ersteren zur Folge hatten, unter Beachtung der vorerwähnten rechtlichen Grundsätze die weiteren Voraussetzungen der Notwehr zu prüfen gewesen.

Insoweit läßt das Ersturteil aber ebenfalls die erforderlichen Konstatierungen tatsächlicher Natur vermissen.

Ob nämlich die Tathandlungen der Angeklagten im Fall schuldhafter, indes nicht absichtlicher Provokation, oder aber bei einem zu einer echten Notwehrsiutation führenden erheblichen Abweichen des allenfalls absichtlich Provozierten von einem ursprünglichen Gesamtplan der Angeklagten, unter Beachtung des dargelegten Erfordernisses eingeschränkter Verteidigung in solchen Fällen, zur Abwehr des Angriffes ihres Gatten notwendig und angemessen waren (§ 3 Abs 1 StGB.) oder ob die Angeklagte möglicherweise aus Furcht, Bestürzung oder Schrecken (asthenischem Affekt) das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschritten oder sich einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung bedient hat und sie deshalb für eine in fahrlässigem Notwehrexzeß begangene fahrlässige Körperverletzung haftet (§ 3 Abs 2 StGB.), läßt sich an Hand der bloßen Feststellung, wonach die Angeklagte von ihrem Gatten zu Boden geworfen und dort, rücklings liegend, zu würgen begonnen wurde, worauf sie ihrem Gatten fünf Stiche in die linke Brustseite versetzte, nicht entscheiden.

Denn aus dieser Feststellung kann nichts über die Intensität des Würgens entnommen werden, sodaß auch nicht beurteilt werden kann, ob und inwieweit die Verteidigung, auch unter Berücksichtigung des Verhältnisses der physischen Kräfte der Beteiligten (vgl. die Zeugenaussagen ON. 44

S. 164 f. gegenüber dem Sachverständigenbefund ON. 14 S. 83 und ON. 44 S. 266 f.) und der erheblichen Alkoholisierung des Franz

A zur Tatzeit, maßhaltend bzw. angemessen war. Zutreffend verweist die Angeklagte in ihrer Beschwerde sinngemäß auf einschlägige Verfahrensergebnisse, nämlich auf ihre Verantwortung, wonach sie sich, als ihr Mann auf ihr kniete und sie würgte, sodaß sie keine Luft mehr bekam, in Lebensgefahr gewähnt und erst durch Versetzen der Messerstiche von dem Würgegriff befreien habe können (vgl. ON. 2

S. 13, ON. 5 S. 27, S. 28 b, 27 d, ON. 7 S. 35 f., 41 in Verbindung mit ON. 44, S. 261, 263 und 268), sowie auf das entsprechende Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen, demzufolge einerseits die Verletzungen am Hals der Angeklagten (vgl. auch ON. 5 S. 25) typische Würgemale darstellten, aus denen auch auf einen beträchtlichen Druck, der auf den Hals der Angeklagten ausgeübt wurde, geschlossen werden muß, und andererseits die Lage der Stichverletzungen beim Getöteten mit der Darstellung der Angeklagten zu vereinbaren ist (ON. 7 S. 38 bis 41, ON. 44 S. 267 f.). Gerade dieses Gutachten indiziert aber die Notwendigkeit einer Prüfung der Frage, ob die Angeklagte sich durch das Würgen in tatsächlicher oder, unter Beachtung des gesamten vorangegangenen Verhaltens ihres schwer alkoholisierten Mannes, ihrer wiederholten Mißhandlung und auch Verletzung, doch vermeintlicher Lebensgefahr befunden hatte und sich daher, zumal ihr der bisherigen Aktenlage zufolge ein Ausweichen offenbar nicht mehr möglich war, in Ausübung gerechtfertigter Notwehr (§ 3 Abs 1 StGB.) oder Putativnotwehr (§ 8 StGB. erster Teil) durch einen Gegenangriff gegen das Leben ihres Widersachers hatte verteidigen dürfen bzw. allenfalls in einem auf Fahrlässigkeit beruhenden Irrtum einen Angriff gegen ihr Leben angenommen (§ 8 StGB. zweiter Teil) oder aber fahrlässig aus asthenischem Affekt die Grenze angemessener Verteidigung überschritten hatte (Notwehr- oder Putativnotwehrexzeß). Auch soweit die für die Lösung dieser Fragen in tatsächlicher Hinsicht nötigen Feststellungen unterblieben sind, ist das Ersturteil daher mit materieller Nichtigkeit im Sinne der Z. 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO behaftet.

Erweist sich somit die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten im bisher behandelten Umfang als begründet, wobei, da die vorliegenden Feststellungs- bzw. Begründungsmängel die Aufhebung des Ersturteils zur Gänze und die Anordnung einer Hauptverhandlung in erster Instanz zur Folge haben, auf die weiteren - allerdings keine Nichtigkeitsgründe zu gesetzmäßiger Darstellung bringenden - Ausführungen der Angeklagten unter den Nichtigkeitsgründen der Z. 9 lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO. nicht eingegangen werden muß, so kann andererseits, unbeschadet der vorangegangenen Erwägungen zur Frage der Notwehr, Putativnotwehr und deren kulposer Überschreitung, auch der Nichtigkeitsbeschwerde des öffentlichen Anklägers Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Nicht gesetzmäßig ausgeführt ist allerdings die von der Staatsanwaltschaft zunächst erhobene Rechtsrüge nach § 281 Abs 1 Z. 10 StPO., in welcher aus der Begehungsweise und der Beschaffenheit des verwendeten Tatwerkzeuges im Zusammenhalt mit den mehrfach wiedergegebenen mündlichen Äußerungen der Angeklagten vor der Tat und ihrer zugegebenen Absicht, ihrem Gatten (allerdings bei Wiederholung eines Angriffes gegen sie) einen 'Denkzettel zu versetzen', in rechtlicher Hinsicht der Schluß auf eine absichtliche (§ 5 Abs 2 StGB.) Zufügung der schweren Körperverletzung gezogen wird, die solcherart dem Tatbild des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 StGB. zu unterstellen wäre. Da das Erstgericht aber einen solchen qualifizierten Vorsatz - und desgleichen einen, wenigstens bedingten, Tötungsvorsatz - ausdrücklich nicht als erwiesen angenommen hat (S. 277 unten), bringt die Staatsanwaltschaft den angerufenen materiellen Nichtigkeitsgrund, der stets ein Festhalten am Urteilssachverhalt voraussetzt, nicht zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung. Mit Recht releviert die Staatsanwaltschaft aber unter dem Nichtigkeitsgrund der Z. 5 des § 281 Abs 1 StPO. eine Unvollständigkeit der Begründung in bezug auf den, unabhängig von der Prüfung der Voraussetzungen der Notwehr, Putativnotwehr oder deren kulposer Überschreitung festzustellenden, Tätervorsatz. Das Erstgericht verneinte, wie erwähnt, außer bedingtem Tötungsvorsatz auch die Absicht (§ 5 Abs 2 StGB.) der Angeklagten, schwer zu verletzen, ohne jedoch wesentliche Teile aus deren Verantwortung, aus welcher an sich auf den ersteren, insbesondere aber auf den letzteren Vorsatz geschlossen werden könnte, einer Erörterung zu unterziehen.

Dabei handelt es sich, wie die Staatsanwaltschaft in ihrem Rechtsmittel zutreffend zitiert, zum einen um die Angaben der Angeklagten im Vorverfahren, sich, während sie von ihrem Mann gewürgt wurde, gedacht zu haben: 'Entweder bin ich weg, oder ist er weg' (ON. 5 S. 27 und sinngemäß ON. 7 S. 37 in Verbindung mit ON. 44 S. 268), und zum anderen um die Aussage, 'fest', bzw. 'mit aller Wucht' zugestochen und ihren Gatten 'richtig erwischt' zu haben (ON. 7 S. 36, 41 in Verbindung mit ON. 44 S. 268).

Zufolge Übergehens dieser wesentlichen Verfahrensergebnisse mit Stillschweigen ist das Ersturteil daher auch mit Begründungsmängeln zur subjektiven Tatseite behaftet. Die von der Staatsanwaltschaft ferner geltend gemachte Aktenwidrigkeit in Ansehung der im Urteil wiedergegebenen Verantwortung der Angeklagten im Vorverfahren, wonach sie auch die Absicht, schwer zu verletzen, 'immer bestritten' habe, liegt hingegen nicht vor, weil das Ersturteil, das sich im gegebenen Zusammenhang mit Widersprüchen in der Verantwortung der Angeklagten befaßt, eine solche Annahme gar nicht enthält (vgl. S. 276) und im übrigen die Angeklagte eine solche Absicht keineswegs zugegeben und auch das Bewußtsein, durch ihre Tat schwere Verletzungen herbeizuführen, verneint hat (vgl. ON. 5 S. 27 d, ON. 7 S. 37 und 41, ON. 44 S. 261 f.).

Es war daher beiden Nichtigkeitsbeschwerden im erwähnten Umfang Folge zu geben, das angefochtene Urteil demnach zur Gänze aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an die erste Instanz zurückzuverweisen. Mit ihrer Berufung war die Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Im zu erneuernden Verfahren werden unter Beachtung aller wesentlichen Verfahrensergebnisse vor allem auch die subjektive Tatseite und die Voraussetzungen der Notwehr und allenfalls der Putativnotwehr sowie deren möglicherweise fahrlässiger Überschreitung, einschließlich der Frage der Notwehrprovokation in ihren verschiedenen Modalitäten, im Sinne der dargelegten Grundsätze eingehend zu prüfen und die hiefür erforderlichen Tatsachenfeststellungen zu treffen und mängelfrei zu begründen sein.

Anmerkung

E03380

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1981:0120OS00058.81.1008.000

Dokumentnummer

JJT_19811008_OGH0002_0120OS00058_8100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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