Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 15.Oktober 1981 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Horak, Dr. Schneider und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Larcher als Schriftführerin in der Strafsache gegen Jean A wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SuchtgiftG. über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengerichts vom 23. Februar 1981, GZ. 6 d Vr 10640/80-29, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Reich-Rohrwig und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalts Dr. Nurscher, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Strafe auf 4 (vier) Jahre erhöht.
Der Angeklagte wird mit seiner Berufung hierauf verwiesen. Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Der am 9.Februar 1957 geborene Student Jean A, ein Staatsbürger der Republik Kongo, wurde des Verbrechens wider die Volksgesundheit nach § 12 Abs 1 SuchtgiftG. schuldig erkannt. Ihm liegt zur Last, am 6. November 1980 vorsätzlich den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in solchen Mengen aus Zaire ausgeführt und nach Österreich eingeführt zu haben, daß daraus in größerer Ausdehnung eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen entstehen konnte. Er ist unter Mitnahme von 7 kg Cannabisharz - nach der Aktenlage handelt es sich um ca. 7 kg Cannabiskraut (S. 5, 17, 22, 33, 45, 85), das mit etwas Harz vermischt war (S. 136) - in seinem Reisegepäck auf dem Luftweg aus Zaire ausgereist und in Schwechat nach Österreich eingereist.
Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte aus den Gründen des § 281 Abs 1 Z. 4, 5 und 10 StPO. mit Nichtigkeitsbeschwerde. Gestützt auf die Z. 4 des § 281 Abs 1 StPO. vermeint der Beschwerdeführer, durch die Abweisung seiner schriftlich gestellten (ON. 20) und in der dem Urteil vorangegangenen Hauptverhandlung wiederholten (S. 140) Beweisanträge in seinen Verteidigungsrechten verletzt worden zu sein. So hätte sich durch die Beischaffung der sichergestellten Reisetasche erweisen lassen, daß nicht die Originalschlüssel zu dem an der Reisetasche angebrachten Vorhängeschloß, sondern nur solche, die zufällig gepaßt hätten, bei ihm vorgefunden wurden.
Rechtliche Beurteilung
Diesem Vorbringen zuwider ist aber dem Antrag (Punkt 4 in ON. 20), sämtliche Depositen, unter denen sich die Reisetasche befand (S. 59), beizuschaffen, nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls ohnehin entsprochen worden (S. 140). Außerdem ist die Beischaffung der Depositen (also auch der Reisetasche) gar nicht zu dem in der Nichtigkeitsbeschwerde angeführten Zweck des Nachweises, daß die Schlüssel des Beschwerdeführers nur zufällig zum Schloß der Reisetasche gepaßt hätten, beantragt worden;
sie sollte vielmehr erweisen, daß der Angeklagte mit der Flugreise beabsichtigt habe, seinen neuen Studienort in Frankreich zu erreichen und dort sein Studium fortzusetzen, wovon das Gericht aber ohnehin ausgegangen ist (S. 154).
Davon abgesehen wäre es für die Erfüllung des Tatbestands nach § 12 Abs 1 SuchtgiftG. durch Einfuhr unerheblich, ob das Suchtgift hierlands nur durchgeschmuggelt oder auch abgesetzt werden sollte. Die Einvernahme der diensthabenden Beamten des Flughafens Wien-Schwechat sollte zum Beweis dafür dienen, daß sich keine Fingerabdrücke des Angeklagten auf der Reisetasche befunden hätten. Mit Recht hat das Schöffengericht auch die Durchführung dieser Vernehmungen abgelehnt, weil die Reisetasche gar nicht durch Fingerabdrücke, sondern auf Grund einer Anzahl kriminalistischer Erfahrungen und Überlegungen als Besitz des Angeklagten identifiziert wurde. Auch die Einvernahme der im Kongo, in Zaire und in Frankreich lebenden Zeugen war entbehrlich. Selbst wenn diese Personen beim Angeklagten das fragliche Gepäckstück nicht gesehen haben sollten, wäre damit die vom Beschwerdeführer in Zweifel gezogene Urteilsannahme keineswegs zu entkräften. Daß die Tasche dem Angeklagten gehört, hat das Erstgericht nämlich nicht nur darum als erwiesen angenommen, weil er im Besitz eines zum - hochwertigen - Vorhängeschloß passenden Schlüssels war (S. 151, 152), sondern es hat dabei auch berücksichtigt, daß die in der Tasche verwahrten Kleidungsstücke dem Angeklagten passen (S. 151) und daß auf seinem Flugschein ein mitgenommenes Gepäckstück von ca. 10 kg vermerkt war, was dem Gewicht der Tasche samt Inhalt entspricht, der Angeklagte aber - sieht man von der Tasche ab - ein solches Reisegepäck nicht vorweisen konnte (S. 16, 22, 33 und 152).
Durch die Ablehnung der Beweisanträge ist somit der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z. 4 StPO. nicht verwirklicht worden.
Als mangelhaft begründet rügt der Beschwerdeführer den Ausspruch, es sei gerichtsbekannt, daß Bewohner schwarzafrikanischer Staaten Rauschgift in Koffern oder Reisetaschen einführen und abwarten, ob das Gepäckstück anstandslos den Zoll passiere; sei dies nicht der Fall, werde das Eigentum an dem Gepäckstück bestritten und möglichst auch der Gepäckscheinabschnitt zum Verschwinden gebracht. Diese Tatsache, so meint der Beschwerdeführer, möge zwar den erkennenden Berufsrichtern durch ihre Tätigkeit in der Suchtgiftabteilung des Landesgerichts für Strafsachen Wien bekannt sein, doch treffe dies nicht auf die Schöffen zu, weshalb nicht von einer notorischen Tatsache gesprochen werden könne.
Auch diese Rüge versagt.
Es entspricht dem Begriff der Gerichtsnotorietät, wenn eine Tatsache auch nur einem qualifizierten Kreis mit einschlägigen Strafsachen befaßter Richter bekannt ist; notorische Tatsachen (auch dieser Art) bedürfen aber keines Beweises (vgl. 12 Os 121/73, 13 Os 143/80, EvBl 1948
Nr. 242 u.v.a.). Zudem handelt es sich hiebei nur um eine von mehreren Erwägungen, die das Schöffengericht in Begründung des Schuldspruchs angeführt hat. Ob der Angeklagte die Wiener Zollkontrolle passieren wollte oder nicht, vermag schließlich an der vom Gericht gemeinten Typizität des Falls nichts zu ändern. Mit dem Vorbringen, es sei eine durch nichts bewiesene willkürliche Annahme, daß der Angeklagte den zur Reisetasche gehörigen Gepäckabschnitt aus dem Flugticket selbst entfernt habe und es fehle an Feststellungen der subjektiven Tatseite, wird gleichfalls kein formeller Begründungsmangel aufgezeigt. Das Schöffengericht hat ausdrücklich konstatiert, daß der Angeklagte durch den Verkauf erheblicher Suchtgiftmengen an einen unbestimmten Personenkreis sein Studium finanzieren wollte (S. 154).
Sowohl diese Schlußfolgerung wie auch die Urteilsannahme, daß Jean A den Gepäckslabel selbst habe verschwinden lassen, stehen mit der Lebenserfahrung und den Grundsätzen folgerichtigen Denkens durchaus im Einklang. Der Angeklagte vermag in diesem Zusammenhang keinen logischen Fehler aufzuzeigen, sondern bekämpft mit seinen diesbezüglichen Ausführungen bloß auf unzulässige Art die richterliche Beweiswürdigung.
Unter Berufung auf § 281 Abs 1 Z. 10, richtig:
Z. 9 lit a und b StPO. wendet der Beschwerdeführer ein, daß der Transitraum des Flughafens noch als Bestandteil des Flugzeugs anzusehen sei, auf welches nach dem Flaggengrundsatz (principe de pavillon) das Recht jenes Staats anzuwenden ist, dessen Hoheit das Flugzeug unterliegt.
Mit der Bezugnahme auf die behauptete Ausdehnung des Flugzeugbereichs, auf die darüber ausgeübten fremdstaatlichen Hoheitsrechte und auf das Flaggenprinzip wird über die bloße Forderung der Anwendung ausländischen Rechts hinaus der Sache nach die inländische Gebietshoheit im Transitraum und folglich dessen Einbeziehung in die österreichische Jurisdiktionsgewalt in Zweifel gezogen (Verfolgungshindernis des Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit:
§ 281 Abs 1 Z. 9 lit b StPO.). Ferner wird geltend gemacht, daß nicht der Angeklagte selbst, sondern das Flughafenpersonal die Tasche aus der Maschine geholt habe, weshalb in seinem Verhalten noch kein 'Einführen' zu erblicken sei (Mangel am Tatbestand: § 281 Abs 1 Z. 9 lit a StPO.).
Diesem zwar durchwegs materiellrechtlichen (Geltungsbereich des Strafrechts, Tatbestandserfüllung), aber in seiner Struktur ganz verschiedenartigen Vorbringen kann einheitlich folgendes erwidert werden:
Das Verbrechen nach § 12 Abs 1 SuchtgiftG. wurde im gegenständlichen Fall durch die Ausfuhr des Cannabiskrauts aus Zaire und dessen Einfuhr nach Österreich vollendet und zwar letzteres schon dadurch, daß das Cannabiskraut beim Überfliegen der österreichischen Staatsgrenze an einer im Urteil nicht bezeichneten Stelle in den zum österreichischen Staatsgebiet gehörigen Luftraum gelangt war (9 Os 98/79).
Auf die späteren Vorgänge im Transitraum kommt es darnach gar nicht mehr an. Daß die Einfuhr allenfalls nur zum Zweck des Transits bewerkstelligt wurde, ändert an der rechtlichen Beurteilung nichts (LSK 1979/233). Die Ausfuhr im Ausland ist für sich allein nach § 64 Abs 1 Z. 4 StGB.
beim Verbrechen nach § 12 SuchtgiftG. unabhängig von den Strafgesetzen des Tatorts dem österreichischen Strafrecht zu unterziehen, wenn durch die Tat österreichische Interessen verletzt worden sind. Diese Voraussetzung ist hier gegeben (vgl. 12 Os 129/76 u. a.) und bedarf bei der geschilderten Sachlage keiner weiteren Begründung. Damit ist sowohl der Einwand des Verfolgungshindernisses (§ 281 Abs 1 Z. 9 lit b StPO.) als auch derjenige des Mangels am Tatbestand (§ 281 Abs 1 Z. 9 lit a StPO.) erledigt. Nur der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, daß der Transitraum nicht exterritorial ist.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Schöffengericht verhängte nach § 12 Abs 1
SuchtgiftG. über den Angeklagten eine Freiheitsstrafe von drei Jahren, in deren Bemessung es als erschwerend die Involvierung einer großen Menge Suchtgifts guter Qualität, als mildernd hingegen den bisher ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten (in Österreich) wertete.
Gegen den Strafauspruch wenden sich die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft, die eine Herabsetzung bzw. eine Erhöhung der verhängten Freiheitsstrafe anstreben.
Der Berufung der Staatsanwaltschaft kommt Berechtigung zu, nicht jedoch der des Angeklagten.
Daß der Angeklagte bezweckte, durch den Verkauf des Cannabiskrauts sein Studium in Frankreich zu finanzieren, vermag sein Verbrechen keineswegs in ein milderes Licht zu rücken, sondern weist ihn erst recht als einen Suchtgifthändler aus, der, selbst nicht süchtig, die Sucht anderer bedenkenlos kommerziell für sich zu nützen bestrebt ist. Eine Freiheitsstrafe von vier Jahren, die noch immer angemessen unter der Hälfte des (bei allgemeinen erschwerenden Umständen) gleitenden Strafsatzes des § 12 Abs 1 SuchtgiftG. zurückbleibt, ist angesichts der großen Menge des von einem Erdteil in den anderen beförderten Suchtmittels, des dadurch gekennzeichneten hohen Unwertgehalts der Tat wie auch vom Verschulden des Täters her gesehen ganz sicher nicht überhöht und gerade noch ausreichend, um generalpräventiv eine genügend abschreckende Wirkung auf die internationale Suchtgiftszene zu entfalten.
Der Angeklagte war mit seiner Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.
Anmerkung
E03353European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1981:0130OS00084.81.1015.000Dokumentnummer
JJT_19811015_OGH0002_0130OS00084_8100000_000