Norm
B-VG Art144Kopf
SZ 54/171
Spruch
Eine in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person ohne gesetzliche Grundlage erfolgte schädigende Organhandlung ist jenem Rechtsträger zuzurechnen, in dessen funktionellem Bereich das Organ nach dem äußeren Anschein der vorgenommenen Handlung und insbesondere nach den vom handelnden Organ abgegebenen Erklärungen tätig war
OGH 18. November 1981, 1 Ob 41/81 (OLG Graz 5 R 56/81; LGZ Graz 27 Cg 10/80)
Text
Die klagende Partei betreibt ein Werbeunternehmen. Sie stellte auf Grund einer mit den Ehegatten Dr. Walter und Mag. Brigitte S im Jahre 1977 getroffenen Vereinbarung auf deren Liegenschaft EZ 523 KG W (Haus Graz, M-Straße 148) innerhalb der geschlossenen Ortschaft eine aus 17 Feldern bestehende Plakatwand auf, die sie zur Anbringung von Ankündigungen und Werbungen verwendete. Mit Schreiben vom 20. Juni 1977 stellte der Bezirksnaturschutzbeauftragte Prof. Dr. Adolf W an das Baurechtsamt der beklagten Partei, der Landeshauptstadt Graz, den Antrag, diese Plakatwand unverzüglich zu entfernen, weil sie eine gröbliche Verunstaltung des Landschaftsbildes darstelle und ohne Genehmigung der Naturschutzbehörde errichtet worden sei. Am 5. Juli 1977 trugen Organe der beklagten Partei ohne vorherige Verständigung der klagenden Partei und der Liegenschafteigentümer und ohne vorherige Durchführung eines Verwaltungsverfahrens im Beisein eines Stadtrates und eines Obermagistratsrates die Plakatwand fachwidrig ab. Hievon wurden die klagende Partei und Dr. Walter S mit Schreiben des Baurechtsamtes des Magistrates Graz vom 11. Juli 1977 unter Berufung auf § 4 Abs. 6 des Steiermärkischen Naturschutzgesetzes 1976, LGBl. 65/1976 (Stmk. NSchG), verständigt. In der Folge erhoben die Liegenschaftseigentümer und die Klägerin Beschwerde an den VfGH. Dieser sprach mit Erkenntnis vom 27. September 1978, VfSlg. B 244/77-15 und B 268/77-14 (nunmehr veröffentlicht in VfSlg. 8388) aus, daß die Beschwerdeführer durch die Entfernung dieser Plakatwand durch Organe des Magistrates der Stadt Graz im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden seien. Der VfGH begrundete sein Erkenntnis im wesentlichen damit, daß sich die Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde nach § 4 Abs. 6 bis 8 NSchG auf Maßnahmen zur Beseitigung nicht bewilligter Ankündigungen außerhalb geschlossener Ortschaften beziehe. Die gegenständliche Plakatwand habe sich aber innerhalb der geschlossenen Ortschaft befunden und sei daher nicht bewilligungspflichtig (§ 4 Abs. 1 NSchG). Eine andere Grundlage für die Maßnahme sei nicht behauptet worden und auch nicht ersichtlich, so daß die Behörde ihre Zuständigkeit zu Unrecht in Anspruch genommen und die Beschwerdeführer in ihrem verfassungsgesetzlich geschützten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt habe. Die klagende Partei forderte sowohl die beklagte Partei, die Landeshauptstadt Graz, als auch das Land Steiermark gemäß § 8 AHG zur Anerkennung ihres Ersatzanspruches schriftlich auf. Die Rechtsträger verweigerten Ersatz. Das Verfahren über die gegen das Land Steiermark aus demselben Sachverhalt erhobene Amtshaftungsklage ruht seit 13. Jänner 1981.
Die klagende Partei begehrt Ersatz der Kosten der Wiedererrichtung der Plakatwand und des durch die Entfernung verursachten Verdienstentganges sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle künftigen Schäden. Die beklagte Partei hafte als Rechtsträger nach § 1 Abs. 1 AHG für den durch ihre Organe rechtswidrig und schuldhaft der klagenden Partei zugefügten Schaden.
Die beklagte Partei beantragt Abweisung des Klagebegehrens und wendete u. a. mangelnde Passivlegitimation ein. Die Entfernung der Plakatwand stelle einen Akt der mittelbaren Landesverwaltung dar, so daß ein Amtshaftungsanspruch nur gegen das Land Steiermark, nicht aber gegen die Landeshauptstadt Graz erhoben werden könne.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die beklagte Partei habe bei Entfernung der Plakatwände der klagenden Partei in Wahrnehmung der Aufgaben der Bezirksverwaltung gehandelt und damit eine Angelegenheit des übertragenen Wirkungsbereiches besorgt. Den Bezirken fehle ungeachtet ihrer Anführung in § 1 AHG als haftende Rechtsträger die Eigenschaft klagbarer Rechtssubjekte, da sie bisher als autonome Gebietskörperschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit nicht errichtet worden seien. Der Bürgermeister einer Stadt mit eigenem Statut sei in Ausübung der ihm obliegenden Bezirksverwaltung eine monokratisch organisierte Dienststelle des Landes und damit dem Amt der Landesregierung untergeordnet. Als haftender Rechtsträger komme jener in Betracht, dessen Angelegenheiten in Zusammenhang mit der schädigenden Handlung wahrgenommen worden seien. Da die Schadenszufügung, wenngleich unter fehlerhafter Inanspruchnahme der Zuständigkeit, in Wahrnehmung von Agenden nach § 4 Abs. 6 Stmk. NSchG 1976 erfolgt sei, seien die schädigenden Maßnahmen dem Land Steiermark zuzurechnen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die beklagte Partei habe ihre faktische Amtshandlung mit der Bestimmung des § 4 Stmk. NSchG 1976 gerechtfertigt. Eine andere Grundlage sei von den Parteien nie behauptet worden und liege auch nicht vor. Nach dieser Bestimmung sei aber die beklagte Partei grundsätzlich dazu berechtigt gewesen, als Bezirksverwaltungsbehörde nicht bewilligte Ankündigungen außerhalb geschlossener Ortschaften unverzüglich zu entfernen. Die beklagte Partei habe zwar, da die Reklametafeln innerhalb der geschlossenen Ortschaft errichtet worden seien, ihre Zuständigkeit zu Unrecht in Anspruch genommen, was haftungsbegrundend sein könne, aber noch nichts darüber aussage, wer zu haften habe. Diese Frage sei im Sinne der ständigen Rechtsprechung nach der Organtheorie zu lösen. Nur das Land Steiermark könne zum Schadenersatz herangezogen werden, da die beklagte Partei nicht im eigenen, sondern in dem ihr vom Land übertragenen Wirkungsbereich tätig geworden sei. Auch eine solidarische Haftung der beklagten Partei mit dem Land Steiermark komme nicht in Frage.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Vorinstanzen gingen zutreffend davon aus, daß zur Beurteilung der Frage, welcher Rechtsträger für die Schädigung durch ein Organverhalten haftbar gemacht werden kann, die funktionelle Zuordnung der Organtätigkeit maßgebend ist. Es kommt nicht darauf an, wessen Organe die angeblich Schuldtragenden nach ihrer dienstrechtlichen Stellung waren, sondern in wessen Namen und für wen sie funktionell tätig wurden. Entscheidend ist damit der Vollzugsbereich, innerhalb dessen die Organe tätig waren (ZVR 1981/256; ZVR 1981/105; SZ 51/126; SZ 51/2; EvBl. 1978/39; SZ 43/78;
EvBl. 1963/184; SZ 26/51; 1 Ob 14/81; 1 Ob 33/80; 1 Ob 4/79 u. a. Walter - Mayer, Grundriß des Österreichischen Bundesverfassungsrechts[3], 327; Adamovich, Handbuch[6], 417;
Loebenstein - Kaniak, Komm. z. AHG, 39; Antoniolli, Allgemeines Verwaltungsrecht, 272 f.; Spanner, ÖJZ 1950, 51; Hellbling, JBl. 1949, 183). Für gesetzwidrige Handlungen von Gemeindeorganen in Ausübung des vom Land übertragenen Wirkungsbereiches haftet das Land (SZ 51/126; EvBl. 1963/184; SZ 26/51).
Die Revisionswerberin ist der Ansicht, daß die für die Zuordnung der Organtätigkeit aufgezeigten Grundsätze im vorliegenden Fall nicht anzuwenden seien, da die Organhaftung aus einer "faktischen Amtshandlung" abgeleitet werde. Da der VfGH ausgesprochen habe, daß die beklagte Partei die Zuständigkeit nach dem Stmk. NSchG 1976 zu Unrecht in Anspruch genommen habe, könne der in Anspruch genommene Rechtsträger nur im eigenen und nicht in einem übertragenen Wirkungsbereich gehandelt haben. Für diese Auffassung spräche auch das Interesse des Geschädigten, dem bei faktischen Amtshandlungen keine Norm zur Kenntnis gebracht werde, so daß er gar nicht beurteilen könne, ob das schädigende Organhandeln in den Vollzugsbereich eines anderen Rechtsträgers als desjenigen, dessen Organe tätig wurden, falle.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Auszugehen ist davon, daß die beklagte Partei auf Grund eines - ausdrücklich auf das Stmk. NSchG 1967 gegrundeten - Antrages des Bezirksnaturschutzbeauftragten tätig wurde und die klagende Partei von der am 5. Juli 1977 erfolgten Entfernung der Ankündigungstafeln mit Schreiben vom 11. Juli 1977 auch unter Berufung auf § 4 Abs. 6 des Stmk. NSchG 1967 verständigte. Die Ausführungen der Revisionswerberin, daß sich die beklagte Partei erst nachträglich im Verfahren vor dem VfGH auf das Steiermärkische Naturschutzgesetz berufen habe, weichen von diesem unstrittigen Sachverhalt ab.
Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Organhandeln einem bestimmten Rechtsträger zuzurechnen ist, kommt es, ebenso wie bei Beurteilung der Frage, ob überhaupt ein zurechenbares Organhandeln vorliegt, auf den äußeren Tatbestand bzw. den äußeren Anschein der vorgenommenen Handlung (1 Ob 14/81; Nr. 80) Loebenstein - Kaniak a.a.O., 38) und insbesondere die von den handelnden Organen abgegebenen Erklärungen an. Gegenstand des schädigenden Organhandelns war im vorliegenden Fall die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person (vgl. Art. 130 Abs. 1 lit. b, 131 a, 144 Abs. 1 B-VG), also ein sogenannter verfahrensfreier Verwaltungsakt. Es kann kein Zweifel bestehen, daß sich die beklagte Partei bei der behördlichen Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gegen die klagende Partei - wenn auch materiellrechtlich verfehlt - von vornherein auf die Bestimmung des § 4 Abs. 6 Stmk. NSchG 1967 stützte. Nach dieser Bestimmung sind nichtbewilligte Ankündigungen, die das Landschaftsbild gröblich verunstalten, durch die Bezirksverwaltungsbehörde unverzüglich zu entfernen. Die Behörde hat den Eigentümer (Verfügungsberechtigten) aufzufordern, den entfernten Gegenstand zu übernehmen. Damit nahm die beklagte Partei, was auch der klagenden Partei nach Erhalt der Verständigung klar sein mußte, die Zuständigkeit als Bezirksverwaltungsbehörde in einer Naturschutzangelegenheit in Anspruch, die gemäß Art. 15 Abs. 1 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung in den Wirkungsbereich des Landes fällt (JBl. 1955, 472; VfSlg. 4237/1962; 4908/1965).
Die Organe der beklagten Partei, die als Stadt mit eigenem Statut neben den Aufgaben der Gemeindeverwaltung auch die der Bezirksverwaltung zu besorgen hat (Art. 118 Abs. 3 B-VG), wurden daher in dem ihr vom Land übertragenen Wirkungsbereich (Art. 118 Abs. 1 B-VG), der die Angelegenheiten umfaßt, die die Gemeinde nach Maßgabe der Landesgesetze im Auftrag und nach den Weisungen des Landes zu besorgen hat (Art. 119 Abs. 1 B-VG), tätig. Daß die beklagte Partei bei der Vollziehung dieses verfahrensfreien Verwaltungsaktes die den Bezirksverwaltungsbehörden nach dem Steiermärkischen Naturschutzgesetz eingeräumten Befugnisse zur Entfernung nichtbewilligter Ankündigungen überschritt, vermag an der Zurechnung der Handlungen ihrer Organe zum Vollzugsbereich des Landes nichts zu ändern. Eine Überschreitung der Zuständigkeit allein kann weder die Qualifikation als Amtshandlung ausschließen (1 Ob 14/81) noch hat sie zur Folge, daß diese Handlung funktionell nicht mehr jenem Rechtsträger, in dessen Vollzugsbereich die gesetzmäßig vollzogene Organhandlung gefallen wäre, zuzurechnen ist. Rechtswidriges Organhandeln in Vollziehung der Gesetze im Sinne des AHG besteht vielmehr gerade darin, daß das Organ nicht im Rahmen seiner gesetzlichen Pflichten handelt, so daß der Rechtsträger, für den gehandelt wurde, häufig in dem weiten Sinn, den der VfGH in ständiger Rechtsprechung dem Grundrecht auf das Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art. 83 Abs. 2 B-VG; § 1 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862) gibt, "unzuständig" ist, indem er Befugnisse für sich in Anspruch nimmt, für die im materiellen Recht jede Grundlage fehlt (VfSlg. 5948/1969 u. v. a.; vgl. zu dieser Rechtsprechung Walter - Mayer a.a.O., 365 f.; Adamovich a.a.O., 533 f.; Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und Menschenrechte, 209 ff.). "Unzuständig" heißt somit im Sinne dieser Rechtsprechung nicht unbedingt, daß eine andere ("zuständige") Behörde diese Befugnisse hätte. Die Organe der beklagten Partei handelten somit bei der dem gegenständlichen Amtshaftungsanspruch zugrunde liegenden Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt immer noch im Vollzugsbereich des Landes, mag auch ihr Handeln materiellrechtlich verfehlt gewesen sein, weil - richtige Auslegung der angewendeten Bestimmung vorausgesetzt - keine gesetzliche Grundlage für den vorgenommenen verfahrensfreien Verwaltungsakt bestand.
Der Revisionswerberin ist einzuräumen, daß es für den Geschädigten bisweilen äußerst schwierig ist, die Frage, welcher Rechtsträger für ein rechtswidriges und schuldhaftes Organverhalten verantwortlich ist, vorweg richtig zu beurteilen, was die Durchsetzung von Amtshaftungsansprüchen erschwert. Gerade im vorliegenden Fall kommt aber, wie auch die Revisionswerberin einräumt, auch für ihre Organe unverkennbar als Grundlage des beanstandeten Organhandelns nur die Vollziehung des Stmk. NSchG 1976 in Frage. Eine andere Grundlage wurde nicht behauptet und ist auch nicht erkennbar, so daß auch kein Fall vorliegt, in dem eine Organhandlung mehreren Rechtsträgern zugerechnet werden könnte (vgl. JBl. 1981, 210; 1 Ob 14/81). Der für das beanstandete Organhandeln verantwortliche Rechtsträger ist somit das Land Steiermark, so daß die Vorinstanzen das gegen die Landeshauptstadt Graz gerichtete Klagebegehren zutreffend abwiesen.
Anmerkung
Z54171Schlagworte
Organhandlung, Zurechnung von Akten unmittelbarer Befehls- und, Zwangsgewalt, Rechtsträger, Zurechnung von Akten unmittelbarer Befehls- und, Zwangsgewalt, Verwaltungshandeln, Zurechnung von Akten unmittelbarer Befehls- und, ZwangsgewaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1981:0010OB00041.81.1118.000Dokumentnummer
JJT_19811118_OGH0002_0010OB00041_8100000_000