Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 25. November 1981
unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Hoch als Schriftführer im Verfahren gegen Radosav A wegen Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach dem § 21 Abs 1 StGB über die vom Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 7. August 1981, GZ. 5 e Vr 1081/81-47, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Bollenberger und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur Generalanwalt Dr. Strasser zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde gemäß dem § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung des am 20. April 1952
geborenen Radosav A in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet, weil er am 30. Jänner 1981 unter dem Einfluß eines seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen Abartigkeit höheren Grades beruht, nämlich auf hochgradigem Schwachsinn verbunden mit einer organischen Beeinträchtigung im Bereich des zentralen Nervensystems, großer Triebstärke und erhöhtem Aggressionspotential, mit der am 18. März 1976 geborenen, also unmündigen Claudia B den Beischlaf unternommen, sohin das mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Verbrechen des Beischlafes mit Unmündigen nach dem § 206 Abs 1 StGB begangen hatte und zu befürchten ist, daß er unter dem Einfluß seiner geistigen Abartigkeit neuerlich gleichartige Straftaten mit schweren Folgen begehen werde. Dieses Urteil ficht der Betroffene mit Nichtigkeitsbeschwerde, ausdrücklich aus dem Nichtigkeitsgrund der Z. 5, der Sache nach auch der Z. 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO an.
Rechtliche Beurteilung
In der Beschwerde wird als Mangel der Begründung der Feststellungen über die Anlaßtat gerügt, daß das gerichtsmedizinische Gutachten nicht zur Frage Stellung nehme, ob eine Überdehnung des Scheideneinganges des Mädchens, wodurch eine blutende Verletzung im unteren Teil des Scheidenvorhofes hervorgerufen wurde, auch durch Einführen von 'mehr als einem Finger' hätte entstehen können, und daß sich auch das Erstgericht im Urteil mit dieser Frage nicht auseinandersetze.
Diesem Einwand ist zu entgegnen, daß einerseits ein (angeblicher) Mangel des Gutachtens nicht aus dem geltend gemachten Nichtigkeitsgrund der Z. 5 des § 281 Abs 1 StPO bekämpft werden darf, sondern es dem Beschwerdeführer freigestanden wäre, den von ihm als erheblich angesehenen Umstand durch eine entsprechende Fragestellung an den Sachverständigen in der Hauptverhandlung zu klären. Daß dies dem Beschwerdeführer entgegen einem allfälligen Antrag nicht ermöglicht worden wäre, wird in der Beschwerde nicht behauptet und trifft dem Akteninhalt nach auch nicht zu. Deshalb würde es an den Voraussetzungen für eine Verfahrensrüge nach dem § 281 Abs 1 Z. 4 StPO ebenfalls fehlen. Anderseits war die Erörterung der relevierten Frage im Ersturteil entbehrlich, weil weder die Verantwortung des Betroffenen noch sonstige Beweisergebnisse irgendeinen Anhaltspunkt für die Verursachung der genannten Verletzung auf die nunmehr behauptete Vorgangsweise ergaben, der gerichtsmedizinische Gutachter überhaupt nur beispielsweise von dem Einführen eines Fingers sprach (ON. 46 S. 245 d.A.) und das Erstgericht die Feststellung eines teilweisen Eindringens des Gliedes des Betroffenen in die Scheide des Kindes logisch-schlüssig und in empirisch unbedenklicher sowie auch sonst mängelfreier Weise insbesondere auf die Angaben des Mädchens, das Vorhandensein nicht nur von Blut-, sondern auch von Spermaspuren an dessen Kleidung sowie von Blutspuren an Kleidung, Glied und Oberschenkel des Betroffenen, der selbst keinerlei Verletzung aufgewiesen hatte, und auf das Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen im Zusammenhalt mit der geständigen Verantwortung des Betroffenen vor dem Untersuchungsrichter stützen konnte (S. 261 ff. d.A.). Sind sohin die erstgerichtlichen Feststellungen zur Anlaßtat mängelfrei, so geht die Beschwerde mit ihrem die rechtliche Subsumtion der Anlaßtat unter das Tatbild nach dem § 206 Abs 1 StGB bekämpfenden Vorbringen, das ersichtlich auf ein, im Sinn des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs 1 erster Fall StGB tatbildeiches Einführen von Fingern in den Geschlechtsteil des Kindes abstellt, nicht von den erstgerichtlichen Feststellungen über das teilweise Eindringen des Gliedes des Beteiligten in die Scheide des Kindes aus und bringt damit den materiellen Nichtigkeitsgrund der Z. 10 des § 281 Abs 1
StPO nicht zur gesetzmäßigen Darstellung. Daß das mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bedrohte Verbrechen nach dem § 207 Abs 1 StGB aber in gleicher Weise wie das Verbrechen nach dem § 206 Abs 1 StGB im Sinn des § 21 Abs 1 StGB sowohl als Anlaßtat wie auch als im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose bedeutsame Straftat mit schweren Folgen in Betracht kommt, sei nur am Rande erwähnt.
Überdies verkennt die Beschwerde nicht nur die Kriterien der vorbeugenden Maßnahme nach dem § 21 Abs 1 StGB, sondern auch des Tatbildes des § 206 Abs 1 StGB, wenn sie für 'das Begehen einer Straftat' deren 'Vollendung' voraussetzt und diese, mit Beziehung auf das gerichtsmedizinische Gutachten, in concreto als physisch unmöglich ansieht:
Ob die Anlaßtat vollendet oder versucht wurde, ist nämlich aus dem Gesichtspunkt des § 21 Abs 1 StGB unentscheidend; maßgeblich ist insofern allein die, für vollendete und versuchte Delikte in gleicher Weise geltende (§ 15 Abs 1 StGB), ein Jahr übersteigende Strafdrohung.
Davon abgesehen genügt für die Deliktsvollendung nach dem § 206 StGB
- wie die Generalprokuratur zutreffend darlegt - die bloße Berührung der Geschlechtsteile von Opfer und Täter. Anders als nach den §§ 201, 202 und 205
Abs 1 StGB ist im Fall des § 206 StGB die bei einem kleinen Mädchen oft gar nicht mögliche conjunctio membrorum, im Sinn eines, wenn auch nur unvollständigen, Eindringens des männlichen Gliedes in das weibliche Geschlechtsorgan als Kriterium vollzogenen Beischlafs, nicht erforderich (Pallin in WK, RZ. 21 zu § 201 und RZ 3 zu § 206 StGB).
Schließlich sind auch die Einwendungen der Beschwerde gegen die Anordnung der Unterbringung nach dem § 21 Abs 1
StGB, weil ihrer Ansicht nach der Betroffene an keiner Geisteskrankheit leide, rechtlich verfehlt.
§ 21 Abs 1 StGB setzt keineswegs ausschließlich eine Geisteskrankheit als Ursache der Zurechnungsunfähigkeit voraus. Es genügt vielmehr jeder der im § 11 StGB genannten Zustände der Zurechnungsunfähigkeit, zu welchen aber insbesondere auch der vorliegend beim Betroffenen ausdrücklich festgestellte (schwergradige) Schwachsinn gehört.
Aus den genannten Erwägungen war die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.
Mit seiner Berufung bekämpft der Betroffene den Einweisungsausspruch
aus dem Aspekt der Gefährlichkeitsprognose.
Auch die Berufung verfängt nicht.
Aus dem Gutachten der Sachverständigen, die zu dieser Frage ausführlich Stellung nahmen, insbesondere des Universitätsprofessors Dr. Rudolf C, ergibt sich mit Prägnanz, daß vor allem wegen des hochgradigen Intelligenzmangels in Verbindung mit der besonderen, unkontrollierten Triebstärke bei entsprechender Umweltsituation ein Rückfall des Betroffenen mit geradezu an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (S. 247 d.A.).
Das Leben in Freiheit bringt aber - wie schon das Erstgericht richtig erwog - den Betroffenen, der nicht selbsterhaltungsfähig im Familienverband lebt, zwangsläufig in Situationen, die ihm die abermalige Begehung einer gleichartigen Straftat ermöglichen. Somit ist sogar in hohem Maße zu befürchten, daß er unter dem Einfluß seiner geistigen und seelischen Abartigkeit neuerlich eine Straftat mit schweren Folgen begehen werde.
Soweit er aber das zuletzt genannte Einweisungskriterium in Zweifel zieht, ist sein - im übrigen auch sonst nicht zielführendes - Vorbringen schon deshalb nicht erörterungswürdig, weil er sich von der im Urteil festgestellten Anlaßtat als Basis für die Beurteilung seiner Gefährlichkeit entfernt.
Mithin konnte auch der Berufung kein Erfolg beschieden sein.
Anmerkung
E03461European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1981:0110OS00168.81.1125.000Dokumentnummer
JJT_19811125_OGH0002_0110OS00168_8100000_000