Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 14.Jänner 1982
unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Horak, Dr. Schneider und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Franz als Schriftführers in der Strafsache gegen Walter A wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB und eines anderen Delikts über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengerichts vom 11.Juni 1981, GZ. 8 c Vr 7583/80-38, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Schneider, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Gahleithner und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalts Dr. Kodek, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Der am 5.April 1943 geborene Photosetzer Walter A wurde des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den § 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z. 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 18. August 1980 in Wien 1. Eva B durch Versetzen eines Messerstichs in den rechten Oberbauch eine Eröffnung der Bauchhöhle, eine Durchstechung der Leber und des Zwerchfells und eine Eröffnung der rechten Brustkorbhöhle mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit absichtlich zufügte; 2. Johann C durch Versetzen eines Messerstichs gegen den Hals vorsätzlich verletzte, wobei die Tat eine Stichwunde an der rechten Halsseite zur Folge hatte und mit einem solchen Mittel und auf solche Weise begangen wurde, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist.
Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs. 1 Z. 4, 5 und 9 lit. a (der Sache nach richtig 10) StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der in keinem Punkt Berechtigung zukommt. Die Verfahrensrüge wendet sich gegen die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrags auf Einholung eines ergänzenden (gerichtsärztlichen) Gutachtens u.a. über die Stichverletzung und den Verlauf des Stichkanals bei Eva B zum Beweis dafür, daß die Schilderung des Angeklagten, von unten nach oben aus halb liegender, halb sitzender Stellung Abwehrbewegungen mit dem Messer gemacht zu haben, zutreffe (S. 252 f.).
Das Erstgericht wies diesen Beweisantrag 'mangels Relevanz' (S. 254) und mit der im Urteil (S. 263 f.) nachgeholten näheren Begründung ab, daß der damit zu beweisende Sachverhalt als denkmögliche Komponente innerhalb der freien Beweiswürdigung selbstverständlich zu berücksichtigen ist.
Der Schöffensenat gab damit zu erkennen, daß er nach der Art der Verletzung eine Stichführung von unten nach oben (ohnedies) als möglich annahm, wie sich dies auch aus dem eingeholten gerichtsärztlichen Gutachten (S. 130 - tiefgehende Stichverletzung am rechten Oberbauch mit Eröffnung der Bauchöhle, Durchstechung von Leber und Zwerchfell und dadurch Eröffnung der rechten Brustkorbhöhle) ergibt, und auch die Zufügung dieser Verletzung aus sitzender oder liegender Position für denkbar hielt (S. 264). Die Stellung des Angeklagten zur Zeit der Stichführung kann aber daraus naturgemäß noch nicht (positiv) konstatiert werden, weil eine Stichführung von unten nach oben auch einem stehenden Täter möglich ist. Umso weniger eignete sich der gestellte Beweisantrag zur Erhärtung der Verantwortung des Angeklagten, nicht, wie die Verletzte und andere Tatzeugen deponierten, den Stich gegen sein Opfer bei der Tür des Restaurants 'Polnische Hütte' geführt zu haben, sondern erst einige Zeit später, von unbekannten Lokalgästen und der Verletzten verfolgt, mißhandelt und am Boden liegend, in Abwehr der gegen ihn geführten Angriffe. Die begehrte Beweisaufnahme war somit teils überflüssig, weil der zu beweisende Sachverhalt ohnedies der gerichtlichen Beurteilung zugrundegelegt wurde, teils nicht zielführend, sodaß sie zu Recht unterblieb.
In der Mängelrüge wirft der Beschwerdeführer dem Urteil Unvollständigkeit und mangelhafte Begründung der Feststellung vor, er habe auf Eva B einmal eingestochen, um ihr eine schwere Verletzung zuzufügen.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem Beschwerdevorbringen enthält das angefochtene Urteil die vermißte nähere Begründung der bezeichneten Feststellung ohnedies (S. 263, 264, 266), wobei die Absicht des Täters, das Opfer schwer zu verletzen, aus der Art und der Intensität der Stichführung sowie aus der Verwendung eines Messers mit einer 9,5 cm langen spitzen Klinge, nach vorangegangener Auseinandersetzung mit der Verletzten, den Denkgesetzen und der Lebenserfahrung entsprechend abgeleitet wird.
Die eine Subsumtion der Verletzung der Eva B (1) unter die § 83, 84 Abs. 2 Z. 1 StGB anstrebende und damit der Sache nach auf den Nichtigkeitsgrund der Z. 10 (nicht 9 lit. a) des § 281 Abs. 1 StPO gestützte Rechtsrüge negiert die solcherart, wie vorstehend erörtert, mängelfrei festgestellte Vorsatzform des Angeklagten, nämlich seine Absicht (§ 5 Abs. 2 StGB), das Tatopfer schwer zu verletzen, und ist daher nicht gesetzmäßig ausgeführt. Auch in Ansehung des Faktums 2 macht der Beschwerdeführer einen Subsumtionsirrtum (§ 281 Abs. 1 Z. 10 StPO) geltend, indem er vorbringt, daß für die schwere Körperverletzung nach den § 83, 84 Abs. 2 Z. 1 StGB neben der Verwendung eines lebensgefährlichen Mittels (als welches er die Tatwaffe ersichtlich anerkennt) auch noch die Absicht des Täters erforderlich sei, dieses Mittel auf solche Weise zu verwenden, daß damit Lebensgefahr für den Verletzten verbunden sei. Da eine solche Absicht vom Erstgericht nicht festgestellt sei, liege nach Auffassung des Beschwerdeführers in Wahrheit im Hinblick auf die nur leichte Verletzungsfolge bloß das Vergehen nach § 83 Abs. 1 StGB vor.
Diese Rechtsauffassung des Beschwerdeführers trifft nicht zu: Für sämtliche Qualifikationen der Körperverletzung nach den § 84, 85 und 86 StGB genügt als Schuldform dolus eventualis; Absicht (§ 5 Abs. 2 StGB, dolus directus specialis) ist in keinem dieser Fälle Voraussetzung. Folgerichtig genügt es auch für die Qualifikation, daß die Verletzung mit einem solchen Mittel und auf solche Weise zugefügt wird, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, daß der Täter eine solche (lebensgefährliche) Eigenschaft der Tat für möglich hält und sich damit abfindet (§ 5 Abs. 1 StGB). Daß im vorliegenden Fall ein Messer mit 9,5 cm langer feststehender und spitzer Klinge, also ein lebensgefährliches Mittel, auf lebensgefährliche Weise, nämlich durch Stichführung in den Hals des Opfers, verwendet wurde, hat das Erstgericht festgestellt; demnach besteht eine ausreichende Grundlage für den Schuldspruch.
Entgegen dem weiteren, hilfsweise auf die Z. 5 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Beschwerdevorbringen war hingegen nicht erforderlich, daß eine 'gezielte' Stichführung gegen den Hals festgestellt wurde. Bereits mit dem Wort Stichführung wird deutlich genug ausgedrückt, daß die Stoßrichtung gegen den Hals des Opfers vom Beschwerdeführer gewollt war. Wenn dieser vermeint, die Feststellung einer 'gezielten' Stichführung wäre erforderlich gewesen, um klarzustellen, daß es ihm darauf ankam, gerade den Hals seines Opfers zu treffen, so irrt er;
dies wäre vielmehr ein Indiz für eine auch in diesem Faktum gegeben gewesene Absicht des Täters (§ 5 Abs. 2 StGB), eine schwere Verletzung zuzufügen (§ 87 StGB). Damit zeigt sich, daß die gegenständliche Rüge gar nicht zum Vorteil des Angeklagten ausgeführt ist (§ 282 StPO).
Das Schöffengericht verhängte über Walter A nach § 87 Abs. 1 StGB unter Bedachtnahme auf § 28 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren. Es wertete bei der Strafbemessung die tückische Tatausführung, die auf gleicher schädlicher Neigung beruhenden Vorstrafen und die Deliktshäufung als erschwerend; ein Milderungsumstand wurde nicht angenommen.
Die Berufung, mit welcher der Angeklagte die Herabsetzung der Freiheitsstrafe anstrebt, ist nicht zielführend:
Selbst wenn man - im Sinn der Rechtsmittelausführung - die vom Angeklagten im Zug des Tatgeschehens erlittene schwere Körperverletzung (s. S. 262) und den Umstand, daß die Vorstrafen, einzeln betrachtet, nicht gravierend sind, ins Kalkül zieht, gelangt man zu dem Ergebnis, daß die vom Erstgericht ausgemessene Freiheitsstrafe gerecht ist. Die wenn auch schon mehrere Jahre zurückliegenden einschlägigen Vorstrafen, sowie die Intensität und Gefährlichkeit der beiden nunmehrigen Tathandlungen verlangen eine längerdauernde resozialisierende Einwirkung auf den Angeklagten. Die ganz außergewähnliche Unwertbedeutung des gegenständlichen Kriminalfalls wird von der Tatsache bestimmt, daß der Täter im Körper der Eva B zwei innere Organe durchbohrt und zwei Leibeshöhlen eröffnet hat; jede einzelne dieser vier Verletzungen hätte für eine Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung genügt. Damit nicht genug, fällt dem Rechtsbrecher noch ein Messerstich gegen den Hals eines anderen Menschen zur Last. Bei einer derart enormen Sozialgefährlichkeit tritt die Notwendigkeit einer langdauernden Prisonierung unübersehbar in den Vordergrund.
Der vom - nicht geständigen - Berufungswerber hervorgehobene Umstand, es könne nicht gesagt werden, daß er (über das Tatgeschehen) 'bewußt unrichtige Angaben' gemacht habe, kann sich bei der Strafbemessung nicht zu seinem Vorteil auswirken. Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, daß entgegen der Auffassung des Erstgerichts alle Vorstrafen des Berufungswerbers zufolge der Definition des § 71 StGB auf der gleichen schädlichen Neigung, nämlich auf Aggressivität, beruhen.
Anmerkung
E03507European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1982:0130OS00176.81.0114.000Dokumentnummer
JJT_19820114_OGH0002_0130OS00176_8100000_000