Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kral, Dr. Steininger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Nemec als Schriftführerin in der Strafsache gegen Franz A wegen des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 16. Dezember 1981, GZ 21 a Vr 1905/81-46, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen zu Punkt I./, 1.) und 2.) und VI./ des Urteilssatzes und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 5. Juni 1951 geborene Franz A wie folgt schuldig erkannt:
Zu I. des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs. 1 StGB;
zu II. des Verbrechens der schweren Nötigung nach § 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 und 3 StGB;
zu III. des Vergehens der in einem Fall schweren Körperverletzung nach § 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB;
zu IV. des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 StGB;
zu V. des Vergehens der Förderung gewerbsmäßiger Unzucht nach § 215 StGB;
zu VI. des Vergehens der Zuhälterei nach § 216 StGB und zu VII. des Vergehens nach § 36 Abs. 1 lit. a WaffenG und hiefür nach § 28, 217 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zweieinhalb Jahren verurteilt.
Die unter Punkt I./ 1.) und 2.), III./ 5.) und VI./ ergangenen Schuldsprüche bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 3 und 4 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, gegen den Strafausspruch wendet er sich mit Berufung. Inhaltlich der angefochtenen Urteilsfakten liegt ihm zur Last, er habe zu I. Ingrid A der gewerbsmäßigen Unzucht in anderen Staaten als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, zugeführt und sie hiefür angeworben, und zwar 1) in der Zeit zwischen 1978 und Mai 1979 in den nachgenannten Orten der Bundesrepublik Deutschland, indem er sie nacheinander nach Lörrach, Pirmasens, Heide und Nürnberg führte und dort in Bordellen oder Animierlokalen zur Ausübung ihres unzüchtigen Gewerbes unterbrachte und gezielt auf sie einwirkte, diese Tätigkeit für ihn auszuüben;
2) im Jänner 1981 an unbekanntem Ort, indem er sie durch gezieltes Zureden dazu brachte, eine Beschäftigung im Gastbetrieb 'G' in St. Margarethen, Schweiz, aufzunehmen, um dadurch Kontakte für die gewerbsmäßige Unzucht zu finden und diese Tätigkeit für ihn an diesem Ort auszuüben;
zu III./ 5.) Ingrid A am Körper verletzte, und zwar im Jänner oder Februar 1981 in Hard durch Zufügen eines Stiches mit einer Gabel gegen einen Oberarm bzw Schulter, wobei die Tat eine Stichverletzung an dieser Körperstelle zur Folge hatte;
zu VI./ ab dem Jahre 1974 mit Ausnahme von etwa 8 Monaten im Jahre 1977 in verschiedenen Orten Vorarlbergs und der Bundesrepublik Deutschland seinen Unterhalt zumindest zum überwiegenden Teil aus der gewerbsmäßigen Unzucht der Ingrid A durch deren Ausbeutung, indem er ihr den gesamten Schandlohn bis auf geringe Beträge für die Abdeckung der notdürftigsten Lebensbedürfnisse abnahm, zu gewinnen gesucht, indem er ihr den gesamten Schandlohn abnahm sowie dadurch, daß er sie gegen ihren Willen auf die Straße schickte, insbesondere durch Drohungen und Mißhandlungen zwang, die Prostitution für ihn auszuüben.
Unbegründet ist die Beschwerde, soweit sie unter der Z 3 des § 281 Abs. 1 StPO eine Nichtigkeit des Urteiles deswegen geltend macht, weil der Angeklagtnlts der in der Hauptverhandlung vom 16. Dezember 1981 erfolgten Ausdehnung der Anklage zu Punkt III./ 5.) des Urteilssatzes und zu der zugleich erfolgten Erweiterung des Anklagevorwurfes zu Punkt VI./ der schriftlichen Anklage nicht gehört wurde (s S 176, 177 d.A).
Rechtliche Beurteilung
Weder die Verletzung der Bestimmung des § 262 StPO (welcher der Beschwerdeführer offenbar im Auge hat), noch eine solche der Bestimmungen des § 263 StPO (welche eine Zustimmung des Angeklagten nur für den Fall fordern, daß die betreffende Tat unter ein strengeres als das Strafgesetz fiele, das auf die in der Anklageschrift angeführte strafbare Handlung anzuwenden wäre) fallen unter Nichtigkeitssanktion (vgl ÖJZ-LSK 1978/222), sodaß insoweit die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285 d Z 2 StPO sofort zurückzuweisen war.
Hingegen ist die Verfahrensrüge begründet.
In der Hauptverhandlung vom 16. Dezember 1981 hat der Verteidiger des Angeklagten folgende Beweisanträge gestellt (s S 175, 176 d.A):
1. Die Einvernahme der Zeugen Albert B und Franz C zum Beweise dafür, daß Ingrid A betreffend der Aufnahme ihrer Tätigkeit als Prostituierte im Ausland weder angeworben noch dieser Tätigkeit zugeführt wurde, sondern es ihr eigener, gegenüber diesen Zeugen auch ausdrücklich genannter Wunsch war, zufolge Schwierigkeiten in Vorarlberg im Ausland tätig zu werden;
2. Einvernahme von informierten Vertretern der Raiffeisensparkasse Hard und des Bankinstitutes in Lindau über die Verfügungen der Zeugin Ingrid A auf die dort befindlichen Konten sowie Einvernahme der Zeugen Rainer D sowie informierter Vertreter der Firma E, H-Möbel und F darüber, daß der Angeklagte erhebliche und zwar S 100.000 übersteigende Beträge zur Verbesserung, Sanierung und Ausbauung des Hauses der Zeugin Ingrid A verwendet habe. Diese Beweisanträge wurden vom Erstgericht mit dem lapidaren Hinweis auf hinreichend geklärten Sachverhalt abgewiesen (vgl S 177 d.A), ohne daß auch im Urteil eine Begründung für das abweisliche Zwischenerkenntnis nachgetragen wurde.
Abgesehen davon, daß infolge Verletzung der Bestimmungen des § 238 Abs. 1 und 2 StPO nicht unzweifelhaft erkennbar ist, daß die unterlaufene Formverletzung auf die Entscheidung in der Sache keinen für den Angeklagten nachteiligen Einfluß üben konnte, verletzte im übrigen das Erstgericht bei Ablehnung der bezeichneten Beweisanträge Verfahrensgrundsätze, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden Verfahrens geboten waren.
Nach Beweisthema und Beweisziel sollte die unter 1. genannte Beweisaufnahme die Verantwortung des Angeklagten verifizieren, daß es ausdrücklich der Wunsch der Zeugin Ingrid A gewesen sei, infolge Schwierigkeiten im Inland die Prostitution nunmehr im Ausland auszuüben. Nun verlangt das Tatbestandsmerkmal des 'Zuführens' oder 'Anwerbens' eine gezielte Einflußnahme auf die betreffende Frauensperson zwecks Ausübung der Prostitution in einem fremden Staat, wobei darunter mehr als bloße Hilfe zu verstehen ist, wenn auch die Einflußnahme nicht bis zur Einschränkung der Dispositionsfreiheit der Betreffenden gehen muß (vgl Pallin, WK Nr 5 und 6 zu § 217 StGB). Zwar sprechen wesentliche Beweisergebnisse, teilweise sogar die Verantwortung des Angeklagten (s S 151 d.A) für eine Einflußnahme im vorgenannten Sinne, doch bedeutet die Abweisung dieses Beweisantrages im Ergebnis eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung, weil von vornherein ein verwertbares Ergebnis derselben nicht auszuschließen ist (vgl ÖJZ-LSK 1981/97). Gleiches gilt im wesentlichen auch für die unter Punkt 2. wiedergegebenen Beweisanträge, deren Ziel ersichtlich dem Nachweis dienen sollte, daß der überwiegende Teil der aus dem Liebeslohn überwiesenen oder persönlich vom Angeklagten vereinnahmten Beträge im Interesse der ausgebeuteten Ingrid A verwendet oder auf solche Bankkonten zu ihrer Verfügung gehalten wurden, über die sie auch selbst verfügungsberechtigt war und auch verfügt hat. Auch wenn aus der vom Erstgericht für glaubhaft erachteten Aussage der Zeugin Ingrid A sich das Gegenteil erschließen läßt und die wirtschaftliche Situation der im Ausland befindlichen Zeugin allein durch Investitionen in ihr Haus nicht wesentlich gebessert werden konnte, bedeutet die Abweisung der entsprechenden Beweisanträge doch eine Vorwegnahme der Beurteilung des Beweiswertes und der Beweiskraft der angeführten Beweismittel und begründet demgemäß Nichtigkeit im Sinne der Z 4 des § 281 Abs. 1 StPO Da infolge des aufgezeigten Verfahrensmangels eine neue Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist, war der teilweise begründeten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Folge zu geben und das angefochtene Urteil nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 285 e StPO schon bei einer nichtöffentlichen Beratung wie im Spruche aufzuheben und die Sache im Umfange der Aufhebung an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Anmerkung
E03582European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1982:0120OS00030.82.0311.000Dokumentnummer
JJT_19820311_OGH0002_0120OS00030_8200000_000